Capitän Coram
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Wir haben schon bei Gelegenheit des Marsches von Finchley die Bemerkung gemacht, daß Hogarth sich auf mannigfache Weise dem zu seiner Zeit gestifteten Findelhause der Hauptstadt wohlthätig erwiesen habe, daß er die vom Verkaufe übrig gebliebenen Loose zur Ausspielung jenes Gemäldes dieser Anstalt schenkte und daß Letztere hierdurch in den Besitz jenes Originalbildes gelangte. Hogarth verfertigte ferner noch zwei andere Gemälde für dieselbe und zwar ohne Honorar: das Porträt des Stifters, Capitän Coram und ein historisches Stück, Moses, wie er vor Pharao’s Tochter gebracht wird. Alle drei werden gegenwärtig in der Anstalt gegen ein Einlaßbillet gezeigt; letzteres Bild ist aber mißlungen und verdient kaum die Aufbewahrung. Ferner lieferte Hogarth eine Zeichnung, die nach Art der Bilder bei seinen Subscriptionsscheinen oben auf der gerichtlichen Vollmacht abgedruckt wurde, welche die Einsammler von Subscriptionen für jene Anstalt von den Vorstehern erhielten. Dies ist das zweite hier beigebrachte Blatt.
[838] Wie erwähnt, war Capitän Coram der Stifter der Anstalt. Die Wirksamkeit dieses Mannes, so wie auch die Art, wie er seinen Zweck durchführen konnte, bietet ein merkwürdiges Beispiel jenes Gemeingeistes (public spirit) der Engländer, den man schwerlich bei irgend einer andern europäischen Nation in derselben Art antreffen möchte. Zugleich ergibt sich durch die Errichtung jenes Findelhauses der Beweis, daß jener Gemeingeist manche Dinge wieder ausgleicht, welche durch die englische Staatsform und durch die aristokratischen Lebensverhältnisse bewirkt werden, nämlich die Vernachläßigung des Wohls und der Erziehung hinsichtlich der niederen Volksclassen, für welche der Staat bis in die neuesten Zeiten nichts zu thun pflegte. Jene Erscheinung konnte man auch in unsern Tagen mehrfach wiederholt bemerken.
Capitän Coram, als Seemann erzogen, nahm Dienst auf der königlichen Flotte, trat jedoch später aus und befehligte Handelsschiffe, oder leitete deren Bemannung, Beladung u. s. w. Da er in diesem Verhältnisse genöthigt war, des Morgens früh die Hauptstadt, wo er wohnte, zu verlassen und erst des Abends spät zurückzukehren, sah er häufig ausgesetzte Kinder der ungeheuren Stadt, welche durch Armuth oder Grausamkeit der Eltern dem Tode oder einer zufälligen Hülfe Preis gegeben waren. Dies erweckte sein Mitleid in dem Grade, daß er mit der beharrlichen Gutmüthigkeit, welche Seeleuten eigenthümlich zu sein pflegt, sein Vermögen, seinen Einfluß und alle seine Kräfte auf die Errichtung eines Hospitals zu wenden beschloß, welches verwahrloste Kinder aufnehmen würde. Er gewann die Unterstützung einiger Würdenträger der Kirche, benützte den Einfluß, den ihm seine Stellung als Flottenofficier und seine Familie gewährte, opferte sein Vermögen und erreichte seinen Zweck.
Dieser Mann verfolgte noch andere Pläne ähnlicher Art. Es gelang ihm, bei der Regierung die Errichtung einer Anstalt in Nordamerika durchzusetzen, worin Kinder von indianischen Eltern auf englische Weise erzogen wurden. Diese Anstalt ist jedoch in späteren Stürmen des Unabhängigkeitskrieges untergegangen und blieb auch gleich anfangs wirkungsloser, als jenes in England von ihm begründete Findelhaus.
