Christenverfolgung in Italien

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Christenverfolgung in Italien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 615–618
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Christenverfolgung in Italien.


Die Gartenlaube hat erst jüngst ein Beispiel erzählt, in welcher Weise das Volk in Deutschland beim alten Glauben erhalten oder zu ihm zurückgeführt wurde: die Geschichte von den Salzburger Auswanderern. Wenn nun selbst im deutschen Oesterreich, wo die Inquisition niemals und am wenigsten in spanischer und italienischer Weise Eingang gefunden, eine solche Ausrottung des Protestantismus möglich war, wie sollte in Italien der Kampf des armen verlassenen Volkes gegen die Allgewalt des Papstthums enden?

Alle Schilderungen über die Christenverfolgungen, welche von den heidnischen Römerkaisern, selbst einem Nero, verhängt worden sind, verlieren von dem Gräßlichen ihres Eindrucks, sobald sie neben die Entdeckungen gestellt werden, welche die Durchforschung der Inquisitionsgebäude und Archive in Rom, zur Zeit der römischen Republik von 1849, zu Tage gefördert hat. Martern, wie nur eine teuflische Phantasie sie ersinnen kann, sind hier verübt worden seit jenem 1. April 1543, an welchem Paul III. die ersten Generalinquisitoren ernannte und die „Congregation des heiligen Officiums“ in Rom gegründet hatte, bis fast zur jüngsten italienischen Fürstenflucht. Man hat Protestantischgesinnte mit Pech bestrichen und so lebendig verbrannt, man hat sie öffentlich mit eisernen [616] Ruthen gepeitscht und mit Fackeln todtgeschlagen, man hat sie von Kirchthürmen gestürzt, in Masse abgeschlachtet, wie das Vieh, oder in unterirdischen Folterkammern schrecklich zu Tode gequält. Und sollten die Martergefängnisse für Ketzer in jüngster Zeit dort menschlicher eingerichtet gewesen sein, als wir sie in Neapel für politisch Verfolgte gefunden haben?

Mit der Wirksamkeit der Ketzergerichte begann in Italien eine allgemeine Flucht aller des neuen Glaubens Verdächtigen nach dem protestantischen Norden, und die Mehrzahl dieser Flüchtlinge mußte heimlich, bei Nacht und Nebel, oder unter mancherlei Verkleidung die Grenze zu erreichen suchen, denn den Ketzerrichtern lag vor Allem daran, Exempel zu statuiren, Vermögen zu confisciren und nebenbei Seelen zu retten durch Vernichtung der Leiber. Von den zahlreichen Massenverfolgungen erwähnen wir hier nur eine. Bis nach Neapel hatten die Waldenser sich ausgebreitet; dort lebten in drei Colonien (la Guardia, Baccarizza und San Sisto) ihrer etwa viertausend, von denen selbst katholische Stimmen urtheilten, daß sie „ein einfaches und unterrichtetes Volk“ seien, das sich ganz allein mit dem Spaten und dem Pfluge beschäftige und „auf dem Totbette sich ziemlich religiös gesinnt zeige“. Gegen diese Christengemeinden brach im Jahre 1560 die Verfolgung der Inquisition aus, königliche Soldaten mußten gegen sie marschiren, und selbst eingefangene Banditen und zum Tode verurtheilte Verbrecher begnadigte man zu einem „Kreuzzug gegen die Ketzer“, von dem sie straffrei heimkehren sollten. Und die Verbrecher kehrten heim, nachdem die armen Waldenser bis zum letzten Kinde hingemordet waren.

Während bei den heidnischen Christenverfolgungen wenigstens viele und oft lange Unterbrechungen von der einen zur andern stattfanden, gleichsam Ruhepausen zur Stärkung für den nächsten Sturm, gönnten die päpstlichen ihren Schlachtopfern unter sechs auf einander folgenden Regierungen (von Paul III., dem Vater der Inquisition, 1543, bis zu Gregor XIII., 1585) auch nicht einen Augenblick des freien Athemholens. Zu diesem ununterbrochenen Wüthen von der geistlichen Seite kam in Italien noch die Willfährigkeit der regierenden Fürsten und Herren in der Unterstützung der Kirchenmacht gegen die Städte, in welchen sich noch Reste der ehemaligen Freiheit erhalten und die sich eben deshalb zuerst der Reformation zugeneigt halten. Hier arbeiteten somit Hierarchie und Dynastie Hand in Hand, um dem Absolutismus eine feste Stätte zu gründen und jedes Zugloch irgendwelcher freien Einströmung unbarmherzig zu verstopfen.

