Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark

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Autor: Albert Ludwig Grimm
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Titel: Das Mährchen von Brunnenhold und Brunnenstark
Untertitel:
aus: Lina’s Mährchenbuch, Band 2, S. 1–82
Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1837]
Verlag: Julius Moritz Gebhardt
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[1]
I.
Das Mährchen
von
Brunnenhold und Brunnenstark.

[3]
1.

Es lebte einmal in einem fernen, fernen Lande ein König, dessen Gemahlin war todt krank, und er mit seiner Tochter Armina waren um sie Tag und Nacht, und pflegten sie mit Treue. Als es aber in den letzten Tagen ihres Lebens war, und Armina, ihre Tochter, einmal das Zimmer verließ, da winkte sie ihren Gemahl zu sich an’s Bett, und sagte zu ihm: „Lieber Gemahl und Herr, ich fühle wohl, daß es mit mir sich zu Ende neigt; der Tod nagt mir schon am Herzen, und es wird kurze Zeit vergehn, so bricht mein Herz, und brechen meine Augen. Nun hab’ ich vor meinem Hinscheiden aber noch eine große Bitte an Euch, die wolltet Ihr mir nicht versagen.“

Darauf sagte der König: „O sprich nur, liebes Weib! und wenn es mein Königreich kosten sollte, so will ich Deinen letzten Wunsch erfüllen mit tausend Freuden.“

[4] Da richtete sich die todtkranke Königin noch einmal auf in ihrer letzten Kraft, und faßte ihres Gemahls beide Hände mit ihren Händen, und sprach: „Seht, ich weiß, daß Ihr mich werthgehalten habt vor Allem in der Welt um meiner Schönheit willen, und daß Ihr mich oft genannt habt die schönste Perle Eurer Krone. Ich mahne Euch daran nicht aus Eitelkeit, denn dies verschwindet gewiß, wenn man schon mit dem einen Fuße im Grabe steht, wie ich. Nein, ich wollt’ Euch nur daran erinnern, wie Ihr Euch selbst oft glücklich gepriesen, um Eurer schönen und tugendhaften Gemahlin willen. Nun möcht’ ich Euch aber auch nach meinem Tode noch eben so glücklich wissen, als Ihr bei meinem Leben gewesen. Darum bitt’ und beschwör’ ich Euch, mein Gemahl, wenn ich zu Grabe gebracht bin, und die Trauerzeit um ist, so laßt mein Bildniß hundertmal abkonterfeien, und schickt es umher in Euerm Lande, bis Ihr ein Mädchen findet, das meinem Bilde ganz ähnlich ist an körperlicher Schönheit. Und die mir ganz ähnlich ist an körperlicher Schönheit, die wird mir auch ähnlich seyn an Tugend, und ähnlich werden an Liebe zu Euch, daß Ihr mit ihr glücklich leben werdet, wie Ihr mit mir gelebt habt. Und habt Ihr ein solches Mädchen funden, so setzet ihm Eure Krone auf das Haupt, und nehmt sie an meiner Statt zu Eurer Königin und Gemahlin, daß sie Euch, wie ich oft gethan, durch ihre [5] Theilnahme an Euern Sorgen für Euer Reich tröste, und durch freundliches Gespräch Eure trüben Stunden Euch erheitere.“

Während solcher Rede liefen aber dem König die Thränen über die Wangen, und er sagte ganz bewegt: „O, meine Gemahlin, was verlangst Du von mir? Wie kann ich Dich vergessen, und eine andere Gemahlin nehmen? Denn wo lebt eine Seele noch wie du, so fromm, so gut?“

„Du sollst mich auch nicht vergessen, und wirst es nicht,“ sagte darauf die Königin mit Rührung. „In Deiner künftigen Gemahlin sollst du mich noch ehren und lieben. Denn, wenn sie mir ähnlich sieht am Leibe, so ist sie mir auch ähnlich an Güte und Frömmigkeit; und ist sie mir auch darin ähnlich, so ist sie ja Eines mit mir, und ich lebe Dir in ihr, wenn ich gleich gestorben bin. O, versprich mir, meine Bitte zu erfüllen! Sieh, ich werde immer schwächer. Laß mich diesen Trost mit mir nehmen in das Grab.“

Mit diesen Worten sank sie nieder auf ihr Hauptkissen, und war ganz ermattet. Da versprach ihr der König mit einer von Thränen fast unterdrückten Stimme, ihr Begehren zu erfüllen. „Dank, Dank,“ sprach sie, „nun bin ich ruhig.“ Darauf lag sie noch etliche Tage, und segnete ihre Tochter am letzten, und starb.

Als sie aber todt war, ließ der König sie begraben mit allem Aufwande, und errichtete ihr ein kostbares Denkmal [6] aus weißem und schwarzem Marmor auf ihrem Grabe in dem Garten seines Schlosses, und legte sich Trauerkleider an, lange, lange Zeit, und saß oft ganze Nächte auf ihrem Grabe und weinte. Und so vergingen ein Paar Jahre unter beständiger Trauer.

Armina, des Königs Töchterlein aber, wuchs in der Zeit heran zu einer Jungfrau, und ward ganz der Mutter Ebenbild an Schönheit und Tugend. Aber der König ließ nicht nach mit seiner Trauer, und verzehrte sich selbst durch seinen Gram, daß er nach und nach ganz abnahm an Kraft, und seine Gestalt verfiel, und seine Wangen wurden blaß.

Das machte seinen Großen und Räthen viel Kummer und Sorgen. Denn sie sagten unter einander: „Unser König ist ein guter König, der sein ganzes Land beglücket, und Recht und Gerechtigkeit handhabt nach bestem Willen und Gewissen. Darum ist es nicht gut, daß er sich also abzehrt, und seinem Gram nachhänget, der ihn bald unter die Erde bringen muß. Dann stünde unser Land verlassen und verwaiset. Denn er hat nicht einmal einen Sohn, der uns nach ihm regieren könnte. Da würden sich die Nachbarskönige um die Herrschaft und um die Hand der schönen Prinzessin Armina schlagen, und am Ende würde unser glückliches Land vom Kriege verheert und vielleicht einem strengen Könige zu Theil werden, der nur immer an seinen Ruhm [7] und seine Eroberungen dächte, und nicht Rücksicht nähme auf das Glück seiner Unterthanen.“

Indem die Großen und Räthe so sprachen, wurden sie einig mit einander, und gingen zu dem Könige, und stellten ihm die Sache vor, und baten ihn, sich doch nicht ferner mehr also zu grämen; und er möchte seinen Gram zu zerstreuen suchen und für seine Gesundheit und für sein Leben sorgen um des Landes willen, das so glücklich sei unter seiner Regierung, und nach ihm nur schlimmeren Zeiten entgegen sehe. Sie baten ihn auch, er möge doch dem Lande wieder eine Königin schenken, die ihm durch freundlichen Umgang seine Traurigkeit verscheuchen, und vielleicht die Mutter eines Kronprinzen werden könnte, der das Land dereinst nach seinem Tode wieder eben so glücklich regieren werde, wie er.

Der König wollte aber lange nichts von diesen Vorschlägen hören, und die Großen und Räthe lagen ihm von nun an täglich mehr an, und sprachen ihm so oft davon, und legten es ihm an das Herz, es sei seine Pflicht, so für sich und sein Land zu sorgen, bis er endlich des vielen Zuredens müde ward, und zu ihnen sagte; „Nun wohlan! ich will euer Verlangen und den Wunsch meiner Unterthanen erfüllen. Aber ich habe meiner verstorbenen Gemahlin auf dem Sterbebette versprochen, nur eine Gemahlin zu nehmen, die [8] ihr vollkommen ähnlich ist an Schönheit. Muß man den Lebenden Wort halten, so muß man es noch mehr den Gestorbenen. Nehmt also das Bildniß meiner Gemahlin, laßt es hundertmal abkonterfeien, und schicket es umher im ganzen Lande. Findet ihr ein Mädchen, das dem Bilde vollkommen gleich ist, so soll sie meine Gemahlin werden, und wenn sie eine Bettlerin ist.“ Aber der König dachte bei sich, sie könnten lange suchen, bis sie ein Mädchen fänden, das dem Bilde ganz ähnlich wäre.

Und so war’s auch. Die Großen und Räthe nahmen das Bild der verstorbenen Königin, und ließen es abkonterfeien hundert- und zweihundertmal, und schickten es herum im Lande an alle Fürsten und Grafen des Königreiches, zu sehen, ob nicht eine der Töchter derselben dem Bilde vollkommen ähnlich wäre. Aber von allen Enden kamen die Boten und hatten nicht funden, wornach sie geschickt waren.

Darüber freuete sich der König. Aber die Großen und Räthe gingen wieder zusammen, und berathschlagten sich, und ließen das Bild abkonterfeien noch zwei- und dreihundertmal, und sandten es an alle Ritter und Edeln im Lande, zu sehen, ob nicht eine der Töchter derselben dem Bilde vollkommen ähnlich wäre. Aber von allen Enden kamen die [9] Boten und Diener wieder zurück, und brachten nicht mit sich, wornach sie geschickt waren.

Deß freuete sich abermals der König. Aber seine Großen und Räthe kamen wieder zusammen, und berathschlagten mit einander. Da ließen sie das Bild abmahlen viele tausendmal, und schickten es in alle Städte und Dörfer des Reiches, und ließen es anschlagen an allen Märkten und freien Plätzen, und trugen es zur Schau hoch herum, und ließen ausrufen in allen Städten, auf allen Dörfern, das Mädchen, so dem Bilde ähnlich sei, sollte Königin werden, wenn es sich zeige.

Aber so zogen sie durch alle Städte, durch alle Dörfer des Königreiches, und ließen nachfragen in allen Mühlen, in allen Hütten, und kamen heim, und hatten des Bildes Ebenbild noch nicht gefunden.

Da war der König abermal froh, und dachte bei sich, seine Großen und Räthe würden ihn jetzt einmal in Ruhe lassen. Sie thaten sich aber zusammen, und berathschlagten abermals. Und jetzt schickten sie das Bild in alle benachbarte Königreiche, und ließen auch dort des Bildes Ebenbild suchen bei allen Ständen in allen Städten und Dörfern. Aber von allen Enden kamen die Botschafter und brachten die Nachricht, daß nicht zu finden sei, was sie suchten.

[10] Darüber waren denn etliche Jahre vergangen, und des Königs Schmerz war linder worden in der Zeit. Da traten eines Tages seine Großen und Räthe vor ihn, und fragten ihn, ob er noch sein Versprechen erfüllen wolle, wenn sie ihm eine Jungfrau nennten, die ganz das Ebenbild der vorigen Königin sei. Da schwur der König einen heiligen Eid, daß er sein gegebenes Wort halten wollte, und wann er es nicht in jedem Falle erfülle, so sollten sie ihn aus seinem eigenen Lande verbannen.

Da sagten die Großen und Räthe: „Wohl, wir haben nun das Wort. Unser Vaterland wird nun bald wieder eine Königin haben, denn Armina ist ganz das Ebenbild ihrer verstorbenen Mutter.“

Da entsetzte sich der König, und ihm fiel schwer auf’s Herz, daß er seinen Eidschwur unbedacht abgelegt, und stellte es ihnen vor, wie das eine Sünde sei vor den Menschen und im Himmel, denn noch nie sei das in der Welt geschehen, daß ein Vater seine eigene Tochter zur Gemahlin gehabt habe, und er dürfe nichts thun, wenn er schon König wäre, was noch kein Mensch in der Welt gethan habe. Aber die Großen und Räthe bestanden darauf, er habe geschworen, sein Wort in jedem Falle zu halten, und seinen Schwur dürfe er jetzt nicht brechen; es müßte so geschehen.

Da wollte der König läugnen, daß Armina das Ebenbild [11] ihrer Mutter sei. Aber sie bestanden darauf, und ließen alle Maler im Königreiche zusammen kommen, die sollten den Ausspruch thun, ob sie Recht oder Unrecht hätten. Und die Maler kamen zusammen von nah und fern, und verglichen die Schönheit der Tochter mit dem Bilde der Mutter, und alle stimmten darin überein, daß sie die größte Aehnlichkeit mit dem Bilde habe, so das man das Bild füglich für das Bild der Tochter ausgeben könne; denn ähnlicher sei kein Wassertropfen dem andern.

Da läugnete der König abermal, und sagte, sie könnten nicht richten in ihrer eigenen Sache; denn sie seien Kinder seines Landes, und wünschten, wie alle seine Unterthanen, daß er dem Lande wieder eine Königin gebe, und darum sprächen sie ein unwahres Urtheil; man müßte aus fremden Landen ein Gericht berufen, das nicht partheiisch wäre. Und der König schrieb selbst an alle Nachbarskönige, an alle Nachbarsfürsten, und sie schickten ihm jeder die geschicktesten Maler aus seinem Lande. So kam ein großes Gericht von fremden Malern zusammen. Aber alle sprachen einstimmig, daß auf der ganzen Erde noch kein Bild ähnlicher gemalt worden sei, als das Bild der Königin ihrer Tochter Armina ähnlich wäre.

Das schlug dem Könige schwer aufs Herz. Denn jetzt hatte er keine Ausrede mehr, und mußte sein gegebenes Wort [12] halten. Und als Armina das hörte, ging sie zu ihrer alten getreuen Amme, und fragte sie um ihren Rath. Diese rieth ihr was sie thun sollte. Denn als am andern Morgen ihr Vater und seine Großen und Räthe zu ihr kamen, um ihr die köstlichen Brautgeschenke an reichen Stoffen und glänzendem Geschmeide und Kleinodien zu bringen, da sprach sie zu ihnen: „Nicht also, lieber Vater! Nicht also, ihr Großen und Räthe! Diese Geschenke sind zwar sehr kostbar; allein ich verlange nichts von diesen Perlen und Edelsteinen, nichts von allen diesen Seiden- und Sammtstoffen. Der Braut des Königs geziemt es, andere Brautgeschenke zu erhalten, als ihr sie mir bietet. Drei Wünsche trage ich bei mir, erfüllet ihr diese, so will ich gleichwohl eure Königin werden; erfüllet ihr sie mir aber nicht, oder nicht alle, so schwör ich hier, daß ich nie, weder jetzt, noch nach meinem Vater, Königin in diesem Lande sein will.“

Als sie aber das gesprochen, war ihr Vater froh und hoffte, sie würde drei Wünsche nennen, die zu erfüllen nicht in Menschenmacht stände, und gab es gern zu, daß sie den ersten ihrer Wünsche nenne. Da verlangte sie, man sollte ihr ein Kleid machen von purem Golde, das glänzen müßte, wie die Sonne, und doch so leicht wäre, als sei es von Flor. Und der König frohlockte in seinem Herzen; denn er hoffte, daß kein Mensch das zu machen im Stande sei. Aber die [13] Großen seines Hofes und seine Räthe schickten aus nach den Künstlern in allen Reichen und Ländern, und beriefen sie zusammen, und versprachen demjenigen von ihnen hundert Pfunde Goldes, der das Kleid in einem Monate zu Stande brächte. Aber die meisten derselben läugneten, daß eine solche Arbeit von Menschenhänden könne hervorgebracht werden. Und nur dreie traten hervor aus ihrer Mitte, aber sie verlangten ein ganzes Jahr, weil die Arbeit so schwierig sei. Endlich trat aber einer der ältesten Künstler hervor, und versprach die Arbeit zu liefern im nächsten Vollmond. Da traten die andern Künstler zurück und sagten: „Mit Zauberkräften sind wir nicht begabt, und stehen nicht im Bunde mit Feen und Kobolden, daß wir solches uns zu leisten vermessen dürften, als du dich zu leisten vermessen hast.“ Und alle zogen von dannen.