[839] Länger als siebenzehn Jahre verfolgte dieser edelmüthige Mann standhaft seinen Zweck und erhielt endlich im Jahre 1739, als er die nöthigen Fonds zusammengebracht hatte, das Privilegium der Regierung (The royal charter), ein Findelhaus zu errichten, welches durch eine Urkunde von jener Zeit an als selbstständiges Institut besteht. Wie erwähnt, hatte Capitän Coram sein durch Dienst auf der Flotte und auf Handelsschiffen erworbenes Vermögen seinem wohlthätigen Zwecke aufgeopfert. Er war im Alter vollkommen verarmt. Das englische Publikum gab ihm jedoch Ersatz für seine dem Staat geleisteten Dienste. Durch dasselbe Mittel, wie er sein Findelhaus größtentheils errichtet hatte, nämlich durch Subscription, wurde ihm eine genügende Pension gesichert. An der Spitze der Subscription stand der damalige Prinz Friedrich von Wales, unter Georg II. Als man dem ehrwürdigen Greise die Eröffnung machte, eine Subscription solle für ihn veranstaltet werden und als man zugleich die Besorgniß ausdrückte, ein solches Verfahren könne ihn beleidigen, gab er die für einen Engländer auffallende Antwort: „Ich habe das Vermögen, welches ich früher besaß, nicht zu eitlen Ausgaben oder Genüssen verwandt und brauche mich deßhalb in meinem Alter nicht zu schämen, wenn ich meine Armuth eingestehen muß.“ –
Dieser Mann starb 1751 und wurde auf seinen Wunsch in der Capelle des von ihm gestifteten Findelhauses beerdigt. Hogarth, sein persönlicher Freund, hat seine Züge durch vorliegendes Porträt verewigt, über welches er später folgende Bemerkung niederschrieb, welche wegen seiner Verhältnisse und seiner Sinnesart, auch wegen seiner Gereiztheit bei irgend einem Tadel, aufbewahrt zu werden verdient:
„Das Porträt, welches ich mit dem größten Vergnügen verfertigte, und worin ich hauptsächlich mich auszuzeichnen wünschte, war das des Capitäns Coram für das Findelhaus. Bin ich ein so elender Künstler, wie meine Feinde behaupten[1], so ist es sonderbar, daß dies Porträt, [840] das erste, welches ich in Lebensgröße malte, die Prüfung einer zwanzigjährigen Rivalität aushalten konnte und im Allgemeinen für das beste Porträt an jenem Orte gehalten wurde, obgleich die ersten Maler im Königreich all ihr Talent ausübten, um damit zu wetteifern.
Für das Porträt des Herrn Garrick in Richard III. erhielt ich zweihundert Pfund, eine größere Summe, wie sie jemals ein englischer Künstler für irgend ein Porträt bekommen hat. Dieser Preis ward von mehreren Malern, die um Rath befragt waren und nur nach reiflicher Ueberlegung festgesetzt.
Nichts desto weniger ist es eine stehende Redensart, Porträts seien nicht der Kunstzweig, worin ich etwas leisten könne. Ich kam sogar in Versuchung, denselben gänzlich aufzugeben, den einzigen, welcher etwas Erkleckliches einbringt. Meine Porträtmalerei hetzte mir das ganze Nest von Krämern mit Fratzen (phizmongers) auf den Hals, die wie Hornissen um mich herum summten. Alle diese Leute haben ihre Freunde, denen sie unaufhörlich die Lehre geben, alle meine Damen seien gemeine Straßenmädchen, mein Versuch über die Schönheit sei gestohlen, meine Komposition und mein Graviren verächtlich.
Dies ärgerte mich so sehr, daß ich mitunter erklärte, ich würde niemals wieder ein anderes Porträt malen, und daß ich häufig Bestellungen dieser Art zurückwies. Ich habe nämlich die traurige Erfahrung gemacht, daß ein jeder Maler, der in diesem Kunstzweige gewinnen will, nothwendig ein Verfahren annehmen muß, welches in einer Fabel von Gay empfohlen wird; er muß alle Leute, die ihm sitzen, zu Gottheiten erheben. Ob diese kindische Affectation bleiben wird oder nicht, ist eine zweifelhafte Frage; alle Maler, welche den Mißbrauch verbessern wollten, haben kein Glück gemacht; auch wird es schwerlich anders werden, wenn Porträtmaler im Allgemeinen nicht ehrlicher und ihre Kunden nicht weniger eitel werden.“
- ↑ Dieser Vorwurf, wie man sehen wird, betraf übrigens nicht die von Hogarth gewissermaßen erfundene Gattung der Malerei, sondern seine historischen Bilder und seine Porträts.