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Das königliche Schloss in Berlin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCLXXXV. Berlin Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCLXXXVI. Das königliche Schloss in Berlin
CCLXXXVII. Canton in China
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DAS KÖNIGL. SCHLOSS
in Berlin

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CCLXXXVI. Das königliche Schloss in Berlin.




Das königliche Schloß ist schon lange nicht mehr die Residenz König Friedrich Wilhelms III. Es ist vom Kronprinzen bewohnt. Der Monarch selbst lebt in einem bescheidenen Hause neben an, dem Zeughause gegenüber, in bürgerlicher Stille und Einfachheit. Im läuternden Feuer der Leiden und des Unglücks hat sein philosophischer Geist die Vorurtheile des Standes abgestreift, und statt in Flitter und Tand kleidet er den Fürsten in das ernste, dunkelfarbige Gewand der schweren Pflicht. Der König, ein Greis, und seit vielen Jahren körperlich leidend, trägt nicht leicht an der Last des Regenten; er trägt sie bei verminderter Kraft mit von Jahr zu Jahr erhöheter Aufopferung und Resignation. Ich rede von der Person des Fürsten. Von Preußens Politik rede ich nicht; die Zeit wird sie richten.

Die innere Einrichtung von des Königs kleiner Wohnung trägt den eigenthümlichen Stempel seines Geistes. Preußisches Erzeugniß und Machwerk ist Alles an und in derselben, von der Dachsparre bis zu den Gemälden, die seinen Speisesaal schmücken, und dem Stahle seines Degens. Nur seine Kunstliebe gestattet Ausnahmen. Statuen von Canova z. B., unter diesen die berühmte Hebe, schmücken einige Gemächer. – Des Königs Wohnzimmer und sein Arbeitscabinet tragen den Charakter der Einfachheit. Im kleinen Schlafzimmer steht ein schmales, hölzernes [14] Feldbett ohne Vorhänge, ohne Zierrath. Hier schläft der Monarch. Keiner seiner Unterthanen ruht von seinen Sorgen auf einem einfachern Lager aus. Das ehemalige Schlafzimmer von des Fürsten unvergeßlicher ersten Gemahlin, der Königin Louise, stößt an das seinige. Noch ist’s wie am Tage ihres Todes. Kleidungsstücke liegen auf einem Tischchen neben dem Bette; aufgeschlagen darauf die Bibel. – Die Fürstin von Liegnitz, des Königs zweite Gemahlin, eine Dame vortrefflichen Charakters, wohnt in einem andern Hause gegenüber.

Die Lebensweise des alten Monarchen ist streng geregelt. Alles hat seine Stunde. Der Vormittag gehört fast ausschließlich der Arbeit. Mit dem Schlage Eins ißt er; ein paar Schüsseln schlichte, einfach bereitete Bürgerkost. Fährt er aus, so geschieht’s in einem zweispännigen, alten Wagen: – jeder Regierungsrath hat einen bessern. Seine Garderobe ist nicht viel reicher, als die seines großen Vorfahren, des „alten Fritz,“ und wie reich die war, weiß Jeder. Feind von Gepräng und leerem Pomp, und haushälterisch mit seinen großen Einkünften, nicht um zu geizen, sondern um wohlzuthun, zu helfen, zu trösten und Gutes und Nützliches zu unterstützen im ganzen Reiche; sparsam mit der Zeit, die kein Mensch gewissenhafter anwendet, liebt der König Hof-Feste nicht; sie sind folglich selten und finden immer nur in den Festgemächern des großen Schlosses statt. Dort werden auch die Levees gehalten, und die Personen, welche daran Theil nehmen sollen, sind im Voraus bestimmt; sie werden erwartet und bedürfen der besondern Einladung nicht. Es war eine Zeit, wo die strengste Etikette den preußischen Hof charakterisirte und wo z. B. keine Dame des Zutritts gewiß war, die den heraldischen Beweis hochadeliger Geburt nicht bei sich führte. Sie ist vorüber. Die Fesseln der alten Etikette sind in der That nirgends vollständiger abgeworfen, als am Hofe des Königs Friedrich Wilhelms III. –


Das Schloß ist unter verschiedenen Regenten und von verschiedenen Baumeistern aufgeführt und unstreitig unter allen fürstlichen Residenzen Deutschlands das größte und schönste.

Sonst hieß es die Burg, lag in Cöln, an der Spree, und war befestigt. Der Brandenburger Kurfürst, Friedrich II., legte dazu 1443 den Grundstein. Ueberreste dieses Gebäudes sind noch die „alte Kapelle“ und der sogenannte „grüne Hut,“ welche Theile des jetzigen Schlosses ausmachen. In der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts wurden die Festungswerke abgetragen, und Kurfürst Joachim II. baute auf den Raum derselben eine neue größere Residenz; die alte Burg legte man dabei größtentheils ein. Spätere Fürsten erweiterten die Gebäude noch mehr; eine gänzliche Umwandlung erfuhren sie aber unter den Königen Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I., welche, zuletzt unter Schlüter’s Leitung, von 1700 bis 1720, das Hauptgebäude des gegenwärtigen Pallastes aufführten. Das Schloß hat zwei große und zwei kleine Höfe; dessen Länge beträgt 588 Fuß, die Breite 363 Fuß; die Höhe der Hauptgebäude etwa 100 Schuh. Letztere sind in 4 Stockwerke getheilt. Fünf Portale bilden die Zugänge.