Als aber am nächsten Tage der Vollmond hinter des Königs Garten über die hohen Bäume herauf kommen sollte, erschien der Künstler schon mit seinem sonnenglänzenden, goldenen Kleide. Aber alle, die es sahen, glaubten, es müsse schwerer sein, denn ein Centner Gewichts. Und da er es vor den König und die Großen seines Hofes und seine Räthe brachte, ließ er sich eine Waage bringen, und legte das Kleid in eine der Waagschalen, und in die andere Waagschale ließ er die Prinzessin Armina einen Pomeranzenkern legen, [14] – und siehe! der Pomeranzenkern zog die Schale, darin er lag, tief, tief herunter, und die Schale, darin das Kleid lag stieg hoch, hoch in die Höhe, als sei gar nichts darinnen.

Darob erstaunten und freueten sich die Großen des Hofes und die Räthe, und überhäuften den Künstler mit Lob und Ehre, und ließen ihm auf der Stelle aus der Schatzkammer des Reiches vorwägen ein hundert Pfund Goldes. Aber Armina und der König erstaunten zwar auch, doch sie erblaßten dabei vor Schrecken, als sie sahen, daß der Wunsch erfüllt war, den die Königstochter darum gethan hatte, weil er ihr unerfüllbar geschienen.

Des andern Tages sollte Armina nun ihren zweiten Wunsch nennen. Da ging sie gegen Abend wieder mit ihrer treuen Amme im stillen Kämmerlein zu Rath. Und als sie am andern Tage vor den Großen des Hofes und Räthen ihres Vaters um ihren zweiten Wunsch befragt wurde, verlangte sie ein Bild, nicht größer als die kleinste Geldmünze, darauf abgebildet wäre, ihres Vaters Schloß und ihr Vater selbst, heraussehend aus dem Fenster des Schlosses einem, und doch alles erkennbar, besonders das Bild ihres Vaters getroffen. So fein und doch so treffend zu mahlen, hielten zwar alle für unmöglich, aber die Großen vom Hofe und [15] die Räthe beriefen wieder aus allen Ländern und Reichen in der Nähe und Ferne alle Mahler zusammen, und versprachen demjenigen zwei hundert Pfund Goldes, der in Monatsfrist das Gemählde abliefern würde.

Da traten nur zwei der jüngsten Mahlerkünstler hervor und versprachen die Arbeit zu liefern, wenn man ihnen ein Jahr vergönnen wollte zur Arbeit. Endlich versprach aber der jüngste von ihnen, bis nächsten Vollmond das Gemählde zu liefern. Und als der Tag angebrochen war, da am Abende der Vollmond scheinen sollte, erschien er vor dem König und den Großen seines Hofes und seinen Räthen, und brachte sein Bild. Und siehe! es war eine Kapsel darüber von Golde, nicht größer denn die kleinste Goldmünze, die im Reiche geprägt wurde, und als er diese geöffnet hatte, sah man das kleine Gemählde darin, das aber so klein war, daß man es erst durch ein Vergrößerungsglas betrachten mußte, wenn man die Gegenstände alle unterscheiden wollte. Und wer es betrachtete, mußte erstaunen; denn des Königs Bild war so klein darauf, daß man es kaum für ein kleines Pünktchen erkannte. Wenn man es aber durch ein Vergrößerungsglas betrachtete, so erkannte man alle Züge so genau daran, daß man selbst die drei Sommerfleckchen auf des Königs Nase deutlich sah.

Darüber freueten sich denn abermals die Großen des Hofes [16] und Räthe des Königs, und hofften nun um so sicherer, daß sie auch den dritten Wunsch Armina’s würden erfüllen können. Darum erwiesen sie dem Künstler alle Ehre, wie sie auch dem alten gethan hatten, und gaben ihm nicht nur gern die zwei hundert Pfund Goldes, die sie ihm versprochen hatten, sondern machten ihm auch noch außerdem aus der Schatzkammer des Reiches ein gutes Geschenk.

Aber der König ward wieder traurig darüber, denn er hatte nicht geglaubt, daß dieser Wunsch erfüllt werden könnte. Aber Armina war noch trauriger darüber. Und als es Abend war, ging sie wieder mit ihrer getreuen Amme zu Rath. Als sie nun am andern Morgen auch ihren dritten Wunsch nennen sollte, so begehrte sie ein Schifflein von getriebenem Silber, mit Golde verziert, in Gestalt eines fliegenden Drachen, das versehen wäre auf dreißig Jahre mit hinreichenden Lebensmitteln, und die Eigenschaft besitze, daß es in einem Augenblicke jeden, der darin sitze, durch die Luft dahin trage, wohin er sich wünsche. Da ließen die Großen vom Hofe und die Räthe des Königs wieder aus allen Reichen und Ländern alle Künstler und Magier zusammen kommen, und versprachen drei hundert Pfund Goldes dem, der in Monatsfrist ein solches Schifflein liefern wollte. Aber die Künstler sprachen, wenn sie Silbers und Goldes genug hätten, so wollten sie wohl ein solches Schiff daraus [17] bilden; allein es mit Lebensmitteln auf so lange zu versehen, oder ihm gar die Kraft zu verleihen, durch die Luft dahin zu fliegen, wohin man sich wünsche, das gehe über menschliche Macht, und sie vermöchten das nicht. Aber zwei Magier traten hervor, und versprachen, wenn man ihnen das Schifflein liefere, so wollten sie ihm in einem Augenblicke Vorrath auf dreißig Jahre verschaffen, und die Kraft ertheilen, sich nach dem Wunsche Armina’s frei durch die Luft zu bewegen, und in einem Augenblicke in den fernsten Gegenden zu sein.

Als die Großen vom Hofe und Räthe des Königs das hörten, ließen sie die Künstler sogleich anfangen, und mußten alle zusammen helfen, und bekamen dazu aus des Reiches Schatzkammer des Goldes und Silbers so viel sie verlangten. Und siehe! ehe der dritte Morgen anbrach, sprachen schon die Magier ihren Zaubersegen darüber, und am dritten Tage wurde es schon vor den König und die Prinzessin Armina gebracht. Und es sprachen nun die Großen und Räthe zu ihr, es seien jetzt alle ihre Wünsche erfüllt, sie dürfe jetzt länger nicht zögern, und heute müsse noch das Fest ihrer Vermählung gefeiert werden. Da sah der König keine Ausrede mehr, und gab traurig Befehl, die Anstalten zum Feste zu machen.

Aber Armina stand auf, und sprach zu den Umstehenden: [18] „Lasset noch beruhen die Anstalten zum Feste. Denn ich sehe zwar vor mir das Drachenschiff, allein ich zweifle noch an seiner Kraft, sich nach meinem Willen zu bewegen. Darum thut es Noth, daß ich es vorher selber erprobe.“

Solches billigte auch ihr Vater, und billigten selbst die Großen und Räthe. Sie ging darum hinein, und legte an ihr goldenes, sonnenglänzendes Kleid, und nahm zu sich das kleine Bild von ihres Vaters Schloß, und weinte noch einmal bitterlich in den Zimmern, und ging und rief ihre Amme, und fiel noch einmal ihrem Vater weinend um den Hals, und nahm von ihm Abschied, als wollte sie ihn auf immer verlassen. Als das aber die Räthe des Königs sahen, murmelten sie untereinander und sprachen: „Was soll das? scheint es doch, als nähme sie auf immer Abschied von ihrem Vater!“

Das hörte Jungfrau Armina beiseit, und wandte sich zu ihnen, also sprechend: „Was murmelt ihr untereinander, daß ich also Abschied nehme von meinem Vater? Ists denn nicht so, daß ich mich nun ewig trennen muß von ihm? Denn beweißt das Schifflein die verheißene Kraft, so hab’ ich ja keinen Vater mehr; so kehre ich zurück, und finde in ihm nur meinen Gemahl.“

Als sie das zu ihnen gesprochen, wurden sie ruhig, und sie schlang abermal ihre Arme um den Vater und weinte [19] und halsete, herzte und küßte ihn. Darauf stieg sie mit ihrer Amme in das Wunderschiff, und wünschte sich fern, fern im großen Meere auf einer stillen friedlichen Insel zu sein. Da erhob sich mit einemmale das Drachenschiff hoch, hoch in die Luft und schoß pfeilschnell von dannen, und ehe man sich nur darauf besinnen konnte, wars aus dem Gesichte Aller verschwunden.

Aber der König und die Großen vom Hofe und seine Räthe und das Volk standen da, und harrten von Stunde zu Stunde, und erwarteten jeden Augenblick, daß es wieder erscheinen würde. Aber es erschien nicht. Und sie harrten vom Mittage zum Abend, und vom Abende zur Nacht und zur Mitternacht, aber Armina in dem Wunderschiffe kam nicht. Und sie hofften zum Morgen und wieder zum Abend, und wieder zum Morgen, aber – vergebens und immer vergebens.

Da warf der König seine Krone zur Erde, trat sie mit Füßen, und zerraufte sein Haar und rief: „O, daß ich doch kein König wäre, so hätt’ ich doch meine fromme Tochter noch. Aber mir geschieht, wie ich verdient habe; ich habe mich zwingen lassen, daß ich Sünde hätte begehn müssen vor dem Himmel. Und sie hat Recht gethan, daß sie von dannen gezogen.“ Und damit ging er weg, und schloß sich in sein einsamstes Gemach, und grämte sich, und starb in [20] wenig Monden. Aber in sein Reich theilten sich die Nachbarsfürsten, und regierten dann fortan.

2.

Aber Armina und ihre Amme waren in ihrem Drachenschiff auf eine glückliche friedliche Insel getragen worden, und lebten daselbst etliche Monde in stiller Trauer, darum daß sie ihren geliebten Vater also hatte verlassen müssen, und verlassen ihr schönes Vaterland, ihre schönen Gärten, ihre schönen Blumen, ihre frommen Tauben und schneeweißen Lämmlein, die sie jeden Tag vordem mit eigenen Händen gepflegt und gefüttert. Und ihre Amme trat oft zu ihr, und sprach ihr Trost ins Herz. Doch sie konnte nicht zufrieden und ruhig werden. Da schlug ihr die Amme vor, sie wollten sich wieder in das Wünschschifflein setzen, und bald da und bald dorthin ziehen, und alle Völker und alle Gegenden der Erde betrachten.

Und sie war es zufrieden, und setzten sich beide ein, und wünschten sich dahin und dorthin, und besahen die Länder und Städte und Menschen im Morgen- und Mittag- und Abendlande und besuchten auch die kalten, mitternächtlichen Gegenden.

[21] So zogen sie hin und her in der Welt wohl manches Jahr, und gewöhnten sich ganz daran, jede Woche an einem andern Orte zu leben. Und Armina vergaß nach und nach ihres Schmerzes, um den Tod ihres Vaters. Denn sie hatte es bald in einem fremden Lande erfahren, daß er gestorben. Als sie nun aber dachte, daß sie ganz vergessen wäre in ihrem Lande und in ihrer Heimath, wünschte sie sich wieder einmal hin an ihr liebstes Plätzchen im Schloßgarten, und ward sogleich hingetragen von ihrem Drachenschiff. Und sie sahe sich um in dem Garten, da und dort, und freute sich, daß noch alles war, wie ehedem. Als sie aber kam, Wasser zu schöpfen an der Felsenquelle, da sie sonst ihre Lämmer gepflegt zu tränken, siehe! so lagen da im frischen Grase am Rande der Quelle zwei wunderliebliche ganz kleine nackende Knäblein, und schauten sie an mit ihren Augen, groß und hell, und streckten nach ihr die Aermlein.

Und Armina sprach zu ihrer Amme: „Komm, und siehe die zwei schönen Knäblein, die da verlassen liegen im Grase. Ich will sie mit mir nehmen, und ihre Mutter sein von nun an.“ Da sprach aber die Amme zu ihr: „Mit nichten, Herrin! Wollt Ihr ihrer Mutter solchen Schmerz machen? Sie hat die Knäblein vielleicht hierher gelegt, und gedenkt sie in kurzer Frist wieder abzuholen.“ „Nein!“ sprach Armina, „sieh, wie sie mich anlächeln mit ihren [22] Aeuglein, als wollten sie mir sagen, wir sind hilflos; nimm dich unser an.“

Da antwortete ihr die Amme: „Wenn Ihr also meinet, so laßt uns hier am Wasserquell warten, und sehen, ob ihre Mutter nicht nahet, sie zu holen. Lasset uns harren bis zu Sonnenuntergang, denn so lange lässet keine Mutter ihr Kindlein hilflos allein.“ Und sie stellten sich hinter die Bäume, und harrten, ob niemand sich nahe, nach den Knaben zu sehen. Aber es ward Abend, und niemand war gekommen. Da traten sie hinzu, und Armina nahm die frommen Kleinen auf ihren Arm, und stieg mit ihnen in ihr Schifflein, und die Amme folgte ihr, und wünschte sich wieder weg, weit weg auf ihre friedliche Insel im großen Meere, und beschlossen jetzt hier zu bleiben, bis die Knäblein etwas heran gewachsen wären, damit sie nicht krank würden von dem beständigen Wechsel der Luft. Und Armina pflegte sie als Mutter, und sorgte für sie.

Da trat eines Tages die Amme zu ihr und sprach: „Ihr habt die Knaben jetzt schon ein Paar Monate, und noch habt Ihr ihnen keinen Namen gegeben. Wie denket Ihr sie denn zu nennen?“

Da besann sich Prinzessinn Armina einen Augenblick, und dann sprach sie: „Es ist wahr, sie müssen jeder einen Namen haben, damit man sie rufen könne, wenn sie größer [23] worden sind, und dahin und dorthinlaufen. So decke sie auf, damit wir sehen, wie wir jeden nennen wollen.“ Und die Amme zog den Schleier weg, der über ihre Bettlein gespannt war. Da sprach Armina: „Sie sollen beide ihren Namen vom Wasser haben; darum, daß ich sie am Wasser funden habe. Und diesen mit den blauen Augen und den blonden Löckchen laß uns nennen Brunnenhold, darum, daß er freundlicher und holder ist, als der andere; den mit den dunkeln Augen und den braunen Löckchen laß uns nennen Brunnenstark, darum, daß er stärker ist, als Brunnenhold.“ Und sie nannten sie fortan Brunnenhold und Brunnenstark, einen jeden wie ihm Armina den Namen gegeben hatte.

