Corvin-Niëllo
[794] Corvin-Niëllo. Geschichte und Verfahren einer neuen deutschen Kunsttechnik. Dem Streben unserer Zeit, die Arbeit der Menschenhand durch mechanisches Hülfsmittel zu ersetzen, sind selbst deren höchste Leistungen, die Verkörperungen des künstlerischen Genius, nicht völlig entgangen. Natürlich kann die Maschine oder ein beliebiges mechanisches Verfahren niemals die freie Kunstschöpfung ersetzen, und so wird die Photographie zwar die Pfuscher, aber niemals die künstlerisch empfindenden und schaffenden Portraitmaler aus dem Sattel heben. Dagegen leisten die physikalischen und chemischen Hülfsmittel der Neuzeit als treue Gehülfen der zeichnenden und bildenden Menschenhand schon jetzt das Menschenmögliche. Erinnern wir hier nur an den Lichtdruck, der uns die vorher hundertfach mit Gold aufgewogenen Kupferstiche Dürer’s, die Radirungen Rembrandt’s, die Handzeichnungen von Meistern aller Schulen in einer Vollendung wiedergiebt, daß man sie kaum von den Originalen unterscheiden kann, an die Galvanoplastik, welche die getriebene Arbeit und den Guß der schönsten Reliefs und Metallbildwerke mit allen ihren Schwierigkeiten entbehrlich macht. Jene zierlichen silbernen und goldenen Grillen, Käfer, Bienen, Eidechsen, Blumen und Zweige, die den herrlichsten Schmuck jener Pokale Wenzel Jamitzer’s ausmachen, welche die Rothschild’s unserer Tage mit Hunderttausenden bezahlen, fertigt man heute durch galvanische Versilberung oder Vergoldung der natürlichen Zweige und Insecten, deren Oberfläche man für den elektrischen Strom leitend gemacht hat. Eine der interessantesten Neuerungen auf diesem Gebiete ist jedoch vor Kurzem als Krönung langjähriger Bemühungen dem bekannten ehemaligen preußischen Officier und Schriftsteller Otto von Corvin-Wiersbitzky geglückt, nämlich den elektrischen Strom dazu anzuhalten, daß er die mühsamsten aller Kunstwerke, eingelegte Arbeiten und Incrustationen in einer Vollendung liefert, wie sie der menschlichen Hand niemals vorher gelungen ist.
Wer hätte nicht einmal beim Durchwandern fürstlicher Schlösser und Kunstkammern sein Auge mit Entzücken an jenen herrlichen, farbensprühenden Ornamenten geweidet, die durch Einlage von Perlmutter, Bernstein und anderes edles Material in eine beliebige Grundfläche hervorgebracht wurden, und von denen der Castellan gewöhnlich erzählt, daß der Künstler zehn und mehr Jahre daran gearbeitet und so und soviel tausend Thaler dafür empfangen habe. Gerade die schwerste und kostbarste dieser dem Mittelstande bisher unerschwinglichen Kunstarbeiten, nämlich die Einlage in Metallgrund, ist nun durch das neue Verfahren zu einer verhältnißmäßig billig herstellbaren geworden, und hat zugleich eine Vollkommenheit und Schönheit erreicht, die sie kaum je vorher besessen hat. Die bisherige Metallverzierung durch Einlage beschränkte sich fast ganz auf das schon den Alten bekannte, im Mittelalter zum höchsten Ansehen gelangte sogenannte Niëllo, bei welchem Silber- und Goldgegenstände mit tief eingegrabenen Zeichnungen und Ornamenten versetzen wurden, in deren Linien man eine blauschwarze schwefelhaltige Metallmischung einschmolz. Jedermann kennt wohl die namentlich an mehreren russischen Orten, aber auch z. B. in Berlin gefertigten Tabaksdosen u. dergl. in Niëllo-Arbeit, die wegen der Haltbarkeit ihrer Ornamente sehr geschätzt sind, während die vielfach in’s Werk gesetzte galvanoplastische Ausführung gravirter Vertiefungen, wegen der geringen Farben- und Glanz-Unterschiede der auf diese Weise zu verbindenden Metalle nur eine beschränkte Anwendung in der Kunsttechnik erfährt.
