Das königliche Blaufarbenwerk Ober-Schlema
[71] Verlassen wir die alte Bergstadt Schneeberg in östlicher Richtung, so kommen wir alsbald nach dem Dorfe Schlema, im Munde des Volkes gewöhnlich „die Schlähm" genannt, welches in Ober- und Nieder-Schlema zerfällt und in dem reizenden, von waldigen und felsigen Bergen eingefaßten Schlemathale auf beiden Seiten des Schlemabaches sich hinzieht, der von Neustädtel kommend der Mulde zueilt. Die von dem Bahnhof Nieder-Schlema nach Schneeberg und Neustädtel gehende Zweigeisenbahn berührt das Dorf. Die Zahl der bewohnten Gebäude des ganzen Ortes beträgt 210, die der Einwohner 1603, welche neben der Ausübung der gewöhnlichen Handwerke theils in den hier bestehenden gewerblichen Etablissements, theils aber als Berg-, Floßgraben-, Holz- und Handarbeiter Beschäftigung finden; auch treiben sie fleißig den bei den hiesigen Bodenverhältnissen allerdings nicht sehr bedeutenden Feld- und Gartenbau. Die Frauenwelt hat den gewöhnlichen, jetzt so kümmerlichen Verdienst gewährenden Erwerbszweig der Erzgebirgerinnen, sie klöppelt und näht.
Ehemals war Schlema wegen seines Bergbaues berühmt und es ist eigentlich der Mutterort des schneeberger Bergbaues. Früher trieb man allein Eisensteinbergbau. 1460 fanden schlemaer Bergleute, als sie auf dem Schneeberge in der Gegend, wo jetzt die Stadtkirche steht, einschlugen, Silbererz, welches der böhmische Handelsmann Romer zur Untersuchung mitnahm, und als dessen Reichthum endlich erkannt war, entstand im Jahre 1471 mit überraschender Schnelligkeit die Stadt Schneeberg, allerdings auf Unkosten Schlemas, dessen sonst reicher Eisensteinbau schon 1469 fast auf Nichts gesunken war und später gänzlich einging, wodurch auch die dortigen Hammerwerke ihre Endschaft erreichten. – Auch der hier aufgenommene Silberbergbau bestand nicht sehr lange und von den sonst reichen Gruben sind nur noch hin und wieder Spuren zu sehen. Nur noch eine Grube besteht, der 1816 wieder aufgenommene „König David“, sowie eine Zeche, Braunstein zu Tage fördernd. An der linken, nordwestlichen Seite des Thals mündet der „tiefe Fürstenstollen“, welcher in Verbindung mit dem „Marx Semmlerstollen“ in Nieder-Schlema die meisten Gruben des schneeberger Stadtreviers löst.
Von industriellen Etablissements finden wir in Ober-Schlema die Bleich- und Appreturanstalt von Ludolph und Steinmüller und die Papierfabrik von Carl Gustav Ott. Diese Papiermühle wurde bereits 1572 erbaut und zwar auf der Stelle des ehemaligen Eisenhammers, wo man – der Sage nach – aus Unwissenheit oft Silbererze für Eisenstein aufgeschüttet hatte. In Nieder-Schlema verdienen Erwähnung die Spinnerei, verbunden mit Erbauung von Patentwebestühlen von Rostosky und die Eisengießerei von Tölle und Michaelis.
Die Verbindung zwischen Ober- und Nieder-Schlema bildet das bedeutendste Etablissement des Ortes
welches von Schneeberg ungefähr eine halbe Stunde entfernt und mit der Schlema-Schneeberg-Neustädtler Zweigbahn durch einen eigenen Schienenweg verbunden ist.
Das ganze Wert umfaßt
- fünf und vierzig diverse Hütten-, Fabrikations-, Vorraths- und Wohngebäude.
Von dazu gehörigen Gärten, Feld, Wiesen, Wald und Hofraum sind 11 Acker und 63,82 Quadratruthen vorhanden.
Als Branchen umfaßt das Etablissement die Fabrikation von Smalten, Zaffer, Koboldblau, Koboldoxyd, Nickel (vorzüglich Würfelnickel), Wismuth und Giftmehl und es können diese sämmtlichen Erzeugnisse als berühmt und gangbar bezeichnet werden.
[72] Der Hauptabsatz geht nach England, Holland, Frankreich, Belgien, der Schweiz, Italien, Rußland, China und Amerika.
Die Erzeugnisse des Werkes befanden sich 1844 auf der Ausstellung in Berlin, 1845 in Dresden, 1848 und 1850 in Leipzig, 1851 in London und 1854 in München, und sie erhielten 1850 in Leipzig und 1854 in München silberne Medaillen.
Das Werk hat gegenwärtig vierundzwanzig diverse Maschinen mit Wasserkraft und fünfundzwanzig Schmelz- und Röstöfen.
Das Beamtenpersonal des Werkes besteht gegenwärtig in dem
- Faktor, Herrn Otto Friedrich Köttig,
- Hüttenmeister, Herrn Herrmann Scheidhauer,
- Hüttenmeister, Herrn Christian Friedrich Lohse,
- Cassirer, Herrn Johann Friedrich Bauer,
- Hüttengehülfen, Herrn Anton Müller,
- Accessisten, Herrn Clemens Winkler,
- Werkmeister, Herrn August Herrmann Meutzner, und
- Werkschreiber, Herrn Christian Traugott Knietzsch.