Aber die beiden Knäblein wuchsen heran zu fröhlicher Jugend, und koseten manch ein Stündlein mit ihrer Mutter Armina, und Armina wachte über ihre Kindlein mit mütterlicher Treue und Liebe. Und als sie größer wurden, zogen sie mit ihrer Mutter und der Amme ihrer Mutter wieder umher und blieben da, und blieben dort, bald länger, bald kürzer, je nach ihrem Gefallen.

So verging die Zeit mit Schnelle, und Brunnenhold und Brunnenstark wurden zwölf Jahre alt. Da berieth sich eines Tages Armina mit ihrer Amme, und sprach zu ihr: „Meine Knaben sind jetzt schon über zwölf Jahre, [24] und es ist Zeit, sie an einen Ort zu bringen, da sie ein Geschäft erlernen, das sie dereinst ernähre. Zu welchem Geschäft denkst du, daß ich sie thun soll?“

Da antwortete ihr die Amme: „Glückselig seid Ihr, daß Ihr selbst daran denket. Ich befürchtete, Ihr möchtet Euch nicht trennen können von Euern Knaben.“

„Wohl kann ich mich trennen von ihnen!“ sprach Armina. „Konnte ich mich ja auch von meinem Vater trennen! – Was sein muß, das muß man nicht unterlassen, ob es gleich schwer dünken mag. – Die Knaben können nicht leben, wie ich lebe. Auch hatte mein Schifflein nur Vorrath auf dreißig Jahre, und die Hälfte davon muß bald vorüber sein. Was hälf’s, wenn sie auch jetzt noch etliche Jahre sorgenlos lebten und dann auf einmal nichts hätten und nichts erwerben könnten, davon sie sich das Leben fristeten. Darum ist’s nothwendig, daß ich mich von ihnen trenne. Sprich nur, welch ein Gewerbe ich sie soll erlernen lassen.“

„Laßt sie denn selbst wählen!“ antwortete die Amme. „Seht, wir sind hier nahe einer volkreichen Stadt, und heute wird dort gefeiert ein großes Fest, dazu die Leute sich hineingezogen aus allen Gegenden umher. Laßt mich auch hingehn mit den Knaben, daß ich sie führe unter die Menschen [25] alle, und sie sich auswählen den, dessen Geschäft sie erlernen wollen.“

Das gefiel ihr, und sie herzte ihre Knaben Brunnenhold und Brunnenstark nochmals, und ließ sie ziehen mit der Amme nach der Stadt unter die Menschen. Und die Amme führte sie hin an das Hauptthor eines großen Tempels, und sprach zu ihnen: „Sehet an die Leute, wenn sie herausgehn, und zeiget mir den, der Euch am besten gefällt von allen.“

Deß freueten sich die Knaben, daß sie jetzt sollten unter den Menschen leben, und nicht mehr allein mit ihrer Mutter und der Amme, und ihre Gesichter glüheten vor Freude, und sie harreten mit Ungeduld, bis die Leute herauskämen.

Als die Feier aber im Tempel vorüber war, und die Leute herauskamen, da sahen sie alle an, und schüttelten aber bei allen die Köpfe; denn keiner gefiel ihnen von allen, welche kamen. Und schon waren die letzten herausgegangen, und die Amme hatte wohl schon hundertmal geforscht, welcher ihnen am besten gefiel, und immer war noch keiner gekommen, der ihnen gefallen. Und eben wollte sie scheltend mit ihnen von dannen gehen, da trat noch ein Mann heraus in grünem Kleide mit einem kurzen Schwert an der Seite.

[26] Da riefen die Knaben beide schnell: „Sieh das ist er! führe uns mit ihm! Der gefällt uns vor allen, die wir heute gesehen, und wenn auch noch Tausende kämen, es würde uns keiner gefallen, als dieser.“ Darob freuete sich die Amme, und führte sie hin zu dem Manne, und sprach zu ihm: „Seht, ich bin hergeschickt von meiner Herrin, Euch zu fragen, ob Ihr nicht zu Euch nehmen wollt ihre beiden Söhne, die Ihr hier vor Euch sehet, und wollet sie erziehen zu allem Guten, und unterweisen in Euerm Geschäfte, was Ihr treibet. Ihr gefallt ihnen, und sie werden Euch gewiß folgsam sein in allen Stücken, und Euch Freude machen.“

Und die Knaben sahen den Mann im grünen Kleide treuherzig an, und sagten: „Ja! nimm uns zu Dir, grüner Mann! wir wollen Dir gewiß folgsam sein in allen Stücken.“

„Und meine Herrinn wird Euch Eure Sorge vergelten königlich!“ setzte die Amme hinzu. Aber der Mann im grünen Kleide sah sie seitwärts an, und sagte halb unwillig: „Ei, was! seh ich denn darnach aus, als ob ich nach dem Lohn gleich fragte. Damit laßt’s nur immerhin gut sein. Was ich für mich nicht thue, das thue ich auch nicht um den Lohn, und wenn er auch königlich ist.“ Darauf wandte er sich zu den Knaben und lachte, und sah sie liebreich an, [27] und reichte ihnen die Hände dar, also sprechend: „Kommt, kommt, ihr frischen Bursche! ich nehme euch mit mir. Seht ich bin ein Mann, der das Waidwerk treibt draußen im grünen Forst, und ein Waidmann muß frischen Muth haben; so seht ihr mir aus. Darum seid mir willkommen. Ich habe keine Kinder, und habe mir doch schon so oft Kinder gewünscht, und meine Frau auch. Sieh jetzt hab ich ja zwei Knaben auf einmal, und gerade so, wie ich mir sie gewünscht habe.“

Darauf wandte er sich zur Amme, und sprach; „Geht nur zu Eurer Herrin, und sagt ihr, ihre Knaben seien wohl aufgehoben bei mir. Ich will sie halten, wie ich meine eigenen Kinder halten würde. Und ein alter Knab bin ich. Sterbe ich, so sollen die beiden meine Erben werden, und meine Jagd unter sich theilen. So lang hoff ich ja noch zu leben, bis sie zwei tüchtige Waidmänner geworden sind.“

Darauf schieden sie von einander. Die Knaben gingen mit dem Waidmann, und die Amme ging zurück zu ihrer Herrin, und erzählte ihr, wie die Sache sich verlaufen. Dann setzten sie sich wieder in ihr Drachenschiff, und wünschten sich hierher und dahin, und beschlossen in etlichen Jahren wieder einmal zurück zu kehren, um nach Brunnenhold und Brunnenstark zu sehen.

[28] Aber die Knaben fanden sich wohl in des Waidmanns Haus und in sein Waidwerk, und waren ihm gehorsam in allen Stücken, und halfen ihm in Forst und Wald, und scheueten weder Regen noch Sturm, erlegten Thiere und hegten das Wild, und pflanzten mitunter im Garten, und leisteten auch der freundlichen Alten, des Waidmanns Frau, in ihren häuslichen Geschäften mitunter hilfreichen Beistand, und gewannen so die Herzen der beiden Alten, daß sie sie so sehr und fast mehr liebten, als Aeltern ihre Kinder lieben.

Das ging so fort vier volle Jahre. Da hatte Brunnenhold und Brunnenstark das Waidwerk vollkommen erlernt, und sehnten sich, weiter ihr Glück draußen zu suchen in der Welt. Aber die Alten wollten sie ums Leben nicht von sich lassen. Als sie aber jetzt achtzehn Jahre zählten, verlangten sie abermal, von dannen zu ziehen, und ließen sich nicht mehr zurückhalten, durch das freundliche Zureden und die Thränen der Alten. Und als sie sahen, daß sie sich nicht mehr länger halten ließen, da gaben sie einem jeden ein neues Jagdkleid, und die Alte ging hinauf auf den obersten Boden, und brachte zwei Jagdmesser herab, daran an der Seite Messer und Gabel eingesteckt waren, und reichte einem jeden eines derselben, und sprach: „Seht, die zwei Jagdmesser nehmt, und traget sie zur Erinnerung an eure alte Pflegemutter. Ich hab sie an meinem Brauttage von [29] einer fremden alten Frau bekommen, die jetzt wohl schon lang in der Erde ruht. Sie sagte mir dabei, ich sollte sie dereinst meinen Söhnen geben, und wenn die einmal von einander schieden, so sollten sie an dem Kreuzwege, da sie schieden, die kleinen Messerlein neben in den Stamm eines Baumes stecken. Wer dann von den Brüdern zuerst wieder an jenen Baum komme, sollte des andern Messer herausziehen. Sei es noch blank, so sei das ein Zeichen, daß sein Bruder noch lebe, und daß es ihm wohl gehe; sei es aber rostig, so sei das ein Zeichen, daß er todt sei oder doch in Lebensgefahr schwebe. – Seht,“ sagte sie weiter, „der Himmel hat mich nicht mit Kindern gesegnet, und darum lagen die beiden Jagdmesser bis jetzt immer oben. Jetzt seid ihr meine Söhne, und könnt sie vielleicht brauchen. – Aber, ach, mir ist, als säh ich euch nie wieder.“ Als sie das gesagt, barg sie ihr Gesicht in ihre Schürze, und ließ ihren Thränen den Lauf.

Darauf wandte sich der Alte zu ihnen, und sprach: „Seht, ich weiß wie’s junge Blut ist. Ich war ja selbst einmal jung. Da denkt man hinter den Bergen seien lauter Paradiesgärten, und die gebratenen Tauben fliegen Einem von selbst in das Maul. Aber ja prosit! man muß sie dort auch erst erlegen und rupfen und braten, wie hier. Und manchmal gehts noch schlimmer; man sieht gar keine, [30] die man erlegen könnte und geht leer aus. Das sag’ ich euch aber: wenn’s euch einmal schlecht gehn sollte, so wißt ihr, wo ihr daheim seid. Das müßt ihr mir aber versprechen, wenn’s euch nirgend besser geht, oder wohl gar schlimmer, als hier, so kommt ihr zu mir. Ihr braucht euch nicht zu schämen. Ich weiß das ja wohl, wie es geht.“

Solches versprachen sie beide mit Hand und Mund, und darauf schieden alle unter Thränen von einander. Brunnenhold und Brunnenstark gingen hinaus in die Welt. Aber die beiden Alten konnten sich gar nicht mehr gewöhnen, so allein zu leben. Der Frau fehlten sie überall, im Hause, und im Hofe, und im Garten. Und ihr Mann mochte gar nicht mehr hinaus gehen in den Forst, und sein Waidwerk treiben, wie vordem. Und sie starben bald beide vor Alter, und hatten keinen Wunsch mehr übrig gehabt, als daß sie ihre Pflegesöhne noch einmal sehn möchten vor ihrem Hinscheiden. Aber der Wunsch konnte ihnen nicht mehr erfüllt werden, denn diese irrten draußen herum in der Welt, und hatte jeder seine eigenen Abentheuer zu bestehen.

Und als Armina, ihre Mutter, darauf einmal hinkam, ihre Söhne zu sehen, wohnte ein fremder Waidmann dort in dem Forst, der ihnen kaum Kunde geben konnte von seinem Vorfahr, dem alten Waidmann. Aber von Brunnenhold und Brunnenstark wußte er gar nichts, denn er war [31] selbst erst aus einem fremden Lande gekommen, und hatte sich in dem verlassenen Forsthause niedergelassen.

3.

Brunnenhold und Brunnenstark zogen aber fort und immer weiter fort, und kamen endlich an einen dichten Wald, der so verwachsen war, daß die Sonne mit ihrem Scheine gar nicht durchdringen konnte, daß es fast nie recht Tag drin ward. Der Weg ward eng, auf dem sie gingen, und hatten kaum Raum, neben einander darauf zu gehen. Und wie sie recht in der Mitte des dichten Waldes waren, da hörten sie plötzlich ein Gebrülle, das war stärker, als sie je noch eins vernommen. Und ihnen grausete halb, als sie es vernahmen, und halb freuten sie sich; denn sie dachten, es gäbe nun ein Abentheuer zu bestehen. Da kam das Gebrülle immer näher und immer näher, und sie hörten’s jetzt ganz dicht am Wege, und hörten’s rauschen durch den Wald. Siehe da trat eine Löwin in die Mitte des Weges, und schaute sie ruhig an, und brüllte laut, und ging zurück in den dichten Wald.

Da sprach Brunnenhold zu Brunnenstark: „War’s mir doch gerade, als ob sie brüllend zu uns gesagt, wir sollten hier warten.“

[32] „Wars denn nicht so?“ fragte Brunnenstark. Und sie standen noch und sprachen davon, da rauscht’ es wieder nahe vor ihnen, und heraus trat die Löwin, und in ihrem Rachen trug sie zwei junge Löwen, und warf sie nieder vor ihnen, und brüllte. Und sie verstanden deutlich die Worte. „Da nehmt sie; ihr werdet sie brauchen können.“ Darauf verschwand die Löwin, und ließ die jungen Löwen vor ihnen. Aber Brunnenhold und Brunnenstark machten Ketten für sie von gewundenen Weiden, und führten die jungen Löwen daran nach sich, und sprachen davon, wie wunderbar es doch sei, was ihnen begegnet mit dieser Löwin.

Aber sie hatten noch nicht davon ausgeredet, da brummte und brummte etwas durch den Wald, und rauschte vor ihnen durch die Büsche, und eine Bärin trat heraus, und sah sie an, und brummte laut, und ging zurück in den Wald. Es verging eine kurze Zeit; da kam sie wieder heraus, und schleppte zwei junge Bären mit sich, und warf sie vor sie hin auf den Weg, und brummte deutlich: „Nehmt sie, ihr werdet sie brauchen können.“

Und sie erstaunten noch mehr darüber, daß dies das zweite unbändige Thier war, das ihnen die eigenen Jungen hingab. Aber sie wandten sich wieder Gerten zu einer Kette, und banden die jungen Bären daran, und führten sie nach sich.

So gingen sie weiter. Da hörten sie plötzlich ein fürchterliches [33] Geheule um sich. Und es kam näher und immer näher, und eine Wölfin trat heulend hervor aus den Gebüschen, und schaute sie an, und lief wieder zurück. Und sie harreten erstaunt, zu sehen, ob denn die Wölfin ein Gleiches thun werde, wie die Löwin und Bärin. Aber sie standen nicht lange, da kam sie, und brachte ihnen zwei junge Wölfe, warf sie ihnen vor die Füße, und sie hörten sie in ihrer Sprache und Stimme sagen: „Nehmet sie; ihr werdet sie brauchen können!“ Und sie machten jeder auch für die jungen Wölfe eine Kette von gewundenen Gerten, und führten sie daran.