Schutz von oben und dadurch die Kraft eines längeren Widerstandes gegen die Inquisition hatte der Protestantismus nur an zwei Punkten Italiens gewonnen: in Ferrara und Modena, das damals einen Staat bildete, und in der Republik Venedig. Dort war es Renata, die Tochter Ludwig’s XII. von Frankreich und Anna’s von der Bretagne, welche, längst dem Protestantismus heimlich zugethan, allen Einfluß auf ihren Gemahl, den Herzog Hercules von Este, aufbot, um die Ketzergerichte von den Grenzen ihres Landes zurückzuhalten; und hier, in dem großen Seehandelsplatze, in welchen der Verkehr Völker aller Nationen zusammenführte, mußte schon die Klugheit ausgedehnte Toleranz gegen Andersgläubige gebieten. Doch lange währte die Duldung an beiden Orten nicht. In Ferrara starb Herzog Hercules im Jahre 1559, und Renata, deren guter Geist schon vorher dem Andringen des römischen Hofs hatte weichen müssen, verließ das arme Land, das plötzlich alle Blüthen der Künste und Wissenschaften von den Pfaffenhänden verwüsten sah, und kehrte nach Frankreich zurück, wo sie 1575 zu Montargis als Protestantin starb. In Venedig aber schlich nun in mancher Nacht das Gondelpaar, zwischen welchem auf einem Brete das Opfer der Inquisition saß, aus dem schmalen Canale unter der Seufzerbrücke hervor und übergab den Lagunen ihre Beute. Wie viele Verbrechen bedecken dort die ewig schweigenden immergrünen Fluthen!

Ganz im Geheimen blieb in Venedig der Protestantismus noch bis in das erste Viertel des 17. Jahrhunderts hinein am Leben, ja, er trat sogar noch einmal entschieden hervor, als es galt, den Anmaßungen des heiligen Stuhls unter Paul V. mit aller Macht entgegen zu treten. Damals (im Jahre 1611) durfte der gelehrte Servitenmönch Paoli Sarpi als theologischer Berather der Republik äußern: „Nichts ist wichtiger, als das Ansehen der Jesuiten zu vernichten. Sind sie gestürzt, so stürzt Rom, und ist Rom verloren, so wird die Religion von selbst sich erneuern … Die Inquisition wird aufhören und das Evangelium emporsteigen!“ – Aber erst dritthalbhundert Jahre später sollte dieses prophetische Wort seiner Erfüllung am nächsten sein.

Als endlich auch Venedig den offenen Kampf gegen die römische Hierarchie aufgegeben hatte, schien der Stern der neuen Lehre vom italienischen Himmel ganz verschwunden; denn die wenigen evangelischen Gesandtschaftscapellen, welche man zu unterhalten gestattete, waren deshalb ohne alle Bedeutung für einen „italienischen Protestantismus“, weil kein Italiener sie besuchen und weil der Gottesdienst nicht in italienischer Sprache begangen werten durfte. Und dennoch schimmerte am äußersten Horizont Italiens noch ein Strahl von jenem Stern des Glaubens: ein armes Bergvölklein wagte es, mit der einzigen Waffe des Gottvertrauens dem geistlichen Weltgebieter in Rom zu trotzen.

Die Waldenser sind diese Glaubenshelden. Sie gehören zu den Vorläufern der Reformation, die Zeit ihrer Entstehung versetzt man am wahrscheinlichsten in das 12. Jahrhundert, für ihren Stifter hält man den Lyoneser Petrus Waldo und sie selbst für dieselben „Armen von Lhon“ (Pauperes de Lugdumo), welche in Böhmen als „Piccarden“, in Straßburg als „Winkler“ bekannt waren und deren Vorposten bis nach Arragonien und Unteritalien vordrangen. Ihrer Ausrottung im Neapolitanischen haben wir oben gedacht. In Oberitalien hatten sie ihre festen Sitze in Piemont, wo sie sich seit dem dreizehnten Jahrhundert in den drei Thälern von Luserna, Perosa und San Martino behaupteten. Ursprünglich bestand zwischen den Waldensern und der herrschenden Kirche keine Trennung in den Glaubenssätzen und dem Kirchendienste; heilig war ihnen die Messe und die Ohrenbeichte, die Siebenzahl der Sacramente und die Brodverwandelungslehre, die Ehelosigkeit der Priester und das Armuthsgelöbniß derselben; aber für unheilig erklärten sie das Leben des Klerus, wie es allenthalben ohne Scheu sich zeigte. Nicht am Glauben, sondern an den Glaubenshütern waren sie irre geworden, und erst durch den Kampf mit der Geistlichkeit bis hinauf zum Haupt der Kirche und durch die Verfolgungen, die sie wegen dieses Kampfes zu erdulden halten, wurden sie zum Forschen in der Schrift und zum Neubau eines gereinigten Christenthums hingelenkt. Als nun bis zu diesem armen Bergvölkchen, diesem „Israel der Alpen“, die frohe Mähr von dem Siege einer großen Kirchenreformation in Deutschland und der Schweiz drang, da verlangte es nach einem Boten der neuen Lehre und schloß sich, nachdem Farel aus der Schweiz zu ihm gekommen war, dem reformirten Glaubensbekenntniß an.

