Frauen der französischen Revolution/2. Madame Roland
Madame Tallien ist die lächelnde Grazie der Revolution; Madame Roland ist ihre ernste Muse. Das Leben der Madame Tallien ist ein Roman, dasjenige der Madame Roland ein Heldengedicht, eine Tragödie.
Freilich, man darf sich unter Madame Roland keine jener Jeanne d’Arcs, jener gewaltigen Heldinnen denken, welche das heroische Bühnenmaß besitzen und um Haupteslänge über die andern Sterblichen emporragen. Sie hatte nur die Seele, nicht die Statur der Heldin. Ebensowenig hatte sie das wilde Temperament, die weitgreifenden Gesten einer Theroigne von Mericourt; sie hat sich nie mit dem Schwerte gewaffnet, nie nachstürmende Volksmassen begeistert; sie hatte nicht einmal das revolutionäre Blut, die Freude an Tumult und Aufruhr. Sie hat sich in die Revolution hineinstudirt und hineingelesen. Der Weg der Madame Roland ging aus dem Lesezimmer in den Salon und auf das Schaffot; auf diesem Wege aber zeigte sie geistige Kraft und Seelengröße, wie wenige Frauen der Geschichte.
Interessant ist ihre geistige Verwandtschaft mit ihrem gefährlichsten Gegner, Maximilian Robespierre. Sie theilte mit ihm die Begeisterung für die Tugenden des Alterthums; auch von ihm kann man sagen, daß er sich in die Revolution hineingelesen habe. Die Roland war für die Partei der Gironde, was Robespierre für die Partei des Berges war: der geistige Mittelpunkt, die Doctrin, das System, das begeisterte Priesterthum. Beide schwärmten für Rousseau und die Republik, und wie Robespierre den König, so haßte die Roland die Königin als Urheberin des ganzen über Frankreich hereingebrochenen Unglücks. Beide zeigten im Leben und Sterben eine heroische Gesinnung, nur war der Heldenmuth der Roland dem Tode gegenüber ein herausfordernder und beredsamer, derjenige Robespierre’s das Schweigen dumpfer Apathie.
Ueber ihr Leben hat uns Madame Roland selbst in ihren Memoiren Auskunft gegeben. Diese Memoiren, im Kerker und gleichsam im Angesichte des Todes geschrieben, sind schon an sich ein merkwürdiges Denkmal eines starken Charakters. Man merkt die Schatten des Todes kaum, welche auf diese Blätter fallen, so angelegentlich ist die Beschäftigung mit den kleinen und großen Interessen des Lebens, so unbefangen die Hingabe an alle Erinnerungen, selbst an diejenigen, welche dem Bereiche des „ewig Weiblichen“ angehören. Sie schrieb diese Memoiren, fortwährend unterbrochen theils vom Lärme todgeweihter Kerkergenossen, theils von den eindringenden Häschern, vor denen sie dieselben sorgfältig verbergen mußte; sie vertheilte Blatt auf Blatt zur Erinnerung an ihre Freunde.
Madame Roland war im Jahre 1754 zu Paris als die Tochter eines kleinen Goldschmieds Philipon[WS 1] geboren, der nicht ohne künstlerische Bildung und künstlerische Neigungen war, aber in beschränkten Verhältnissen sich ihnen nicht hingeben konnte. Seiner Tochter Manon ließ er indeß eine vorzügliche Erziehung zu Theil werden. Frühzeitig schon zeigte sie hervorstechende Anlagen, indem sie mit vier Jahren lesen lernte und dann im Zeichnen, in der Musik, Arithmetik und Geometrie große Fortschritte machte. Sie selbst erzählt Anekdoten aus ihrer Kindheit, welche beweisen, daß sie bereits damals einen sehr unbeugsamen Sinn hatte, der sich besonders strengen Erziehungsmaßregeln auf das Aeußerste widersetzte; sie erzählt diese Anekdoten mit einer Naivetät, welche für die damalige Zeit sowohl wie für die Ungenirtheit dieser spartanisch gesinnten Frau charakteristisch ist. Die älter werdende Manon las viel, alte Classiker, Tasso, Voltaire, Reisebeschreibungen, Romane, Predigten, aber außer Plutarch, von dem sie erklärt, daß er die Kraft und den Stolz, welche den Charakter machen, in ihr erweckt, ihr den wahren Enthusiasmus für die öffentlichen Tugenden und die Freiheit eingehaucht habe, war ihr Lieblingsautor Rousseau, mit dem sie für den stillen Reiz der Natur schwärmte und sich gegen die Ungleichheiten der Gesellschaft empörte.
Die „confessiones“ Rousseau’s waren damals Mode und sie sind für die Memoiren der Roland geworden, was der „contrat social“ für Robespierre’s politische Beredsamkeit. Es gehörte zum guten Ton, von einer erstaunlichen Offenherzigkeit zu sein, die eigenen Sünden und Laster aller Welt zu verkünden, ja mit ihnen zu kokettiren. Im Haß gegen die Heuchelei und gesellschaftliche Verlarvung ging man bis zu einer antiken Nacktheit; alles Natürliche schien verklärt und geweiht; es gab keine Mysterien des Körpers und der Seele. Hierfür spricht die Art und Weise, wie uns Madame Roland ihr eigenes Portrait entwirft und uns ihre körperliche Beschaffenheit photographisch und stereoskopisch wiedergiebt. Und während sie sich so der Erinnerung an ihre Jugendschönheit hingiebt und unbefangen erwägt, wie viel und was ihr davon noch geblieben sei, fällt ihr plötzlich ein, daß der garstige Camille Desmoulins, dieser von der Natur verwahrloste Witzbold der Revolution, dem nichts heilig war, nicht einmal die Reize einer Manon, seine Verwunderung ausgesprochen, wie sie in ihrem Alter und bei so wenig Schönheit noch so viele Verehrer habe finden können, und da weiß sie zu seiner Entschuldigung nichts anzuführen, als daß er sie nie gesprochen, und wohl nur deshalb sie falsch beurtheile. „Freilich,“ fügt sie hinzu, „wäre ich gegen einen Menschen solcher Art kalt, schweigend, vielleicht sogar abstoßend gewesen.“
Der garstige Camille! Ob Manon Roland in diesem Augenblicke Robespierre, der sie auf das Schaffot schickte, mehr haßte, als Camille, der ihre weiblichen Reize bezweifelte: das ist eine offene Frage für die Nachwelt. Eine Frau, die zu den großen Seelen ihres Geschlechts zählte, die dem Tode auf dem Schaffot entgegensah und später mit bewunderungswerthem Heroismus entgegenging, kann doch nicht umhin, einem kleinen Groll gegen den Spötter Ausdruck zu geben, der ihre körperliche Vollkommenheit nicht anerkennen wollte.