Fabrikarbeiter sind fortfahrend sechsundsechszig hier beschäftigt.
Das Etablissement hat außer den Nebenlagern in Schneeberg noch Hauptfarbenlager bei Vetter und Comp. und P. R. Kraft in Leipzig.
Besitzer ist der königlich sächsische Staats-Fiscus.
Dieses Blaufarbenwerk wurde eigentlich an einem ganz anderen Orte und selbst in fremdem Lande gegründet, nämlich 1575 in Platten in Böhmen, 1½ Stunde von Johanngeorgenstadt, wo bald in und bei der Stadt noch zehn andere Werke hinzukamen. Bald darauf erkaufte der Apotheker und tüchtige Chemiker Lorenz Bergkau aus Magdeburg dieses Werk und ausgerüstet mit für jene Zeit tüchtigen chemischen Kenntnissen, gelang es ihm, die benachbarten Werke bald zu überflügeln, indem er die Farbenbereitung sehr verbesserte, was besonders seit 1611 geschah, wo ihm auch der schneeberger Kobold noch billig abgelassen wurde.
Aber nicht lange sollte dieses dauern. Hans Burkhard, ein reicher Fundgrübner in Schneeberg, richtete sein Augenmerk auf die Blaufarbenfabrikation und hielt es für unpassend, daß durch sächsisches Material dem Auslande ein reicher Erwerb zugewendet würde, der ebenso gut dem Inlande zu Gute kommen könnte. Er erwirkte bei dem Kurfürsten einen Befehl, daß kein Kobold mehr verkauft werden solle. Dadurch erlitt Bergkaus Werk einen gewaltigen Stoß und mißmuthig darüber verkaufte er es an Martin Preßler.
In Preßlers Besitz blieb das Werk eine Reihe von Jahren, ohne sich unter den bestehenden Verhältnissen wieder auf den alten Höhepunkt heben zu können. Endlich trat Hans Burkhard, der mittlerweile Stadtrichter in Schneeberg geworden, mit Preßler über den Verkauf des Werkes in Unterhandlung und erstand es.
Burkhard, ausgerüstet mit den nöthigen Geldmitteln, hatte schon vorher den Plan gefaßt, die Blaufarbenfabrikation in die Nähe Schneebergs zu verlegen und sich zu diesem Zweck einen Platz in Schlema ausgesucht. Er machte bei dem Ankauf des Werkes in Platten die Bedingung, daß Preßler die Administration desselben behalten sollte, bis er seine Farbenmühle in Schlema fertig habe und begann dann den Bau derselben auf der Stelle, wo sich heute der ansehnliche Gebäudecomplex des Farbenwerkes erhebt. 1642 war der Bau vollendet und Burkhard verlegte nun das Farbenwerk von Platten nach Schlema, wo es sich unter den ihm werdenden Begünstigungen bald zu neuer Blüthe hob.
Burkhard erfreute sich seiner Schöpfung nicht mehr lange. Bei seinem 1651 erfolgten Tode vermachte er testamentarisch sein Blaufarbenwerk Schlema dem damaligen Kurprinzen, nachherigen Kurfürsten [73] Johann Georg II., und es blieb von nun an im Besitz der regierenden Familie von Sachsen. – Am 25. Januar 1665 hatte Johann Gabriel Löbel in Unter-Jugel bei Johanngeorgenstadt ebenfalls ein Blaufarbenwerk gegründet und verkaufte dieses in Leipzig am 1. Oktober 1668 an den Kurfürsten. Löbel bedang sich dabei die vorhandenen Vorräthe und einen Platz auf Johanngeorgenstadt, wo ein Haus zu bauen sei, aus. Die Kaufsumme war 8000 Thaler, worauf 3000 Thaler bezahlt, die anderen 5000 Thaler sollten jährlich von der Hälfte des Überschusses von der Glashütte und dem Farbenwerke ihm werden, doch so, daß er von der rückständigen Summe keine Interessen zu fordern habe, die Werke aber ihm bis zur völligen Bezahlung zur Hypothek ständen, und nicht eher als nach gänzlicher Bezahlung zu weichen verbunden sei.
Johann Georg II. ließ das Farbenwerk nebst der mit erstandenen Glashütte in Unter-Jugel bestehen, allein es wurde von hier aus zum Nachtheil der Einkünfte sehr starke und durch keine Strenge ganz zu hindernde Pascherei nach Böhmen getrieben, weshalb sein Nachfolger das Werk 1692 mit dem in Schlema vereinigte, so daß dieses nun ein Doppelwerk wurde.
Von nun an erfuhr das Werk jährlich Erweiterungen und Verbesserungen, namentlich in neuerer Zeit, wo die Fortschritte und neue Erfindungen in der Industrie sich immer rascher folgten. Es entstanden auch viele neue Gebäude.
Im März 1827 richtete die Fluth große Verheerungen in dem Werke an, und dieses veranlaßte 1827 und 28 den Bau eines gußeisernen Hauptwehrs, des ersten, welches in Sachsen aus diesem Material hergestellt wurde.
Zu Crucis 1827 entstand hier das Koboldspeis-Amalgamirwerk, welches sich als ertragreich bewies; es warf z. B. 1847 14,899 Thaler 22 Ngr. 4 Pf. ab.
1831 schenkte König Anton der Gütige das Blaufarbenwerk Ober-Schlema dem Staatsgut und es ist von der Zeit an in Verwaltung des Staats-Fiscus.