Dann sprach endlich Brunnenhold zu Brunnenstark: „Es ist recht schön, daß uns jedem das Gleiche begegnet. Aber doch dünkte mir schöner, wir schieden, und bestimmten uns einen Ort, wo wir wieder zusammen treffen wollten. So würde jedem ein ander Abentheuer begegnen, und wenn wir uns dann wieder einmal fänden in der Welt, so könnte einer dem andern erzählen, wie es ihm gegangen, und wir würden ein doppelt Leben voll Abentheuer führen.“

Diese Rede gefiel Brunnenstark, denn er hatte dasselbe auch schon bei sich gedacht, und nur darum nicht seinem Bruder gesagt, weil er fürchtete, dieser möcht’s nicht gerne thun. Denn er meinte, sie könnten auch so über kurz oder über lang, der Eine oder der Andere ihre Mutter antreffen in [34] der Welt. So wurden sie denn eins, am ersten Scheideweg sich zu trennen, und einer rechts, der Andere links zu ziehen.

Als sie aber an den ersten Scheideweg kamen, blieb Brunnenhold stehn, und zog sein Messerlein neben dem Jagdmesser hervor, und steckts bis an das Heft in einen starken Eichenstamm, der an der Scheide des Weges stand, und sagte: „Thue Du auch so, auf daß jeder ein Zeichen habe, wenn er zurückkommt, ob der Andere noch am Leben ist.“ Und Brunnenstark zog auch sein Messerlein, und steckts in den Eichenstamm bis an das Heft. Dann umarmten sie sich, und schieden von einander, und versprachen, nach etlichen Jahren wieder zu kommen, und zu sehen nach den Messern, ob sie nicht rosteten. Und sie zogen ein jeder seine Straße, einer rechts, der andere links.

Brunnenhold war aber die Straße rechts gezogen vom Kreuzweg, und zog weiter und immer weiter durch Feld und Flur, über Berg und Thal, und trieb sein Waidwerk nach Lust und Gefallen, heute hier, morgen dort. Und so kam er eines Tages an eine große Stadt. Als er aber eintrat ins Thor, war Alles an den Häusern behangen mit schwarzen Tüchern, und statt der Fahnen weheten vom Rathhause lange Trauerflöre. Auf den Straßen herrschte überall eine Todtenstille, und kein Mensch ließ sich sehen.

Da trat er in eine Herberge und forderte sich beim [35] Wirthe einen frischen Trunk. Aber der Wirth ging, und holte ihm einen frischen Trunk, und stellte ihm selbigen vor auf den Tisch, und redete nicht, und sagte nicht einmal: „Wohlbekomm’s.“

Da ward Brunnenhold neugierig, zu hören, warum die ganze Stadt also traurig wäre, und wandte sich zu dem Wirthe, und sprach: „Ei, sagt mir doch, mein Freund, was ist Euch denn begegnet und Eurer Stadt? Ihr geht in schwarzen Kleidern, und überall seh ich schwarze Tücher ausgehängt und Trauerflöre wehen. Wer ist Euch denn gestorben?“

Aber der Wirth seufzte schwer, und sprach: „Ach, Herr, wir haben ein groß Unglück! Seht, stellt Euch da her an das Fenster, und schaut da hinüber! Was seht Ihr drüben auf dem Berge?“

„Ich sehe nichts,“ sprach Brunnenhold, „als einen großen viereckigen Fels.“

„Nun ja!“ sagte der Wirth, „so seht Ihr unser ganz Unglück vor Augen.“

Da verwunderte sich Brunnenhold und sprach: „Wie kann aber der Stein Euer ganzes Unglück seyn? das begreif’ ich nicht! Er liegt ja recht fest auf dem Rücken jenes Berges, und mag da noch lange liegen, ehe er herunterfällt und Euer Haus zusammenschlägt.“

[36] „Ja,“ sagte der Wirth, „da hat’s freilich keine Noth. Seht, der Stein heißt aber der Drachenstein, und da müssen wir alle Neumond die Jungfrau darauf stellen, die zuletzt in der Zeit von Neumond zu Neumond in der Stadt sechzehn Jahre alt worden ist. Die wird dann von einem fürchterlichen, siebenköpfigen Drachen mit Haut und Haaren verschlungen. Thun wir es aber nicht, so hat der Drache gedroht, über unsere Stadt und alle Städte und Dörfer des Reiches zu kommen, und aus seinen sieben Köpfen Feuer zu speien, und alles zu verschlingen, was ihm unter seine vierzehn Feueraugen kommt. Darum werden allemal am ersten Tage nach dem Neumond schon wieder für’s nächstemal die Register von den Jungfrauen durchsehen, die in der Zeit ihr sechzehntes Jahr erreichen. Und die Jüngste kommt dann auf den Drachenstein. Seht, nun ist aber in den letzten vier Wochen gerade allein des Königs einzige Tochter sechzehn Jahre alt worden, und so muß diese heute Mittag hinausgeführt werden. Und die solltet Ihr erst sehen. Sie ist ein wahres Muster aller Jungfrauen an Schönheit und Tugend.“

Darob verwunderte sich Brunnenhold, und sprach: „Jetzt begreife ich, warum solche Trauer herrscht in Eurer Stadt. Aber sprecht, war denn noch kein Mann in Eurem Lande so beherzt, der es wagte, den Drachen zu erlegen?“

„Ja, erlegt Ihr!“ antwortete der Wirth, „das ist [37] kein Kerlchen, wie Ihr, so ein Drache, mit rothwangigem, glattem Gesicht und sanften blauen Aeuglein. Nein, der hat Schuppen auf sich, wie von Stahl, und um den ganzen Leib Schuppen. Nur um seine gefräßigen Hälse hat er schmale Ringe, wo er zu verwunden ist. Aber da mag der Henker drein hauen.“

„Warum denn?“ fragte Brunnenhold.

„Warum denn?“ antwortete der Wirth. „Weil’s dem Lasterthiere von Drachen gerade recht ist, wenn man ihm einen von den sieben Köpfen abhackt. Denn auf der Stelle wachsen ihm aus dem hervorquellenden Blute zwei neue Köpfe heraus. Meint Ihr, es hätt’s noch keiner gewagt mit ihm? Er hatte im Anfang auch nicht mehr Köpfe, als ich auch. Da haben’s schon sechse mit ihm gewagt, aber allemal ist der Drache um einen Kopf reicher worden, und die Wagehälse um ihren einzigen Kopf ärmer. Der Drache hat sie allemal rein aufgefressen.“

Als sie aber noch so zusammen sprachen, kam ein Herold durch die Straße gezogen, der ließ vor sich her posaunen, und rief mit lauter Stimme: „Der König hat bei seinem Haupte geschworen, der solle sein Eidam werden, der heute den siebenköpfigen Drachen erlegt, und so die Königstochter vom Drachenstein erlöset.“ Darauf zog er weiter durch die Straßen. Und der Wirth sagte: „Ja, ruf’ du, so lang du [38] willst. Es wird Keiner ein Narr sein, und den Hals dran wagen.“

Aber Brunnenhold schwieg still, trank seinen Becher leer, und stand auf und fragte den Wirth, was er schuldig wäre, und bezahlte seinen Trunk, und wollte weiter gehen. Da sah ihm der Wirth in’s Gesicht, schüttelte den Kopf, und sprach: „Hört, junger Herr, was habt Ihr im Sinne? Ich seh’s Euch an, Ihr führt was im Schilde. Warum wollt Ihr so schnell wieder fort? Ihr werdet’s Euch doch nicht gelüsten lassen nach dem Drachen?“

Da sprach Brunnenhold: „Nun, und wenn auch, was wär’s denn?“

Aber der Wirth schrie: „Was? Ihr wollt Euer junges Leben auf’s Spiel setzen? Denn verloren seid Ihr mit sammt Euerm glatten Gesicht und Euern blonden Löcklein, und Euern blauen Augen, wenn Euch der Drache ansieht mit seinen Feueraugen. Das ist kein Spaß, Herr, so ein Drache. Ihr mögt ein guter Waidmann sein; aber so ein Drache gehört nicht in’s Waidwerk. Das ist ein gar erschreckliches Wildbret. An den haben sich schon Ritter und Helden gemacht, und haben nichts ausgerichtet. Nein, folgt meinem Rathe, und bleibt hübsch hier, und wohnt den Trauerfesten mit bei. Es wird einen gewaltigen Zug heut geben nach dem Drachenstein. Der König, hab’ ich gehört, will selbst [39] mitziehen. Und sie müssen gerade vor meinem Hause vorbei; da könnt Ihr’s am besten sehen.“

Aber Brunnenhold antwortete dem geschwätzigen Wirthe nicht, und ging hinaus, und nahm vor dem Hofthore seine Thiere mit sich und ging nach dem Drachensteine.

Und als er nun am Drachensteine war, ließ er seine Thiere los von ihren Ketten, und stellte sich hin mit ihnen in’s nahe Gebüsch. Da war es Mittag. Und es kam ein großer Trauerzug aus der Stadt. Voraus ging der König mit Thränen, und seine Tochter, die eingehüllt war in einen langen schwarzen Schleier, so daß man kaum ihre Gestalt erkennen mochte, ward hinter ihm getragen in einer schwarzen Sänfte. Nach ihr gingen die Großen des Reiches; dann folgten über hundert junge Mädchen, die trugen jede einen Todtenkranz von Rosmarin und weißen Rosen, und eben so viel junge Knaben mit Cypressenzweigen. Und hinter ihnen kam noch ein unabsehbar langer Zug von Bürgern aus der Stadt und von den Einwohnern des Landes.

Als der Zug aber nun ankam auf dem Drachensteine, hoben sie die Königstochter aus ihrer Sänfte, und ihr Vater fiel ihr nochmals um den Hals, und nahm weinend von ihr den letzten Abschied. Dann wurden ihr die Augen verbunden und der Schleier abgenommen, und die acht Männer, die sie getragen hatten in der Sänfte, führten sie nun die Stufen [40] hinan auf den Drachenstein. Die Knaben pflanzten aber rings um den Drachenstein ihre Cypressenzweige, und die Mädchen schwangen ihre Todtenkränze, und warfen sie im Kreise umher um die jammernde Jungfrau.

Als das aber geschehen, eilten sie alle, schnell wieder herab zu kommen. Und der Zug eilte zur Stadt zurück, und Keiner von Allen sah mehr um nach der zitternden Königstochter. Nur ihr Vater wendete sich oft um, und Thränen flossen ihm über die Wangen. Aber seine Räthe führten ihn eilend weiter, und ließen ihm nicht Zeit, lange hin zu sehen.

Und bald war der Zug wieder in der Stadt, und es ward still um den Drachenstein. Nur die zarte Königstochter stand oben und bebte, und wimmerte hinaus in die stille Oede, die den Drachenberg umwohnete. Da kam Brunnenhold hervor, und stieg den Drachenstein stille hinan mit seinen Thieren, mit dem Löwen, dem Bären und dem Wolfe, die jetzt kaum ein Jahr alt waren, aber doch größer und stärker, als die ältesten und größten ihrer Art.

Und als er oben war, blieb er stehen vor der Jungfrau und staunte sie an. Denn er hatte noch keine gesehen von größerer Anmuth und Schönheit. Dann faßte er sie bei ihrer Hand. Da schrie sie laut, denn sie glaubte, der Drache [41] wär’s, der sich ihr nahe. Er aber sprach: „Fürchtet Euch nicht, hochedle Jungfrau, denn sehet, ich bin kommen, Euch zu erretten von dem Drachen.“ Und damit knüpfte er ihr das Tuch ab von den Augen, und sprach ihr Trost ein, und führte sie herab von dem Drachensteine.

Als er aber wieder hinaufsteigen wollte auf den Drachenstein, und die Königstochter ihn ansah, und bedachte, wie er so schöne blonde Locken habe, und wie ein mildes Licht aus seinen blauen Augen leuchte, und wie er ein so edler Jüngling sein müsse, daß er also kühnes Wagniß unternehme, da wollte sie wieder an seiner Statt hinaufsteigen, und wollte nicht gestatten, daß er sich dem Drachen darstellte. Er aber beruhigte sie durch muthiges Zureden, und stieg hinauf, und zog sein Jagdmesser, und um ihn stand der Leu und der Bär und der Wolf. Und den Thieren leuchtete ein kampflustiges Feuer in den Augen, daß man glauben mochte, sie wüßten schon, was ihrer jetzt warte.

Da verfinsterte sich der Tag, und der Drache erschien ferne am Abendhimmel, und verfinsterte die Sonne, wie eine Wolke. Und er kam immer näher und immer näher, und stand jetzt auf dem Steine, und riß den Rachen seines mittelsten Kopfes weit auf gegen Brunnenhold, ihn zu verschlingen. Aber Brunnenhold faßte einen gewaltigen Zug [42] mit seinem Jagdmesser, und schlug ihm das Haupt ab gerade am Halsringe. Und der Löwe hängte sich mit seinen gewaltigen Vordertatzen an den Halsstumpf, und sog das hervorquellende Blut ein, also daß keine neuen Köpfe hervor wachsen konnten. Da sperrte aber der Drache den zweiten Rachen auf nach ihm, und spie Feuer gegen ihn. Aber ehe die Flamme ihn noch erreichte, hieb ihm Brunnenhold auch den zweiten Kopf von dem Halse, und so auch den dritten, und den vierten, und fünften, und sechsten, und den siebenten Kopf. Und seine Thiere sogen das hervorquellende Blut ein, und wurden so stark davon, daß sie den ungeheuern Drachenleib herunter schleppten vom Drachensteine, und in tausend Stücke zerrissen.

Aber die schöne Königstochter stand mit abgewandtem Gesichte, denn sie litt große Angst, der heldenmüthige Jüngling möchte unterliegen dem ungeheuern Drachen. Als er ihr aber jetzt zurief, und herabstieg vom Drachensteine und vor sie trat, sie hinzuführen, und ihr den erlegten Drachen zu zeigen, an dem seine Thiere noch rissen und zerrten, da liefen ihr die Thränen der Freude über die Wangen, und fiel ihrem Retter um den Hals, und dankte ihm mit stummer Rührung, und ein himmlisches Lächeln ergoß sich darauf über ihr Angesicht, und nannte ihn ihren Bräutigam, darum daß ihr Vater versprochen und geschworen habe, sie [43] demjenigen zur Gemahlin zu geben, und ihm dereinst das Reich zu hinterlassen, der sie von dem Drachen errette.