Doch kehren wir zur kleinen Manon zurück. Das zudringliche und ungebührliche Benehmen eines Lehrjungen gegen das elfjährige Mädchen reifte in ihr den Entschluß, sich auf ein Jahr in ein Kloster zu begeben. Sie erlangte die Erlaubniß ihrer Eltern dazu und verweilte dann ein Jahr bei den Damen der Congregation im Faubourg Saint-Marcel. Ihre religiösen Gefühle verschmolzen in jener Zeit mit einem innigen Naturgefühl; die Schönheit der Natur, das Wehen des Windes, der Duft der Blumen: alles stimmte ihr Gemüth andächtig. Noch später, als sie in ihr elterliches Haus auf dem Pont-neuf zurückgekehrt war, hatte sie mitten in dem tumultuarischen Treiben der Hauptstadt ihr tiefes Naturempfinden sich bewahrt; sie war ergriffen von dem Schauspiele des Abendhimmels, dessen prächtiges azurnes Gewölbe sie betrachtete, von dem bläulichen Ostrande, weit hinter dem Pont-aux-champs bis gegen Westen, wo er, von Gold und Purpur umsäumt, sich hinter die Bäume der Tuilerien und die Häuser von Chaillot hinabsenkte. Noch glücklicher war sie bei einem Sommeraufenthalte in Meudon, wo sie den Reizen des Landlebens sich mit voller Seele hingab.
Die Begabung der jungen Manon entwickelte sich immer mehr mit der eifrigen Lectüre, welche sie pflegte. Bald fing sie an, gegen die religiösen Ueberlieferungen sich aufzulehnen; das Studium der freigeistigen Schriftsteller machte sie immer unabhängiger von ihren klösterlichen Erinnerungen. Am meisten fühlte sie sich zu den stoischen Philosophen des Alterthums hingezogen; mit Seelengröße der Tugend zu huldigen, mit Opferfreudigkeit die Pflicht zu erfüllen, das wurde ihr Lebensideal. Tief ergriff sie der Tod ihrer Mutter, einer schönen und edeln Frau, an der sie mit Hingebung hing; sie hatte diesen Tod Tags vorher in einem ahnungsvollen Traume vorausgeschaut. Lange konnte sie sich über diesen Verlust nicht trösten; erst die Lectüre der „Nouvelle Héloïse“ von Rousseau weckte ihre Lebensgeister wieder. Durch regelmäßige Correspondenzen mit ihren Jugendfreundinnen aus dem Kloster hatte sie ihren Stil gebildet, und ihr wissenschaftliches Streben war so ernst, daß sie sich sogar an der Lösung einer von der Akademie von Besançon gestellten Aufgabe mit betheiligte.
Inzwischen waren nach dem Tode der Mutter die Verhältnisse des Vaters in arge Zerrüttung gerathen; auch knüpfte dieser zu mehreren Frauen Beziehungen an, welche der Tochter [353] das Verweilen im väterlichen Hause verleideten. In diese Zeit fällt ihre erste Bekanntschaft mit Roland de la Platière, der sich durch den Brief einer Jugendfreundin bei ihr einführte. Er war zwanzig Jahre älter als Manon, und seine Persönlichkeit hatte nichts Gewinnendes. Hochgewachsen, von nachlässiger Haltung, dabei starr und steif in seinem Wesen, lakonisch in seiner Sprechweise, außer wenn er von sich selbst sprach, was er mit Vorliebe zu thun pflegte, dabei mit einem rauhen, unharmonischen Organe ausgestattet, war er nicht dazu geschaffen, bei dem ersten Anlaufe das Herz einer Frau zu erobern. Eine nähere Bekanntschaft zeigte freilich Vorzüge des Geistes und Charakters, welche für das Unvortheilhafte seiner äußeren Erscheinung entschädigen konnten. Er hatte sich dem Studium des Alterthums, für dessen große Männer er sich wie Manon begeisterte, mit Eifer hingegeben und war außerdem ein Anhänger der freigeistigen Encyklopädisten und Mitarbeiter an dem großen Sammelwerke in der technischen industriellen Abtheilung, in welcher er bedeutende Kenntnisse besaß. Dies Alles flößte der jungen Manon Sympathie und Achtung ein, und da sie sich aus dem Vaterhause fortsehnte, so war es ihr Wunsch, sich zu verheirathen. Wohl fehlte es ihr nicht an Bewerbern, doch sie zog den Pedanten Roland als einen tüchtigen Mann den geistlosen Freiern vor, die sich um ihre Gunst bemühten. Der Vater wies zwar Roland’s Antrag anfangs zurück; doch Manon sagte sich inzwischen ganz von demselben los, und als Roland von einer italienischen Reise zurückgekehrt war, reichte sie ihm am 4. Februar 1780 ihre Hand. Die Reisebriefe, die er ihr aus Italien geschrieben hatte und die später in sechs Bänden herausgegeben wurden, mögen die Achtung, die sie für seinen Charakter und seine Kenntnisse hegte, noch gesteigert haben.
