Das Mari und das Sofi

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Textdaten
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Autor: Hans Arnold
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Titel: Das Mari und das Sofi
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 479–480
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Mari und das Sofi.

Skizze aus dem häuslichen Leben.
Von Hans Arnold.

In der Reihe der Küchenfeen, welche nach und nach Regen und Sonnenschein bei uns im Hause verursachten, sind mir besonders zwei lebhaft im Gedächtnis geblieben, da sie erstens, wie Eisele und Beisele, stets gemeinsam genannt wurden, und sodann, weil ihre Lebensschicksale in tragikomischer Weise miteinander verflochten waren.

Die beiden Wesen hießen Marie und Sophie, wurden aber „das Mari und das Sofi“ genannt, da das Sofi einen westdeutschen Bräutigam besaß und man am Rhein abwärts bekanntlich alle Mädchen „das“ nennt, sogar „das Mari“, was aus psychologisch unerklärten Gründen ganz besonders verdreht klingt.

Das Sofi waltete schon längere Zeit allein in unserer Küche, ehe das Mari dazu kam, und erfreute sich, außer eines Sparkassenbuches, noch, wie eben erwähnt, eines Bräutigams. Dieser war von Natur Pferdeknecht, augenblicklich Füsilier, hieß Niklas und hatte einen kurzgeschornen rothaarigen Kopf.

Jeden Sonntagnachmittag um drei Uhr erschien dieser Romanheld in unserer Küche, den einen Sonntag um das Sofi zu einem sittsamen Spaziergang in irgend einen Kaffeegarten abzuholen und abends um acht wieder abzuliefern – den nächsten Sonntag, um einige Stunden bei seiner Auserwählten zu verleben und ihr taubstumm und freundlich am Küchentisch gegenüber zu sitzen, während sie so viel Strümpfe für ihn strickte, als ob er zum Geschlecht der Tausendfüßler gehört hätte.

Da das Sofi auch nicht redselig war, so konnte es geschehen, daß Niklas um drei Uhr die Worte sprach „Gu’ntag bisamme!“ – sich dann bis um sieben Uhr damit begnügte, von Zeit zu Zeit brüllend zu husten, um sich endlich mit dem Bonmot „Gu’n Obed bisamme“ wieder zu empfehlen.

Weil sich aber beide Verlobte bei diesen rauschenden Vergnügungen königlich zu amüsieren schienen, so konnte ja niemand etwas dagegen einwenden, und die „tollen Sonntage“ des Sofi, wie sie bei uns hießen, wurden Jahr und Tag in gleicher Weise fortgesetzt.

Allem Anschein nach war das bräutliche Verhältnis durchaus zufriedenstellend, und das Sofi wünschte sich bereits, ein Symptom solider Absichten und Aussichten, eine Tischdecke zu Weihnachten. Da machte eine Vergrößerung der Familie es zur Notwendigkeit, daß ein zweites Mädchen angenommen wurde, das drei Tage lang „die Mari“, sehr bald aber auch „das Mari“ hieß. Das Mari, ein zierliches flinkes Frauenzimmerchen, trug nicht wenig zur Belebung des Küchentons bei, und auch die Sonntage gestalteten sich bald wesentlich anders. Das Mari sang mit dem Niklas zweistimmig, daß die Fensterscheiben klirrten, und die Heiterkeit war zeitweilig so groß, daß herrschaftliche Dämpfera us der Wohnstube notwendig erschienen – das taubstumme Idyll war zerstört!

Nach einiger Zeit fand es sich, daß Niklas an den freien Sonntagen des Mari immer verhindert war, zu erscheinen – das Soft saß weinend und strickend einsam am Küchentisch, und das Mari verweigerte jede Auskunft über die Art, wie es ihre Sonntage verlebte.

Der Niklas, den das Sofi zur Rede stellte, wollte auch nicht beichten, sondern fuhr seine Auserwählte in seinem Dialekt an: „Du hascht Jdeee!“ bot auch als liebenswürdiges Beschwichtigungsmittel für eifersüchtige Anwandlungen dem Sofi „Backpfeifen“ an, worauf der Friede äußerlich hergestellt schien.

Nach der festen Ueberzeugung des ganzen Hauses aber war der Niklas als vielseitiger Mann gleichzeitig mit dem Mari und dem Sofi verlobt und stand sich vorzüglich dabei! Denn jeder redete er ein, sie wäre gemeint, und jede fütterte ihn mit dem Besten, was unsere Speisekammer enthielt, wie das redliche Mägde von alters her gehalten haben und wohl auch halten werden, so lange es Füsiliere und Köchinnen giebt.

