Das Joch am Leman
[203] Das Joch am Leman.
„Die Einen liegen todt mit ihren Wunden,
Die Andern treiben wir daher gebunden –
Den Römeraar der Zwillingslegion,
Der eingegarnten Wölfin scharfen Bissen
Schwingt Divico, der Berge Sohn!“
Weit blaut die Seeflut. Scheltend jagen Treiber
Am Ufer einen Haufen Menschenleiber,
Die nackte Schmach umjauchzt Triumphgesang,
Um die zu Zwei’n gepaarte Römerheerde
Die Krümmen des Gestads entlang.
Er knickt den Aar mit einem stolzem Schreie,
Er schickt den Ruf zur nahen Firnenreihe –
„Hebt, Ahnen, euch vom Silbersitz, zu schauen
Die Pforte, die wir für den Räuber bauen,
Der sich verstieg in euer Reich!
Wir bauen nicht mit Mörtel noch mit Steinen,
Zwei Römerköpfe drauf! Es ist gethan!“ –
Das Joch umstehn verwogne Kriegsgesellen
Mit Auerhörnern und mit Bärenfellen
Und schauen sich das Bauwerk an!
Strömt her das Volk aus jedem Thal und Orte,
Groß wundert sich am Joch die Kinderschaar,
Ein Mädelreigen springt in heller Freude
Um das von Schande triefende Gebäude,
Der Manlierstirn verzogne Brauen grollen,
Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen –
Der Hirtenknabe geißelt wie ein Rind
Den Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken,
Und gellend lacht das Alpenkind.
Mit starren Zügen blickt, als ob er spotte,
Ein Felsenblock, der eigen ist dem Gotte,
Drauf hoch des Landes Priesterinnen stehn:
Und eine Drude mit geballter Rechten
Und rabenschwarzer Haare Wehn.
Die Dunkle höhnt: „Geht, Römer! Schneidet Stecken!
Wir rüsten euch zur Fahrt mit Bettelsäcken!
Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen,
Und wen ihr euch zum Führer habt genommen,
Er sei am ganzen Leib verflucht!“
[205] Die Lichte fleht: „Du blitzest in den Lüften,
Behüte, Geist der Firn’, uns lange noch!“
Die Zweie singen starke Zauberlieder –
Ein Geier hangt im Blau und stößt danieder
Und setzt sich schreiend auf das Joch.