Manon hatte, im Drange der Verhältnisse und dem Gefühle der Achtung folgend, eine Vernunftheirath geschlossen, die ihr niemals volle Befriedigung gewähren konnte.
Daß das Glück oft weit von ihnen war, bekennt sie ganz offenherzig. In der That, so groß ihre Achtung vor dem braven Gelehrten sein mochte, der sein Interesse für die alten Römer mit demjenigen für die Statistik der Schafzucht und der Baumwollenmanufacturen zu vereinigen wußte, so vollständig der Einklang ihrer politischen Ueberzeugungen war: sie konnte sich doch nicht, als die glühende Jugend der Gironde sich in ihrem Salon versammelte, dagegen verblenden, daß ihr Gatte ein etwas hölzerner antiker Römer war, verglichen mit diesen geistig hochbegabten jungen Männern, die sich zum Theil auch durch körperliche Schönheit auszeichneten. Die Schwerfälligkeit ihres Gatten, die ihn oft geistig vollständig hülflos machte, trat immer mehr hervor; sie lenkte ihn wie der Kornak den Elephanten, leider! zuletzt auch in gefährliche Untiefen, in denen Beide zu Grunde gingen.
Anfangs lebten die Neuvermählten in Paris, wo Roland einige wissenschaftliche Schriften herausgab; sie war seine Abschreiberin und Correctorin und gab seinem ungelenken Stile dabei Glätte und Abrundung. Später siedelten sie nach Amiens über, wo die Roland Mutter einer Tochter wurde. Sie lebte hier sehr zurückgezogen und verließ das Haus nur, um botanische Excursionen zu machen, da die stille Poesie der Pflanzenwelt sie schon lange angezogen hatte. Außerdem sorgte sie als echte Hausfrau für die Küche.
Eine Reise nach England unterbrach diese Idylle in der Provinz. Im Jahre 1781 wurde Roland nach Lyon versetzt, wo er eine vortheilhafte Stellung erhielt; er verdankte dieselbe den Bemühungen seiner Frau, die in Paris sich eifrig für ihn verwendet hatte. Die ausbrechende Revolution wurde von Beiden mit Begeisterung begrüßt. Als in Lyon im Jahre 1790 das große Föderationsfest gefeiert wurde, gab Madame Roland im „Courrier de Lyon“ eine begeisterte und so glänzend stilisirte Beschreibung desselben, daß die betreffende Nummer in mehr als sechszigtausend Exemplaren verkauft wurde. Gehoben durch diesen schriftstellerischen Erfolg, begab sie sich mit ihrem Gatten nach Paris, um die großen Männer der neuen Bewegung persönlich kennen zu lernen. Sie lauschte den Worten eines Mirabeau und Barnave; sie betrachtete die düstere Gestalt eines Robespierre, die sich unheimlich am Horizont der Revolution abzeichnete; ihr imponirte jetzt wie später die Charakterfestigkeit und die Zähigkeit, mit welcher dieser Volksmann an seinen Ueberzeugungen festhielt; doch es waren Männer wie Bristol, Petion, Buzot, welche, durch gleiche politische Anschauungen eng verbunden, im Hause Roland’s heimisch wurden und einmal wöchentlich hier ihre Abende zubrachten. Roland und seine Frau besuchten auch den Jacobinerclub und ließen sich ganz von den Wogen der politischen Bewegung treiben. Er selbst war diesmal als Abgesandter des Gemeinderaths von Lyon in Paris, um die trostlose Lage der Stadt, wo fast alle Fabriken stillstanden und zwanzigtausend Arbeiter brodlos waren, der Nationalversammlung zu schildern, und er setzte auch günstige Beschlüsse durch.
Nach Lyon zurückgekehrt, gründete Roland in dieser Stadt ebenfalls einen Jacobinerclub, der mit dem Pariser in nahe Beziehungen trat; doch war seines Bleibens in Lyon nicht; die Stelle, die er bekleidete, wurde aufgehoben und er begab sich nach Paris, um eine Pension zu erlangen und seine encyklopädischen Arbeiten fortzuführen. Hier schloß er sich noch enger an die gleichgesinnten Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlung an und wurde auf ihren Vorschlag in das Ministerium gewählt, welches König Ludwig der Sechszehnte aus Dumouriez und Mitgliedern der Gironde zu bilden sich durch seine Machtlosigkeit und völlige Abhängigkeit von der Versammlung genöthigt sah.
Das Ministercabinet, der Ministersalon – welch ein Tummelplatz für eine begabte und unternehmende Frau, welche jetzt erst, wie sie selbst bekennt, ihre ganze Bedeutung zu fühlen anfing! Die geringe Begabung der damaligen Staatsmänner, welche nur in einer gewissen Entfernung zu imponiren vermochten, war in der Nähe unverkennbar. Madame Roland sprach ihre Verwunderung aus über die allgemeine Mittelmäßigkeit, die Alles übertreffe, was die kühnste Einbildungskraft sich denken konnte; ihr Ideal von großen Männern, das ihr Gatte so schlecht verwirklichte, kam auch bei den anderen Berühmtheiten des Ministeriums zu kurz. Doch wie viele berühmte Staatsmänner auch anderer Zeiten sind im Grunde mittelmäßige Köpfe gewesen, die nur durch gewisse Charaktereigenschaften und glückliche Erfolge sich einen weitreichenden Ruhm erwarben! Sie hatten die Hände voller Trümpfe und machten einen Stich nach dem andern; aber es fehlte eine Roland, um ihr Spiel zu controliren.
