Den Frauen und Müttern

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Autor: Bock
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Titel: Aerztliche Strafpredigten. Den Frauen und Müttern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 312–313
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aerztliche Strafpredigten.
Den Frauen und Müttern.

So lange als die Frauen für ihren Beruf nicht anders als jetzt vorgebildet werden, so lange wird es in der Welt auch nicht besser, so lange wird es nur wenige glückliche Ehen geben und so lange wird sich die Menschheit in körperlicher und geistiger Hinsicht schwach und erbärmlich zeigen. Oder meint man etwa, die Berufsstellung einer Frau, als Lebensgefährtin des Mannes, als Erzieherin der Kinder und Leiterin eines Haushaltes, sei eine so niedere, daß sie sich ohne entsprechende Vorbildung ganz ohne Weiteres einnehmen und gehörig ausfüllen lasse? Fast scheint man dies zu glauben, denn mit was für Begriffen Mädchen, oft noch ganz unreif und noch halbe Kinder, in die Ehe treten, das ist erbarmenswerth. Durch das Bischen englisch und französisch Plappern, Singen und Clavierspielen, Tanzen, Nähen und Stricken, Kochen und Braten wird ein Mädchen, dessen Verstandesorgan (das Gehirn) leider Gottes ja außerdem auch noch 8 Loth leichter als das des Mannes ist, wahrlich nicht befähigt, eine naturgemäße leibliche und geistige Erziehung der Kinder zu leiten und eine beglückende Gefährtin des Mannes sein zu können. Dadurch wird sie höchstens Das, was so viele unserer jetzigen Frauen sind, nämlich putz-, vergnügungs-, zank- und herrschsüchtige, den Mann auf diese oder jene Weise tyrannisirende und maltraitirende, dünkelhafte, engherzige und selbstsüchtige, dick- und trotzköpfige, manchmal recht gelehrte und pfiffige, aber doch ungebildete, meist herzlose und doch sentimentale (nervöse, hysterische) Wesen mit gewissen äußeren Formen und conventionellen Redensarten, aber ohne selbstthätiges inneres Geistes- und Gemüthsleben. Daher kommt es denn aber auch, daß die allermeisten Männer bittere Reue über ihre Verehelichung empfinden und durch die Frau nach und nach aus dem Hause hinweggetrieben werden, um anderswo irgendwie die nöthige Erholung oder doch Linderung ihrer Eheleiden zu suchen. Natürlich trägt dann bei den einsichtslosen Frauen, die ja, wie bekannt, trotz aller beweisenden Gründe doch stets bei ihrer einmal gefaßten falschen Ansicht beharren und nie eines Bessern belehrt werden können, nur der Mann die Schuld, sich selbst sprechen sie immer frei davon.

Doch was hilft alles Klagen über die Frauen, damit ändern wir ja doch nichts, suchen wir lieber zum Vortheile unserer Nachkommen eine solche Erziehung des weiblichen Geschlechtes anzubahnen, durch welche die Frau gehörig befähigt wird, die ihr von Gott angewiesene Stellung ordentlich ausfüllen zu können. Zu diesem Zwecke trägt aber ohne Zweifel das Meiste eine richtige Kenntniß und Behandlung der Kindheit des Menschen bei und sind nur einmal Jungfrauen und Mütter von der Wichtigkeit einer naturgemäßen leiblichen und geistigen Erziehung des Menschen in dem ersten Lebensalter überzeugt, dann werden sie sicherlich dahin streben, den Kindern eine solche Erziehung angedeihen zu lassen, und dabei werden sie zugleich sich selbst besser erziehen. Jetzt freilich weiß man wirklich oft nicht, wer ungezogener ist, ob Mutter oder Kind. Jetzt sind fast die meisten Mütter als subtile, allerdings absichtslose Mörderinnen ihrer gestorbenen und als Gesundheitsverderberinnen ihrer noch lebenden Kinder anzuklagen. Jetzt sollten Mütter die Thränen, die sie über kranke oder ungerathene, verdorbene und undankbare Kinder weinen, lieber über ihre eigenen Fehler, die sie bei deren Erziehung gemacht haben, vergießen. Das klingt allerdings erschrecklich, ist aber die reinste Wahrheit, die freilich nicht gern gehört wird, am wenigsten gern von Frauen, die lieber jedem Anderen (wie der Amme, Kindermuhme, Schule, dem unglücklichen Schicksale, den Anlagen und dem Temperamente des Kindes, der Erbsünde u. s. w.) die Schuld des körperlichen oder geistigen Mißrathens eines Kindes zuschieben, als sich selbst.

