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Das Schwingfest in Bern

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Textdaten
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Titel: Das Schwingfest in Bern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 12–14
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Schwingfest in Bern.




Die nationalen Feste des Schweizervolkes haben durch die naturwüchsige Frische ihres Charakters und das ungekünstelt Malerische ihrer gesammten Erscheinung für den Fremden einen so ungewöhnlichen Reiz, daß ich den Lesern der weit verbreiteten „Gartenlaube“ einen besondern Dienst zu erweisen glaube, wenn ich aus meinen Reiseerinnerungen einige interessante Momente des landwirthschaftlichen Festes zu Bern aufzeichne, da ich so glücklich war, diesem schönen Feste beiwohnen zu können. Der Monat October, in welchen das Fest fiel, liegt jedoch bereits so weit hinter uns, daß ich mich begnüge, den landwirthschaftlichen Theil des Festes, die Ausstellung und den Festzug, nur mit wenigen kurzen Strichen anzudeuten; wogegen ich diejenigen Erscheinungen, deren echt nationaler Typus sich für alle Zeiten zur Fixirung eignet, einer näheren Schilderung unterwerfen werde. Einen Hauptact des Festes bildete nach Eröffnung der landwirthschaftlichen Ausstellung der Festzug am 3. October mit seinen landwirthschaftlichen Schaustücken, volksthümlichen [13] Costüms und ebenso prächtigen als reizenden Allegorieen des Gartenbaues, des Hanf- und Flachsbaues, des Frühlings, Sommers, Herbstes und Winters, des Wiesen- und Weinbaues, der Obstbaumzucht und endlich der Alpenwirthschaft oder „Käserei.“ Ich gestehe, daß dieser höchst gelungene und malerische Festzug, welcher in allen seinen individuellen Erscheinungen und Attributen den anziehenden Charakter des kräftigen und gemüthlichen Schweizervolkes als originelles Ganze mir vor Augen führte, auf mich einen herrlichen Eindruck machte und mir, ganz abgesehen von der vollständigen Befriedigung der Schaulust, ein historisches Interesse und Sympathieen für die Schweizer einflößte.

Von all’ seinem Interessanten erwähne ich in einem kleinen Bilde nur die, für weitere Kreise auch praktisch werthvolle, Alpenwirthschaft oder „Käserei“, deren allegorische Schlußgruppe auch von den vielen Tausenden der Zuschauer aus allen Theilen der Schweiz und den umliegenden Ländern am lebhaftesten applaudirt ward. Drei riesige Ochsen echter Alpenrace zogen den mit rothem Tuch drapirten und mit den verschiedenen Geräthen der Alpenwirthschaft ausgeschmückten Festwagen. Unter dem sinnig angebrachten „Käsekessel“ brodelte das Feuer und der kräftige „Käser“ zerrührte mit dem „Milchbrecher“ den zarten „Schluck“, indeß der „Ankenkübel“ im Schwunge den Rahm („Nidel“) in „Anken“ (Butter) verwandelte, welche ein anderer Schweizer in einer „Gebse“ zu Ballen knetete. Vorn auf dem Wagen handirten die jodelnden „Sennen“ mit den Milchgeräthschaften als „Hüttenknechte.“ Der Jubel der Zuschauer wollte nicht enden, als der gesottene „Käs“ mit dem „Kästuche“ aus dem Kessel gehoben und im „Järb“ (Käsereif) ausgeschlagen und gepreßt wurde.

Schweizer Schwinger.

Nachdem der Festzug sich durch die Hauptstraßen Berns bewegt hatte, wendete er sich zurück zu seinem Ausgangspunkte, der eine Viertelstunde vor der Stadt liegenden „Enge“, wo er sich in ein malerisch buntes Wogen auflöste. Jubel und Musik erschallten bis in die Nacht.

Kaum graute der nächste Morgen, als auch schon die geschäftigen Hände der Werkleute Zurüstungen zu einem neuen Festacte trafen. Auf dem Berner Schießstande ward ein weiter Circus aufgeschlagen, wo das berühmte „Schwingen“ und „Steinstoßen“ der Schweizer in großem Maßstabe dargestellt werden sollte. Am 5. October, dem Tage dieses „Schwingfestes“, lockte mich eine heitere Bewegung, welche wie ein elektrischer Strom bereits am frühen Morgen durch alle Theile der Bevölkerung ging, hinaus nach dem Schauplatze. Von einem sicheren Standpunkte aus sah ich in endlosem, malerischen Zuge Tausende von Menschen heranwogen. Jeder suchte sich eine gute Position zu erobern. In wenigen Minuten hatte sich um die Planken des Circus ein dichtgedrängter Ring von Köpfen gebildet und die umherstehenden Bäume füllten sich mit kühnen Kletterern, was sich nicht wenig komisch ausnahm, da auch ältere Männer, selbst hier und da eine verwegene Dirne, sich schlanke Aeste zu Schauorten auserkoren. Ungeheuere Heiterkeit durchdrang das Gewimmel, denn Alles freute sich lebhaft darauf, die renommirtesten „Schwinger“ der Eidgenossenschaft an diesem [14] Tage Proben ihrer originellen Kunst ablegen zu sehen. Ich selbst befand mich um so mehr in spannender Erwartung, als ich bis dahin noch keine bestimmte Vorstellung von der Kunst des „Schwingens“ besaß.