Manon Roland wurde der Cabinetssecretär ihres Mannes, aber einer jener Secretäre, welche mehr dictiren als nachschreiben. Sie selbst erzählt, daß sie bei allen Rundschreiben, bei Instructionen, bei wichtigen Veröffentlichungen selbst zur Feder gegriffen habe; sie erkennt das Administrationstalent ihres Mannes an; aber sie meint doch, daß mit ihrer Beihülfe Alles, was er schrieb, mehr Nachdruck und Wirkung gewonnen habe, „denn es gelang mir, in seine Manifeste eine Mischung von Kraft und Milde, die Macht der Vernunft und den Reiz der Empfindung zu bringen, die vielleicht nur bei einer Frau vereinigt zu finden sind, welche Gefühl und einen klaren Kopf besitzt.“
Ohne Frage unterschätzte sich Manon Roland nicht – und wenn in ihrem Zimmer die Girondisten berathschlagten, während sie selbst mit weiblichen Arbeiten beschäftigt war oder Briefe schrieb, ohne daß ihr ein Wort der Berathung verloren ging, da hatte sie oft das Gefühl, daß sie nicht nur der einzig klare Kopf, sondern daß sie auch als Weib weit entschiedener sei als diese Männer. „Was mich am meisten befremdete,“ sagt sie, „war das Hin- und Herreden und der Leichtsinn, mit welchem Männer von tüchtigem Verstande drei bis vier Stunden zubrachten, ohne zu einem festen Entschlusse zu kommen. Ich hätte den Ehrenmännern, die ich wegen des Adels ihrer Gesinnung und der Reinheit ihrer Absichten täglich mehr achten lernte, vor Ungeduld Ohrfeigen geben können.“ Das that sie nun freilich nicht, aber sie redete jedem Einzelnen in’s Herz; sie citirte Einen nach dem Andern vor ihren politischen Beichtstuhl, hielt ihm eine Strafpredigt und mahnte ihn, sich zu bessern. Sie war mißtrauisch gegen den Hof und dessen Intriguen, besonders gegen die Königin Marie Antoinette. Als Jemand Mitleid bei der Beschimpfung derselben und des kleinen Dauphin zeigte, wandte sie sich ab mit den Worten: es handle sich in der Revolution um größere Dinge, als um ein Weib und ein Kind. Während ihre Freunde noch Vermittelungen mit dem Königthume suchten, hatte sie vollständig mit ihm gebrochen. Die Royalisten ihrer Zeit verglich sie mit jener Wirthsfrau, die, als einmal über Manon’s Vater der Betthimmel bei dem Zusammenziehen der Vorhänge [354] herabgefallen war, erstaunt ausrief: „Aber, mein Gott, wie ist das möglich! Seit siebenzehn Jahren ist er in Gebrauch und hat sich noch nicht gerührt.“
Es ist ein eigenthümlicher und seltener Anblick, eine geistvolle, liebenswürdige Frau als die Seele einer politischen Partei! Numa hatte seine Egeria, Perikles seine Aspasia; doch es waren das gleichsam Haus- und Privatgottheiten, welche ihre Offenbarungen nur im traulichen Verkehre verkündeten. Die Roland war die Egeria und Aspasia der ganzen Gironde; ihr Einfluß reichte in das Ministerium wie in die gesetzgebende Versammlung; sie war eine parlamentarische Größe hinter den Coulissen des Parlaments. Welch eine Zahl hervorragender Männer versammelte sich in ihren Salons! Da war der träge Vergniaud, vielleicht das größte Rednertalent der Revolution, dessen schlummernde Beredsamkeit es zu wecken galt; da war Brissot, der rührige Journalist, ein tumultuarischer Kopf, der Freude hatte an der Unruhe und Verwirrung; da war der feurige, jugendliche schöne Barbaroux, der ungestüme Guadet und andere, welche eine klar denkende Frau zu mäßigen und zu zügeln wußte; da war vor allem Buzot, der Einzige, dem sie sich unterordnete, den sie verherrlichte, weil sie ihn liebte.
Nicht, wie man oft annahm, Barbaroux, nicht der hochbegabte Vergniaud, nicht Bancal des Issarts, mit dem sie in einem 1835 veröffentlichten Briefwechsel stand – Buzot war es, den sie mit der glühendsten Neigung ihres Herzens umfaßte. Man hat neuerdings vier Briefe aufgefunden, die sie an ihn geschrieben, zwei Portraits mit einer von ihr selbst verfaßten Charakteristik des Originals. Ihm errichtet sie ein glänzenden Piedestal; man fühlt es heraus, er ist ihr nicht berühmt genug; seine Tugenden, seine geistige Bedeutung sind nicht genug anerkannt; sie will gut machen, was die undankbare Mitwelt versäumt. Sie schildert ihn als einen Mann von erhabenem Charakter, von stolzem Sinne und feurigem Muthe, gefühlvoll, auflodernd, als einen leidenschaftlichen Bewunderer der Natur, einen Freund der Menschheit, empfänglich für die zartesten Regungen der Seele, des höchsten Aufschwungs fähig, als einen begeisterten Republikaner; sie vergißt nicht sein gefälliges Aeußere, sein edles Gesicht zu erwähnen, und was sie an ihm tadelt, jene Trägheit, die er mit Vergniaud gemein hatte, das war ein Fehler, der ihr nicht unwillkommen war; denn gerade hier konnte sie, die stets entschlossene Frau, ihren Einfluß, ihre Macht auf sein Gemüth bewähren. Mit Eifer vertheidigt sie ihn gegen alle Gegner. Buzot war verheirathet wie Manon Roland; beide opferten ihre Neigung der Pflicht. Erst im Gefängnisse vollzog sich ein Umschwung im Gemüthe der heldenmüthigen Frau; sie opferte sich für Roland, um seine Unschuld zu beweisen. Durch dieses Opfer aber glaubte sie ein Recht zu gewinnen, nun auch ihrem Herzen zu folgen, die Sprache der Leidenschaft zu sprechen, frei von Schranken, aber auch frei von Vorwürfen. Es sind merkwürdige Bekenntnisse in diesen Briefen an Buzot, die auf das Geheimniß ihres Lebens ein ungeahntes Licht werfen. Die stolze Denkerin wird zur Sophistin; das Palladium der Pflicht zerbricht in ihren Händen; über die Todgeweihte bricht überwältigend das volle Bewußtsein vom Glück des Lebens und der Liebe herein, und fast klingt es wie Reue über die lange pflichtgetreue Entsagung, wenn sie in ihrem dritten Briefe an Buzot schreibt: „Du kannst Dir, mein Freund, den Reiz einer Gefangenschaft nicht vorstellen, in welcher man von dem Thun und Lassen jedes Augenblicks nur seinem eigenen Herzen Rechenschaft abzulegen braucht. Keine verdrießliche Störung, kein peinliches Opfer, keine langweilige Berufspflicht, nichts von jenen Pflichten, die um so drückender auf uns lasten, je mehr ein reines und edles Herz sie glaubt aufrecht halten zu müssen, nichts von jenen Gesetzen und Vorurtheilen der Gesellschaft, die mit den süßesten Empfindungen der menschlichen Natur in Widerspruch stehen.“