Die Einlage wirksamerer farbiger Muster aus Perlmutter, Bernstein, Elfenbein, Schildpatt, Horn und ähnlichen mit den Metalloberflächen wirksam contrastirenden Materialien scheiterte bisher sowohl an der Mühsamkeit der Einlage-Arbeit wie an der geringen Haltbarkeit der in die Metallgruben geklebten oder gekitteten Flächenzierrathe, und so beschränkte sich die gesammte Einlage und Constructionstechnik immer mehr auf die Verzierung halbweicher oder erweichbarer Grundmasse (Holz, Schildpatt, Hartgummi und Papiermasse), wobei zuletzt ein bloßes Eindrücken des Ornaments in die unedle Grundmasse erfolgt. Ohne Zweifel hat sich mehr als ein Elektrotechniker mit dem Gedanken beschäftigt, edles Gestein und andere schimmernde Stoffe auf galvanoplastischem Wege in Metall zu fassen, und so hat z. B. Goudon in Paris einen Theil der Juwelierarbeit dadurch ersetzt, daß er die zu fassenden Steine in gepreßte Wachsmodelle einsetzt und diese dann mit einem galvanischen Goldniederschlage bedeckt, der den Stein einfaßt und nur einer sehr geringen Nachhülfe bedarf, um in eine billige und doch saubere Marktwaare verwandelt zu werden. Diese Eigenthümlichkeit des durch den galvanischen Strom aus seinen Lösungen ausgeschiedenen Metalles, sich jeder den Strom leitenden Oberfläche streng anzuschmiegen, legt den Gedanken nahe, sich ihrer zu bedienen, um in künstlerischer Freiheit componirte Muster aus beliebigem Material felsenfest von dem durch Elektricität ausgeschiedenen Metall umspannen zu lassen.
Corvin, der vor der Februarrevolution in einem Pariser galvanoplastischen Institute thätig gewesen war, in welchem man auch jenes erwähnte galvanische Niëllo erzeugte, ergriff diesen Gedanken. Die Februarrevolution riß den freiheitsbegeisterten Mann aus dieser Thätigkeit in dem genannten Institute; er nahm als Genosse Herwegh’s an dem badischen Aufstand Theil, dessen unglücklicher Ausgang auch für ihn verhängnißvoll wurde. Erst in der mehrjährigen Einzelhaft zu Bruchsal fand er wieder hinlänglich „freie Zeit“, um über die Lösung wissenschaftlicher und technischer Probleme nachzudenken, auf die sich später vielleicht eine neue Zukunft gründen ließ. So kam er auch auf die Idee einer galvanischen Incrustation mosaikartiger Ornamente, die von ihm, in der Theorie völlig durchgearbeitet, gleich nach dem Austritt aus der Festungshaft (1855) nach seiner Uebersiedeluug nach London praktisch in Angriff genommen wurde.
Der Grundgedanke seines Verfahrens, das Ornament auf eine ebene Fläche zu zeichnen, dann die sorgfältig zurechtgeschnittenen und vollkommen zubereiteten Stückchen von Perlmutter etc. darauf zu kleben, ferner die Rückseite des gesammten Ornaments bis in die feinsten Winkelchen hinein mit Graphitstaub zu überziehen und endlich Metall darauf niederzuschlagen, war so einfach, daß die Sachverständigen, denen er sein Verfahren mittheilte, sich meist vor die Stirn schlugen und „das Ei des Columbus!“ riefen, aber obwohl die ersten praktischen Versuche die Ausführbarkeit der Idee bewiesen, stellten sich so viele kleine Schwierigkeiten und unvermuthete Hindernisse der Herstellung salon- und marktfähiger Artikel entgegen, daß Corvin seine tausend Pfund Sterling in das Unternehmen gesteckt hatte, ohne zu wirklich tadellosen Ergebnissen gelangt zu [795] sein. Es erklärt dies, weshalb die gewiß auch von manchen anderen Seiten in Angriff genommene Idee erst so spät zur Vollendung gereift ist. Um nur eine dieser Schwierigkeiten zu berühren, mag erwähnt werden, daß gerade die geeignetsten und für diese Art von Kunstarbeit unentbehrlichen Materialien, die Perlmutter und die in glühend tiefen Pfauen- und Kolibrifarben schillernden Stücke aus der Irismuschel (Haliotis) die Metalllösung nicht vertrugen und alle Schönheit darin einbüßten. Wie der Erfinder diese und viele andere Schwierigkeiten überwunden hat, ist sein Geheimniß und gehört nicht hierher.