Durch diesen Schritt lenkten die Waldenser den Lauf der großen Ketzerverfolgung auf ihre Spur. Ihre Heimath ist ein Grenzland, das bald der savoyischen, bald der französischen Herrschaft unterworfen, bald zwischen beiden getheilt war; je nach der Theilnahme der einen oder beider Mächte an der Ketzer-Unterdrückung richtete sich der Erfolg derselben. Immer aber führten diese Männer der Berge das Schwert wie Helden. Nach langem Kampfe sah schon Herzog Emanuel Philibert von Savoyen sich bewogen, am 5. Juni 1561 die sogenannte „Capitulation von Cavour“ mit ihnen abzuschließen, die ihnen innerhalb ihrer drei Thäler freie Religionsübung und dazu Verkehrsfreiheit mit ihren katholischen Nachbarn zusicherte. Wieviel jedoch eine solche Zusicherung in jener Zeit werth war, zeigte sich bald genug. Die Worte des Vertrags ließ man bestehen, gab es doch für immer neue Quälereien der der Macht einmal Verhaßten tausend andere Wege. Jede Grenzveränderung zwischen Frankreich und Piemont bot dem geistlichen wie dem weltlichen Arme willkommene Gelegenheit, zahlreiche Familien, ja ganze Gemeinden der Waldenser von Haus und Hof, von Hab und Gut zu vertreiben; bald ging die Flucht nach Frankreichs, bald nach Savoyens Grenzpfählen, und selten fanden die Verfolgten anderen Schutz, als auf dem Schweizerboden.

Eine allgemeine Hetze, abermals ein römischer Kreuzzug, ward im Jahre 1655 über sie verhängt. Alle Grausamkeit der Kriegsknechte, für welche der kaum beendigte Dreißigjährige Krieg eine so entsetzliche Schule gewesen war, schien hier noch einmal austoben zu wollen, ja, so unerhörte Gräuel wurden begangen, daß der Weheschrei aus jenen Alpenthälern das ganze protestantische Europa aufschreckte. Dem entschiedenen Mahnruf desselben gelang es, selbst einen Ludwig XIV. zu einem Einspruch gegen das Wüthen der Piemontesen zu vermögen; die Waldenser wurden in alle Rechte, die sie vor dem Vernichtungskriege besessen, wieder eingesetzt, und aus allen protestantischen Ländern flossen ihnen Gaben zum Wiederaufbau ihrer Wohnstätten und Kirchen zu.

[617] Diesmal hatte das gegebene Fürstenwort eine Dauer von zwanzig Jahren, doch derselbe Ludwig XIV., der hier den Frieden gestiftet, warf dieselbe Brandfackel, mit welcher er eine halbe Million seiner edelsten Bürger aus Frankreich vertrieb, auch in die Hütten der Waldenser; auf sein drohendes Gebot erließ Herzog Victor Amadeus II. am 31. Januar 1686 ein Edict, durch welches aller öffentliche und geheime nichtkatholische Gottesdienst bei Vermögens- und Todesstrafe untersagt und zugleich die Zerstörung aller Gotteshäuser, die Landesverweisung aller Geistlichen und Lehrer und die Taufe aller Kinder der Waldenser durch katholische Priester angeordnet wurde. Das war der italienische Wiederhall der Aufhebung des Edicts von Nantes!

