Das treue deutsche Herz

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Titel: Das treue deutsche Herz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 566–569
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das treue deutsche Herz.
Ehrenkranz für einen Liedertafel-Vater.

„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst! Auf wenige unserer deutschen Sänger des Volkes dürfte dies Wort berechtigtere Anwendung finden als auf Ihn, der sein oft schmerzlich ernstes Leben durch die heitere Kunst zu verschönen und die Ideale seiner Jugend über alle Schatten, mit welchen das Leben sie zu verdunkeln drohte, bis in ein gottbegnadetes hohes Alter hinauf ungetrübt zu bewahren wußte.

Mit dem Namen „Julius Otto“ wachen tausend liebe

[567]

Julius Otto.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Erinnerungen in uns auf, die wie sonnige Jugendträume uns noch im Alter umspielen. Und wer sich die Empfänglichkeit für dieselben bewahrt hat, der wird uns zustimmen, daß der Krone des deutschen Sängerthums ein köstlicher Edelstein entfallen ist, als in Dresden am Abend des 5. März dieses Jahres das „treue deutsche Herz“ des geliebten Sängers, des Altmeisters des deutschen Liedes, Julius Otto’s, zu schlagen aufgehört. „Ihm schenkte des Gesanges Gabe, der Lieder süßen Mund Apoll“, und diese Lippen hat der Tod verschlossen, der Quell der Lieder ist versiecht, welche das Saitenspiel des fast dreiundsiebenzigjährigen Sängers noch vor wenigen Monden durchrauschten. „Ach, sie haben einen guten Mann begraben, und uns war er mehr,“ so mochte mancher der Männer, Sänger und Freunde denken und fühlen, als wir im Schneegestöber des neunten März die letzte Blume, die letzte Hand voll Erde auf den Sarg hinabgeworfen, der die sterblichen Reste des Unvergeßlichen umschloß und uns sein stets so liebevoll freundliches Antlitz für immer entzog! Auf sein nun schon grünes und blühendes Grab wollen wir keine sogenannte Lebensbeschreibung, sondern nur ein Blatt der Erinnerung an den lieben Sänger und Freund niederlegen, mit der Mahnung: „Vergeßt den treuen Todten nicht, und schmücket auch seine Urne mit dem Eichenkranz!“ Mögen diese wenigen Zeilen hierzu beitragen, und gelingt es ihnen, dann ist ihr Zweck erfüllt.

Am ersten September 1804 wurde Ernst Julius Otto in Königstein[WS 1] im Königreich Sachsen geboren, wo sein Vater Apotheker war. Der wackere Cantor Albani in Königstein, sein erster Lehrer, entdeckte zuerst und bildete des Knaben musikalische Fähigkeiten. Im neunten Lebensjahre spielte der kleine Julius beim Gottesdienste die Orgel und sang bei Kirchenmusiken die Sopransoli. Seiner schönen Stimme verdankte er seine Aufnahme als Alumnus (Freischüler) der altberühmten Kreuzschule in Dresden, und zwar zugleich als Rathsdiscantist (Solosänger) mit einem wöchentlichen Gehalte von zehn guten Groschen, einer für damalige Zeit und für einen zehnjährigen Jungen bedeutenden Summe. Cantor Th. Weinlig gab ihm den ersten theoretischen Unterricht in der Musik, den Weinlig’s Nachfolger, Fr. Uber, so erfolgreich fortsetzte, daß er einmal, durch Krankheit am eigenen Schaffen behindert, dem dreizehnjährigen Otto die Composition einer Cantate für Chor, Solo und volles Orchester übertragen konnte, welche in der Kreuzkirche unter des jungen Componisten eigener Direction aufgeführt wurde. Der außerordentliche Erfolg dieses Wagnisses gab ihm Muth zum Componiren zahlreicher ähnlicher Musikstücke, von denen seine Abschieds-Motetten bei feierlichen Entlassungen der Abiturienten der Kreuzschule sich allgemeiner Anerkennung erfreuten.

Mit großem Fleiße bereitete sich Otto auf sein Fachstudium, die Theologie, vor und erwarb sich namentlich in der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache so tüchtige Kenntnisse, daß er als Primaner nicht nur lateinische Disputationen im Beisein des Rectors leitete, sondern auch manchem lateinischen Gedichte das Dasein schenkte.

