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Das Zauberschloß im Windberge bei Burgk

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Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Das Zauberschloß im Windberge bei Burgk
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. S. 240–244
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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262) Das Zauberschloß im Windberge bei Burgk.

Nach Becker a. a. O. S. 107 sq. und Petzholdt, S. 60. sq. Novellistisch beh. v. Gottschalk, Deutsche Volksmärchen Th. I. S. 163 sq. Poetisch verarb. von Ziehnert Bd. I. S. 19 sq.

In Burgk am Windberge wohnte vor Jahren ein alter Dorfmusikant, der in der ganzen Gegend beliebt war, denn alle Mädchen und Bursche behaupteten, daß sich’s nach seiner Geige am besten tanze. Die Beine hoben sich wie von selbst und auch die ungeschicktesten Tänzer mußten Takt halten, sie mochten wollen oder nicht. Dies lag nun einmal so in seiner Geige. Rothkopfs Görge, so hieß der lustige Fiedler, war also in allen Schänken willkommen und wurde zu allen Kirmsen und Hochzeitsfesten bestellt. Eines Sonntags, als [241] er den Bauern von Deuben zum Tanze aufgespielt hatte und in der Mitternachtsstunde einsam nach Hause ging, überrechnete er den Ertrag seiner Geige und dachte dann an den künftigen Sonntag, zu welchem er wieder bestellt war. So verging ihm die Zeit und unvermerkt kam er zum Windberg. Da fiel ihm auf einmal das Zauberschloß ein, von welchem er in seiner Jugend so viel gehört hatte, daß es im Innern des Berges stehen solle – auch auf dem Gipfel desselben soll früher ein Schloß gestanden haben – und sprach bei sich selbst: „Du bist doch nun schon manches liebes Jahr und zu jeder Stunde der Nacht da vorübergegangen und hast noch niemals etwas von diesem Zauberschlosse gespürt, wer weiß, ob es wahr ist. Mir sollte Niemand erscheinen und mir gebieten, zu folgen, ich faßte mir wirklich ein Herz und füllte mir meine Tasche mit Gold. Ja wer nur den Eingang in’s Zauberschloß wüßte!“ „Den will ich Dir zeigen,“ erwiderte ihm ein Mann, den er niemals gesehen und der ihm jetzt gerade in den Weg trat. Der arme Görge erschrak so gewaltig darüber, daß er nicht einmal zurückzutreten vermochte, und so freundlich auch immer die Antwort des Unbekannten erklang, so sah es doch um das Herz, was er sich vorhin zu fassen getraute, gar jämmerlich aus. „Komm, folge mir getrost,“ versetzte der Berggeist, „Du wirst im Schlosse von einer hohen Gesellschaft erwartet, um ihr zum Tanze zu spielen; sie wird Dich gnüglich bezahlen, daß Du Dein Lebelang hast, was Du brauchst: aber hüte Dich ja, im Schlosse zu reden und fordere ja nicht, wenn man Dich fragt, was Du für Deine Musik begehrest.“ Rothkopfs Görge war ganz versteinert vor Schrecken. Der Berggeist ging vor ihm her und winkte ihm, zu kommen, und Görge folgte, ohne es zu wollen. „Was hülf’ es Dir auch, wenn Du flöhest,“ vermochte er doch noch bei sich zu denken, „er würde Dich bald ergreifen und Dir wohl gar das Genicke brechen.“ Mit Inbrunst stammelte er das stets so bewährte: „Alle gute Geister etc.,“ was schon so Manchem in gleichen Aengsten geholfen, und wankte zitternd hinter ihm drein.