Endlich gegen zehn Uhr bewegte sich langsam der Zug der „Schwinger“ vom „Klösterli“ in der Unterstadt her, geleitet vom Festcomité und einem Musikcorps; lustige Sennenknaben im Sonntagsgewande, welche sieben bekränzte Schafe als Preise für die Sieger führten, eröffneten ihn. Mehr als sechzig Schwinger folgten in geordneter Reihe. Wie der Herold die alten Ritterturniere, so eröffnete ein Comitémitglied das Kampfspiel mit einer kurzen Standrede. Dreißig Kämpferpaare wurden gebildet. Das Loos rief durch den Mund erwählter Kampfrichter, die meist alte bewährte Schwinger waren, die Kämpferpaare der Reihe nach in die Schranken. Die beiden Gegner traten dann heraus, zogen die kurzen, gesteppten, mit Griffen versehenen Schwingerhosen an, gaben einander zum Zeichen des freundschaftlichen Wettkampfes die Hand und der Kampf begann unter lautloser Stille der Tausende von Zuschauern, welche jedoch im Verlaufe des Kampfes insofern lebhaften Antheil an letzterem nahmen, als sie den anscheinenden Sieger durch lauten Beifall anfeuerten.

Zwei Kämpfer, an Kraft und Gewandtheit, wie es schien, einander ebenbürtig, traten zuerst einander gegenüber. Jeder griff mit der rechten Hand auf der linken Seite in die Schwinggürtel des Gegners, während die Linke das rechte Bein des Gegenüberstehenden am Griff der Schwingerhose faßte. Hierauf traten die Kämpfer mit den Beinen so weit von einander ab, daß sie, Schulter gegen Schulter gestemmt, fast auf dem Boden lagen. Die Sehnen und Adern der unbedeckten Gliedmaßen traten hervor. Das schwere, stöhnende Athmen der beiden Kämpfer zeugte von der ungeheuern Kraftentwickelung, mit welcher sie sich gegenseitig in diejenige Stellung zu treiben suchten, die es ihnen möglich machen sollte, mit Vortheil einen „Schwung“ zu versuchen.

Nach einigen blitzschnellen Wendungen gelang es dem Einen, seinen Gegner so zu stellen, daß dessen Füße in seine Nähe kamen, und nun, den günstigen Moment benutzend, ließ er mit beiden Händen Griff und Gürtel los, faßte das linke Bein des Gegners, zog es mit aller Kraft vollends an sich heran, hob den Uebervortheilten an demselben in die Höhe und versuchte nun, mit seinem rechten Bein hinter das rechte des Emporgehobenen zu kommen, um ihm den „Hacken“ zu schlagen, oder durch einen Druck in die Kniekehle ihn schwanken zu machen und auf den Rücken zu stürzen; denn es ist eine Kampfregel, daß nur der als Sieger gilt, welcher seinen Gegner von drei Malen zwei Male so überwältigt, daß er auf dem Rücken oder wenigstens so fällt, daß die rechte Ferse den Boden schlägt.

Deshalb war der halb Ueberwundene eifrig bemüht, festen Stand zu behalten, indem er sein rechtes Bein, nach welchem Jener griff, so weit rückwärts stellte, daß der Angreifer es nicht erreichen konnte, und damit dieser ihn nicht weiter zurückdrängen und überstürzen könne, ließ er mit seiner Rechten den „Hüftgriff“ los, schlug mit derselben auf die rechte Achsel des Gegners, legte seinen rechten Arm unter dessen Kinn, und drängte ihm den Kopf so zurück, daß dieser seinen errungenen Vortheil nicht weiter verfolgen konnte. Um ihm denselben ganz zu entziehen, ließ er sich „ausschießen“, das heißt, er entsagte allen Griffen, und warf sich auf den Bauch. Der Kampf war unentschieden, der „Gang“ zu Ende. Ermattet traten die beiden Schwinger vom Platze, und lagerten sich neben einander, während zwei Andere zum Wettkampfe eintraten. Jetzt standen größere Kraft in dem Einen, größere Gewandtheit in dem Andern einander gegenüber in dem Duell der Fäuste. Der Gewaltigere riß den Schwächeren mit riesiger Kraft in die Höhe, und trug ihn hoch in der Luft, vor der jauchzenden Menge einige Augenblicke umher tanzend, in der Siegesgewißheit, ihn dann zu Boden zu werfen; aber der Schwächere entfaltete nun seine Gewandtheit. Er setzte seinen linken Fuß auf das Knie des Siegesgewissen, streckte sein rechtes Bein wie einen Wegweiser gradaus in die Luft, und verwehrte diesem die Ausführung des „Schwunges“ und des Wurfes. Ungeduldig machte der Stärkere mit nervigen Armen erneute Versuche, seine Last kampfgerecht abzuwerfen, und endlich faßte er das horizontale Bein. Die Menge jubelte. Der Sieg schien gewonnen. Der scheinbar Besiegte stürzte; aber noch im Fallen gab er sich einen Schwung, so daß auch er auf den Bauch zu liegen kam – und der Sieg war vereitelt. Mürrisch räumte der Riese das Feld, und das Publicum lachte laut über die komische Manier, mit welcher der Kleine mit heiler Haut davon gekommen.