Dessen freuete sich Brunnenhold von Herzen, und nannte sie seine schöne fromme Braut, und sprach zu ihr: „Gehet jetzt hinunter, edle Jungfrau, in die Stadt, und stellet Euch Eurem Vater dar, und sagt ihm, wer Euch errettet, und daß ich heute über Jahr und Tag erscheinen würde, das Fest der Trauung mit Euch zu feiern. Ich möchte wohl gerne gleich mit Euch ziehen, doch weiß ich, daß mich Euer Vater nicht mehr von hinnen ließe. Nun hab’ ich aber auch noch eine Mutter, die ich vorher noch aufsuchen möchte, daß sie auch mir ihren Segen gebe. Denn man sagt ja auf der Ehe ruhe doppeltes Glück, die man anfange mit Vater- und Muttersegen. Jahr und Tag will ich sie suchen in der Welt umher. Finde ich sie früher auf meinen Wegen, so komm ich auch früher zurück. Find’ ich sie aber nicht in Jahresfrist, so will ich’s ansehen als eine Fügung des Himmels, und will ohne ihren Segen zurückkehren.“

Damit sie ihn aber sicher erkenne, wenn er wieder käme, schlug er die äußerste Spitze seines Jagdmessers ab, und gab sie der Jungfrau. Und sie machte sich auf zur Stadt zurück zu gehen. Brunnenhold aber blieb auf dem Drachensteine zurück, und nahm die Zähne aus den Drachenköpfen [44] heraus, und steckte sie zu sich. Dann ging er jenseits den Drachenstein hinab, und irrte herum ein ganzes Jahr, und suchte seine Mutter da und dort, und fand sie nirgend.

4.

Als die Königstochter aber hinabging von dem Drachenberge nach der Stadt, noch voll Freude über ihre Erlösung vom Tode durch den schönen, fremden Jüngling und dabei voll Trauer, daß er nicht gleich mit ihr hatte gehen können, mußte sie eine Strecke durch den Wald, vorbei an der Wohnung eines Kohlenbrenners. Und als sie vorbei ging an den Meilern des Köhlers, stürzte er hervor mit einer Keule, die er hoch in der Luft schwang und drohte sie zu erschlagen, wenn sie nicht gleich ihm zuschwören würde mit dem heiligsten Eide, ihrem Vater, dem König, und Allen zu sagen, daß er, der Köhler, ihr Erretter vom Drachen sei. Und die Königstochter fiel weinend vor ihm auf die Kniee, und bat ihn, sie doch zu verschonen, und versprach ihm zuzuschwören, ihm Geld und Haus und Feld zu verschaffen, so viel er verlangte. Er bestand aber auf seiner Forderung, und drohete, sogleich den Schlag zu thun mit seiner schweren Keule, wenn sie nicht augenblicklich den Schwur ablege.

[44a]

Brunnenholdt und Brunnenstark
I


[45] Da schwur sie ihm zu mit einem heiligen Eide zu sagen, daß er ihr Erretter sei, und seine Gemahlin zu werden. Und als sie den Schwur abgelegt, ließ der Köhler sie ihre Straße ziehen. Er ging aber sogleich hinauf auf den Drachenstein, und schlug den Drachenköpfen die Schädel ein, und nahm sie also in einem Sacke mit sich in seine Wohnung, damit er doch ein Zeichen habe, womit er bewiese, daß er den Drachen erlegt.

Er war aber kaum bei seinen Meiler angekommen, so erschien schon ein prächtiger Wagen, der geschickt war, ihn abzuholen zum Könige. Und er setzte sich darein mit seiner rußigen Kleidung, und nahm die Drachenköpfe mit sich und die Keule.

Aber der König empfing ihn mit großen Ehren, und ließ ihm sogleich ein reiches Kleid anlegen und ihn waschen, und von seinem rußigen Gesichte reinigen. Und die Drachenköpfe ließ er ausbeinen, und stellte die Schädel in seine Schatzkammer, darum daß ihm sein kostbarster Schatz, sein liebes Töchterlein war erhalten worden durch den Tod des Drachen. Und dazu ließ er aufbewahren die Keule des Kohlenbrenners, denn er glaubte der Drache sei damit erschlagen worden. –

Als aber nun etliche Tage um waren, da machte der [46] König Anstalten zur Vermählung seiner Tochter mit dem Kohlenbrenner. Da fiel ihm aber die edle Jungfrau vor die Füße, und bat ihn um Aufschub auf drei Jahre. Da sprach aber der König: „Sieh, mein liebes Kind, ich wollte dir wohl dein Begehren erfüllen. Allein was geschehn muß, thut man leichter gleich frisch. Und du mußt nun einmal die Gemahlin des Kohlenbrenners werden, denn er ist dein Retter, und dem hab ich dich mit meinem königlichen Worte zugesagt, und hab einen heiligen Eid darauf geschworen, den ich nicht brechen darf, wenn es auch dein Retter selbst zufrieden wäre.“

Da zerfloß sie aber in Thränen, und bat nur um ein Jahr wenigstens Aufschub. Und der König ließ den Köhler rufen, und stellte ihm die Sache vor, und fragte ihn, ob er noch mit dem Vermählungsfeste warten wollte ein Jahr. Und der Kohlenbrenner gab noch Raum, bis es Jahr und Tag sei nach der Erlegung des Drachen. Darob erfreute sich die Jungfrau und hoffte mit Zuversicht früher auf die Rückkunft ihres freundlichen Erretters mit den sanften blauen Augen und mit den schönen blonden Locken. Aber es verging ein Tag um den andern, und es verging eine Woche um die andere, und es verging ein Monat um den andern, und es war der Morgen angebrochen des Tages da die Königstochter sollte vermählt werden mit dem Kohlenbrenner, [47] und sie hatte den sehnlich Erharrten noch nicht wieder gesehen.

Aber vor ihren Vater hatte sie sich nieder geworfen, als er wieder Anstalten machen ließ zum Feste, und hatte mit Thränen zu ihm gefleht um längern Aufschub. Aber sie wollte ihren Eid nicht brechen, und gestehn, warum sie darum bäte, und so hatte sie ihr Vater zornig von ihm gewiesen, und sie eine Thörin geheißen, weil sie nicht wüßte, warum sie es wollte. Und er ließ fortfahren in seinen Zurüstungen, und hieß sie ihm selbst ein Leibgericht bereiten in der Küche, wie sie wohl sonst an Festtagen gepflegt.

Da kam Brunnenhold aber zurück in die Stadt, und hörte überall Musik ertönen, und sah allenthalben rothe Freudenfahnen wehen, und sah alle Häuser geschmückt mit Blumenkränzen, und alle Leute in ihren Feierkleidern. Und er trat wieder bei seinem alten gesprächigen Wirthe ein, und ließ sich einen frischen Trunk geben. Da erkannte ihn der Wirth, denn er sah seine Thiere um ihn her auf dem Boden liegen, und rief ihm lachend zu: „Ei, ei! ich meine, ich hätte die Ehre schon einmal gehabt von dem Herrn. Ja, ja, nicht wahr, es war gerade vor Jahr und Tag. Ihr wolltet mir damals glauben machen, Ihr ginget gerade nach dem Drachenstein hinauf. Ich hab’ Euch damals ernstlich abgerathen, denn ich glaubte, es sei Euch Ernst. Ei, [48] nun, ein Wirth muß sich schon in die Laune seiner Gäste zu finden wissen.“

Da ward Brunnenhold aufmerksam, und fragte ihn: „Ei, lebt der Drache denn noch?“

„Bewahre! bewahre nein! der ist todt. Es gibt gottlob! jetzt keinen Trauerzug mehr da hinauf!“ antwortete der Wirth. Und als Brunnenhold weiter fragte, wie das komme, sagte er: „Seht, es haben’s zwar schon Etliche versucht gehabt, den Drachen zu erlegen, aber noch Keiner war so klug, ihm seine Köpfe am Hals zu lassen, und ihm auf eine Art das Leben zu nehmen. Da kam der Kohlenbrenner auf den Gedanken, und schlug ihm an jedem Kopfe den Hirnkasten ein mit einer Keule, so konnte kein einziger Kopf mehr nachwachsen, geschweige zwei.“

Da lachte Brunnenhold, und sagte zum Wirth: „Ihr seid doch ein lustiger Kammerad. Warum stellt Ihr Euch denn so gar unwissend?“

Aber der Wirth sah ihn befremdet an, und wußte nicht, was er sagen sollte, und erstaunte noch mehr, als er merkte, daß Brunnenhold den Drachen erlegt haben wollte, und wußte nicht, ob er’s glauben sollte, oder nicht. Und als Brunnenhold merkte, daß er zweifelte, sagte er ihm: „Seht, ich schicke meinen Löwen hinauf in des Königs Schloß, und der muß den Halsschmuck der Königstochter herunter bringen, [49] zum Beweise, daß sie mich noch kennt, und sich noch meiner erinnert, wenn sie den Löwen erblickt.“

Das wollte aber der Wirth nicht glauben, und wettete hundert Goldstücke gegen eines, daß dies nicht geschehen könne. Denn er meinte, die Wachen um’s Schloß würden den Löwen gar nicht hineinkommen lassen zur Prinzessin. Aber Brunnenhold wettete mit ihm; denn er wußte, daß seine Thiere Klugheit besaßen, mehr als mancher Mensch, und gab dem Löwen sein Jagdmesser in das Maul, und sagte zu ihm: „Geh hin ins königliche Schloß, und bring mir den Halsschmuck der Prinzessin.“ Da ging der Löwe hinaus, und der Wirth sah ihm nach, und erstaunte, als er sah, daß er den rechten Weg eingeschlagen zum Schloß.

Aber der Löwe ging schnell durch die Straßen den Weg zum Schlosse des Königs, und wo er ging wichen ihm die Leute aus, und es lief ein Schrecken durch die Stadt, ein ungebundener Löwe laufe umher. Als er aber an die Thorwache des Schlosses kam, ging er mitten durch, und die Soldaten getrauten sich nicht, ihm zu widerstehen, und flüchteten sich ins Wachthaus, denn der Löwe war um Vieles größer als ein gewöhnlicher Löwe. Und er ging so durch alle Wachen, die Treppe hinauf, die Gänge hindurch, die Thüren vorbei, ungehindert. Und als er kam an die Küche, wo die Bratenwender gingen, die Mörser klangen, die Flammen [50] knisterten, und Köche und Küchenmägde und Küchenjungen hin und her liefen, und in den Töpfen rührten, und da Salz und dort Gewürze einstreuten, und da Kohlen zuschütteten, dort Holz zulegten, da trat er hinein. Und die Küchenjungen, die ihn sahen, sprangen in die Speisekammer und verschlossen sich dort, und der Koch mit seinen Gehülfen sprang auf den Heerd und stieg von da auf den Schornstein.

Aber Helgrita, des Königs Tochter, stand da, und bereitete ihrem Vater ein Leibgericht. Als sie aber die Küchenjungen so laufen sah, blickte sie auf, und sah auch den Löwen hereintreten in die Küche. Und sogleich fiel ihr ein, ob es nicht Brunnenholds, ihres Erretters, Löwe sein möchte. Da trat sie näher hin, und sah das Jagdmesser und erkannte es. Denn Brunnenhold hatte die äußerste Spitze abgeschlagen, und hatte sie ihr gegeben, daß sie ihn daran erkennen sollte. Und Freudenthränen traten ihr in die Augen, denn sie hoffte jetzt, daß auch Brunnenhold in der Nähe sein müßte. Und in ihrer Freude umschlang sie den Hals des Löwen mit ihren Händen. Aber der Löwe blickte sie immer still an, und kehrte seine Augen nach ihrem Halsschmucke, und wenn er darauf sah, so glänzten ihm seine Augen freudiger. Das bemerkte Jungfrau Helgrita, und sprach zu ihm, indem sie ihm liebkosete: „Gelt, mein Halsschmuck gefällt dir, du liebes Thier?“ Da nickte der Löwe [51] mit dem Kopfe. Aber der Küchenmeister guckte aus dem Schornstein herab, und verwunderte sich, daß der Löwe so zahm war, und sprach: „Ja, ja, das Halsband mag ihm gefallen, aber ich möcht’s doch nicht anhaben; mir wäre bang um meinen Hals dabei. Hochedle Jungfrau, traut dem Thiere nicht, und speis’t ihn mit dem besten Braten ab, wenn Ihr könnt, sonst gehts doch noch an Euch selbst.“

Jungfrau Helgrita hatte aber nicht bang, und wollte ihm nur ein gutes Futter geben, und bot ihm eine große Kalbskeule dar; aber der Löwe schüttelte mit dem Kopfe und blickte wieder mit hellglänzenden Augen auf den Halsschmuck der Prinzessin. Da zog Jungfrau Helgrita das kostbare Halsband ab, und ließ die edeln Steine spielen in dem Glanze des Heerdfeuers, daß es der Löwe sehen sollte. Der Löwe stellte sich aber mit seinen Vorderfüßen neben der Prinzessin auf die Heerdplatte und bot ihr seinen Hals dar. Und Jungfrau Helgrita sprach lächelnd: „Was ist? soll ich dir mein Halsband umhängen, närrisches Thier?“ Da nickte der Löwe mit dem Kopfe, und Helgrita knüpfte ihm spielend das Band um. Aber kaum hatte er es am Halse, so lief er schnellen Schrittes zur Küche hinaus durch den Schloßhof, nach der Straße zu, woher er gekommen war.

Als aber der Löwe weg war, kamen die Küchenjungen wieder aus den Speisekammern, denn sie hatten’s durch die [52] Ritzen gesehen, als er fortging. Und die Köche und der Küchenmeister stiegen wieder aus dem Schornstein herab, und wischten sich den Ruß von den Kleidern und den Rauch aus den Augen, und waren alle erstaunt über den Vorfall. Aber Helgrita lächelte sanft, und war gutes Muthes, denn sie hatte jetzt neue Hoffnung, daß ihr wahrer Erretter sich ihrem Vater darstellen würde.