Daß dieser Zustand auf die Länge nicht haltbar war, wird jedem Menschenkenner ohne weiteres einleuchten. Das gute Einvernehmen zwischen dem Mari und dem Sofi verwandelte sich in ein unaufhörliches Gezänk, die häuslichen Pflichten litten, und eine der beiden Zofen stand immer abends vor der Hausthür und tobte auf den Niklas ein, der denn beschloß, der Sache ein Ende zu machen, und zwar zart und energisch zugleich. –

Es war ein gewitterschwüler Sonntag gewesen, draußen und im Hause. Das Abendessen sollte um sieben Uhr fertig sein und war um halb Neun noch nicht aufgetragen – der Hausherr grollte schon mit den Wolken um die Wette.

Endlich wurde ein Sendbote in die Küche geschickt, um der Ursache dieser ungewöhnlichen Verzögerung nachzuforschen; da lag das arme Sofi mit dem Kopf auf dem Tisch, ließ die Milch überkochen und den Thee ziehen wie ein Lasttier und schluchzte, daß es einen Stein hätte erbarmen können. Auf teilnehmendes Befragen wies es einen Brief des falschen Niklas, worin ihr dieser in nicht mißzuverstehenden Worten den Laufpaß gab und ihr dazu die niederträchtige Mitteilung machte: „Ich habe Dir bloß zum Narren gehabt!“ eine Wendung, die bewies, daß es ihm nicht nur an Herz, sondern auch an Grammatik fehlte.

Alle Tröstungen, selbst die praktische: „Sie kriegen ja noch einen andern!“ wollten nicht verfangen; endlich kamen wir auf den tiefsten Grund des Kummers.

Das Sofi, ein ordnungsliebendes und sparsames Mädchen, holte sein mit großer Genauigkeit geführtes Ausgabenbüchlein und zeigte der teilnehmenden Hausfrau unter geradezu herzbrechendem Schluchzen auf Heller und Pfennig, wie viel sie bei den sonntäglichen Ausflügen in die Kaffeegärten für den Ungetreuen bezahlt hatte. Nebenbei hatte ihr der Niklas noch vier Mark abgeborgt, war ihr also im wahrsten Sinne des Wortes „teuer“ geworden.

Etwas abgekühlt durch diesen wenig romantischen Herzenskummer überließen wir das Sofi der wohlthätigen Einsamkeit ihrer Küche, die aber nicht beschwichtigend wirkte, sondern der Hintergangenen Gelegenheit gab, sich bis zum Platzen voll Haß und Rache gegen das Mari zu saugen – ein unchristliches Gefühl, dem sie in der mehrfach vor sich hin gemurmelten Verheißung: „Komm’ Du nur nach Hause!“ einen vielversprechenden Ausdruck verlieh.

Nach dem so ungebührlich verspäteten Abendessen saß die Familie noch in weihevoller Gemütlichkeit um den Sofatisch, als ein fernes Getöse sich hören ließ und ein unverkennbarer fürchterlicher Zank in der Küche wie ein Unwetter vom leisen Grollen zu lautem Gezänk anschwoll und näher kam.

Die sich überschreienden Stimmen des Mari und des Sofi wurden gehört, während der Niklas, der all dies Herrliche vollendet, vor den zwanzig kratzbereiten Fingern seiner Bräute in wilder Flucht seine Rettung gesucht hatte; die beiden Heldinnen waren, allem Anschein nach, in eine regelrechte Katzbalgerei um das Herz des Treulosen geraten.

Im Verlauf dieses anmutigen Zeitvertreibes gelangten sie aus der Küche in den Hausflur und prallten schließlich unter betäubendem Lärm an die Thür des Wohnzimmers an.

Diese, so rauher Behandlung ungewohnt, gab nach und spie als doppelt geöffnetes Thor die zwei Tigern durchaus nicht unähnlichen Jungfrauen hervor, die, noch immer vierhändig ineinander verkrallt, als recht angenehme Zugabe in das Familienleben stürzten.

Erst die donnernde Erkundigung des Hausherrn, ob sie beide verrückt geworden wären, löste die furchtbare Spannung – die Kombattantinnen ließen sich los, zupften sich die Ponyhaare zurecht und kamen soweit zu Atem, daß sie auf die entsetzte Frage, was ihnen denn eingefallen wäre, die überraschende Erklärung abgaben: „Wir wollten uns doch einmal aussprechen“ – was in dieser Form gewiß nicht zur Nachahmung zu empfehlen ist.

Indessen schien es wirklich geholfen zu haben, denn die beiden bräutlichen Furien zogen sich nach beendeter Schlacht ganz einig in ihre Küche zurück und lasen sich, als Friedenszeichen, bis tief in die Nacht hinein heulend die beiderseitigen Liebesbriefe des Niklas vor, die übrigens nur in der Anrede: „Geliebtes Mari“ und „Geliebtes Sofi“ sich unterschieden, sonst ziemlich mit gleicher Wärme beiden unveränderliche Liebe und Treue schwuren.