Vergebens drangen Bitten und Fürbitten in den Herzog um Zurücknahme seines Befehls; er blieb für jeden bessern Einfluß verschlossen. Ebensowenig waren die Waldenser zur Auswanderung in Masse zu bereden, wozu namentlich die schweizerischen Glaubensgenossen aufgefordert hatten. Sie griffen zu den Waffen, mit dem heldenmütigen Entschluß, ein Häuflein von kaum zweitausend Männern, gegen zwei Heere, ein französisches und ein savoyisches, die von West und Ost gegen die Thäler heranrückten, um des Glaubens willen den Kampf zu bestehen. Da schien in dem Herzog das Gewissen erwacht zu sein, er beredete mit wahrhaft fürstlichem Aufwand von Versprechungen die aufgestandenen Schaaren zu einer vertrauensvollen Uebergabe, und als nun, nach drei bangen Tagen, die Waldenser voll Vertrauen die Waffen strecken, da wanderten sie, gegen vierzehntausend an der Zahl, ohne jede menschliche Rücksicht auf Alter und Geschlecht, in die Kerker der Festungen, um dort dem Bekehrungseifer eines vorsorglich zusammengezogenen Schwarms von Priestern und Mönchen überliefert zu werden.

Und wie müssen die Bekehrungsmittel dieser heiligen Männer beschaffen gewesen sein! Denn als endlich abermals der Einspruch protestantischer Fürsten und der schweizer Glaubensgenossen wenigstens so viel Gehör bei dem Herzog fand, daß er die Waldenser zur Uebersiedelung nach dem Norden der Alpen frei gab: welche Gestalten krochen aus den Gefängnissen hervor, und wie war ihre Zahl zusammen geschwunden! Arm und bloß, wie sie den Kerker verließen, wankten sie dem Mont Cenis zu; aber trotz aller Sorge und Pflege der Schweizer, die dem Trauerzuge bis Susa und Lans-le-Bourg mir Kleidern, Brod, Wein und Bibeln entgegeneilten, fanden in Genf von jenen vierzehntausend Waldensern nur dreitausend sich wieder. Die andern waren den Kerkern, Bekehrungen und den Alpen erlegen.

Von diesen Waldenser Emigranten siedelten die meisten sich im Brandenburgischen an, wo auch die gleichzeitig vertriebenen französischen Emigranten das freudigste Willkommen empfing. Kleinere Gruppen suchten sich im übrigen Deutschland und in den Niederlanden eine neue Heimath zu gründen; eine nicht geringe Zahl hatte sich von der heimathlichen Natur der Schweizerberge nicht trennen können, und diese pflanzen bald neue Reiser in die verödeten Thäler.

Während nämlich Rom frohlockte über die nun erst vollständige Niederlage der Ketzer in Italien, rüsteten, von unwiderstehlicher Sehnsucht nach ihren Bergen getrieben, Hunderte von Waldensern sich zur gewaltsamen Heimkehr, und zwar ganz in’s Geheim, denn die protestantischen Mächte hatten sich verpflichtet, ihnen jede Rückkehr unmöglich zu machen. Wirklich waren im Jahre 1687 dreihundert und im Juni 1689 siebenhundert derselben durch die Regierung von Bern von der Ausführung ihres Vorsatzes zurückgehalten worden. Am 16. August desselben Jahres gelang es jedoch einer Schaar von neunhundert Männern, das savoyische Ufer des Genfersee’s zu erreichen und sich durch die französische Besatzung der Festung Echelles durchzuschlagen. Ihr Führer war Heinrich Arnaud, ein waldensischer Geistlicher; ihm folgten am 27. August noch siebenhundert Mann in das Thal San Martino, wo sie sich auf einem Hügel verschanzten und den mächtigen Schutz eines früh einfallenden Winters fanden. Desto verzweifelter wurde ihre Lage im kommenden Frühling; französische und piemontesische Truppen besetzten die beiden Ausgänge des Thales und sperrten sie somit sämmtlich ein. Zwar schlug die kleine Schaar einen Sturm dieser Uebermacht zurück, würde aber dennoch erlegen sein, wenn sie nicht das Ungeheure gewagt hätte, unter dem Schutze eines dichten Nebels die steile Felswand hinter ihrem Lager zu erklimmen, auf welcher sie zu den Höhen von San Giovanni gelangte. Hier erreichte die geretteten Männer eine Botschaft des Herzogs, die ihnen Frieden und Freundschaft antrug. Freudig ergriffen sie die dargebotene Hand, neu gestärkt fielen sie über die Franzosen her, schlugen und verfolgten sie bis auf französischen Boden. Dieser Sieg vollendete das neue herzliche Einverständniß zwischen dem Herzog, der damals den Versuch machte, das französische Gängelband abzuschütteln, und den Waldensern, denen nun alle Gefängnisse sich öffneten und deren Lieben aus allen Fernen wieder der Heimath zueilen. Arnaud erhielt sogar den Rang eines Obersten in der Armee des Herzogs.