Achtzehn Jahre alt bezog Otto die Universität Leipzigs, ließ [568] sich hier jedoch sehr bald von dem begonnenen Studium der Theologie abwendig machen, um sich der ihn unwiderstehlich anziehenden Musik mit Leib und Seele für immer hinzugeben. Die damaligen Cantoren der Thomasschule, Schicht und Weinlig, wie die Dirigenten der Gewandhausconcerte, Schulz und Pohlenz, trugen wesentlich zu dieser Bekehrung bei und unterstützten ihn treulich. Die ersteren brachten zahlreiche seiner neuen geistlichen Compositionen in der Kirche zur Aufführung, die letztgenannten förderten durch die Erlaubniß des freien Besuches von Proben und Aufführungen der Concerte wesentlich sein Studium der berühmtesten Tonmeister der verschiedenen Zeiten. Mit Eifer widmete Otto sich zugleich dem Studium der Philosophie und Geschichte; namentlich Prof. Wendt, selbst ein großer Verehrer und Kenner der classischen Tonmeister, belebte und förderte auf’s Eifrigste die Schöpfungskraft des vielseitig begabten Jünglings. In diese Zeit fällt die erste Veröffentlichung eines Trio für Piano, Violine und Violoncello in Es, einer vierhändigen Sonate, von Variationen für Clavier (alle bei Hofmeister in Leipzig erschienen), von drei Liedern für Sopran (bei Breitkopf und Härtel) und einer Ballade: Der Brautkuß (im eigenen Verlage).

Von 1825 an finden wir unsern Julius Otto wieder in Dresden, und zwar bald als angestellten Lehrer für Clavier und Gesang an dem berühmten Blochmann’schen Erziehungsinstitute. In richtiger Würdigung seiner Befähigung ward Otto schon im Jahre 1828 vom Dresdener Stadtrathe anfangs interimistisch und Ostern 1830 definitiv zum Cantor und Musikdirector der Dresdener drei evangelischen Hauptkirchen berufen, welche Stelle er volle fünfundvierzig Jahre bekleidete. Wie hohe Verdienste er sich um die von ihm geleitete Kirchenmusik und den Gesang der Kreuzschüler erworben, dafür zeugen seine Gemeinde und seine Schüler zu Hunderten. In diesem langen Zeitraume schuf Otto neben seiner anstrengenden amtlichen Thätigkeit eine Fülle der trefflichsten Compositionen, deren vollständige Aufzählung den uns hier gegönnten Raum weit überschreiten würde. Sein Name ward bald weit und breit genannt und bekannt, seine Schöpfungen im Gebiete des Männergesanges flogen über Länder und Meere, und wo irgend in fernsten Erdtheilen deutsche Männer aufeinander trafen, da fanden und verbanden sie sich in den echt deutschen Harmonien von Julius Otto’s volkstümlichen Gesängen. Das in den „Gesellenfahrten“ (Dichtung seines früh verstorbenen Sohnes Julius) enthaltene Lied „Das treue deutsche Herz“ zählt nicht ohnerachtet, sondern vielleicht gerade um seines deutschsentimentalen Grundzuges willen zu den populärsten deutschen Volksgesängen.

Von seinen Compositionen für Männergesang mit Orchester fanden die weiteste Verbreitung seine Cyklen mit verbindender Deklamation: „Der Sängersaal“ (Gedicht von Marlow), „Burschenfahrten“, die schon erwähnten „Gesellenfahrten“, „Soldatenleben“ und „Spinnabend“ (sämmtlich Dichtungen seines Sohnes Julius) und der melodienreiche „Liedertafel-Jahrestag“ (Dichtung von Fr. Hofmann), welchen aus Otto’s Feder eine köstliche „Tischrede“ schmückt. Ebenfalls viel gesungen wurden „Im Walde“ (von Gärtner), „Am Meeresstrande“ (von Klopsch), „Das Märchen vom Faß“ (von Waldow), sowie die humoristisch-satirischen Opern „Die Mordgrundbruck“, „Die Liedertafel in China“, „In Schilda“, „Nach Nürnberg“. Für ein Lied „In die Ferne“ für eine Stimme und Pianoforte (gedichtet von Kletke) erhielt Otto den vom Mannheimer Musikverein ausgeschriebenen Preis von neun Ducaten; im Jahre 1846 setzte die Gesellschaft Harmonie in Trarbach an der Mosel ein Fuder (gleich vierzehn Eimer) des feinsten Moselweines als Preis für die beste Composition eines Liedes zum Lobe der Mosel aus. Julius Otto, Vater und Sohn, gingen für Composition und Dichtung dieses Moselliedes als Sieger hervor. Methfessel beglückwünschte Beide mit folgendem Distichon:

„Kaum hat sich Vater und Sohn zum Preise der Mosel verbunden,
Rollt auch der heilige Geist donnernd im Fasse herbei.“

„Von diesem Fasse Wein,“ so schreibt einer seiner Schüler und Verehrer in Dresden dem Verfasser dieser Zeilen, „mußte Jeder trinken, der zu ihm kam, und ich hatte sogar das Vergnügen, dasselbe im Keller mit abziehen zu helfen, besinne mich auch noch, daß er vorher mir und seinem Sohne Arwed etwas Oel zu trinken gab, damit wir nicht so schnell grau würden.“ In demselben Brief wird „Otto’s Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit bei Prüfung angemeldeter Chorschüler, besonders wenn es solche schüchterne Dorfjungen waren, wie ich,“ mit dem weiteren Bemerken rühmend hervorgehoben: „Wenn er Einen so freundlich ansprach, bekam man Courage und sang das Vorgelegte frisch herunter. Wen er einmal geprüft und als zuverlässig befunden, in den setzte er unbedingtes Vertrauen, das nicht so leicht zu erschüttern war. Auch seine Schüler sah er gern heiter und vergnügt, und bei vorkommenden Festlichkeiten, Ausflügen und dergleichen erheiterte es ihn selbst zumeist, wenn die Jungens etwas über den Strang schlugen.“

Fassen wir seine Compositionsthätigkeit zusammen, so war sie hauptsächlich fruchtbar für die Kirche, für den Männer- und den Kindergesang. Wir erinnern an seine drei Charfreitags-Oratorien (der Sieg des Heilands, die Feier der Erlösten, des Heilands letzte Worte), eine Missa in F, Kyrie und Sanctus in Es, Kyrie und Gloria in D, drei Oster-Cantaten, zwei Pfingst- und drei Weihnachts-Cantaten, zwei Cantaten zum Todtenfest und zwei zum Reformationsfest, sämmtlich für gemischten Chor mit Orchester; ferner an sein Oratorium Hiob (Dichtung von Julius Mosen), gleich vielen andern geistlichen und weltlichen, zum Theil oben bereits genannten Compositionen theils für Männerstimmen mit Orchester, theils für gemischten Chor ohne Orchester. Für die Kinderwelt schuf er die Kinderfeste („Das Schulfest“, „Das Weihnachtsfest“, „Das Pfingstfest“, „Das Vaterlandsfest“, sämmtlich Dichtungen von Friedrich Hofmann), auf Anregung seines Verlegers Conrad Glaser in Schleusingen. Diese „Kinderfeste“ haben schon weit über anderthalbtausend Aufführungen erlebt und unsern Julius Otto zum Liebling auch der deutschen Jugend erhoben. Außerdem sind seine „zwölf leichte vierhändige Rondos für Clavier“ noch den besten instructiven Clavierstücken für Kinder beizuzählen. Mit der Composition „Frühlingslandschaft“ (bekannt unter dem Titel „Der lange Magister“) gewann Otto 1852 beim Düsseldorfer Musikfest den Preis. Ueber das Schicksal zweier Opern: „Das Schloß am Rhein“ und „Der Schlosser von Augsburg“ können wir nichts berichten, da Otto in seinen Aufzeichnungen, auf welchen unsere Mittheilungen hauptsächlich beruhen, derselben nicht besonders erwähnt. Seine letzten Compositionen vom December 1876 sind: „Das weiße Kreuz im rothen Feld“ für die Schweizer Turner und „Röslein“ für den Regensburger Liederkranz; nach Ordnen seines musikalischen Nachlasses wird sich gewiß noch manches hübsche Lied für Männergesangvereine finden.

Otto schuf mit staunenswerther Schnelligkeit und hatte nicht die Eitelkeit, jede seiner Schöpfungen durch den Druck zu veröffentlichen. Große Thätigkeit entwickelte er bei Gründung des deutschen Sängerbundes in Coburg im Jahre 1862; bis zum Jahre 1874 blieb er Mitglied des Ausschusses dieses 30,000 Sänger umfassenden Bundes. An der Herausgabe der ersten drei Hefte des Liederbuches für den deutschen Sängerbund hat Otto den hervorragendsten Antheil genommen. Einen schönen Triumph erlebte er noch 1874 beim zweiten Bundessängerfeste in München, wo seine Composition „Dornröschen Straßburg“ (gedichtet von Gärtner) mit ungetheiltem Beifall aufgenommen wurde.