Mittlerweile hatten sich die ersten beiden Kämpfer ausgeruht, und traten wieder in die Arena, um ihren Zweikampf zur Entscheidung zu bringen. Mit frischer Kraft, mit neuer Kriegserfahrung erschienen sie wieder. Jeder hatte während des ersten Ganges des Andern Schwächen und Kräfte kennen gelernt und säumte nicht, diese Erfahrung zu nützen. Rasch folgten Zug auf Zug, bis Einer den Andern durch einen glücklichen Kunstgriff in die Höhe hob, und ihn eben zur Erde werfen wollte; aber der „Geschwungene“ fiel wieder glücklich. Schon berührte er mit den Händen den Boden, da faßte ihn der sieghafte Schwinger noch im Fallen im Nacken, hob ihn von hinten wieder empor und gab ihm nun den rechten Schwung, also daß er kopfüber platt auf den Rücken niederfiel. Die Menge spendete donnernden Beifall, der glückliche Sieger bekundete seine Freude durch Radschlagen.

Das zweite Paar trat zu neuem entscheidenden Gange in die Schranken. Wieder hob der Riese den Schwächeren in die Höhe, wieder trat er mit ihm zu triumphirendem Tanze an, aber diesmal ließ sich der Hocherhobene nicht ohne Weiteres „legen“, sondern zwang durch geschickte Bewegungen den Gegner, ihn wieder vor sich nieder auf seine Füße zu stellen. Der Kleine war jetzt in seinem Vortheile, denn seine Gewandtheit war noch frisch, die Kraft des Andern durch den mehrmals versuchten Schwung schon gebrochen. Blitzschnell operirte er mit seinem rechten Knie gegen die linke Kniekehle des Gegners, bis dieser einknickte. Mit aller Kraft wendete er nun den Wankenden nach rechts und stürzte ihn zu Boden. Besiegt lag Goliath nun auf seinem Rücken, während dem Kleinen im Jubel des Publicums ein herrlicher Triumph erschallte.

Dies zwei Beispiele von vielen. Nach beendetem Schwingen der dreißig Paare, ging es erst an den Hauptkampf, das sogenannte „Ausschwingen“. Achtundzwanzig der besten Schwinger wurden von den Kampfrichtern dazu erkoren. Die ersten zwei Hauptmatadores, die „Könige“ der beiden Parteien, Johann Wenger aus Emmenthal und Heinrich Balmer aus dem Berner Oberlande, betraten die Kampfbahn, Beide mit gleicher Kraft und Gewandtheit in hohem Maße ausgerüstet. Todtenstille herrschte ringsum, als wollte Jeder die Herzschläge des Andern hören. Drei Mal erneuerten die Streitenden den Gang um den ersten Preis; aber drei Mal blieb der Kampf unentschieden und die Gefeierten behielten Beide ihre „Unsterblichkeit“. Die nachfolgenden Paare konnten nicht mehr das Interesse in Anspruch nehmen, welches diesen Beiden gewidmet worden war, obwohl unter ihnen viele als Meisterschwinger glänzten.

Dem Schwingen folgte das sogenannte „Steinstoßen“, welches darin besteht, daß kräftige Männer sehr schwere Steine mit freiem Arme vor sich hinwerfen. Styger aus Schwyz und Berger aus Langenau warfen einen hundert Pfund schweren Stein mehrere Schritte weit.

Am Schlusse des Festes wurden die Sieger im Schwingen und Steinstoßen von den Kampfrichtern öffentlich ausgerufen und mit den Preisen gekrönt. Kräftige Männer ohne Gleichen empfingen die Preise, zum Zeichen dafür, daß es in der schönen freien Schweiz auch für den ernsten Augenblick eiserne Arme in Menge gibt „zu Schutz und Trutz.“ Dann verließen die stattlichen Ringer Arm in Arm unter Sang und Klang den Kampfplatz.