Aber Brunnenhold hatte indessen bei seinem frischen Trunke gesessen, und der Wirth hatte hinaus gesehn nach der Straße, wo der Löwe herkommen mußte. Als er ihn aber von ferne kommen sah, und die blitzenden Steine sogleich an seinem Halse erkannte, da setzte er sich auf den nächsten Stuhl, sich von seinem Schrecken zu erholen, und schrie: „Ach, meine hundert Goldstücke! meine hundert Goldstücke!“

Aber Brunnenhold freuete sich, als ihm der Löwe das Halsband brachte, denn er erkannte daraus, daß Helgrita noch seiner gedenke. Und als der Wirth sogleich seufzend ging, und mit Thränen wieder kam, und im die hundert Goldstücke darzählte, sagte er lachend: „Nun, wie siehts? wollt Ihr noch einmal mit mir wetten, Herr Wirth?“

„Nein, nein!“ antwortete der Wirth, „Ich hab’ genug an dem einen Male!“ und betrachtete sein Geld noch einmal, und seufzte: „Das schöne Gold!“

[53] Aber Brunnenhold that nicht, als ob er’s merkte, und sprach: „Sonst hätte ich den Löwen noch einmal hinaufgeschickt, und er hätte die Prinzessin selbst herunter bringen müssen.“

„Und das hätte er hübsch bleiben lassen,“ sagte der Wirth. „Nein, nein, so klug Eure Bestie auch sein mag, darauf hätte ich Lust mit Euch zu wetten, was Ihr wollt. Darauf wette ich mein Haus und Hof, und mein ganzes Vermögen gegen die hundert Goldstücke; das läßt Euer Löwe hübsch bleiben. Denn das ist einmal so herkömmlich bei uns! eine Prinzessin darf nicht allein, ohne Begleitung, sich aus dem Schlosse entfernen.“

„Wollt Ihr wetten, so schlagt ein!“ sagte Brunnenhold, und hielt ihm die Hand dar, und der Wirth schlug ein, und sprach: „Ja, mein Haus und Hof und Alles, was ich vermag, setz’ ich daran. Nackend sollt Ihr mich aus meinem eignen Hause hinaus jagen, wenn Eure Bestie die Königstochter hierher bringt.“

Da knöpfte Brunnenhold dem Löwen das Halsband ab, und gab’s ihm an einem Ende ins Maul, und sprach: „Geh hin, und bringe die Königstochter mit dir hierher!“ Und der Löwe rannte wieder hinauf, durch alle Wachen hindurch, an allen Thüren vorbei, bis in die Küche.

[54] Da liefen wohl einige Küchenjungen von dannen, aber doch nicht alle, denn sie hatten ja gesehn, wie zahm der Löwe war. Und als der Löwe zu Helgrita kam, legte er ihr das Halsband in die Hand, und faßte ganz sacht ihre Schürze, die sie vorgebunden hatte, und führte sie davon, erst an die Küchenthüre; dann bot er ihr den Rücken dar, und blickte sie an, daß sie wohl verstand, sie sollte sich darauf setzen. Aber sie hatte es kaum gethan, so lief er so schnell er konnte, von dannen. Und wie sehr sie auch schrie, man sollte ihn anhalten, so getraute es sich doch Niemand. Denn Alle fürchteten die Größe und Stärke des Thieres. Und als es die letzte Wache vom Schloßthore wagte, sich ihm entgegen zu stellen, so riß sie der Löwe am Kleide um im Vorüberrennen, und rannte ferner unaufgehalten bis an das Haus, da Brunnenhold innen war. Aber wer den Löwen springen sah, und die schöne Jungfrau auf seinem Rücken erkannte, erstaunte darüber. Und die Kinder, so auf den Straßen spielten, liefen mit Geschrei hinterdrein und Gelächter, denn sie erfreute die schöne Löwenritterin.

Brunnenhold lief ihr aber sogleich entgegen, und hob sie herab, und sie sank ihm in die Arme, und vergoß Zähren der Freude, daß ihr Erretter noch gekommen war zu rechter Zeit, und erzählte ihm die Bosheit des Köhlers. Da begehrte Brunnenhold von ihr, daß sie ihm heute noch [55] vor der Trauung Audienz verschaffe vor ihrem Vater, dem Könige, und seinem ganzen versammelten Rathe, damit er den Betrug des Kohlenbrenners entdecke.

Darauf geleitete sie Brunnenhold bis zu dem Eingang des Schloßhofes, und ging wieder zurück, um bei seinem Wirthe zu harren, bis daß ihm Botschaft käme, daß ihm der König Gehör verstatte vor seinen versammelten Räthen. Und als er zurück kam, lag der erschrockene Wirth noch bewegungslos auf einem Stuhle, denn er fürchtete, Brunnenhold möchte jetzt sein ganzes Vermögen von ihm begehren, wie er ihm in der Wette versprochen, die er verloren.

Doch Brunnenhold tröstete ihn, und sprach: „Seid nur gutes Muthes, ich bedarf nicht Eures Goldes, und mit der Wette war es nur Scherz. Und auch die hundert Goldstücke nehmt nur wieder, und verwahrt sie in Eure Kisten, und hütet sie fleißig. Ich will Euch nicht nehmen, was Euch so sehr am Herzen liegt.“ Da ward er wieder fröhlich und guter Dinge, und dankte ihm mit hundert demüthigen Bücklingen, und nannte ihn einmal ums andere einen edlen jungen Herrn, und wünschte ihm tausend Glück und Segen.

Da aber Jungfrau Helgrita in ihres Vaters Schloß kam, trat sie alsbald vor ihren Vater, und bat ihn fußfällig, er möge ihr doch noch eine Gnade erweisen vor ihrer Trauung. Der König ward aber fast unwillig, und wollte [56] sie von sich weisen. Denn er glaubte sie verlange noch einmal Aufschub der Trauung. Da zerraufte sie ihre Haare und jammerte also, daß der König sich ihrer erbarmte, und fragte: „Was verlangst du?“ Und sie brachte ihr Anliegen vor, und begehrte von ihm, er möge doch einem Fremdling, der in der Stadt angekommen sei, noch am Morgen Audienz gewähren, vor seinem versammelten Rathe.

„Was kann das sein?“ fragte der König, „daß du dich also eifrig für einen Fremdling verwendest.“ Sie aber antwortete: „Er wird’s schon sagen, mein geliebter Vater. Ich darf’s nicht sagen, was mich schon Jahr und Tag drückt; denn mir bindet die Zunge ein schwerer Eid.“

Da ward der König neugierig, was das sein möchte, und versprach ihr zu willfahren, und befahl seinem Rathe, sich schnell zu versammeln. Und Helgrita schickte hinab, und ließ Brunnenhold rufen.

Und der König saß auf seinem Throne, und hielt seinen Königsstab in der Rechten, und zu seiner Rechten und Linken standen seine Räthe und die Großen seines Reiches. Da trat Brunnenhold herein mit seinen drei Thieren, die er hinter sich führte mit silbernen Ketten. Da fragte der König ernst: „Was ist dein Begehren, Fremdling? und wer bist du?“

[57] Und Brunnenhold ließ sich nieder auf ein Knie, und verehrte den König nach Landessitte. Darauf stand er auf, und sprach mit Bescheidenheit: „Verzeiht, großer König, daß ich Euch heute bemühe um eine Sache, die Euch eine Kleinigkeit bedünken mag. Ich bin ein junger Waidmann, wie Ihr an meiner Tracht wohl ersehen möget. Nun hörte ich in der Ferne von der That, die Euer künftiger Eidam verrichtet haben soll, und bin hier, Euch zu bitten, ihn dahin zu vermögen, daß er mir vor Euch und Euern Räthen auf einige Fragen freundlich Bescheid geben möge, in Betreff des greulichen Thieres, das er vor Jahr und Tag erleget. Schlaget mir meine Bitte nicht ab, und wundert Euch nicht, bevor Ihr mich ganz gehöret habt.“

Dem Könige gefiel aber der edle Anstand des jungen Waidmanns, und willfahrte ihm und ließ den Kohlenbrenner, seinen künftigen Eidam, zu sich entbieten. Und derselbige trat murrend herein. Aber der König gebot ihm, um seinetwillen möge er dem Fremdling Bescheid geben auf seine Fragen.

Da neigte sich Brunnenhold gegen ihn, und sprach: „Verzeihet meiner Wißbegier. Ich bin ein junger Waidmann, und möchte gern Kenntniß haben von allem Thierreich, was da kreucht und fleugt auf und über dem Erdboden. Darum seid so gut, und sagt mir doch, wie der Drache [58] gestaltet war, den Ihr erlegtet, und gebt mir Kunde von seiner Natur und seinem Wesen.“

Da schaute der Kohlenbrenner unwillig verlegen vor sich nieder, und ihm ahnte gleich nicht viel Gutes. Denn er hatte den Drachen gar nicht gesehen, sondern nur noch einzelne Stücke von seinem Leichnam gefunden. Der König redete ihm aber gutmeinend zu, und begehrte auch für sich eine Beschreibung des Drachen von seiner Gestalt und Natur. Und der Kohlenbrenner machte nun eine kurze Beschreibung davon, wie sie jeder zu machen vermag, der auch nie einen Drachen gesehen. Er konnte aber dabei seine Verlegenheit und seine Erröthung kaum bergen.

„Nun erlaubt mir die zweite Frage,“ sprach Brunnenhold, „und sagt mir, wo Ihr das Gebein des Drachen begraben habt? Der König, in dessen Lande ich diene, wünscht so sehr eine Rippe des Drachen zu besitzen. Vielleicht würde mir vergönnet, eine der Rippen wieder auszugraben, und sie meinem König zu bringen.“

Darauf konnte der Köhler abermal nicht schnelle Antwort geben. Endlich sprach er ganz stotternd, er habe den Leichnam des Drachen am Drachensteine liegen lassen, und wüßte nun nicht wo er weiter hingekommen wäre.

Hierauf wandte sich Brunnenhold zum drittenmal an ihn, und sprach: „Erlaubt mir nur noch eine Frage: haben [59] die Drachen auch Zähne.“ Da sagte der Kohlenbrenner ganz ungeduldig: „Ich weiß nicht, ob sie Zähne haben oder nicht. Ich habe den Drachen todt geschlagen, aber mich nicht viel um seine Natur und Wesen bekümmert. Dergleichen Kleinigkeiten überlaß ich Euresgleichen, die fertiger mit dem Maule sind, als ich, und über die Dinge plappern mögen, die andere thun. Ihr fragt mich ja, wie man die Schulkinder nach ihrer Lection fragt. Geht in die Schatzkammer, und seht die Köpfe selbst. Dort stehn sie mit oder ohne Zähne, wie ich sie hergebracht habe.“

Brunnenhold lachte aber, und sprach ganz ruhig: „Ihr müßt nicht ungeduldig werden, daß ich Euch so nach Allem frage!“ und wandte sich nun zu dem König und seinen Räthen und sprach: „Dürfte ich nun auch eine Frage an Euch wagen?“ Und der König antwortete ihm: „Du bist ein sonderbarer Mensch; aber du gefällst mir, frage nur!“

Da sprach Brunnenhold: „So Einer eine Nuß fände, würde er die Schale behalten, und den Kern wegwerfen? oder würde er den Kern behalten und die Schale wegwerfen?“ „Ei,“ sprach der König lachend, „er wird doch kein Thor sein, und den Kern wegwerfen, den er erst noch mit Mühe herausklauben müßte. Lieber behielt er die ganze [60] Nuß. So ihm aber diese zu schwer oder zu groß wäre, würde er doch lieber den Kern behalten, als die Schale!“

„So aber einer,“ sprach Brunnenhold ferner, „den Kern der Nuß besäße, und ein Andrer die Schale, welcher müßte die ganze Nuß wohl eher besessen haben? Der mit dem Kern, oder der mit der Schale?“

„Ei, der den Kern hat, doch gewiß, oder es müßte denn Einer grade ein Thor gewesen sein, daß er den Kern weggeworfen,“ sagte da der König mit lachendem Munde.

„So mein’ ich’s auch, mein großer und weiser König!“ sprach Brunnenhold. „Nun erweiset mir noch eine Gnade, und wollet mir die Drachenköpfe hierher bringen lassen.“ Und der König ließ sie herbei bringen. Aber Brunnenhold setzte zur Verwundrung Aller, die gegenwärtig waren, und zum Schrecken des Kohlenbrenners, jedem der Drachenköpfe die Zähne ein, die er ihnen ausgenommen, und mit sich gebracht hatte. Und als sie alle eingesetzt waren, und einpaßten, wie eingegossen, fragte er: „Wer hat die Köpfe wohl eher gehabt? ich oder der Betrüger dort, den Ihr zu Euerm Eidam machen wollet? – Sehet, die Köpfe sind die Schalen, die mir zu schwer waren und zu groß, mit mir zu tragen, und die Zähne sind die Kerne.“

Darauf wandte er sich zu dem Kohlenbrenner, und sagte: „Gestehe nun selbst, was du gethan!“ Und der König [61] wandte sich zu ihm, und sprach: „Gestehe, denn du bist des Betruges überwiesen. Nur so du aufrichtig gestehest, kann dir dein Leben geschenkt werden, das du durch deinen Betrug verwirkt hast.“

Da warf sich der Kohlenbrenner vor dem Könige nieder, und bat ihn im Staube, daß er ihn so hart nicht strafen möge in seinem Zorn, und gestand Alles, wie er die fromme Königstochter Helgrita zu einem Eide gezwungen habe, daß sie ihn für ihren Retter erkenne, wie er die Köpfe des Drachen oben auf dem Drachensteine gefunden.

Aber der König ergrimmte über ihn, und ließ ihn werfen in ein Gefängniß, und befahl, daß er darin bleiben solle die ganze Zeit seines Lebens. Und Brunnenhold schloß er fröhlich in seine Arme, und ließ zu sich rufen seine Tochter Helgrita, und verordnete, daß heute sein sollte der Tag ihrer Vermählung. Da wurde Brunnenhold gesetzt auf einen Thron von Sammt mit Gold durchwirkt, und Helgrita neben ihm, und wurden getragen von acht weißen Rossen mit schwarzen Hufen durch die ganze Stadt. Und vor ihnen her ritten zwölf Herolde in scharlachrothen Kleidern mit goldener Stickerei und hohen Schwungfedern auf ihren sammtenen Baretten, und riefen aus, daß Brunnenhold des Königs Eidam heute würde, und daß allem Volk ein Fest gegeben werde, das sich zusammen fände in dem Hofe [62] des Schlosses, darum, weil der König entdeckt habe, daß Brunnenhold Helgrita’s Retter sei, und nicht der Kohlenbrenner. Hinter ihnen ließ sich der alte König tragen in einer Sänfte von Ebenholz und Elfenbein mit Gold verziert, und grüßte alles Volk freundlich, und war milder, als er je gepflegt, und warf der goldenen und silbernen Schaumünzen ganze Hände voll unter das Volk aus.

Als sie aber im Schlosse wieder angelangt waren, da war auch schon der Tempel geschmückt mit Blumen und Kränzen, und warteten hundert Mädchen, in Weiß gekleidet, und hundert Knaben, in Rosenfarbe gekleidet, die empfingen die Braut und den Bräutigam, und führten sie in den Tempel zu dem Altare, wo der Priester den Trausegen über sie sprach. Und die Mädchen streueten ihnen im Zuge Rosen auf den Weg, und die Knaben streueten Myrthenzweige darunter. Als aber der Trausegen gesprochen war, ging der Zug wieder zurück in den prachtvollen Speisesaal, dessen lasurblaue Decke getragen ward, abwechselnd, von vierundzwanzig weißen und vierundzwanzig schwarzen Marmorsäulen mit goldenem Laubwerk umrankt. Und alle Thore des Schlosses und des Saales waren geöffnet, daß man hinaus sähe auf den Platz des Schlosses, und sehe, wie das Volk sich vergnügte, dem Wein und Speise gereicht wurde in Ueberfluß. Aber durch das hinterste Thor, das in [63] den schattigen Garten des Schlosses führte, klang eine liebliche Hörnermusik herein, und vermehrte die Freuden des Mahles. Und sie saßen und schmauseten bis spät in die Nacht, und der Becher der Freude machte oft die Runde an der festlich erleuchteten Tafel. Und der alte König trank oft auf das Wohlsein des Brautpaars aus seinem goldenen Becher, denn ihm gefiel sein neuer Eidam über die Maßen, und rühmte sich oft als den glücklichsten Menschen unter dem weiten Himmel.