Die große Sterblichkeit unter den kleinen Kindern hat [313] ihre Ursache fast nur in der falschen Behandlung der Kinder von Seiten der Mütter. Die Bewohnerinnen von Westmann-Oe, einer Insel an der Südküste Islands, geben ihre Kinder gleich nach der Geburt den Kinderweibern mit zur Pflege; 80 Procent dieser Kinder sterben vor dem 9. Tage ihres Lebens an Kinnbackenkrampf. Von 26 in der Ehe Gebornen kommt nur ein Kind todt zur Welt, während unter 17 außerehelichen Geburten schon eine Todtgeburt ist. Und von den unehelichen, in die Ziehe gegebenen Kindern sterben wenigstens zwei Drittel im Säuglingsalter. Ja manchen Ziehmüttern kommt nicht mit Unrecht der Name „Engelchens-Macherinnen“ zu, weil sie fast alle ihre Ziehkinder durch unzweckmäßige Kost in den Himmel spediren. Die meisten Sterblichkeitstafeln zeigen, daß von den Neugebornen fast 25 vom Hundert wieder hinwegsterben, und daß später bis gegen den dritten Monat hin nach der Geburt noch etwa der zehnte Theil der Gebornen untergeht. Auf Grund der Statistik des preußischen Staates ergibt sich, daß 35,5 Procente aller Kinder bereits vor Vollendung des 5. Lebensjahres wieder sterben. Dieses Mähen der Todessichel unter den Kindern geschieht aber nicht etwa nach einem bestimmten unabänderlichen Naturgesetze (nach dem Willen Gottes), sondern ist, wie oben gesagt wurde, nur die Folge einer unzweckmäßigen Behandlung der Kinder. Man braucht ja nur die Krankheiten zu betrachten, durch welche kleine Kinder hingerafft werden, und man wird finden, daß jene tödtlichen Krankheiten fast alle durch eine einsichtsvolle Mutter verhütet werden konnten (s. Gartenlaube 1854. Nr. 17.). In keinem Lebensalter ist es so leicht, Krankheiten zu verhüten, und in keinem so schwierig, sie zu curiren, als im ersten Kindesalter.

Wir stimmen ganz und gar mit Dr. Besser[1] überein, wenn er sagt: „Wir klagen als wichtigste und erste Ursache der großen Kindersterblichkeit die Unkenntniß der Mütter mit ihrem Berufe an. Wenn die Pessimisten unserer Tage in dem Leichtsinn, der Untreue, der Vergnügungssucht u. s. w. unserer Mütter den Hauptgrund des Uebels sehen, so entgegnen wir nur, daß eine Mutter, die ganz durchdrungen und erfüllt ist von dem Umfang ihrer Aufgabe, die so ganz mit dem Gebiet der Kindespflege vertraut ist, als wir dies von ihr fordern, eben nicht leichtsinnig werden kann. Mütter, die während ihrer Schwangerschaft sich durch andere Rücksichten bezüglich ihrer Lebensdiät leiten lassen können, als solche von dem Wohle ihres ungebornen Kindes geboten werden, Mütter, die, statt ihr Kind zu beobachten und zu Pflegen, Zerstreuungen nachgehen, Mütter, die, anstatt ihr Kind zu stillen, wenn sie es können, es lieber einer Amme anvertrauen, die sind, mögen sie welchem Stande und welcher Lebensstellung auch angehören, eben nicht jener wahrhaften Bildung theilhaftig geworden, in der das Wissen des Menschen auch sein Denken und Thun bestimmt. Und wir brauchen wohl kaum hinzuzusetzen, daß jene wahre Bildung, jene Cultur des Menschen, durch die er eines bewußten Handelns fähig wird, lediglich wieder davon abhängig ist, daß ihm ein reiches Material von Wissen überhaupt zu Gebote steht. Menschen, die nicht gewöhnt worden sind, gedankenlos durch die Welt zu laufen, sondern nach dem Grunde der Dinge zu fragen, die sich des Lebens, das sie umgibt, bewußt zu werden streben, bei denen Allen regiert das Wissen das Denken und Thun, und in diesem Sinne nennen wir das Nichtwissen der Mütter in ihrem Berufe die Hauptquelle der Kindersterblichkeit.“