[369] „Meinen Henkern,“ schreibt Madame Roland in einem Briefe an Buzot, „verdanke ich die himmlische Seligkeit, daß ich in Einem Athem meiner Pflicht genügen und meiner Liebe mich hingeben kann. O, beklage mich nicht, mein Theuerer!“ Und in einem andern Schreiben sagt sie: „Mein süßestes Glück würde es sein, wenn ich durch das Opfer meines Lebens für Roland das Recht erhielte, Dir allein meinen letzten Seufzer zu widmen.“
Welch ein Kampf zwischen Pflicht und Neigung im Herzen der merkwürdigen Frau! Als starre Heldin der Tugend, wie sie bis dahin erschien, würde sie uns unbedingt Achtung abnöthigen, aber daß ihr Herz auch empfänglich war für den Zauber der Leidenschaft, daß ihre unerbittliche Logik zu seltsamen Trugschlüssen verleitet wurde durch diese Gewalt einer unwiderstehlichen Liebe: das mag ihr mit Recht den Heiligenschein einer über alle Versuchungen erhabenen Frau nehmen, aber es läßt das Weibliche ihres Wesens aus all der Verpuppung in Gelehrsamkeit und politische Weisheit in den lebhaftesten Zügen hervortreten!
Und welch ein Licht wirft dieses briefliche Vermächtniß auf ihr ganzes Leben! Da sehen wir sie, eine Hohepriesterin der Pflicht, bald die Manifeste ihres Gatten ausarbeiten, bald seine Leibgerichte in der Küche besorgen; doch eifersüchtig ruht sein Auge auf ihr, wenn sie im Kreise der jüngeren Genossen sich bewegt, und auf ihr selber lastet’s wie ein bleierner Druck endloser Langeweile; denn ihr Herz sehnt sich nach einer Freiheit, welche der Sturz des Königthums, um den sie so eifrig sich bemüht, ihr nicht zu verschaffen vermag.
Als politische Rathgeberin ihres Gatten war sie unermüdlich. Zweifellos ist es, daß sie den berühmten Brief Roland’s an den König vom 10. Juni selbst dictirt hat. Ludwig der Sechszehnte wollte damals in der Priesterfrage nicht nachgeben, das Verbannungsdecret gegen volksfeindliche Priester nicht unterzeichnen, auch nicht zugeben, daß ein Lager der Föderirten bei Paris sich einfinde. In jenem Briefe wurde dem Könige mit großer Rücksichtslosigkeit gesagt, daß die Rückkehr zur alten Ordnung der Dinge, zu welcher er durch seine Erziehung stark neige, unmöglich sei. Die Nation werde sich eher unter den Trümmern der Verfassung begraben lassen, als irgend einer Gewalt gestatten, diese umzustürzen. Die Folge dieses Briefes war die Entlassung Roland’s und seiner girondistischen Collegen aus dem Ministerium. In der Versammlung wurde der Brief mit Jubel aufgenommen und der Druck und die Versendung in die Departements beschlossen. Manon Roland hatte ihren zögernden Freunden bewiesen, daß ihr Mißtrauen gegen den guten Willen des Königs wohlbegründet war. Der Brief wurde ein wichtiges Ferment der politischen Bewegung. Es folgte bald darauf der Sturm auf die Tuilerien am 10. August. An den Vorbereitungen zu diesem entscheidenden Tage hatte Manon Roland Antheil; denn der Führer der Marseiller, Barbaroux, gehörte ihrem Kreise an. Wiederum wurde ein girondistisches Ministerium gebildet, in welches Roland eintrat, zugleich aber mit ihm Danton, welcher „die Cirkel der Gironde störte“. Madame Roland, welche für den gewissenhaften und unbestechlichen Robespierre, wenn sie auch dessen neidische Gemüthsart nicht verkannte, Sympathien hegte, war eine durch nichts zu gewinnende Gegnerin Danton’s, dieses gewaltigen Volksmannes, der durch den Einsatz seiner imposanten Persönlichkeit und die genialen Eingebungen des Augenblicks eine machtvolle Wirkung übte, im Uebrigen aber ein Genie in der Liederlichkeit wie Mirabeau und überdies nicht abgeneigt war, sich auf Staatsunkosten zu bereichern. Gegen derartige Kraftmenschen hatte die Roland eine unüberwindliche Abneigung. Als die Schlächtereien des Septembers stattgefunden hatten, deren Hauptbegünstiger, wenn nicht Urheber, Danton war, empfand die Roland einen Schauder gegen diese Gluth gemeiner Leidenschaften, gegen diese maßlosen Metzeleien und spornte ihren Gatten an, in der Nationalversammlung die Förderer und Schützer derselben anzuklagen. Das wurde verhängnißvoll für sie wie für die Gironde. Der Haß der Jacobiner begann sich gegen sie zu richten; man nannte sie die Circe der Gironde; man verglich sie mit der Königin Coco; Danton sagte, als man Roland, obgleich er zum Abgeordneten der Versammlung gewählt war, ersuchen wollte, sein Portefeuille beizubehalten: „Wenn man Herrn Roland mit dieser Einladung beehrt, muß man sie auch an Madame richten. Ich kenne alle Tugenden des Ministers; aber wir haben Männer nöthig, die nicht blos mit den Augen ihrer Frauen sehen.“
Die Abstimmung über den Tod des Königs hatte die unklare Haltung der Gironde auf das Unzweideutigste dargelegt, die Bergpartei dagegen gekräftigt. Die Schwäche und Zersplitterung seiner Partei machte Roland das Verbleiben im Ministerium unmöglich; die Montagnards griffen ihn auf’s Aeußerste an; er legte sein Portefeuille nieder, im Einverständnisse mit seiner Frau und unter Ablegung eines höchst eingehenden Rechenschaftsberichts. Er war der Mann der Ziffer, aber die Parteien respectirten die Ziffern nicht. Man verlangte Glaubensbekenntnisse, keine Rechenexempel. Je mehr die Gironde den Boden verlor, desto herausfordernder wurden ihre Vertreter. Nur Ein Mann konnte und wollte sie retten: es war Danton; doch gerade gegen Diesen war die Abneigung gewachsen. Die Beredsamkeit der anmuthigen Manon hatte gewiß nicht wenig dazu beigetragen, den Groll gegen den genialen Wüstling in ihren Kreisen zu verbreiten und gerade damit den Untergang der Gironde zu beschleunigen.
