Christoph Willibald Ritter von Gluck

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Autor: Ernst Pasqué
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Titel: Christoph Willibald Ritter von Gluck
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 764–765
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Christoph Willibald Ritter von Gluck.

Ein Gedenkblatt zum 100jährigen Todestage (15. November 1787) des Reformators der Oper.
Von Ernst Pasqué.

Reformator der Oper! Ein schwerwiegendes Wort. – Schon der Beginn, die Geburt der Kunstgattung, welche wir Oper nennen, war eine Reform. In Peri’s „Daphne“ und „Eurydice“, den ersten nur gesungenen musikalischen Dramen, welche in den Jahren 1597 und 1600 entstanden, wird das „Madrigal“, der mehrstimmige Gesang, durch die „Monodie“, den Einzelgesang, im „Stile rappresentativo“ ersetzt, und heute, ein Jahrhundert nach Gluck, hat Richard Wagner eine weit vollständigere Umgestaltung der Oper bewerkstelligt. Gluck aber hat das Verdienst, die dramatische Musik mit den zu seiner Zeit beschränkten Orchestermitteln zu größtmöglicher Vollendung geführt und dadurch den Grund gelegt zu haben, auf dem die ihm nachfolgenden Meister mit immer mehr vervollkommneten Mitteln weiter zu bauen vermochten. Somit verdient er, unbeschadet seines italienischen Vorgängers, der den Weg eröffnete, und seines machtvollen deutschen Nachfolgers, mit Recht den Namen eines „Reformators der Oper“.

Christoph Willibald Gluck.

Gluck wurde geboren am 2. Juli 1714 zu Weidenwang [1], einem Dörfchen in der bayerischen Oberpfalz, wo ihm später ein Denkmal errichtet wurde. Der Vater war Förster; er trat 1717, drei Jahre nach der Geburt seines ältesten Sohnes Christoph, in gleicher Eigenschaft in fürstlich Lobkowitz’sche Dienste und siedelte nach Komotau in Böhmen über, wo dann der junge Gluck seine Schul- und musikalische Bildung erhielt. Letztere vervollständigte er später in Mailand bei dem Organisten Sammartino und brachte auch dort, 1741, seine erste Oper „Artaserse“ zur Aufführung. Schon bei diesem Erstlingswerke zeigte sich das Bestreben des jungen sechsundzwanzigjährigen Tonkünstlers, von den ausgetretenen Bahnen der italienischen Oper abzuweichen. Nur eine Arie im althergebrachten Stile hatte er auf den Proben eingefügt, wohl um zu zeigen, daß er auch in dieser Weise komponiren könne. Das Werk erregte anfänglich Staunen, theilweise Mißfallen; nur die eine eingelegte Arie gefiel. Doch bald änderte sich dies und zwar vollständig. Das Publikum fand immer mehr Gefallen an der eigen- und fremdartigen musikalischen Form der Oper, und schließlich sogar, daß die verschnörkelte Arie nicht hineinpasse, welche denn auch weggelassen werden mußte. Dies war der erste, aus innerem Triebe, nicht mit berechnender Absicht unternommene Schritt auf neuer Bahn – und zugleich ein erster Erfolg. – Noch zwei Jahrzehnte sollte es dauern, bis Gluck sich seines Strebens vollständig bewußt war, bis das in der Jugend nur geahnte Ziel sich klar und bestimmt seinem geistigen Auge zeigte. Dies Streben und Ringen läßt sich in den zahlreichen Werken, die er von 1741 bis 1762 für London, Italien und Wien schrieb, deutlich erkennen. Einen der überzeugendsten Belege dafür bildet ein Ausspruch des großen neapolitanischen Tonmeisters Durante. Im Jahre 1751 schrieb Gluck für Neapel die Oper „La Clemenza di Tito“ von Metastasio, in welcher der Kastrat Caffarelli, einer der berühmtesten Sänger seiner Zeit, die Hauptrolle sang. Für diesen komponirte Gluck eine Arie (eines der bedeutsamsten Musikstücke des Meisters), die einen wahren Aufruhr unter den neapolitanischen Musikern hervorrief. An einer Stelle der Arie, wo Caffarelli einen Halt mit Koloraturen und Trillern auszuführen hatte, ließ Gluck das Orchester eigene, ganz ungewohnte Wege gehen, und die Widersacher des kühnen deutschen Meisters klagten ihn bei Durante der Verletzung des reinen Satzes an. Nachdem dieser die betreffende Stelle der Partitur lange und ernst geprüft hatte, sprach er Folgendes zu den Musikern: „Ich mag nicht entscheiden, ob diese Stelle den Regeln der Komposition so streng gemäß sei; allein das vermag ich Euch zu sagen, daß wir Alle, bei mir angefangen, uns sehr rühmen dürften, eine solche Stelle gedacht und geschrieben zu haben.“

Außer dem tief eingewurzelten Geschmack des Publikums standen Gluck zwei große Hindernisse im Wege, das, was in ihm lebte, zu verwirklichen: die süßlichen Verse, die wenig dramatische Form der italienischen Libretti des nun einmal maßgebenden, auf diesem Gebiet unumschränkt herrschenden Abbate Metastasio, sodann die unmännliche leidenschaftslose Gesangs- und Darstellungsweise der italienischen Sopran- und Altsänger. Er konnte nur mit solchen experimentiren – eine deutsche Oper gab es zur Zeit noch nicht, und die Pforten der französischen, wo nur [765] wirkliche Tenore und Bässe sangen, waren ihm bis jetzt verschlossen. Dennoch überwand Gluck diese Schwierigkeiten. In dem Livorneser Calzabigi fand er einen Dichter, der auf seine Ideen einzugehen vermochte, und so entstand denn, mit der vorher klug eingeholten Billigung Metastasio’s, Gluck’s erste und wirkliche Reform-Oper „Orfeo ed Euridice“, die er mit kühnem Muthe als „Dramma per Musica“ bezeichnete.

