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Chriemhild an Siegfried’s Bahre

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Textdaten
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Titel: Chriemhild an Siegfried’s Bahre
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 192–193, 207–208
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[192–193]

Chriemhild an Siegfried’s Bahre.0 Nach dem Oelgemälde von Professor Emil Lauffer.

[207] Chriemhild an Siegfried’s Bahre. (Mit Illustration S. 192 und 193) Aus grauer Vorzeit, entsprossen aus der germanischen Götter- und Heldensage, stammt das gewaltige Epos, „Das Nibelungenlied“ genannt, welches nun seit so manchem Jahrzehnte die Dichter und Maler, und neuester Zelt sogar die Componisten begeistert zu immer neuen Schöpfungen. Unter den Malern hat seit Cornelius und Schnorr von Carolsfeld wohl Keiner den mächtigen Stoff dramatischer und effectvoller behandelt, als der Meister des hier in einem trefflichen Holzschnitte wiedergegebenen Bildes, Professor Emil Lauffer in Prag. Zum Verständniß der auf dem Bilde dargestellten Scene ist es nothwendig, auf den uralten Volksglauben hinzuweisen, welcher sogar in unsern Tagen noch in manchen Gegenden verbreitet ist: daß die Wunden des Getödteten von Neuem zu bluten beginnen, wenn der Mörder an die Leiche seines Opfers herantritt oder dieselbe berührt. Im Mittelalter erwuchs aus dieser Anschauung das sogenannte Bahrrecht oder Bahrgericht, bei welchem der des Mordes Verdächtige vor den Leichnam des Getödteten geführt wurde, die Wunden desselben berühren und dabei in einer vorgeschriebenen Formel Gott um ein Zeichen zur Entdeckung des Schuldigen anrufen mußte. Wenn nun bei diesem schauerlich-feierlichen Acte die Wunden des Leichnams zu bluten [208] anfingen oder Schaum vor dessen Mund trat, so hielt man den Angeklagten für überwiesen. Es ist nicht zu verwundern, daß dieses Bahrgericht sich so lange erhalten hat, denn, wenn auch die Leichen ewig stumm blieben und niemals ein derartiges Zeugniß gaben, so wirkte doch in Tausenden von Fällen der Anblick des Opfers so erschütternd auf den Mörder, daß er verwirrt seine Schuld gestand. Und aus diesem Grunde ist auch in unserer Zeit noch allerorten von den Gerichten die Uebung beibehalten, daß der Verdächtige den Leichnam des Gemordeten ansehen muß, damit er durch den grausen Anblick seines Opfers zum Geständniß bewegt werde. Doch kehren wir zu unserem Bilde zurück: Im Dom liegt die Leiche des Helden Siegfried aufgebahrt; Gunter und Hagen treten an die Bahre, und das Blut des Erschlagenen strömt auf’s Neue aus den Todeswunden.

Die alte Sage, durch die meisterhafte Behandlung in unsere helle Nähe gerückt, ruht doch durchaus auf dem echten Boden ihrer Zeit. Das Helden- und Ritterthum in seiner eigensten Welt steht lebendig vor uns: der grimme düstere Hagen, furchtbar prächtig anzuschauen, nimmt mit der an der Bahre Siegfrieds knieenden Chriemhild unsere volle Aufmerksamkeit in Ansprnch; hinter ihm, die Hand zum falschen Schwure an’s Herz gelegt, Gunter mit Mantel und Scepter; zu Füßen des Todten zwischen zwei Jünglingen der trauernde König Siegmund; zu Siegfrieds Häupten knieend die fromme Mutter Chriemhild’s, Frau Ute; im Hintergrunde auf der einen Seite die Geistlichkeit, auf der andern Frauen und die Mannen Siegfried’s. So stellt sich uns in ergreifender Deutlichkeit der im siebenzehnten Abenteuer des Nibelungenliedes enthaltene Auftritt dar, über den wir am besten das Lied selbst nach der volksthümlichen Bearbeitung des schwäbischen Dichters Emil Engelmann reden lassen:

„Da trat auch König Gunter zu Siegfrieds Sarg heran,
Und mit ihm schritt Herr Hagen, das war nicht wohl gethan;
Herr Gunter sprach: ‚Weh, Schwester, des theuren Gatten Dein,
Wie brach so grause Drangsal doch über uns herein,
Wir müssen immer klagen um Siegfried’s Jammertod!‘
‚Was schwatzest Du so trugvoll und höhnest meine Noth?‘
Rief sie, ‚wär Dir’s zu Leide, so wär es nicht gescheh’n,
Ihr habet mein vergessen, das muß ich wohl gesteh’n,
Und mich so schlimm geschieden von meinem lieben Mann,
Gott weiß im Himmel droben, Ihr tragt die Schuld daran!‘
‚Von uns aus,‘ schwuren Beide, ‚ist Dieses nicht gescheh’n!‘
‚Das wollen wir,‘ rief Chriemhild voll Zornes, ‚baldig seh’n;
So tretet zu der Bahre vor allem Volk heran,
Seid ohne Schuld Ihr dessen, was man ihm angethan!‘
Und siehe da! ein Wunder begab sich, wie’s geschieht
Zuweilen, wenn den Mörder man bei dem Todten sieht;
Neu bluteten die Wunden, als man voll Trotzes da
Den Tronjer zu der Leiche Herrn Siegfried’s treten sah,
Die blut’gen Bäche flossen noch stärker als zuvor,
Und Chriemhild’s Klage gellte wild an der Mörder Ohr;
Doch Gunter sprach voll Truges: ‚Ich sag die Wahrheit an,
Ihn schlugen feige Schächer, nicht Hagen hat’s gethan!‘
‚Mir sind die feigen Schächer,‘ rief Chriemhild, ‚wohl bekannt,
Es that es Niemand anders, als Eure arge Hand,
Dich Gunter und Dich Hagen, Euch beide klag ich an!‘“

Das Weitere gehört nicht hierher, aber wie düstere Wetterwolke lastet es auf dem Beschauer, daß Gewaltiges auf diese „Meinthat“ folgen muß und wird. – Wie dieselbe später von Chriemhild mit dem Tode so vieler Helden, auch Hagen’s und Gunter’s, furchtbar gerächt wurde, das ist in dem herrlichen „Nibelungenliede“, diesem köstlichen Schatze unserer Nationalliteratur, in meisterhafter Weise geschildert.