[15] Das erste, mit vier korinthischen Säulen geschmückte Hauptportal ist der langen Brücke gegenüber. Der zweite Haupteingang ist der sog. Schloßfreiheit zugekehrt; sein Portal ist eine Copie des Triumphbogens des Septimius Severus in Rom. In dem einen Pfeiler befindet sich eine steinerne Wendeltreppe, innerhalb welcher die bei den Werder’schen Mühlen angelegte Wasserkunst hinaufgeht. Sechs freistehende Säulen römischer Ordnung reihen sich auf der Hofseite zu beiden Seiten dieser Durchfahrt. – Gegen den Lustgarten zu werden die schön gespannten Gewölbe des dritten Thors von 24 dorischen Säulen getragen. – Zu der Haupttreppe des Schlosses, einem Wunderwerk der neuern Baukunst, führt ein besonderer Prachteingang vom Hofe her, der von Außen mit Säulen und Statuen dekorirt ist. Man tritt in eine mit Bildern und Skulpturen ausgestattete Vorhalle, die durch zwei hohe Geschosse reicht; an der einen Seite derselben führt eine Wendeltreppe mit Stufen, auf der andern ein ebenfalls wendeltreppenförmiges Plano inclinito zwischen Wänden von Marmor hinauf zum großen Schweizersaale. Gallerien, im ersten Geschosse von gekoppelten dorischen Säulen, im zweiten von Arkaden getragen, laufen aus dem Treppenhause um den halben inneren Schloßhof. Zu dieser trefflichen Anlage machte Schlüter den Entwurf. An der Spreeseite steht der älteste Schloßtheil, recht pittoresken Ansehens, mit halbrunden Thürmen, Balkonen, Erkern und Vorsprüngen. Unsere Abbildung zeigt diese Façade.

Die innere Eintheilung des Pallastes hat vor vielen den Vorzug, doppelte Zimmerreihen zu besitzen. Außer den Wohnungen der königlichen Familie enthält es die grandiosen Räume für öffentliche und feierliche Staatshandlungen und für die Hoffeste. Letztere zeigt der Kastellan den Fremden. Die prachtvollste Parthie ist der sogenannte Rittersaal mit dem königlichen Throne. Aber interessanter sind jene Zimmer, welche der große Friedrich einst bewohnt hat. Sie nehmen einen Theil des ersten Stocks in dem auf den Schloßplatz stoßenden Flügel ein. Möbels, Einrichtungen etc. sind meistens noch aus Friedrich’s Zeit. – Im obern Stock des Lustgarten-Flügels gehört eine lange Zimmerreihe dem Kunstkabinet an und besonders sehenswerth ist dessen historische Abtheilung. Ehrfurcht schüttelt den Beschauer beim Anblick des Gypsabgusses, der vom Todten-Angesicht Friedrich’s II. genommen worden; mit Ehrfurcht sieht er andere Reliquien des großen Monarchen und seiner Heldenschaar; und mit nicht geringerer Ehrfurcht wird der Denker das rohe Modell einer holländischen Mühle betrachten, welches Peter der Große mit eigener Hand fertigte, während er in den Niederlanden als Schiffszimmermanns-Geselle arbeitete. Die Holzschnitzereien von der Hand Dürer’s und anderer großen Meister; die Silber-, Gold- und Elfenbein-Skulpturen und die Mosaiken von berühmten florentinischen und römischen Künstlern sieht man nirgends so schön und in solcher Menge als hier. Die frappanteste Zusammenstellung aber ist in einem Cabinet. – Friedrich der Große, so treu, als ob er lebte, in Wachs geformt, sitzt dort auf seinem gewöhnlichen Sessel an seinem Arbeitstisch; Lieblingsbücher liegen aufgeschlagen vor ihm und darneben die treue Tabaksdose, sein Spazierstock, seine Flöte und das letzte Taschentuch, ein häßlich [16] gestopfter Lappen. Seine Kleider sind die nämlichen, welche er in den letzten 2 Jahren trug; die alte mit Schnupftabak bestreute gelbe Weste, die gelben Hosen und die blaue, roth aufgeschlagene Uniform von ordinairem Tuch, deren geflicktes Unterfutter Zeugniß treuen und langen Dienstes ablegt. Sein Degengehänge ist an einer Stelle zerrissen; der alte Held hat’s mit Siegellack schlecht zusammengeklebt; und dieser Figur gegenüber – liegen wer kann’s errathen? – alle Orden Napoleon’s. Die Preußen eroberten sie bei Waterloo in dem Feldwagen des Fliehenden. Diese im Brilliantfeuer strahlenden Ehrensterne, Geschenke der Freundschaft und der Hochachtung oder auch der Furcht vor dem großen Kaiser in den Tagen seines Glanzes, sind aus den nämlichen Händen, welche, als die Sonne jener Tage sank und der Abend kam, sich vereinten, ihn zu stürzen. Mirabile visu!