Gluck’s Denkmal in Weidenwang.

Am 5. Oktober 1762 erlebte dieser „Orfeo“ seine erste Aufführung im Theater der Hofburg zu Wien, und die ungeheure Ueberraschung, das fast zürnende Staunen, welche das Werk in seiner durchaus neuen Form an den ersten Abenden erregte, wandelten sich nach und nach in Bewunderung, Entzücken und weithin tönenden Beifall. Die Oper erschien als Partitur bereits 1764 in Paris, 13 Jahre früher, als das Werk selbst auf der dortigen Opernbühne. Favart, der bekannte Bühnendichter, besorgte die Herstellung, welche eine Prachtausgabe genannt werden darf und heute zu den größten Seltenheiten gehört. Zwei berühmte Künstler, der Maler Monnet und der Kupferstecher Le Mire, lieferten dazu eine blattgroße Vignette, die auf der ersten Seite dieser Nummer in verkleinertem Maßstabe unsern Lesern vorgeführt wird: ein Dokument der Operngeschichte. Sie stellt die Scene am Schluß des 2. Aktes in den Gefilden der Seligen dar, wo Eurydice ihrem Gatten wiedergegeben wird und dieser sie, nach Amor’s Gebot, mit abgewendetem Antlitz, unter den Gesängen der Seligen: „Amor giebt sie dir wieder!“ auf die Oberwelt zurückführt. Gluck hatte von seinem Dichter wirkliche dramatische Situationen und Verse erhalten und seinen Orpheus, den Kastraten Guadagni, dahingebracht, allen Schnörkeleien und Trillern zu entsagen und sich für die schlichten, aber seelenvollen und dramatisch wirksamen Gesänge der Hauptrolle zu begeistern. Der kühne Versuch war gelungen, die alte italienische Oper in ihrem eigenen Reich durch den feurigen deutschen Meister besiegt und die wirkliche Reform der Oper eine nicht mehr zu beseitigende Thatsache geworden.

Eine auffallende, sogar höchst merkwürdige Erscheinung, die uns beweist, daß die drei Reformatoren der Oper zum Theil mit ganz entgegengesetzten Mitteln ihr künstlerisches Ziel erstrebten und auch erreichten, tritt hier zu Tage.

Peri, der Schöpfer des ersten gesungenen Dramas, bewirkte seine folgewichtige Neuerung dadurch, daß er den mehrstimmigen Gesang zu Gunsten des Einzelgesangs gleichsam verbannte, wodurch auch für die Folge der Chor in der italienischen Oper entweder gar nicht oder nur in untergeordneter Weise thätig war. Gluck’s Reform bestand mit darin, daß er den Chor, der einundeinhalbes Jahrhundert vernachlässigt gewesen, wieder in die Oper einführte und ihm einen bedeutenden Antheil an der Handlung zuerkannte. Hundert Jahre später ist es der neueste Reformator der Oper, Richard Wagner, der in seinem Hauptwerk: „Der Ring des Nibelungen“ den Chor abermals von der Bühne verbannt und nur die Monodie gelten läßt. (Daß die „Götterdämmerung“ Chöre enthält, ist hier nicht maßgebend, da dieser letzte Theil der Tetralogie zuerst entstand. Vor mir liegt ein Brief Richard Wagner’s vom Jahre 1851, der darthut, daß schon damals „Siegfried’s Tod“ bühnenreif gewesen sein muß, indem der Meister die Aufführung dieses Werkes nicht eher gestatten will, bis er vorher ein heiteres Musikdrama „Der junge Siegfried“ fertiggestellt habe, was bis zum Juli 1852 geschehen sein sollte.)

Gluck’s Geburtshaus in Weidenwang.

Fünf Jahre dauerte es, bis Gluck sein zweites Hauptwerk: „Alceste“ zur Aufführung brachte (am 5. December 1767 und ebenfalls in Wien), in welchem er seine kühnen Neuerungen noch schärfer hervortreten ließ. Bekannt ist, daß er diese Oper in Form einer Zuschrift, die sein künstlerisches Glaubensbekenntniß bildete, dem Großherzog von Toscana widmete, und wiederum vergingen sieben Jahre, bis es ihm endlich vergönnt war, dasselbe durch die Aufführung seiner „Iphigenie in Aulis“, am 19. April 1774 in Paris, in möglichster Vollständigkeit verwirklicht zu sehen. Von diesem Zeitpunkt datirt die weittragende Wirkung der Opernreform des bereits sechzig Jahre alt gewordenen Meisters: einer Reform, deren Einfluß sich fortan kein Bühnenkomponist mehr entziehen konnte. – Am 15. November sind hundert Jahre verflossen, seit unser großer deutscher Tonmeister Gluck, der Reformator der Oper, in Wien aus dem Leben schied, doch – „in seinen Werken lebt er fort!“ Dies oft citirte Wort klingt schön, doch noch schöner wäre es, wenn die deutschen Opernbühnen es zur Wahrheit werden ließen.


  1. Urkundlich festgestellt durch den 1857 verstorbenen Kustos der k.k. Hofbibliothek Anton Schmid, in seinem 1854 erschienenen Buche: „C. W. Ritter von Gluck“.