Eine Riesenorchidee
[207] Eine Riesenorchidee. Wer in der Congo-Niederung während der Monate October bis Februar eine Fahrt stromaufwärts unternimmt, wie ich sie bereits im vorigen Jahrgange Seite 487 geschildert habe, der wird eine Erdorchidee in voller Blüthe bewundern können, welche an mächtiger Entwickelung wohl von keiner ihrer Schwestern erreicht, an Schönheit von keiner übertroffen wird. Diese Orchidee (Lissochilus giganteus Hook.) ist ein Prachtgewächs ersten Ranges, eine Königin selbst in ihrer Familie, deren Glieder doch überhaupt die wunderbarsten Blumen hervorbringen, die wir kennen.
In ihrem Habitus, selbst in Form und Farbe der Blüthen, ähnelt sie einigen unserer bescheidenen heimischen Orchideen, den bekannteren, manche Wiesen zierenden Knabenkräutern; nur muß man sich die letzteren in’s Riesenhafte gewachsen denken, denn Lissochilus mit zwei Meter hohen Schäften sind keineswegs selten, einzelne treiben sogar noch höhere Blüthenstände. Die vorwiegend mild carminroth, bisweilen aber auch leuchtend roth gefärbten Blüthen sind von bedeutender Größe. In der Regel umgeben sie nicht sehr zahlreich und darum nur locker vertheilt den entsprechend dicken Schaft; bei besonders kräftigen Pflanzen entwickeln sie sich jedoch in größerer Menge und stehen so dicht gedrängt, wie die Abbildung zeigt. Es giebt gewissermaßen arm- und reichblüthige Exemplare dieses Lissochilus, ebenso wie es stark- und schwachriechende giebt. Die meisten besitzen einen zarten, bei weitem nicht so auffallenden Duft wie andere Orchideen; doch wird diese Eigenschaft wohl durch den Standort beeinflußt, denn ich bin auch auf einzelne Blüthenstände gestoßen, welche einen betäubenden Wohlgeruch aushauchten.
Die Verbreitung dieser Prachtgewächse scheint eine sehr beschränkte zu sein. Hat man, am Nordufer des Congo entlang fahrend, die Bullen- und Kalbinsel passirt, so erblickt man in der Gegend von Malela und am Südufer um Tschissanga die ersten Exemplare, welche, von fern an unsere stattlichen Malven erinnernd, sich auf feuchten und morastigen Blößen deutlich vom dunklen Hintergrunde des Buschwerkes abheben. Bis in die Umgebung von Ponta da Lenha finden sie sich in Menge und an diesem Punkte besonders zahlreich auf dem, vom Gebüsch gesäuberten schlammigen Grunde rings um die englische und holländische Factorei. Dort mögen gegenwärtig einige Hundert vorkommen Als ich im Jahre 1875 schon einmal diese Gegend besuchte, gab es daselbst erst wenige Exemplare. Zwei Jahre früher hatte Monteiro einige Pflanzen von dieser Stelle nach England gesandt, welche in Kew Gardens mit Erfolg cultivirt wurden. Sie sind wohl die einzigen, welche bisher in Europa Beachtung gefunden, denn von denen, die ich zu jener Zeit für unsere botanischen Gärten sammelte und nach Deutschland schickte, ist nichts weiter gehört worden.
Außerhalb des beschriebenen Uferstriches werden diese Orchideen sogleich seltener und verschwinden endlich gänzlich. Nur in dem Inselhaufen oberhalb Ponta da Lenha lugen noch ganz vereinzelt die schönen Blüthenpyramiden aus dem hohen Grase am Ufer. Auch habe ich sie nirgends weiter weder an der Küste noch im Inneren von Westafrika beobachtet, außer an einem zweiten Standorte, und zwar am Gabun auf einem sumpfigen Terrain unfern der Hauptfactorei des Hamburger Hauses Woermann. Doch erreichen dort die Exemplare nicht die Größe der am Congo vorkommenden.
Zwei andere riesige Erdorchideen, wahrscheinlich
ebenfalls Lissochilus, die eine mit tief
purpurrothen, die andere mit gelblichen, violett
gefleckten Blüthen, fand ich vor neun Jahren
sehr selten auf feuchten Stellen der Savane
von Pontanegra an der Loangoküste, halbwegs
zwischen dieser Niederlassung und dem südlicher
gelegenen Massabe. Pechuel-Loesche.