Das besuchteste Schwabenkloster
Auf der Eisenbahnstrecke, welche Stuttgart und Bruchsal verbindet, vernimmt der Reisende zwischen Bretten und Mühlacker den Ausruf des Schaffners: „Station Maulbronn!“ Und wenn der Name, der so berühmten Klang hat, ihn an das Wagenfenster lockt, weil bei demselben ihm Klostermauern und Thürme im Geist emporsteigen, so wird er freilich rasch enttäuscht, denn er muß Glück haben, wenn im Vorbeifahren in dreiviertelstündiger Entfernung ihm die Häuser des Dorfes gleichen Namens
[368] sichtbar werden, das erst im Laufe dieses Jahrhunderts in der freieren Lage vor dem Kloster sich angesiedelt hat.
Die Aelteren unter unsern Lesern sind schon im Jahrgang 1864 der Gartenlaube von kundiger Hand in den Räumen und in der Menschen- und Gespenstergeschichte dieser ehemaligen Cisterzienser-Abtei, die in vier Jahren (am vierzehnten Mai 1878) ihre siebenhundertjährige Kirchenweihe feiern kann, herumgeführt worden. Indeß sind seitdem fast zehn Jahre verflossen und zu den damaligen Abnehmern unsres Blattes anderthalbhunderttausend hinzugekommen, so daß wir uns für verpflichtet halten, unserem heutigen Bilde wenigstens den nöthigsten erklärenden Text beizufügen.
Maulbronn zeigt nicht nur in Schwaben, sondern in ganz Deutschland die am besten erhaltenen Klostergebäude von so hohem Alter, denn nicht blos die Kirche und die eigentlichen Klosterräume, sondern auch die Nebengebäude, die ehedem zu dem reichen Klosterhaushalt gehörten, stehen größtentheils noch vor uns aus den Tagen ihrer ersten Erbauung. Vom Bahnhofe herkommend, gelangt man in dem freundlichen Thale zuerst zu einigen neueren Wohnhäusern, darunter das Gasthaus zum Kloster oder zur Post. Gleich dahinter erhebt sich das altehrwürdige malerische Klosterthor (Nr. 9 unserer Abbildung). Es steht an der Südwestseite der Umfassungsmauer, die, aus mächtigen Buckelsteinen errichtet, von da zur linken Seite hin sich hinter einem breiten Graben voll wild durcheinander verwachsenen Gestrüppes hinzieht und auf ihrem grauen Rücken eine Reihe alter Gebäude trägt. Dieses Klosterthor stammt noch aus der Zeit des Rundbogenstils und ist mit einem Rundbogenfries geschmückt. Durchschreiten wir es, so gelangen wir in den weiten Vorhof des Klosters, auf drei Seiten begrenzt von den steinernen Nebenbauten, dem Frühmeßhaus, der Wagnerei, Schmiede und Mühle, dem Speicher, der Küfermeisterei etc., deren steile, oft von Kreuzblumen oder Knöpfen bekrönte Giebel hoch anfragen, während im Grunde des Hofes uns hinter prächtigen Lindenbäumen die Schauseite der Kirche entgegentritt mit ihrer edel-schlanken Vorhalle und dem links daranstoßenden, jetzt vielfach verbauten Kloster.
Die Klosterkirche (Nr. 2), der heiligen Marie geweiht und ein Prachtwerk des Rundbogenstils, ist eine schlanke Pfeilerbasilika in der Form des lateinischen Kreuzes mit geradgeschlossenem Chor und sechs rechteckigen Capellen im Querschiff. Sie erhebt sich im Süden der Klostergebäude um drei Stufen höher als diese. Die dreihundert Fuß lange, aus den prächtigsten Sandsteinquadern aufgerichtete Schauseite muß einen imponirenden Anblick gewährt haben, ehe sie theilweise im Laufe der Zeit stark verändert und durch zwei Vorhallen und sogar durch moderne Zweckmäßigkeitsgebäude versteckt wurde. Als besonders bemerkenswerth wird von den Baukunstkennern der steinerne Lettner (Art Querempore zur Scheidung von Schiff und Chor der Kirche) aus dem zwölften Jahrhundert und dann der Vorzug gepriesen, daß die Ornamentik der Kirche und sämmtlicher Klostergebäude vollkommen frei seien von den so verbreiteten Fratzengebilden. Sehenswerth sind auch die Chorstühle mit ihrer kunstreichen Holzschnitzerei, von denen wir in Nr. 8 eine bildliche Andeutung geben. Eine sehr bemerkbare Erscheinung dabei sind die tief ausgetretenen Fußstapfen der Mönche im Fußboden dieser Chorstühle.