Das Edict, welches nicht nur allen Waldensern die Religionsfreiheit wieder gab, sondern auch einer großen Anzahl französischer Protestanten die Niederlassung bei ihnen gestattete, ward von Victor Amadeus am 23. Mai 1694 unterzeichnet. Es schließt allerdings die blutigen Verfolgungen in diesen Thälern ab. Mit der Rechtlosigkeit der Ketzer blieb es trotz alledem beim Alten, denn schon am 29. August 1696 unterzeichnete derselbe Herzog den geheimen Tractat von Turin, in welchem er sich Ludwig XIV. gegenüber verpflichtete, in allen von Frankreich an die Krone Savoyen abzutretenden Ländern nur katholische Bewohner zu dulden und alle französische Protestanten und Waldenser aus den savoyischen Thälern zu verbannen. Letzteres Loos traf mit dreitausend Unglücksgenossen auch den kaum erst fürstlich gefeierten Arnaud. Die sogenannten „wälschen“ Gemeinden des östlichen Schwarzwaldes verdanken diesen Auswanderern ihre Entstehung.

Ein eigenthümliches christliches Liebeswerk bildet die Sammlung aller gegen die Waldenser erlassenen Edicte, die im Jahre 1740 veröffentlicht wurde, offenbar um diese zum Theil damals in glückliche Vergessenheil gerathenen Gewaltgesetze der Nachachtung wieder eindringlicher zu empfehlen. Am scheußlichsten erscheint darin ein Edict von 1655, nach welchem den Waldensern ihre Kinder weggenommen werden können, im Fall diese katholisch werden wollten, und dazu erklärt dieses Gesetz für eine solche Selbstbestimmung bei Mädchen ein Alter von 10, bei Knaben von 12 Jahren für genügend!

Während des ersten französischen Kaiserreichs herrschte in diesen Ländern allgemeine Religionsfreiheit; diese wich der Restauration aller alten Zustände, als Victor Emanuel I. als König von Sardinien wieder in Turin einzog. Auch jene Edicte gegen die Waldenser erhielten frische Kraft; ja, sie blieben selbst nach dem Regierungsantritt Karl Albert’s (1831) bestehen. Noch im Jahre 1834 suchte der Bischof von Pinerolo sie in ihrem ganzen Umfange wieder zu Ansehen zu bringen, namentlich kam der „Kinderraub“ in eine wahrhafte Blüthe. Zu Pinerolo bestand ein besonderes Ospizio dei Catacumeni für Waldenserkinder, um deren Rückgabe die Eltern vergeblich alle Mittel versuchten; wohlhabende Waldenser mußten sogar noch ansehnliche Pensionen für die katholische Erziehung ihrer geraubten Kinder bezahlen! Auch alles Besitzthum außerhalb der drei Thäler wurde ihnen von Neuem unmöglich gemacht; kurz, die Bedrängniß des protestantischen Bergvolkes erreichte wieder einen Grad, der ihm abermals die Aufmerksamkeit und Theilnahme des protestantischen Auslandes zuwandte; vor Allen bot Preußens König, der noch im Jahre 1837 den vertriebenen Zillerthalern eine neue Heimath in Schlesien zugewiesen hatte, auch den Waldensern einen sicheren Raum in seinen Staaten an. Diese beharrten jedoch auf dem Boden ihrer Väter, und ihre Heimathtreue ward endlich belohnt.

Die großen Bewegungen in Italien, von jenem 16. Juli 1846 an, wo Pius IX. den Stuhl Petri bestieg, bis heute sind vor Aller Augen vorübergegangen. Wir Alle sahen, daß auch in Italien nur eine glückliche Dynastie es vermochte, dem gebundenen Volke die römischen Fesseln zu zerschlagen. Und es währte lange, bis man in Turin zu der Einsicht gelangte, daß die Befreiung des Gewissens eine große That sei. Mußten doch erst Männer wie R. Azeglio, Graf Cavour und Cesare Balbo ihre gefeierten Namen an die Spitze einer Adresse an den König stellen, ehe auch den armen Waldensern ihr Recht werden konnte. Sogar die von Karl Albert gewährte Verfassung vom 29. Januar 1848 erklärte noch „die katholische apostolische römische Religion“ für die herrschende Religion des Staats, neben welcher alle übrigen Culte nur geduldet werden sollten „nach Maßgabe der bestehenden Gesetze“ – d. h. für die Waldenser nach der Edictsammlung von 1740! – Aber schon am 17. Februar schlug die Stunde des Triumphs für die standhaften Dulder; ein königlicher Erlaß verlieh ihnen alle bürgerlichen und politischen Rechte der [618] übrigen Staatsangehörigen, öffnete ihnen alle Staatsschulen und akademischen Würden und hob alle diesem widersprechenden früheren Gesetze auf.