5.

Aber die Freude des alten Königs währte nicht lange. Denn Brunnenhold half ihm zwar in seinen Regierungsgeschäften, wo er konnte, und zeigte sich so mild gegen die Unterthanen, daß alles Volk ihn lieb gewann. Aber als ein guter Waidmann trieb er auch gern bisweilen das Waidwerk, und jagte mit seinen treuen Thieren in den herrlichen Forsten des Reiches, und kehrte oft erst des andern Tages zurück zu seiner Gemahlin. So geschah es auch eines Tages, daß er Abschied nahm von ihr, und versprach, noch desselbigen Tages wieder zu kommen. Er jagte aber lange, und schickte seine Thiere aus nach allen Richtungen. Aber [64] wie oft er sie auch von sich schickte rechts und links, und dahin und dorthin, so kehrten sie doch diesmal immer wieder, und brachten nichts mit sich. Endlich geschahs, als er schon heimkehren wollte, und sich umschaute, wohin er seinen Weg nehmen müsse, daß er durchs Gebüsch eine Hirschkuh erblickte, die war weiß, wie der Schnee. Da verlangte ihn, diese Seltenheit zu erlegen, und schickte seinen Löwen nach ihr, und ging selbst nach ihr. Aber der Löwe konnte sie nicht erreichen, und er selbst mühete sich vergebens. Wenn er sie auch erreicht zu haben meinte, so war sie wieder auf einmal ferne von ihm, daß er sie kaum noch erblickte. Und wenn er sie oft ganz aus den Augen verloren hatte, und sich eben zur Heimkehr anschickte, so erschien sie ihm wieder ganz in der Nähe. Und so verlockte sie ihn weit ab, weit ab, bis er gar nicht mehr die Gegend kannte, da er war, und bis die Sonne sank und ihm hinter fernen unbekannten Bergen unterging.

Da sah er sie auf einmal mitten im Walde auf einem weiten Platze, drauf viele frische Kräuter wuchsen, und den ein klarer Quell durchfloß. Und er sah um sich, und bemerkte, daß es schon spät sei, denn der Mond stand schon hoch am Himmel, und er beschloß die Nacht auf dem schönen Platze hin zu bringen. Darum machte er sich ein Feuer an, und steckte zu beiden Seiten einen Ast in den Rasen, [65] der sich oben in zwei Aestlein theilte, und legte oben drüber einen Stock, als einen Bratspieß. Dann schickte er seinen Löwen aus, und der Löwe brachte ihm alsbald einen Hasen zurück, den er abstreifte und an seinen Bratspieß steckte. Dann setzte er sich zu ihm, und schürte das Feuer, und drehte den Braten, und pfiff ein Jagdliedlein nach Waidmanns Gebrauch auf einem Blatte; und um ihn lagen seine Thiere, sein Löwe, sein Bär und sein Wolf, und ruheten und schmeichelten bisweilen ihrem Herrn.

Aber er saß nicht lange, und sein Hase war noch nicht gebraten, und sein Liedlein war noch nicht ausgepfiffen, – da kam ein altes, eisgraues Mütterlein aus dem Walde, das ging ganz vorwärtsgebückt, und stützte sich auf einen Dornstock, und hauchte in die dürren Hände, und sagte immer laut für sich mit zitternder Stimme: Schuck, schuck, wie friert michs! „Schuck, schuck, wie friert michs!“

Sie ging aber nicht näher hinzu an das Feuer, sondern ging in weiten Kreisen um Brunnenhold und seine Thiere, die um das Feuer herlagen, und sagte mit immer lauterer Stimme: „Schuck, schuck, wie friert michs! Schuck, schuck, wie friert michs!“ Da fing Brunnenhold an zu lachen, und rief ihr zu: „Ei, närrisches Mütterlein! warum gehst du nicht her an’s Feuer, wenn dich friert? Da kannst du dich ja wärmen.“

[66] Aber das alte Mütterlein mit dem krummen Rücken und den dürren Händen wollte nicht hingehn zum Feuer, sondern sprach: „Nein, junger Herr, ich will lieber erfrieren in der kalten Nacht, als mich zwischen Euch und Eure Thiere setzen.“

Brunnenhold zeigte ihr aber, daß seine Thiere zahm wären, und sprach: „Setz dich nur her, sie thun dir nichts.“

„Ja,“ sagte das Mütterlein, „ich wollt’ es wohl wagen, aber zuvor müßt Ihr mir erlauben, daß ich Eure Thiere mit Einem Rüthlein schlage, sonst möcht’ mich eins von ihnen beißen.“

Da ward Brunnenhold ungeduldig, und sagte: „Was! meine Thiere brauchen nicht geschlagen zu werden! sie thun dir nichts, setz’ dich nur her.“

„Ach ja, Herr!“ sprach das Mütterlein. „Laßt mich nur einen Streich jedwedem geben. Ich kann mich sonst nicht setzen; ich fürchte mich zu Tode. Laßt mich nur jedes mit der Ruthe sanft berühren.“ Und indem sie das sprach, trat sie näher hinzu, und zog ein dünnes Rüthlein aus ihrem weiten Mantel, und sprach zu Brunnenhold: „Seht, das kann ja nicht weh thun. Ich will Eure Thiere auch nur damit berühren. Erbarmet Euch doch mein! Ich kann mich sonst nicht setzen, und erfriere dann in dieser kalten Nacht. Schuck, schuck, schuck, schuck! wie friert mich’s!“

[67] Da erbarmte sich Brunnenhold ihrer, und dachte, er müsse ihrer Schwachheit nachsehen, weil sie sonst erfrieren möchte. Denn ihm dünkte selbst die Nacht sehr kühl, und sprach zu ihr: „Nun thöricht altes Weib! so rühr’ sie an mit deiner Ruthe. Doch hüte dich, das sag’ ich dir, – du darfst sie nur anrühren. Thust du einem weh, so jag’ ich dich davon, und wenn du auch erfrieren mußt.“

„Ach nein!“ antwortete die Alte ganz erfreut: „Du sollst es sehen, ich rühre sie nur an.“ Und als sie das gesagt, ging sie um Brunnenhold und seine Thiere herum, und berührte die Thiere mit ihrem Rüthlein, und murmelte etliche Worte dabei. Aber als sie so jedes berührt hatte, berührte sie auch Brunnenhold. Da sank er mit seinen Thieren zusammen, und wurden alle, jedes ein glatter viereckichter Stein.

Da aber Brunnenhold am andern Abend nicht nach Hause kam, ward seine Gemahlin Helgrita sehr traurig. Und da er am dritten und vierten Abend noch nicht kam, so sandte sie Boten aus nach allen Forsten, in alle Gehege des Reiches, ihn zu suchen. Als aber die Boten nach zwei Tagen wieder kamen, und ihn nicht funden hatten, da sandte sie abermals Boten aus, im ganzen Lande umher. Aber sie kamen nach drei Monaten wieder, und hatten ihn alle nicht funden.

[68] Da beweinte sie ihren theuern Gemahl für todt, und legte Trauerkleider an, und trauerte um ihn in ihrem Herzen, und vergoß viele Thränen um ihn, und gab alle Hoffnung auf, ihn je wieder zu sehn. Denn sie glaubte seine Thiere möchten ihn selbst zerrissen haben oder er möchte in einem einsamen dichten Walde vom Felsen gestürzt sein, und hülflos seinen Geist aufgegeben haben.

Aber sie ließ fort und fort noch nach ihm suchen; denn sie hoffte, doch seine Gebeine noch zu finden, um ihnen ein ehrlich Begräbniß geben zu können.

Und der alte König trauerte mit ihr um seinen Eidam, als um einen gestorbenen Sohn.

6.

Brunnenstark war aber die Straße rechts gezogen, als er von seinem Bruder Brunnenhold sich schied am Kreuzwege. Und er war weit umhergezogen im Lande; und zog weiter, und weiter durch fremde Länder, und ward allem Volk wohlthätig, durch das er zog. Denn wo er hinkam, reinigte er das Land von Drachen und Lindwürmern, an die sich zuvor niemand getraut, daß der Hirte hinfort ruhig sein Vieh zur Weide führte, und der Landmann sorglos sein [69] Land bestellte. Aber nirgendwo hatte er Dank angenommen von den Königen und Fürsten, deren Reichen er wohlthätig war, und wiewohl ihm mancher König seine Tochter zur Gemahlin und sein Land zum Erbe geben wollte, so hatte er’s doch nicht angenommen. Denn er sprach: „Ich werde Brunnenstark genannt, darum, daß ich stärker bin, als die übrigen Männer alle. So muß ich denn auch überall helfen allem Volke, wo die andern Menschen nicht zu helfen vermögen.“

Und so zog er umher fünf Jahre. Da lebten alle Völker fern und nah in guter Ruhe; denn alle Ungeheuer hatte er schon vertilgt allenthalben. Da dacht’ er eines Tages bei sich selbst mit Verdruß daran, daß er nun nirgend mehr Arbeit fände, wohin er komme, und beschloß, jetzt doch einmal nachzusehen an jenem Scheidewege, da er von Brunnenhold gegangen war, ob die Messerlein noch in dem Stamme der Eiche steckten, und ob sein Bruder noch am Leben sei, und ob es ihm wohlgehe.

Und des andern Tages machte er sich auf von dannen, weit zurück, von wannen er gekommen war; und kam wieder an den Scheideweg, da er sich geschieden hatte von seinem Bruder. Als er aber von ferne kam, sah er schon hoch wehen den Wipfel der alten Eiche.

[70] Doch es überlief ihn kalt, als er sie betrachtete. Denn das Laub der einen Seite des Baumes war nicht mehr frischgrün, wie ehemals, sondern schien gelblich, als wollt’ es ersterben. Und als er nun mit bangem Herzen hintrat, und seines Bruders Messerlein auszog aus dem Stamme, da traten ihm Thränen in die Augen, und kalt fiel’s ihm auf’s Herz, und warm lief’s ihm wieder vom Herzen, denn das Messer war rostig über und über.

Da setzte er sich nieder in den Schatten der alten Eiche, und ihm war’s trübe in seiner Seele, und war ihm leid, daß er nicht singen konnte, sonst hätt’ er ein Lied gesungen, ein traurig Lied von dem Tode seines Bruders. Und er blieb da sitzen, bis es Abend ward und die Sonne unterging. Da seufzte er tief auf, und es fiel ihm eine Thräne aus jedem Auge, denn er gedachte bei sich: „So sanft und heiter, wie die Sonne, des Himmels Auge, eben so sanft und heiter waren auch die Augen meines geschiedenen Bruders, und sind jetzt geschlossen in Todesnacht.“

Und er blieb sitzen bis es Nacht war, und alles Leben entschlafen war, und starrte hinaus in die Dunkelheit des Nachthimmels, und dachte bei sich: „So still, wie die Nacht, ist’s jetzt um Brunnenhold, und ist ewig still um ihn; und er hört nie mehr das muntre Leben sich um ihn regen.“

[71] Und er blieb sitzen bis am Morgen, bis die Sonne wieder herauf kam über die Berge. Da dachte er bei sich: „Der Himmel schließt sein fröhliches Auge wieder auf, aber Brunnenhold schlägt seine Augen nicht mehr auf am Morgen.“

Als aber seine Thiere erwacht waren, die er bei sich hatte, stellten sie sich auf und recketen sich aus. Und Brunnenstark stand auf mit ihnen unter der Eiche. Da kamen seine Thiere und schmiegten sich an ihn, mehr als sie sonst pflegten, und lenkten nach und nach in die Straße rechts von dem Scheideweg, und er folgete ihnen nach, denn er dachte nicht daran, was er that. Aber fortan zog er die Straße immer weiter und weiter, und immer weiter durch Feld und Flur, über Berg und Thal, und trieb das Jagdwesen heute hier, morgen dort. So kam er eines Tages in einen schönen Forst, und gewahrte durchs Gebüsch eine weiße Hirschin. Und er zog ihr nach mit seinen Thieren hierhin und dahin, und konnte sie nicht erlegen. Und verfolgte sie bis spät an dem Abend, bis die Sonne unterging, und die Sterne am Himmel hervortraten. Da gewahrte er sie zuletzt, daß sie zwischen zwei hohen Stämmen sich verlor. Und folgte ihr nach hinter die Stämme, und meinte sie da zu erlegen. Doch als er hineintrat zwischen die Stämme, – siehe! da lag vor ihm ein schöner grasiger Platz, rings vom Walde [72] umgeben. Aber die weiße Hirschin war schon verschwunden, ob er ihr gleich auf den Fersen gefolgt war. Da gab er’s denn auch auf, sie zu erlegen, und beschloß, die Nacht hier zu bleiben unter freiem Himmel.

Darum sandte er jetzt seine Thiere aus, daß sie sich Futter suchten, und ihm auch etwas zum Abendmahl mitbrächten. Und als er jetzt hintrat, sich einen Ort auszusuchen, wo er ein Feuer anzünden könnte, sah er da liegen vier schöne, glatte, viereckichte Steine, und darzwischen sah er noch aufgestellt einen Waidmanns-Bratspieß, wie ihn der alte Waidmannn, sein Pflegvater und Lehrherr zu machen gepflegt, und daran hing noch ein ganzes Gerippe von einem Hasen, das war abgewaschen vom Regen und weiß gebleicht von dem Sonnenschein. Und er dachte daran, daß hier auch wohl ein Waidmann müßte gehauset haben. Aber der Ort gefiel ihm über die Maßen, und setzte sich auf einen der vier Steine, und zündete sich ein Feuer an. Und als seine Thiere wieder kamen, legte ihm der Löwe einen Hasen vor die Füße, dem streifte er den Balg ab, und machte ihn zurecht und steckte ihn an den Spieß, von dem er zuvor das weißgebleichte Gerippe abgeworfen.

So saß er denn, und harrete bis sein Hase gebraten wäre, und drehte den Bratspieß, und die Flammen leckten hinauf, [73] und flackerten fröhlich, und rings saßen die Thiere, und die nächsten schmeichelten bisweilen ihrem Herrn.