In einem Augenblicke stolzer Selbstüberhebung hatte sie erklärt, sie sei berufen, die Vorsehung zu spielen. Sie hat dieselbe schlecht genug gespielt; sie hatte wohl die lebhafte Ahnung des hereinbrechenden Verderbens, aber ihre Rathschläge riefen es näher herbei, anstatt es aufzuhalten. Klägliche Vorsehung, der in einer Secunde das Fallbeil der Guillotine ein Ende machte!
Die Tage des 31. März und des 2. Juni, an denen eine große Volksbewegung zur Verhaftung der Gironde führte, bezeichnen den Wendepunkt im Leben der Madame Roland. Von jetzt ab ist dasselbe einem tragischen Schicksale verfallen. Und wenn man die freigeistige Republikanerin, die männlicher als die Männer sich an der Politik betheiligt, die in ihrem Salon eine geistige Oberherrschaft über eine ganze Partei ausübt, nicht weiblich genug findet, wenn man in diesem begabten und thätigen Unterstaatssecretär des Ministeriums Roland eine Verzeichnung des Frauenideals erblickt, so entwickelt sie dafür von dem Augenblicke ab, wo das Geschick sich gegen sie erklärt, einen Adel der Gesinnung und eine Seelengröße, welche auch den mißgünstigen Blick auf sie zurücklenken und selbst eine ungern gewährte Anerkennung erzwingen.
Sie hielt Frankreich und ihre eigene Sache für verloren und begünstigte die Flucht Roland’s, während sie selbst in Paris zurückblieb. Sie wollte der Ungerechtigkeit Trotz bieten und traute sich gewiß die Kraft zu, die Sache ihres Gatten mit glänzender Beredsamkeit zu vertheidigen. Sie gefiel sich in dem Gedanken, sich für Roland zu opfern; es erschien ihr dies als eine Sühne für die Untreue ihres Herzens. Buzot war auch geflüchtet und außer dem Bereich der Jacobinischen Gräuelthaten; sie wollte vor der Mit- und Nachwelt die Freunde vertheidigen, an denen sie mit Bewunderung hing.
Am 2. Juni wurde Madame Roland verhaftet und in die Abtei geführt, die sie kurze Zeit darauf mit Saint-Pélagie vertauschte. Die vor kurzem in dem Archive gefundenen Papiere verbreiten über diese Verhaftung ein neues Licht. Wir sind aus den Romanen der jüngsten Zeit gewöhnt, uns unter Gouvernanten meistens sehr edle Wesen zu denken, welche des Montyon’schen Tugendpreises[WS 2] würdig sind; doch es gab und giebt auch sehr bösartige Exemplare dieser weitverbreiteten Species. Durch das Gefühl ihrer untergeordneten Stellung, die in solchem Mißverhältnisse steht zu ihrer geistigen Bildung, mit Groll erfüllt, benutzen diese oft jede, auch die bedenklichste Gelegenheit, die ihnen erlaubt, sich ihrer Brodherrschaft überlegen zu zeigen. [370] Das war wohl auch das Motiv, welches Fräulein Mignot, die Gouvernante des Fräulein Roland, zur Denunciantin machte. Madame Roland hatte sie mit Wohlthaten überhäuft, ihr ein schrankenloses Vertrauen gezeigt, ja ihr sogar die Tochter übergeben wollen, wenn sie selbst der wechselnden Bewegung der Revolution zum Opfer fallen sollte. Dieses Fräulein Mignot hatte zum Theil die Unterhaltungen der Girondisten in dem Salon und bei den Diners der Madame Roland mit angehört und überbrachte einzelne Aeußerungen dem Revolutionscomité der Section des Pantheons. Gelobt wegen ihres Patriotismus, stolz auf den Triumph, den sie über ihre Gebieterin davon trug, steigerte sie sich in ihren Aussagen zu Uebertreibungen und Unwahrheiten. Man mag den Namen dieser Clavierlehrerin und Erzieherin der Nachwelt aufbewahren – die Demoiselle Mignot der Geschichte schlägt die Jane Eyre des Romans.
