Zum Inhalt springen

Das Thier und die Musik

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Thier und die Musik
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 532
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[532] Das Thier und die Musik. Unerklärlich ist mir das Gebühren einer Schlange, die ich vor Kurzem beobachtete. Man sagt diesen Thieren bekanntlich auch nach, aus Erfahrung weiß ich es nicht, daß sie von der Musik angenehm berührt würden, daß sogenannte Schlangenbändiger und indische Gaukler, deren Beschäftigung es ist, sie zu Kunststückchen aller Art abzurichten, um dies leichter und schneller in’s Werk zu setzen, irgend eines musikalischen Instrumentes sich als Hülfsmittel bedienen sollen.

Ich brachte neulich Abend in eine Familie eine unschuldige Ringelnatter, und es thut mir leid, daß ich, so lange sie aus dem Tische lag, nicht an’s Klavier dachte, um ein Experiment anzustellen. Nachdem wir das Thier eine Zeit lang besichtigt hatten, wurde beschlossen, es zu tödten.

Zu dem Zwecke holte ich eine Weinflasche bis ziemlich an den Stöpsel mit 90grädigem Spiritus angefüllt herbei. Die Schlange wurde hineingesteckt, fuhr einige Male die Flasche auf und ab und blieb endlich, den Kopf auf dem Boden, den Leib in den prächtigsten Windungen nach dem Halse der Flasche hinaufgeringelt ruhig und ohne Bewegung liegen. Dies geschah halb acht Uhr. Die Unterhaltung wechselte, man sprach von diesem, lachte über jenes, that dies und das, immer aber kehrten die Blicke der Anwesenden wieder nach der Schlange zurück, die in ihrem Flaschengrabe eingeschlossen in der Nähe der Lampe stand. Das Thier blieb regungslos in der oben angegebenen Stellung, die es nach feinen letzten Bewegungen eingenommen hatte, liegen.

Da wende ich mich nach dem Klavier und beginne, dabei durchaus nicht an die Schlange und etwaige Versuche mit derselben denkend, ein beliebiges Tonstück. Ich hatte eine ziemliche Zeit gespielt, als plötzlich die ganze Gesellschaft nach der Flasche hinsah und mit den Worten: „seht nur, die Schlange lebt noch,“ dieser ausschließlich ihre Aufmerksamkeit zuwandte. Sie hatte sich bewegt, aber nicht etwa in schmerzhaften, Todesqual verkündenden Zuckungen, sondern in einem ruhigen, gleichmäßigen Heben und Niederlassen des ganzen Körpers, vornehmlich des Kopfes. Ich stand sogleich vom Instrumente auf, um gleichfalls das Schauspiel näher in Augenschein zu nehmen; denn wer hätte das gedacht, daß das Thier nach zwei Stunden, die Hälfte der zehnten Stunde war ja schon abgelaufen, noch leben könnte; allein ich sah nichts mehr, sie lag ruhig in der vorigen Stellung, und zwar so ganz auf derselben Stelle, daß ich die beobachtete Bewegung kaum für etwas Anderes halten zu dürfen meinte, als für optische Täuschung. Doch leicht war dieser Zweifel zu beseitigen, ich durfte nur wieder meinen Platz am Klavier einnehmen und den Versuch noch einmal machen. Das that ich natürlich auch und es währte nicht eine Minute, so fing sie an zu tanzen, wie es vorher von der übrigen Gesellschaft gesehen worden war und wovon ich mich jetzt mit eigenen Augen überzeugte. Nahm ich die Hände von den Tasten und hatten die Töne ausgeklungen, so hörten auch ihre Bewegungen wieder auf, und wie neue Musik und Pausen bald in größeren bald in kleineren Zeiträumen abwechselten, eben so traten mit jener die hebenden Bewegungen, mit diesen die frühere Regungslosigkeit der Schlange ein. Länger als eine halbe Stunde setzten wir unsere Beobachtungen fort, lange genug, um die Ueberzeugung gewinnen zu können, daß wirklich die Musik und nichts Anderes – ausdrücklich erwähne ich noch einmal, daß die Flasche auf einem Tische fern vom Instrument, nicht etwa auf diesem selbst stand –, jenen gleichsam neues Leben erweckenden Einfluß auf das Thier ausübte. Auch da sei noch bemerkt, daß sie in der langen Zeit jener Versuche den Kopf zwar schließlich unten auf dem Boden liegen ließ, die Lage des übrigen Körpers, die prachtvollen Windungen, in denen sie sich anfangs aufgeringelt hatte, aber leider verändert waren.

Hatte uns die ganze Erscheinung insofern in nicht geringes Erstaunen gesetzt, als wir den Tod des Thieres, das sich volle zwei Stunden in einer fest zugestöpselten mit 90grädigem Spiritus angefüllten Flasche befunden hatte, als nothwendig erfolgt voraussetzten, so war und ist es uns noch jetzt unerklärlich, von welcher Art der Eindruck gewesen sei, den die Musik auf die Schlange machte. War es ein angenehmer oder unangenehmer? Mancher meiner Freunde entschied sich und nicht ohne Gründe für das Erstere, allein ich konnte dafür keine Ueberzeugung gewinnen, weil es mir unbegreiflich ist, daß ein Thier, welches sich in einer solchen Sphäre weiß, in der es sein Leben verlieren muß, durch irgend etwas angenehm sollte berührt werden können. Daß die Schlange dies aber wußte oder ahnte oder instinktmäßig fühlte, wie man nun will, bewies ihr Widerstreben, den Kerker zu betreten, obwohl sie nicht wissen konnte, daß sie darin für immer festgehalten werden sollte.

Zum Schlüsse möchte ich mir noch die Bitte an einen sehr geehrten Mitarbeiter der Gartenlaube, der uns durch seine naturgeschichtlichen Aufsätze schon so vielfach Belehrung geboten, hat, Herrn Prof. Roßmäßler, zu richten erlauben, er möge die Güte haben, aus dem reichen Schatze seiner Erfahrungen und seines Wissens uns, die wir im Finstern tappen, Aufschluß über die streitige Frage zu geben.