Er saß aber nicht sehr lang, da kam ein altes Mütterlein aus dem Walde, das ging ganz krummgebückt an seinem Stabe, und hauchte in die dürren Hände, und sagte immer: „Schuck, schuck wie friert mich’s! Schuck, schuck, wie friert mich’s.“ Als sie aber näher kam, und Brunnenstark hörte, daß sie sagte: „Schuck, schuck, wie friert mich’s!“ da rief er ihr zu: „Ei, bist du denn blind, daß du nicht siehst, daß hier ein helles Feuer brennt? Wenn dich friert, so komm her, und setz’ dich ans Feuer, und wärme dich!“

Aber das alte Mütterlein sagte: „Ach nein, das thue ich nicht, denn ich fürchte mich vor Euerm Gethier, das Ihr um Euch liegen habt.“

„Ach, setz dich nur!“ sagte Brunnenstark, „die Thiere thun dir nichts, sie sind zahm.“

Da fing die Alte wieder an: „Schuck, schuck, wie friert mich’s!“ und zog ihr Rüthlein hervor, und trat etwas näher hinzu, und sprach: „Ach, edler junger Herr, erlaubt mir doch, daß ich jedem Eurer Thiere einen Streich gebe mit meinem Rüthlein, daß ich mich nicht ferner vor ihnen fürchten muß, und mich zu Euch setze zum Feuer, um mich zu wärmen.“ Aber Brunnenstark ward unwillig, [74] und sprach: „Wenn du willst, so magst du gehen. Schlagen laß ich meine Thiere nicht.“

Da sprach das gebückte Mütterlein: „Ich will sie nur berühren, ich thue keinem weh.“ Und eben wollte sie den Löwen mit dem Rüthlein schon berühren, da sprang Brunnenstark von seinem Sitze auf, und sprach: „Bleib’ mir vom Leibe und meinen Thieren auch mit deiner Ruthe. Mir wird ganz unheimlich zu Muthe, seit du nahe bist. Was haben dir die Thiere denn gethan?“

Da sagte sie wieder mit zitternder Stimme: „Schuck, schuck, schuck, schuck, wie friert mich’s!“ und das Kinn wackelte ihr dabei. „Ach Herr, erbarmt Euch mein, ich erfriere ja.“

Brunnenstark aber ward böse, und trat zu ihr und sprach: „Ja, ich will mich dein erbarmen; du sollst nicht mehr lange frieren!“ Und er packte sie bei diesen Worten, und setzte sie auf einen der Steine, und nahm die Ketten seiner Thiere, und umschlang sie mit denselben, und band sie so an dem Steine fest, und sagte: „Jetzt bist du am Feuer, jetzt wärme dich. Aber rede mir kein Wort mehr von meinen Thieren, sonst setzt es künftig Schläge.“

Da schwieg sie still, und wärmte ihre Hände an den aufflackernden Flammen, und murmelte für sich ein Paar Worte über ihr Rüthlein. Dann bot sie es Brunnenstark [75] dar, und sprach: „Ich dank’ Euch, Herr, daß Ihr die Barmherzigkeit mit mir gehabt habt, und mich wärmen lasset. Ich möcht’ Euch auch gar gern einen Gefallen dagegen thun. Da nehmt das Rüthlein, und berührt jeden der vier Steine damit, und Ihr werdet mir’s danken, daß ich zu Euch gekommen bin.“

Aber Brunnenstark wollte das Rüthlein nicht annehmen, sondern sprach: „Du bist eine alte Thörin mit deiner Ruthe.“ Sie ließ aber nicht ab zu bitten, bis er die Ruthe nahm, und jeden der Steine damit berührte.

Als er aber der Alten die Ruthe wieder gegeben hatte, fühlte er’s unter sich regen. Er sprang auf, und siehe, der Stein, darauf er gesessen, dehnte sich, und gestaltete sich, und es ward ein Löwe daraus, gleich dem seinigen. Und jetzt dehnte sich der andere Stein, und es ward ein Bär daraus, welcher dem seinigen gleich. Und jetzt dehnte sich der dritte Stein, und es ward ein Wolf daraus, gleich seinem Wolfe. Und jetzt dehnte sich noch der vierte Stein, darauf die Alte saß. Da machte Brunnenstark sie schnell los und wand ihr die Ketten ab vom Leibe, womit er sie umschlungen. Und sie stand auf. Siehe! da gestaltete sich dieser vierte Stein nach und nach zur menschlichen Gestalt, und es ward ein Mensch, der sich aufrichtete und die Augen ausrieb, als stünd’ er vom Schlafe auf. Und da Brunnenstark ihn ansah, erkannte [76] er ihn, und fiel ihm in die Arme, um den Hals, und bewillkommte ihn, und rief: „Brunnenhold, lieber Bruder, wie kommst du hierher?“ Aber Brunnenhold sagte: „Brunnenstark, lieber Bruder, wie kommst du hierher, und triffst mich schlafend? Ich bin eben ein wenig eingeschlummert. Sieh da bratet mein Hase noch, der muß jetzt fertig sein, den sollst du nun mit mir essen. Dann gehn wir sogleich mit Sonnenaufgang in mein Schloß zurück.“ Und er erzählte ihm Alles, wie er eines Königs Eidam worden sei, und eine schöne tugendsame Gemahlin besitze, die Helgrita genannt sei.

Darob erstaunte Brunnenstark, und erzählte ihm, wie er nicht geschlafen habe, sondern ein Stein gewesen sei, sammt seinen Thieren. Aber Brunnenhold wollte es nicht glauben, und sprach: „Siehe, da steht die Alte ja noch, die sich bei meinem Feuer wärmen wollte, und das Feuer brennt ja noch, und mein Hase ist noch nicht einmal gar gebraten.“

Da fiel aber die Alte nieder vor ihnen auf ihre Kniee, und gestand, wie sie Brunnenhold und seine Thiere verzaubert habe in Stein, und wie sie es habe thun müssen, weil er sich zu sanft gegen sie gezeigt, und sie nicht strenge von sich gewiesen habe. Und dann wandte sie sich an Brunnenstark, und bat ihn, er möge ihr jetzt doch einen Gefallen thun,

[76a]

Brunnenholdt und Brunnenstark
II.

[77] der werde ihn nicht reuen. Brunnenstark aber sagte: „Wenn’s etwas ist, so in meinen Kräften steht, so verspreche ich dir zu thun, was du verlangen magst.“

Aber die Alte streichelte ihm mit ihren dürren Händen die Wangen, und sagte: „Komm, Lieber, zieh Dein Waidmesser, und schlag mir damit den Kopf ab, und laß ihn im Feuer ganz zu Asche verglimmen. Dann nimm von der warmen Asche, und stell Dich gegen Morgen mit Deinem Antlitz, und wirf dreimal eine Hand voll über Dein Haupt weg gegen Abend, und Du wirst Dein Wunder sehen, was für ein gut Werk Du Dir und mir gestiftet hast.“

Aber Brunnenstark wandte sich von ihr, und sprach: „Gehe hin, ich kann nicht thun, was du begehret; denn es ist Unrecht, Menschenblut zu vergießen.“ Sie ließ aber nicht ab, zu bitten, und sagte, er thue nicht Sünde, wenn er ihr das Haupt abschlage, denn sie sterbe doch nicht, wenn er gleich ihr Blut vergieße; und drang so lange in ihn, bis er ihr versprach zu thun nach ihrem Begehren.

Und er ließ sie niederknieen, und schlug ihr das Haupt ab, und warf es in das Feuer. Aber ihr Leib versank alsbald unter die Erde und wuchs grüner Rasen drüber hin, wie zuvor. Brunnenstark setzte sich aber jetzt mit Brunnenhold nieder, und verzehrte mit ihm seinen Hasen, und redeten mit einander von ihren Thaten und Schicksalen, und [78] sprachen mitunter auch von ihrer Mutter, wie sie seitdem gar nichts mehr vor ihr vernommen, seit sie bei dem alten Waidmann, ihrem Lehrherrn, gewesen.

Als aber jetzt das Feuer erloschen, und das Haupt der Alten ganz zu Asche verglommen war, stellte sich Brunnenhold mit dem Antlitz gegen Morgen, und fassete eine Hand voll Asche, und warf dieselbe über sein Haupt weg gegen Abend. Darauf fassete er noch eine Hand voll, und that mit ihr, wie mit der ersten. Und so auch mit der dritten Hand voll Asche.

Doch er hatte kaum die dritte Hand voll geworfen, so that es drei gewaltige Donnerschläge, und der Boden erbebte, als hätte sich die Erde hinter ihm gespalten. Und als er und Brunnenhold umschauten, siehe! so war der Wald gegen Abend hin verschwunden, und es stand dort ein prachtvolles Schloß, daran alle Fenster von den Lichtern innen erleuchtet waren. Und als sie umher sahen, standen sie im Garten des prächtigen Schlosses, und sahen zunächst am Schlosse, als sie näher hinzutraten, einen schönen spiegelglatten See, darauf zahme Schwäne hin und her schwammen. Aber aus den mittelsten Fenstern des Schlosses tönte ein festlicher Reigen herunter.

Da beschlossen Brunnenstark und Brunnenhold hinauf zu gehn, und Theil zu nehmen an dem Feste bis an den Morgen. [79] Als sie aber in die Gänge eintraten, erstaunten sie über die Pracht, die ihnen allenthalben entgegen leuchtete. Und als sie die Marmorstufen hinaufstiegen, kam ihnen eine königlich geschmückte Jungfrau entgegen, und hinter ihr viele reichgekleidete Frauen und Herren. Aber die Jungfrau warf sich vor Allen in Brunnenstarks Arme, und sagte: „Sehet, der ist mein Retter, der mich von der Verzauberung erlöset, in der ich schon tausend Jahre gebannt lag. Darum ist es billig, daß ich ihm alles zu eigen gebe, was ich besitze. Er soll mein Gemahl werden, und fortan bei mir wohnen, und mein Land beherrschen, als sein Eigenthum.“ Darauf wandte sie sich zu Brunnenstark, und sprach: „Dafern Ihr anders wollt, so kommt, und laßt uns alsogleich den Brauttanz halten.“

Da eilte Brunnenstark mit ihr alsobald in den festlich erleuchteten Tanzsaal, und tanzeten voraus, und ihnen nach tanzeten hundert Paare Frauen und Ritter, und hatten alle Raum, so groß war der prächtige Tanzsaal.

Indessen liefen aber die Diener, und bestellten die köstliche Tafel im Nebensaale, und riefen sich’s durch die Gänge nach, Einer dem Andern, und fragten sich: „Weißt du, was es gibt? der Prinzessin Bräutigam ist kommen, und halten eben den Brauttanz zusammen im Saale.“

Als aber der Tanz jetzt geendet war, traten alle in den [80] Speisesaal, und hielten daselbst ein prächtiges Mahl. Aber Brunnenstark und Albruna, die Prinzessin saßen oben an, an der Tafel auf Purpurkissen mit Gold durchwirkt, und neben ihnen saß Brunnenhold. Da fragte die Prinzessin Braut mit Holdseligkeit ihren Bräutigam: „Als ich an meinem Stabe zu Euch trat, und Euch mit den dürren Fingern die Backen streichelte, da hättet Ihr wohl nicht mit mir getanzt im Walde? Seht, daß Ihr mir und Euch ein gut Werk gestiftet habt, daß Ihr mir den alten Wackelkopf abschluget mit Euerm Waidmesser. Denn ich war jenes alte Mütterlein. Gelt, mein neuer Kopf gefällt Euch doch besser, als der alte Euch gefiel.“

So scherzte sie viel, und Brunnenstark und Brunnenhold scherzeten mit ihr über ihr hohes Alter von tausend Jahren und ihre jugendliche Gestalt, als die einer sechzehnjährigen Jungfrau, und waren sehr vergnügt zusammen. Da trat auf einmal ein Diener herein, und erzählte, wie eben durch die Luft ein Drachenschiff gekommen, und sich im Garten des Schlosses niedergelassen habe. Da eilten Brunnenstark und Brunnenhold an’s Fenster, und erkannten das Drachenschiff, und sahen zwei Frauen aus demselben aussteigen. Da eilten sie alsbald die Stufen hinab, und führten die Frauen herauf mit Freudengeschrei. Denn es war ihre Mutter Armina, die gekommen war mit ihrer Amme.

Und jetzt war Freude und Jubel an allen Enden.

[81] Des Morgens darauf machte sich aber Brunnenhold sogleich auf mit seinen Thieren, und setzte sich in das Drachenschiff seiner Mutter, und wünschte sich von dannen, seine betrübte Gemahlin zu trösten. Da ließ sich das Schiff nieder in dem Garten seines Schlosses. Und als er in den Schloßhof trat, saß Helgrita, seine Gemahlin, eben im Erker ihres Gemaches und weinte wieder um ihren verlorenen Gemahl. Als sie ihn aber ersah, und an seinen Thieren zuerst erkannte, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Aber er eilte hinauf zu ihr, und bewillkommte sie, und ihre Trauerthränen wurden zu Freudenthränen.

Und das Volk drängte sich nach in den Schloßhof, und verlangte ihn zu sehen. Denn die Mähre von seiner Ankunft hatte sich schnell durch die Stadt verbreitet. Und als er hinaustrat auf die Stufen des Schlosses, scholl ihm ein tausendstimmiges Freudengeschrei entgegen. Und die Aeltesten kamen, und huldigten ihm. Denn der alte König, der Vater seiner Gemahlin war seitdem gestorben.

Darauf zog er mit seiner Gemahlin auf etliche Tage hinüber zu Brunnenstark, und stellte sie seiner Mutter Armina vor. Diese ließ aber auch vor sich treten Albruna, ihres Brunnenstarks Gemahlin, und legte beiden die Hände auf’s Haupt, und küssete beiden die Stirne, und gab ihnen ihren mütterlichen Segen.

[82] Dann wurden Feste gefeiert an beiden Hofhaltungen bei Brunnenstark und bei Brunnenhold, immer eins köstlicher und prachtvoller, als das andere. Und darauf zog jeder nach seinem Schlosse, und lebten beide glücklich und vergnügt, und beherrschten ihre Länder mit Milde, und machten ihre Unterthanen glücklich. Aber Armina, ihre Mutter lebte fortan bei ihnen, bald bei Brunnenhold, bald bei Brunnenstark.

Noch lange nach ihrem Leben wurden ihre Länder von milden weisen Königen regiert, die ihre Ur-ur-Enkel waren. Aber wenn man in späten Zeiten den jüngsten Enkel ihrer Unterthanen noch den Namen Brunnenhold oder Brunnenstark nannte, so glänzten ihre Augen froher, und jedes Kind wußte die wundervolle Mähre von ihrem Leben zu sagen.

Jetzt weiß man nicht mehr, wo die Länder lagen, darin sie ehemals geherrscht. Vielleicht sind sie im Meere versunken. Denn ein alter Steuermann sagte, ihm hätten die Meerweiblein in einer Nacht, da er am Steuerruder eines Meerschiffes gestanden, das Lied von Brunnenhold und Brunnenstark gesungen. Und derselbige Steuermann hat auch die Geschichte weit über’s Meer her zu uns gebracht.