Als das neue Institut alle Mittel des Erfinders verschlungen hatte, kam der amerikanische Krieg, und Corvin war froh, als Correspondent der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ und der „Times“ in die neue Welt gesandt zu werden. Nach einem bewegten Leben in Amerika kehrte er als Special-Correspondent nordamerikanischer Zeitungen wieder nach Europa zurück, erst nach Berlin, dann nach Frankreich, um den Amerikanern den Siegeszug der deutschen Armee zu schildern.
Erst nach dem französischen Kriege tauchte in Corvin die alte Lieblingsidee wieder auf. Im vorigen Jahre endlich waren die letzten Schwierigkeiten besiegt, und Corvin fand in dem Besitzer einer großen galvanischen Anstalt, J. P. Kayser Sohn in Crefeld, den rechten Mann für die künstlerische Ausbildung und die industrielle Verwerthung der Erfindung.
Das Corvin-Niëllo ist von großer Schönheit; die mit der Metallfläche wundervoll harmonirenden Muster scheinen kaum mehr eingesetzt, sondern mit dem Farbenschimmer der Perlen, Schmetterlingsflügel und Kolibris auf das Metall selbst gemalt und eingeschmolzen zu sein. Von großer Wichtigkeit ist dabei die Verbindung der genannten Firma mit den berufensten Meistern des Kunstgewerbes, die von wahrhafter Schönheit durchdrungene Muster für diese des höchsten Farbenreizes fähige Technik gezeichnet und der zu verzierenden Fläche angepaßt haben, wobei die Verbindung der in allen Regenbogenfarben schimmernden Irismuschel mit dem schwarzen Schildpatt einerseits und mit den verschiedenen Metalllüstern andererseits den höchsten decorativen Reiz entfaltet. Obendrein gestattet das Verfahren auf die einfachste Weise die vielseitigste Verbindung mit allen möglichen anderen decorativen Hülfsmitteln. So kann der Kupferniederschlag, in welchem das Muster eingebettet liegt, versilbert, vergoldet, darauf von neuem gravirt und in der mannigfachsten Weise gefärbt werden, um einen neuen Farbenton hineinzubringen, oder er kann mit Reliefs aller Art verziert werden, wenn statt der Niederschlagsform mit ebenem Boden eine solche mit eingravirten oder gegossenen Reliefformen gewählt wird.
Von der Vielseitigkeit der Anwendungsweise wird es einen Begriff geben, wenn ich erwähne, daß die Firma J. P. Kayser trotz der Neuheit dieses Industriezweiges bereits alle möglichen Luxusartikel mit derartigen Incrustationen in den Handel bringt, Tischplatten, Vasen, Schalen, Album- und Buchdeckel, Einlagen für Möbel und Kästchen aller Art, Kaminverzierungen, kurz alles Geräth, was irgendwo eine ebene Fläche darbietet. Es handelt sich hier nicht um Imitationen und Surrogate, wie in unsern Oeldrucken, imitirten Gobelins u. dergl. m., sondern um eine in ihrem Kunstwerth und ihrem Farben- und Lichtzauber mindestens den ältern Kunstwerken ebenbürtige Technik, sodaß das billigere Erzeugniß im Stande ist, das theuerere zu übertreffen. In dieser Richtung kann die Erfindung Corvin’s nicht warm genug anerkannt und begrüßt werden, da sie auch dem Minderbegüterten erlaubt, sein Auge an mustergültigen schimmernden Ornamenten auf den Gegenständen seiner täglichen Umgebung zu erfreuen, und den Farbensinn der in solcher Umgebung heranwachsenden Kinder zu bilden.