[242] Durch einige schaurige Wege, die Rothkopfs Görgen, so gut er auch am Windberge Bescheid wußte, gänzlich unbekannt waren, und die er sich auch niemals wiederzufinden getraute, gelangten sie endlich an ein großes leuchtendes Thor, das sich plötzlich, sobald sie in den geräumigen Vorhof getreten waren, von selbst wieder schloß. Der Musikant glaubte, er werde aus diesem bezauberten Schlosse wohl nun nie mehr herauskommen, denn wenn der Ton seiner Geige dem Berggeist gefiele, so könne es demselben leicht in den Sinn kommen, ihn gar zu seinem Hofmusikanten zu machen. Zwischen Furcht und Erstaunen getheilt, durchging er den mit Fackeln erleuchteten Vorhof und erblickte dann mehrere prächtige und hohe Gebäude und Thürme, die kaum, nach seinem Augenmaße zu schließen, im Windberge Platz haben konnten, und Alles war hell und erleuchtet, wie am Tage. Sein Führer ging stets vor ihm her und brachte ihn durch das Hauptgebäude in einen großen, von vielen tausend Kerzen erleuchteten Saal, wo eine große Gesellschaft von Herren und Damen in schwarzer altdeutscher Tracht und mit köstlichen Perlen und Edelsteinen geschmückt, ihn augenblicklich umringte und von oben bis unten mit großen Augen betrachtete. Ihm pochte das Herz gewaltig; sein Führer aber winkte ihm freundlich und führte ihn durch den versammelten Kreis zu einem Kamine mit dem deutenden Winke, sich nun auf der Geige hören zu lassen. Auch hier umgaben ihn, während er stimmte, die Herren und Damen, und endlich erhielt er das Zeichen zum Anfang. Es begann eine Art Tanz, dergleichen er weder in Burgk, noch auf den andern Dörfern umher jemals gesehen hatte. Das Sonderbarste vor Allem war aber, daß er dazu mit der größten Fertigkeit eine Musik spielte, die er in seinem Leben noch niemals gehört hatte und von der er auch nachher niemals wieder einen Ton hervorbringen konnte. Als sich die Gesellschaft ohngefähr eine Stunde, nach seinem Bedünken, mit dem Tanze belustigt hatte, kam jedes Paar mit ernsthaften Schritten und schweigend auf ihn zu, und nun betrachteten sie ihn mit Blicken, vor welchen seine [243] Augen zu Boden sanken. Endlich trat einer der Herren aus dem Kreise hervor und fragte: „Was forderst Du für eine Belohnung?“ Bei allem Angstschweiß gedachte doch Görge der Ermahnung des Führers: er zog seinen zwischen die Knie geklemmten Hut hervor, hielt ihn mit demüthiger Gebehrde offen vor sich hin und gab durch eine Bewegung zu erkennen, als sei er mit Allem zufrieden. Da ergriff der nämliche Herr eine Kohlenschaufel, fuhr damit in den Haufen der im Kamine glühenden Kohlen, und schüttete sie Görgen in den Hut. Dieser entsetzte sich darüber nicht wenig, allein in demselben Augenblicke trat der bekannte Führer herbei, und winkte ihm freundlich, er solle ihm folgen. Görge gehorchte sogleich, voll banger Erwartung, was weiter folgen werde, und sah sich in Kurzem zu eben dem Thore zurückbegleitet, durch welches der freundliche Mann ihn eingeführt hatte. In diesem Augenblicke war auch der Führer und mit ihm die ganze Erscheinung verschwunden; Rothkopfs Görge aber befand sich, von der finstersten Nacht umhüllt, auf dem nämlichen Platze, wo ihm der Geist in den Weg getreten war.

Nachdem er sich von seiner betäubenden Angst wieder ein wenig erholt hatte, verfolgte er den wohlbekannten Heimweg mit eiligen Schritten und dachte der wunderbaren Begebenheit nach. Er ärgerte sich im Geheim nicht wenig über die höllische Belohnung, die er in seinem Hute vor sich hin trug, und hätte die Kohlen gern auf die Seite geworfen, wenn er nicht die vermeinten bösen Geister, die im Windberge hauseten, wider sich aufzubringen befürchtet hätte. Es war ihm ohnedies nicht wohl dabei zu Muthe, daß der Hut immer schwerer wurde, die Last nahm mit jedem Schritte zu und kaum vermochte er sie mehr zu tragen: allein die Furcht gab ihm Kräfte, und so schleppte er sie geduldig mit fort. Kaum aber hatte er seine Wohnung erreicht und die Hausthüre aufgeschlossen, so schüttete er die schweren Kohlen nebst dem, was sie sonst noch erschwert haben mochte, mit einem Male auf die Seite, und warf die Thüre geschwind hinter sich zu. Er kroch so eilig als möglich in sein Bette, zog die [244] Decke über den Kopf und drückte noch unter derselben die Augen so fest zu, als er konnte, allein die Bilder des Zauberschlosses schwebten ihm noch immer vor Augen, bis endlich die Müdigkeit der Geschäftigkeit seiner Einbildungskraft Einhalt that und der ganze Görge mit Leib und Seele in einen tiefen Schlaf versank.

Als er am Morgen erwachte, stand der ganze Zauber mit aller Lebhaftigkeit wieder vor ihm da. Er sprang sogleich aus dem Bette, um seinen Hut zu besehen, der seiner Meinung nach ganz verbrannt sein mußte, aber zu seinem größten Erstaunen fand er den Hut unversehrt. Indem er ihn so verwundert von allen Seiten herumdrehte, fiel aus einer kleinen Oeffnung im Futter ein Goldstück heraus, dergleichen er noch nie eins in Händen gehabt hatte. Auf einmal enträthselte sich ihm nun die Belohnung mit den glühenden Kohlen, sowie die sich immer vermehrende Schwere derselben. Mit großer Begierde sprang er vor’s Haus, nach den ausgeschütteten Kohlen zu sehen, allein statt der gehofften Goldstücke fand er nichts als ein Häufchen todter Steinkohlen. Er raffte sie alle emsig zusammen und trug sie hinein auf den Tisch, allein sie wollten weder erglühen, noch in Gold sich verwandeln. Er that sie wieder in den Hut, allein auch dieser Versuch lief fruchtlos ab.

Da stand nun Rothkopfs Görge und kratzte sich hinter den Ohren, daß er sein Glück so verscherzt hatte. Das in dem Hute gefundene Goldstück machte ihn ärmer als er gewesen war, weil es ihn beständig an seinen Verlust erinnerte. Da er aber als lustiger Spielmann von Natur keinen Hang zur Schwermuth besaß, so ergab er sich endlich darein, und nach einigen Jahren schien er sogar froh darüber, daß er nicht zum reichen Manne geworden war. „Denn“, sprach er zuweilen, „schon das eine Goldstück hat mir Unmuth und Sorgen genug gemacht, wie sehr würde mich nicht erst ein ganzer Hut voll solcher Goldstücke gepeinigt haben.“