Aber nicht nur wegen der großen Sterblichkeit unter den Kindern sind vorzugsweise die Mutter anzuklagen, auch an den vielen Krankheiten nicht blos während des Kindesalters, sondern auch während des ganzen Lebens tragen sie einen Haupttheil der Schuld. Ganz besonders sind es die falsche Ernährung und die groben Verstöße gegen die Hauptorgane des Kindes, welche eine Menge von Uebeln erzeugen, die mit ihren Folgen weit hinaus über das Kindesalter, ja bis zum Tode im späten Leben reichen. Die sogenannten scrophulösen Leiden, die Blutarmuth und Lungenschwindsucht, die englische Krankheit mit ihrer Verkrüppelung des Körpers, die unheilbaren und beschwerlichen Affectionen der Athmungs- und Blutkreislaufs-Organe, sowie viele Leiden der Sinnesorgane und des Gehirns (des Verstandes-, Gemüths- und Willensorgans) rühren fast alle aus der Kindheit her und hatten bei naturgemäßer Pflege verhütet werden können. – Jammern und wehklagen, wachen und sorgen können die Mütter am Krankenbette ihrer Kinder, aber sich zu unterrichten, wie ein Kind von Krankheit verschont bleibt, dazu haben sie keine Zeit und keinen Trieb. Ja manche betrachten es lieber gleich als eine Schickung Gottes, wenn ihre Kinder, und zwar bei der unnatürlichsten Behandlung, krank werden. Als ob Gott dem Menschen den Verstand nicht dazu gegeben hätte, um gut und glücklich, wohl und gesund leben zu können, und als ob der nicht ein Sünder wäre, der die von Gott gegebenen Naturgesetze nicht zu seinem und Anderer Heile verwendet. – Wenn die Kinder, zumal die Töchter erwachsen sind, wie gern brüsten sich da die Mütter mit ihnen, aber wie selten können sie dies; kahle Köpfe, rothe Augen, schwarze Zähne, hohe Schulter, buckeliger Rücken, krumme Beine u. s. w., alles Producte der falschen Erziehung, dämpfen nicht blos den Stolz der Mutter, sondern trüben gar oft auch die Zukunft des Kindes. – Es ist wahrlich traurig und ärgerlich, wenn man fort und fort sehen und hören muß, wie sich sogar sogenannte gebildete Leute gegen die Aufklärung über den menschlichen Körper und eine naturgemäße Pflege desselben stemmen, obschon der Mensch nur durch diese besser, kluger, gesünder, älter und schöner werden kann, als er jetzt ist.

Nicht genug, daß die Mütter an dem zeitigen Sterben und häufigen Kranksein der Kinder und Erwachsenen die meiste Schuld tragen, auch auf die geistige und moralische Entwickelung des Menschen üben sie in der Regel einen nachtheiligen Einfluß und zwar insofern aus, als sie gerade die ersten Lebensjahre des Kindes, wo der richtige Grund und Boden für das spätere geistige Wachsen und Gedeihen gelegt werden muß, nicht blos unbenutzt vorübergehen lassen, sondern hier sogar schon die Keime zum Bösen legen und den Anstoß zu geistiger Verkrüppelung geben. Mißrathene Kinder, überhaupt böse Menschen sind nur als Unglückliche anzusehen, die ihr Unglück in der Regel blos der falschen Erziehung von Seiten der Eltern und meistens der Mütter zuzuschreiben haben. – So lange die unglückselige Idee bei den meisten Müttern, daß, „wenn nur erst beim Kinde der Verstand kommt,“ dieses sich schon noch bessern werde, fortbesteht, bleibt auch die moralische und geistige Erziehung im Argen, und keine Schule wird das wieder am Kinde gut machen können, was das elterliche Haus verdorben hat. Nur dann wird es besser, wenn die Mütter einsehen gelernt haben, daß der Mensch vom Tage seiner Geburt an einer richtigen körperlichen und geistigen Behandlung bedarf, um ein richtiger Mensch zu werden, und daß die Frauen eine solche Behandlung zu leiten lernen müssen, wenn sie richtige Mütter und Erzieherinnen sein wollen. Doch das wird wohl noch lange dauern! Versuchen wir’s im Folgenden die Frauen etwas aus ihrer Apathie aufzurütteln!

Bock.





  1. Den deutschen Müttern und Vätern ein Buch über das Werden und Wachsen ihrer Kinder als Schlüssel zu deren gesünderer Erziehung. Von Dr. Leopold Besser. Frankfurt a. M. Meidinger.