Der größte bedeckte Raum nach der Kirche ist das Laien- oder Winter-Refectorium (Nr. 11). Bei einer Länge von hundertsechsundzwanzig, einer Breite von siebenunddreißig und einer Höhe von neunzehn Fuß wird der stattliche Raum in der Mitte von sieben Doppelsäulen durchstellt, die auf ihren prächtigen Blättercapitälen rippenlose Kreuzgewölbe tragen, und gewährt einen großartigen Anblick. In unseren Tagen wurde die Halle unter bedeutenden Schwierigkeiten, weil jetzt auf ihren Gewölben das mehrstockige Oberamtsgebäude ruht, erneuert; es wurden die Säulen sammt Capitälen neu eingesetzt, die alten aber, als der jetzigen Vorbilder, in den Fensternischen aufgestellt.
Aehnlicher architektonischer Bevorzugung, wie dieses, erfreuen sich das ehedem nur durch die Klosterküche von jenem geschiedene sogenannte Sommer-Refectorium (Nr. 10) und der große Kreuzgang (Nr. 5), die sich besonders durch ihre Säulenpracht auszeichnen. Namentlich gehören, nach dem Urtheil der Baugelehrten, die Säulencapitäle zu dem Schönsten ihrer Art, und die Doppelung derselben im Winter-Refectorium wird als ewig mustergültig hingestellt.
Ein Bau des zwölften Jahrhunderts ist noch das Herrenhaus, hundertfünf Fuß lang und halb so breit. Es nimmt die Nordostecke der Klosteranlage ein; am besten ist an seiner Südseite der sich am großen, malerisch verwachsenen Klostergarten hinziehende Capitelsaal (Nr. 4) erhalten, an dessen Rückwand rundbogige Thüren und Fenster angebracht sind. Nr. 6 stellt eine höchst zierliche Brunnencapelle und Nr. 7 das alte Pfründnerhaus dar. Nr. 3 ist der bewohnliche Dachtheil eines alten, zum Theil verfallenen Eckthurmes, „der Faustthurm“ genannt, weil in ihm Doctor Faust, der Teufelsknecht, wegen seiner Kunst in der Goldmacherei vom damaligen Prälaten Schlotterbeck häufig beherbergt und schließlich vom Teufel geholt worden sein soll.
Von der Geschichte und den denkwürdigen Rechtsalterthümern des Klosters muß wenigstens Folgendes angemerkt werden. Gründer dieses ersten schwäbischen Cisterzienserklosters war der edle Ritter Walther von Lomersheim und erster und bedeutendster Beschützer desselben Bischof Günther (ein Graf von Henneberg) in Speier; beider Grabsteine werden bis heute dort bewahrt. Das Kloster wurde außerordentlich reich, hat aber für die Cultur des Geistes weit weniger geleistet, als für die des Bodens, namentlich in Acker- und Weinbau, Gemüse-, Obst- und Fischzucht. Der Umstand, daß Kurpfalz das Schirmrecht über Maulbronn erhielt, machte es häufig zum Zankapfel zwischen dieser, Württemberg und Baden. Pfalzgraf Philipp verwandelte das Kloster sogar in eine Festung mit weit hinausreichenden Basteien und Thürmen und trotzte darin selbst dem Kaiser, der vergebens im October 1492 gebot, die Befestigungen niederzureißen. Dagegen waren sie im Bauernkriege dem Kloster ein guter Schutz. Später kam Maulbronn an Württemberg. Herzog Ulrich setzte sich in den Besitz desselben und führte die Reformation ein. Indeß wechselte noch katholische und protestantische Herrschaft je nach den Launen des Kriegsglücks; im Jahre 1548 wurde ein Conventuale hier ausgewiesen, weil er bei Mondschein in der deutschen Bibel gelesen hatte. Für immer in protestantische Hände kam Maulbronn erst in Folge des Westphälischen Friedens, und darauf mag wohl die Jahrzahl 1649 (nicht 1669) hindeuten, die wir bei dem Wappen desselben (Nr. 1 der Illustration) finden, denn: „am 29. Januar 1649 erfolgte die Besitzergreifung und die Huldigung der (nach den Kriegsdrangsalen) noch übrigen dreihundertdreiundsiebenzig erwachsenen Amtsangehörigen unter großer Bewegung.“ Aus der ursprünglichen evangelischen Klosterschule, die bei den noch fortdauernden Nachwehen des dreißigjährigen Krieges erst 1656 wieder hergestellt werden konnte, ist ein berühmtes theologisches Seminar geworden, dessen Zöglinge landüblich auf der Universität Tübingen ihre letzte Vollendung erhalten. Auch Schelling war ein Zögling dieser Anstalt.
„Maulbronn verdiente ein eigenes Prachtwerk durch einen kunstgeschichtkundigen Architekten“ – dieser Wunsch, welchen Gustav Schwab in seinem schwäbischen Beitrag zum „Malerischen und romantischen Deutschland“ vor vierzig Jahren ausgesprochen, geht heute erst in Erfüllung. „Die Cisterzienserabtei Maulbronn, bearbeitet von Dr. E. Paulus. Herausgegeben vom Württembergischen Alterthumsverein“ etc., verspricht dieses Werk zu werden; wir haben es, so weit wie möglich, zu diesen Mittheilungen benutzt.