Unaufhörlich beschwerte sich die Roland über die Formwidrigkeit ihrer Verhaftung. Da trieb man ein böses Spiel mit ihr – man kündigte ihr die Freiheit an; sie verließ eilends die blumengeschmückte Kerkerzelle, welcher der Gefängnißwärter von jetzt ab den Namen des Pavillons der Flora zu geben versprach. Doch kaum hatte sie die Schwelle ihres Hauses wiederbetreten, als sie von neuem verhaftet wurde, diesmal nach allen Formen des Gesetzes. Ein junger Mann, der sich ihrer annahm, erbittert über dieses treulose Verfahren, büßte seinen Edelmuth mit dem Tode. Wieder in dem traurigen Gefängnisse von Saint-Pélagie verweilend, wies sie einen Befreiungsversuch von Seiten ihrer Freunde mit den Worten zurück: „Ich würde nur die Wuth der Feinde meines Gatten erregen; ich bleibe hier – mein Entschluß steht fest.“ Und in der That war es unmöglich, ihn zum Wanken zu bringen. Hier im Gefängnisse las sie den Tacitus, für den sie schwärmte; sie sah in seinen Annalen das Spiegelbild der eignen Zeit. Die damalige Regierung Frankreichs erschien ihr als ein Ungeheuer, dessen Formen und Auftreten gleich empörend seien, welches alles zerstöre, was es berühre, und sich selbst verzehre. Ihre ganze Seele weilte bei den Freunden, Buzot und Barbaroux, welche im Departement des Calvados den Aufstand gegen den Convent organisirten. Von ihnen erhielt sie auch Briefe durch Vermittlung eines Deputirten Duperret, der indeß später selbst verhaftet wurde; unter seinen Briefschaften fand sich Vieles, was Madame Roland compromittiren mußte. Am 31. October, am Tage der Hinrichtung der Girondisten, wurde sie in die Conciergerie gebracht.
Es war gewiß der trübste Tag ihres Lebens – so viele Freunde auf einmal dem Henkerbeile verfallen! Noch einem schönen begeisterten Todesmahle starben sie wie jugendliche Helden des Alterthums. Kaum eine halbe Stunde währte die Hinrichtung; es bedurfte nur so kurzer Zeit, um Talente in Masse aus der Welt zu schaffen. Die Rechnung des Todtengräbers lautete: „Für zweiundzwanzig Deputirte der Gironde an Särgen hundertsiebenundvierzig Francs; für Beerdigungskosten dreiundsechszig Francs, zusammen zweihundertzehn Francs.“ So wohlfeil kam der Tod dieser glänzenden Jugend Frankreichs zu stehn. Wenige beweinten sie damals; zu ihnen gehörte Manon Roland in ihrem Kerker. Zur Zeit, als die Männer der Gironde vor dem Revolutionstribunale standen, hatte sie gehofft, zur Zeugenschaft zugelassen zu werden. Als man sie nicht aufrief, aus Furcht vor ihrer Beredsamkeit und ihrer Unerschrockenheit, brachte sie ihr Zeugniß für die Nachwelt auf das Papier. Sie fügte den Anklageacten Amar’s „flüchtige Bemerkungen“ bei, zur Vertheidigung der Hauptvertreter ihrer Partei, und diese uns erhaltenen Bemerkungen sind der glänzendste Beweis für ihren scharfen Verstand, für ihre feine Menschenbeobachtung, für ihre edle Begeisterung für Freiheit und Freundschaft.
Wenn in früheren Aufzeichnungen uns Manon Roland als das vollkommene Abbild von Rousseau’s Julie geschildert und die hervorstechende Schönheit ihrer Augen, ihrer Haare, ihres Wuchses und ihres Teints gerühmt wird, so hat uns ein Mitgefangener in der Conciergerie, Riouffe, ein anziehendes Bild der ebenso anmuthigen wie seelenstarken Frau aus ihrer letzten Lebenszeit gegeben: „Ihr ganzer Gesichtsausdruck war vergeistigter Art. Das Unglück und ihre lange Haft hatten allerdings in ihrem Gesichte Spuren des Tiefsinns zurückgelassen, allein diese wurden durch ihre natürliche Lebhaftigkeit gemildert; sie besaß eine wahrhaft republikanische Seele in einem Körper, der bei aller Anmuth eine Haltung zeigte, wie man sie nur an einem Königshofe sich wünschen mag; in ihren großen, dunkeln Augen voll Sanftmuth und Feuer malte sich etwas mehr, als was sich gewöhnlich in den Augen der Frauen spiegelt. Mit der Freiheit und dem Muthe einer großen Seele sprach sie oft mit mir durch das Gitter ihres Gefängnisses. Diese freie und kühne Sprache in dem Munde einer anmuthigen französischen Frau, deren Schaffot schon errichtet war, erschien als ein Wunder der Revolution. Wir alle um sie her lauschten mit einer Art von Bewunderung und Erstaunen ihrer Unterhaltung, die hohen Ernst mit liebenswürdiger Wärme vereinigte. Sie wußte sich mit seltener Anmuth und mit solcher Schönheit der Sprache auszudrücken, daß, wenn man sie vernahm, man eine dem Ohre bisher fremde Musik zu hören glaubte.“
Sie erschien vor dem Revolutionstribunale in einem weißen Kleide; das gelöste schöne Haar wallte ihr bis zum Gürtel herab. Bei dem Verhöre hatte man die unwürdigsten Fragen an sie gerichtet, ohne sie aus der Fassung zu bringen. Ihr ganzes Streben war darauf gerichtet, Roland selbst zu vertheidigen. Sie sprach mit gewohnter Anmuth und Energie. „Ihr könnt mich auf das Blutgerüst schicken,“ rief sie aus, „aber mir nicht die freudige Genugthuung rauben, die ein gutes Gewissen und die Ueberzeugung giebt, daß die Nachwelt mich und Roland rächen wird, indem sie unsere Verfolger der ewigen Schande preisgiebt.“ Sie sprach stolz und muthig, bis man ihr das Wort entzog, aber die ihr angethane Schmach konnte sie nicht verwinden und mit Thränen in den Augen kehrte sie nach dem Verhöre in ihren Kerker zurück.