In seinem Familienleben blieben ihm schwere Schicksale nicht erspart; vier geliebte Gattinnen, mit deren jeder er, wie er selbst schreibt, sehr glücklich gelebt, sowie zehn Kinder gingen ihm im Tode voran, darunter der in der Sängerwelt beliebte Dichter Julius Otto, im Alter von vierundzwanzig Jahren (geb. am elften Juli 1825, gest. am fünften November 1849), und der ebenfalls sehr begabte achtzehnjährige Sohn Arwed. Seine fünfte Gattin und sein trefflicher Stiefsohn Dr. med. Karl Thieme, jetzt auf Reisen in Rom und Neapel, sind seine einzigen Hinterlassenen.

Die allgemeine Anerkennung, Dankbarkeit und Liebe der gesammten Sängerwelt in Deutschland, Rußland, in der Schweiz, in Amerika und Australien hatte dafür gesorgt, daß er in seinem Studirzimmer, umgeben von mehr als sechszig Ehrendiplomen, die wie Trophäen von den Wänden blickten, wie ein König in seinem Reiche thronen konnte, ohne Scepter zwar, aber mit der Feder in der Hand, bis zum letzten Athemzuge begeistert für alles Schöne und jeden Fortschritt im Gebiete der Tonkunst mit regem Interesse verfolgend. Lichtpunkte seines Alters waren der 8. November 1874 und der 30. December 1875.

[569] Am erstgenannten Tage, an welchem vor fünfundzwanzig Jahren der junge Julius Otto in Pirna zur Erde bestattet worden war, fand in den städtischen Anlagen daselbst im Beisein vieler Deputationen und Sängervereine die Enthüllung des in edlem Styl ausgeführten, mit einem sehr ähnlichen Relief- Portrait des Dichterjünglings geschmückten Denkmals desselben statt. Hofrath Dr. Julius Pabst aus Dresden hielt die Festrede; nach dem Schlußworte derselben: „So falle denn, verhüllender Schleier, und offenbare, wie deutsche Sänger ihre Dichter ehren“, flossen Thränen über die Wangen des greisen Vaters im Anblicke der wohlgetroffenen Züge des längst heimgegangenen Sohnes und Schaffensgenossen. Auch General-Musikdirector Dr. Julius Rietz ehrte die erhebende Feier durch seine Gegenwart.

Am 30. December 1875 fand aus Anlaß von Otto’s Rücktritt von seinen Aemtern im „Belvedere“ der Brühl’schen Terrasse in Dresden ein solennes Festmahl statt, bei welchem der Gefeierte mit dem von seinem Könige ihm verliehenen Ritterkreuz erster Classe vom Albrechtsorden erschien. Mit Jugendfrische dirigirte er unter Anderen sein von sämmtlichen anwesenden Sängern trefflich gesungenes Lied vom treuen deutschen Herzen. Ein großartiges Fackelständchen vor seiner Wohnung war diesem Feste vorangegangen. Der jetzt bestehende große „Julius-Otto-Bund“ dankt jenen Tagen seine Begründung.

In den grünen und blühenden Anlagen der romantisch gelegenen Bürgerwiese, auf dem Wege, den der Verewigte während langer Jahre zur Zeit seines Sommeraufenthalts in Zschärtnitz und Strehlen täglich zurücklegte, beabsichtigen seine dankbaren Verehrer ihm ein würdiges Denkmal mit seinem Relief-Portrait zu setzen. Manches ist zur Herbeischaffung der hierzu erforderlichen Mittel seitens der Dresdener Freunde und Sänger geschehen, allein es reicht bei Weitem nicht aus; darum auf, Ihr Alle, die Ihr diesseits und jenseits der Meere an den Liedern Julius Otto’s Euch erhebt und erfreut, die Ihr den hellen Edelstein seiner Kunst zu würdigen wißt, tragt Euer Scherflein, ob klein ob groß, rasch und freudig bei, damit bald, neben dem der Vollendung nahen Gustav-Nieritz-Denkmal, das Julius-Otto-Denkmal sich erhebe und Volksdichter und Volkssänger mit ihren zwar uns Lebenden bekannten freundlichen Gesichtszügen auch auf kommende Geschlechter herabblicken und sie mahnen: „Vergeßt der treuen Todten nicht!“

a –.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: auf der Festung Königstein, vergl. Berichtigung in Heft 43