Nicht blos in den beglückten Thälern der Waldenser leuchteten am Abend dieses Tags die Freudenfeuer, die festlich strahlenden Hotels der Gesandten von Preußen, England und Holland in Turin zeugten davon, daß ein Siegesfest der Humanität in Europa begangen werde.

Am besten weiß stets das Volk für lange Volksleiden zu belohnen. Als man am 27. Februar zu Turin die Verleihung der Verfassung großartig feierte, gewährte die Festcommission bei dem Festzuge den Abgeordneten der Waldenser den Vortritt, und hier, wo sie zum ersten Male als berechtigte Gemeinschaft öffentlich auftraten, ging bei ihrem Anblick dem erregten Volke das Herz auf, und freudig begrüßten die von Priesterbanden sich gleichfalls frei fühlenden katholischen Bürger mit tausend Evviva’s ihre „waldensischen Brüder“, ihre „lieben, wiedergewonnenen Brüder“! Dieser Augenblick höchster Erhebung konnte auf Jahre des Jammers den Mantel der Vergessenheit decken. Noch heute ist der 27. Februar ein Festtag der Waldenser.

Wie lange? – Diese Frage wirft uns die jüngste Zeit entgegen. Savoyen und ein Theil des Völkleins der Waldenser sind unter Frankreich gekommen. Seitdem schwebt eine trübe Wolke über dem kaum aufgegangenen Freudenlicht. Wer will heute ahnen, was die Politik, die in diesem Lande regiert, die Politik der Gelegenheit, morgen dem Volke bringt? Braucht der Kaiser die Pfaffen, so opfert er ihnen die Gewissen, und braucht er sie nicht, so schützt er ihre Feinde. Mehr als irgend ein anderes Land, mehr als Rußland und Spanien, läßt Frankreich und Italien uns klar werden, welche Schlange um Hals und Herz der Völker die Verbindung der Politik mit der Religion erzeugt, und dazu haben sie in Rom wie in Paris immer neue Beweise geliefert für eine alte Wahrheit: Je weniger in ihren Regierungshandlungen Spuren zu finden waren von dem Charakter einer wahrhaft christlichen Regierung, um so ängstlicher fesselten sie von je die Völker an ihr Regierungschristenthum.

Wir schließen hier, obwohl unser Gegenstand noch nicht erschöpft ist. Eine neue Reihe päpstlicher Christenverfolgungen entspann sich nämlich aus der katholischen Abwehr gegen die vordringende Wirksamkeit der protestantischen Bibelgesellschaften. Hier begegnen wir nicht mehr Massenverfolgungen, sondern den Quälereien gegen Einzelne. Diesen regierungspriesterlichen Umtrieben, welche durch den großen politischen Umschwung seit 1859 einen plötzlichen Abschluß erhalten haben, und dem gegenwärtigen Stande des Protestantismus in Italien widmen wir einen besondern Artikel.

Auch für diesen werden wir, wie für den vorliegenden, mit aller Anerkennung für den Fleiß des Verfassers den zeitgeschichtlichen Versuch L. Wille’s über „das Evangelium in Italien“ hinsichtlich der Thatsachen zu Grunde legen. Seine Anschauung von Gott wird uns jedoch fremd bleiben, denn wer nach der furchtbaren Weise der Unterdrückung des reformatorischen Geistes in Italien zu dem Ausrufe kommt: „Man kann nicht anders als Gottes rächende Hand erkennen, welche das unglückliche Land in das selbstverschuldete Gericht dahin gab!“ – wessen Theologie noch heute es zuläßt, solch einen grimmigen Judengott auf den Altar der Religion der Liebe zu setzen, wer solche miserable menschliche Leidenschaften, wie Rachsucht, und noch dazu an Unglücklichen und Unschuldigen, am höchsten Wesen wiederfindet, der könnte leicht vor dem priesterlichen Herrsch- und Verfolgungsfieber nicht sicherer sein, als die treuesten Jünger und eifrigsten Diener des armen unbeflecktheitseligen Pio Nono und seines jesuitischen Generalstabs.

Dr. Fr. Hfm.