Als ihr Advocat, Chauveau-Lagarde, zu ihr kam, um sich mit ihr zu berathen, hörte Madame Roland mit ruhiger Miene zu, besprach kaltblütig die zu ihrer Vertheidigung vorgeschlagenen Mittel; dann aber zog sie gerührt einen Ring von ihrem Finger und reichte ihn ihrem Advocaten, indem sie sagte: „Kommt morgen nicht zum Tribunale! Das hieße Euch verderben ohne mich zu retten; empfangt das einzige Pfand, das meine Dankbarkeit Euch darzubieten vermag. … Morgen werde ich nicht mehr sein.“
Das Todesurtheil wurde über sie gesprochen. Sie rief ihren Richtern zu: „Ihr haltet mich für würdig, das Loos der großen Männer zu theilen, die Ihr gemordet habt; ich danke Euch, indem ich Euch zugleich die Versicherung gebe, daß ich mich bemühen werde, auf dem Wege zum Blutgerüste denselben Muth zu zeigen, wie sie.“
Als sie in die Conciergerie zurückkehrte, umdrängten sie die Gefangenen mit inniger Theilnahme und mit der Frage, wie es um sie stehe. Sie antwortete mit einer nicht mißzuverstehenden Pantomime, indem sie mit der rechten Hand an ihrem Halse die Bewegung eines Messers nachahmte, das einen Kopf abschneidet. Sie blieb ruhig; doch rings um sie klagte und weinte man.
Sie besaß Opium, doch sie machte nicht Gebrauch davon. Der Gedanke, daß ihre Hinrichtung noch ihrem Vaterlande nützlich sein könne, hielt sie von Selbstmord ab.
Ihre letzten Aufzeichnungen zeugen von seltener Seelengröße; der Adel des Ausdrucks giebt ihnen ein einfaches Gepräge. „Wenn die Unschuld,“ ruft sie aus, „zur Richtstätte schreitet, verurtheilt von dem Irrthume und der Nichtswürdigkeit, so findet sie dort unvergänglichen Ruhm. Möchte ich das letzte Opfer sein, das der Wuth des Parteihasses anheimfällt! Ich würde mit Freuden diese unglückliche Erde verlassen, welche die Guten verschlingt und mit dem Blute der Gerechten befleckt ist.“ Ihre letzten aufgezeichneten Worte waren eine Verherrlichung jener wahren Freiheit, welche nur für die großen Seelen ist, die den Tod verachten und für sie zu sterben wissen, nicht für die schwachen Menschen, welche mit dem Verbrechen unterhandeln, nicht für die Verdorbenen, die aus dem Bette der Schande und dem Schmutze des Elends emporsteigen, um sich in dem Blute zu baden, das von dem Schaffote fließt, nur für ein weises und gerechtes Volk. „So lange Ihr nicht ein solches Volk seid,“ ruft sie ihren Mitbürgern zu, „so lange wird für Euch die Freiheit nur ein leerer Schall sein. Ihr werdet nur die Freiheit haben, Einer dem Andern zum Opfer zu fallen, Ihr werdet Brod verlangen und man wird Euch Leichen geben; Ihr werdet unter dem Joche der Knechtschaft enden.“
Dies waren ihre letzten Zeilen. Noch auf dem Blutgerüste soll sie Schreibzeug verlangt haben, um die ganz besonderen [371] Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. „Schade,“ sagt Goethe in seinen Prosasprüchen, „daß man es ihr versagte! Denn am Ende des Lebens gehen dem gefaßten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare, sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.“
Mit großer Ruhe hatte Madame Roland alle Vorbereitungen zu ihrem Tode getroffen, Abschied von den Ihrigen genommen, ihre Tochter ermahnt, der Eltern würdig zu sein, die ihr große Beispiele hinterlassen, und dann ihr Testament gemacht. Sie schmückte sich zum letzten Gange in ähnlicher Weise, wie sie vor dem Tribunale erschienen war. Ein weißes Gewand, lang-herabwallende Haare – ihre Züge zeigten eine leichte Röthe, eine jugendliche Verklärung. Den wüthenden Furien, welche den Leichenkarren umtanzten mit dem Rufe „Zur Guillotine!“ rief sie zu: „Beruhigt Euch! Ihr seht ja, daß ich schon auf dem Wege dahin bin; doch Diejenigen, welche mich hinschicken, werden mir nachfolgen, und Ihr werdet ihren Tod beklatschen, wie heute den meinigen.“ Auf dem Leichenkarren saß mit ihr ein Greis, Lamarche, ein Director der Assignatenfabrik, dessen Muth dem ihrigen nicht gleich kam; sie wußte ihn auf dem Wege zum Schaffote zu erheitern, so daß sie ihm selbst ein Lächeln ablockte. Hinter dem Schaffote erhob sich die Statue der Freiheit; sie verneigte sich vor derselben mit den Worten: „O Freiheit, welche Verbrechen begeht man in deinem Namen!“ Sie bat den Scharfrichter, Lamarche vor ihr zu enthaupten, damit dem alten Manne erspart werde, ihr Blut zu sehen, und als dieser nach einigem Zögern sich dazu verstand, führte sie den Greis selbst an das Schaffot und drückte ihm die zitternde Hand mit den Worten: „Es ist bald gethan.“ Sie sah der Hinrichtung mit Fassung zu, stieg empor, ohne einen Wink abzuwarten, und hob oben ihr Kleid ein wenig in die Höhe, damit es nicht von dem entgegenströmenden Blute befleckt werde.
Der 10. November 1793 war der Tag ihrer Hinrichtung. So starb eine edle und begabte Frau, deren Charakter in seiner ganzen Größe erst ein tragisches Schicksal der Mit- und Nachwelt enthüllen sollte. Fünf Tage darauf fand man etwa vier Meilen von Rouen an der Landstraße einen todten Mann, der sich den Degen in die Brust gebohrt hatte – es war der Exminister Roland de la Platière. Im Jahre 1794 fand man im südlichen Frankreich, von den Wölfen angenagt, die Leichen zweier Männer; man erkannte Petion und Buzot, sie hatten sich durch Gift den Tod gegeben. So hatten die Genossen ihres Lebens und Herzens nicht lange die seltene Frau überlebt.