Was der Niklas sich bei dieser doppelten Brautschaft gedacht hatte und ob er anfänglich die Absicht in sich beherbergte, später als Türke aufzutreten und sowohl das Sofi wie das Mari zu [480] heiraten, das ist nicht klar geworden. Jedenfalls aber wurde er von den beiden nun wieder versöhnten Rachegöttinnen gestellt und gezwungen, sich endgültig für eine von beiden behufs Heirat zu entscheiden. Ob der Jüngling wirklich nach der frivolen Behauptung des Hausherrn nach der alten Regel: „Kopf oder Schrift“ ein Zweimarkstück über seine Zukunft hatte entscheiden lassen, das bleibe ununtersucht – aber jedenfalls gewann ihn das Mari in diesem Glücksspiel, und der Niklas führte sie als ehrsame Frau Pferdeknecht heim. Daß eine Hochzeitseinladung an das Sofi zu dem festlichen Tage erging, an dem sie doch eigentlich hatte die Hauptperson darstellen sollen, fänden wir vom unparteiischen Standpunkt aus etwas roh und hielten es für selbstverständlich, daß das Sofi das Ansinnen tief empört zurückweisen werde, den ungetreuen Niklas zum Altar zu geleiten.

In der Brust des Sofi kämpften Selbstgefühl und Vergnügungssucht einen heftigen, aber kurzen Kampf – dann siegte die letztere. Das Sofi sagte ihr Kommen zu und kaufte nicht nur sich ein kuallblaues Gewand zu der Feier, sondern sogar eine Petroleumlampe als Hochzeitsgeschenk für das junge Paar. Die Hochzeit verlief, nach dem allgemeinen Urteil, überaus schön und glänzend; das Sofi, mit dem Hausschlüssel bewaffnet, kam erst um vier Uhr des Morgens sehr befriedigt wieder nach Hause und schien keine inneren Seelenkämpfe mehr durchlebt zu haben.

Ihre Großmut belohnte sich in hervorragender Weise, indem sie die Bekanntschaft eines wohlsituierten Ofensetzers machte, der sich als unmittelbarer Nachfolger des Niklas um ihr Herz bewarb und dasselbe auch davontrug, so daß das Sofi in der stolzen Lage war, binnen kurzem auch das Mari und den Niklas zu ihrer Hochzeit einzuladen.

Sie verabschiedete sich von uns mit den aus dem tiefsten Herzen kommenden Worten: „Ich wünsche der Herrschaft, daß sie wieder eine so gute Köchin bekommt, wie ich bin,“ was jedenfalls ein erfreuliches Zeugnis dafür ablegte, daß ihr Selbstgefühl durch die schnöde Hinterlist des ersten Bräutigams keinen tödlichen Stoß erlitten hatte.

Die Bekanntschaft des glücklichen Ofensetzers machten wir übrigens ebenfalls; wir verdanken ihm nebst einem neuen Ofen, den wir aus gemütlichen Rücksichten von ihm setzen ließen, auch noch einen denkwürdigen Ausspruch, den ich zum Schluß der Geschichte von dem Sofi und dem Mari der Öffentlichkeit nicht vorenthalten will.

Der Ofen also, den uns der Gatte des Sofi lieferte, erfreute sich einer besonderen Verzierung in Gestalt einer Sphinx, die aus einem glasierten Rundell sehr wohlwollend auf den Beschauer blickte. Abgesehen davon zeichnete sich aber leider das neue Besitztum dadurch aus, daß uns der Ofensetzer durch eine Rechnung von schwindelnder Höhe den Beweis lieferte, wie wenig bei ihm die freundschaftlichen Beziehungen unserer Familie zu seiner Gattin auf den Geldpunkt Einfluß gewonnen hätten.

Als der Hausherr den biederen Mann mit mildem Ernst darauf aufmerksam machte, daß der Ofen doch sehr teuer sei, erwiderte der junge Ehemann mit großer Ruhe, indem er auf die Sphinx deutete: „Ja, teuer ist er, aber dafür haben Sie auch den Pims!“ eine Bereicherung mythologischer Benennungen, die bei uns nun schon in der dritten Generation zum geflügelten Wort geworden ist, auch nachdem der Ofen und der „Pims“ längst das Zeitliche gesegnet haben.

Das Mari und das Sofi aber leben heute noch, wenn sie nicht inzwischen gestorben sind, was ja sogar in Märchen vorkommt – warum nicht in dieser wahren Geschichte!