Das goldene Jubiläum einer deutschen Zeitschrift
[56] Das goldene Jubiläum einer deutschen Zeitschrift ist etwas so Seltenes, daß es schon an und für sich Erwähnung verdient; wenn dann aber außerdem noch die Jubilarin in der langen Reihe von fünfzig Jahren jederzeit sich der höchsten Achtung zu erfreuen hatte und fort und fort verdienstlich wirkte, so muß ihr Ehrentag noch ganz besonders hervorgehoben werden. Das sei denn auch mit dem Jubiläum der Fall, das am 1. Februar d. J. das „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes“ festlich begeht! selten ist eine kritische Zeitschrift so festen Schrittes, so vollständig unbeirrt, so im edelsten Sinne vornehm ihres Weges gegangen, wie die Jubilarin. Freilich leuchteten ihr auch gleich von ihrem ersten Tage an die freundlichsten Sterne.
Das „Magazin“ ging noch aus den mannigfachen Anregungen hervor, welche die Romantiker unserem Literaturleben gaben. Durch die Schlegel, Tieck, Gries und Andere waren die Blicke der deutschen Leserwelt auch auf die Literaturschätze des Auslandes gelenkt worden, und es regte sich nun unter den Gebildeteren das Verlangen, die Kenntniß der ausländlischen Literatur auch weiter zu pflegen. Diesem Wunsche entsprach ein junger Publicist, der sich durch vielseitige Bildung und journalistisches Geschick bereits ausgezeichnet hatte, Joseph Lehmann in Berlin. Seit 1828 Mitredacteur der damals unter der Aegide des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten erscheinenden „Preußischen Staats-Zeitung“, hatte er in dem Redactionsbureau derselben die beste Gelegenheit, sich fortwährend über die neuesten Erscheinungen der Weltliteratur zu informiren, da die preußischen Gesandten des Auslandes beauftragt waren, alle interessanten Werke, die in ihrem Bereich auf dem Gebiete der politischen und wissenschaftlichen Literatur erschienen, der Redaction der „Staats-Zeitung“ einzusenden. Um dem von ihm geplanten publicistischen Unternehmen gleich eine feste Stütze zu geben, kam Joseph Lehmann durch den Curator der „Staats-Zeitung“, den Geheimen Legationsrath Karl Philipsborn, bei dem Minister Grafen Christian von Bernstorff und dem Staats-Secretär Ancillon um die Erlaubniß ein, dasselbe als eine Art Beiblatt der „Staats-Zeitung“ herausgeben zu dürfen, was beide Männer, die ebenfalls ein reges Interesse für die Weltliteratur zeigten, gern gewährten. Und so wurde die Redaction der „Staats-Zeitung“ ermächtigt, das „Magazin für die Literatur des Auslandes“ – so war damals der Titel – als ein mit besonderem Abonnement verbundenes Beiblatt der „Staats-Zeitung“ anzukündigen und herauszugeben, etwaige durch dieses neue Blatt (dessen Preis auf nur 9 Mark pro Jahr gestellt wurde) entstehende Ausfälle aus den Ueberschüssen der „Staats-Zeitung“ zu decken und dem Redacteur Joseph Lehmann alle dem Staats-Zeitungs-Institute zugesandten literarischen Hülfsmittel zur Mitbenutzung zu überlassen.
Das waren also die günstigsten Bedingungen, unter denen das „Magazin“ in’s Leben treten konnte, und da sich auch noch der über das Blatt gesetzte Censor – zu jener Zeit eine überaus wichtige Person für jedes literarische Unternehmen – der Geheime Ober-Regierungsrath Jakobi, als ein warmer Freund der jungen Zeitschrift erwies, so durfte sie frisch und fröhlich hinaussteuern und täuschte dann auch die Erwartungen nicht. Gleich der Prospect, welcher der „Staats-Zeitung“ beigelegt wurde und in welchem der Redacteur auf einen Gedanken Goethe’s hinwies, der sich zuerst des Wortes „Weltliteratur“ bedient hatte, fand so vielseitigen Anklang, daß sich schon in den ersten Wochen nach der Ankündigung zwölfhundert Abonnenten anmeldeten. Mit einem geistreichen Artikel Lehmann’s über das damals soeben herausgekommene Werk von Lord Dover: „The Life of Frederic the Second, King of Prussia.“ that die Zeitschrift sodann ihren ersten Schritt. Sie präsentirte sich in Folioformat und Fracturschrift und erschien darauf wöchentlich dreimal.
Seine Mitarbeiter hatte sich Joseph Lehmann zunächst unter seinen Collegen gesucht, bald aber gelang es ihm auch Professoren von Universitäten, bedeutende Lehrer von Gymnasien und geistvolle Schriftsteller wie Wilibald Alexis, Hesekiel, Mundt u. A. zu gewinnen, sodaß das Ansehen des „Magazins“ rasch stieg. Leider bestand damals noch nicht die gute Sitte, die Artikel mit dem Namen des Autors zu zeichnen; man kann daher bei vielen Beiträgen heute nicht mehr angeben, von wem sie herrühren.
Nach dem Rücktritte Philipsborn’s vom Curatorium und dem Rückgange der „Staats-Zeitung“ stellte sich das „Magazin“ 1843 auf eigene Füße und ging dabei in den Verlag der Firma Veit u. Comp. über, mit der es auch 1849 von Berlin nach Leipzig übersiedelte.
Von 1859 ab erschien es sodann, wie noch heute, nur einmal wöchentlich, und von 1864 ab, in welchem Jahre es wieder nach Berlin zurückkehrte, da es von F. Dümmler’s Verlagshandlung erworben worden war, in Groß-Quart. Dieses Format besitzt es auch noch jetzt, nachdem es abermals (am 1. Januar 1879) nach Leipzig gewandert ist, um fortan die Flagge der Verlagshandlung Wilhelm Friedrich zu tragen. Doch hat es mit dem neuen Ortswechsel sein Programm erweitert, indem es jetzt auch die Erzeugnisse der deutschen Literatur in den Kreis seiner Besprechungen zieht. Dem entsprechend nennt es sich jetzt „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes.“ Außerdem änderte es noch sein Kleid, indem es die Fracturschrift mit der Antiquaschrift vertauschte. Seit dem 1. October 1881 ist es – last not least – officielles Organ des „Allgemeinen deutschen Schriftstellerverbandes“ geworden.
Von Joseph Lehmann wurde es bis zu dessen 1874 erfolgtem Tode redigirt; alsdann waren Stadtgerichtsrath Lehfeldt, Oberpostdirector Fischer, Dr. L. Homberger und auf kurze Zeit der jetzige Verleger Wilhelm Friedrich als Redacteure thätig, bis zum 1. October 1879 Dr. Eduard Engel in Berlin die Redaction übernahm. Mit ihm ist offenbar ein neuer frischer Zug in das Blatt gekommen, und wir dürfen hoffen, daß es unter seiner äußerst tüchtigen Leitung auch weiterhin ein treuer Spiegel der Weltliteratur sein wird.