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Denkwürdigkeiten eines Konservativen aus den Jahren 1848–49

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Der angebliche Napoleon-Schlitten Denkwürdigkeiten eines Konservativen aus den Jahren 1848–49 (1899) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900)
Plünderung Altendresdens 1547
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Denkwürdigkeiten eines Konservativen aus den Jahren 1848–49.
Mitgetheilt von Dr. Otto Richter.

Der Abschluß eines Halbjahrhunderts seit den Ereignissen von 1848-49 hat in Büchern, Zeitschriften und Tagesblättern eine Fluth von Erinnerungen an jene unruhigen Jahre hervorgerufen. Soweit sie sich mit den Vorgängen in Dresden beschäftigen, haben sie nicht viel Bemerkenswerthes zu Tage gefördert. Wer als bloßer Zuschauer dabei gewesen ist, vermag kaum etwas anderes als kleine Züge aus dem Leben der Straße zu schildern, die dem Gesammtbilde der Ereignisse nichts Wesentliches hinzufügen. Selbst von den Mitkämpfern jener Zeit haben nur äußerst wenige soviel Einblick in das innere Getriebe der Bewegung gehabt, daß sie darüber Aufschlüsse geben könnten. Auch die im vorigen Jahre erschienenen „Erinnerungen eines Achtundvierzigers“ von dem damaligen Barrikadenobersten Schriftsetzer Stephan Born erzählen fast nur von dem Straßenkampfe und der Flucht der Aufständischen; doch verdient es Beachtung, daß Born auf Grund eigner Beobachtung dem Russen Bakunin, der bisher immer als die Seele des Dresdner Maiaufstandes betrachtet worden ist, eine solche Bedeutung völlig abspricht und ihn als einen unklaren Schwätzer hinstellt, der sich zwar der provisorischen Regierung durch fortwährendes Dreinreden in ihre Maßnahmen sehr unbequem machte, aber auf den Gang der Dinge nicht den geringsten Einfluß hatte. Sonst ist seit den „Erinnerungen“ der Staatsminister von Beust und von Friesen nichts erschienen, was auf die Ursachen und Ziele der Bewegung und die Bethätigung der leitenden Persönlichkeiten ein helleres Licht werfen könnte. Solche das eigentlich politische Gebiet berührende Veröffentlichungen sind daher immer noch willkommen, auch wenn sie eine so ausgeprägte persönliche Färbung tragen wie die hier mitzutheilenden Denkwürdigkeiten, deren Verfasser ein hervorragendes Mitglied der damaligen konservativen Partei, der Appellationsgerichtssekretär und spätere Hofrath Friedrich Allwill Fritzsche ist[1].

Fritzsche war am 17. März 1803 als Sohn des Geh. Kabinets-Kanzlisten und nachherigen Ministerialsekretärs Karl Heinrich Fritzsche in Dresden-Neustadt geboren. Er besuchte die Kreuzschule mit ausgezeichnetem Erfolge und studirte seit Ostern 1821 in Leipzig die Rechte. Nach seiner Anstellung im Staatsdienste wurde er zunächst fünf Jahre lang bei der Grenzregulirung mit Preußen beschäftigt, alsdann hatte er beim Dresdner Justizamte die sogenannte Kameralbranche zu bearbeiten, war insbesondere bei der Gewerbe- und Personalsteuer thätig und wurde 1835 in die Lehnskanzlei beim Appellationsgericht versetzt, wo ihm die Bearbeitung der Grund- und Hypothekensachen oblag. Diese einseitige und untergeordnete Beschäftigung vermochte den geistig sehr regsamen Mann auf die Dauer nicht zu befriedigen, und er hegte den dringenden Wunsch, eine andere Verwendung, womöglich im Ministerium des Auswärtigen, zu erlangen. Waren es doch die politischen Angelegenheiten, die in den bewegten vierziger Jahren [178] die größte Anziehung auf ihn ausübten. So lange ihm aber eine amtliche Beschäftigung mit der Politik versagt war, wollte er wenigstens als Bürger das Seinige thun, um der von ihm als unheilvoll erkannten radikalen Richtung im Staatswesen entgegen zu arbeiten. Am 11. April 1848 half er in Dresden einen „Deutschen Verein“ begründen, der sich, als Gegner des demokratischen „Vaterlandsvereins“, zur konstitutionellen Monarchie bekannte und binnen wenigen Monaten gegen 2000 Mitglieder aus allen Kreisen der Bevölkerung, auch denen des Adels, der hohen Beamten und der aktiven Offiziere, gewann. Er nahm aber eine Wahl in den Vorstand des Vereins nicht an, sondern blieb auf eigene Faust thätig, weil er der – im Allgemeinen wohl nur selten zutreffenden – Meinung war, daß im politischen Leben auch der Einzelne durch Eifer und Hingebung Erfolge erzielen könne. Sein alleiniges Werk war es allerdings, wenn am 13. Mai 1848 bei der Wahl eines Abgeordneten zum Frankfurter Parlament im Kreise Dresden-Neustadt nicht der republikanisch gesinnte Advokat Blöde, sondern ein Mann gemäßigter Richtung, Justizamtmann Hensel aus Kamenz, gewählt wurde.

Fritzsche gab sich Mühe, die Regierung möglichst über die Volkstimmung und die Parteibewegung zu unterrichten. Die Rathschläge aber, die er damit verband und die nicht immer auf genügender Kenntniß der politischen Gesammtlage beruhten, sind zum Theil von ihm selbst später als verfehlt erkannt worden. Von seinem Standpunkte aus, der ihm keinen Ueberblick über das Ganze gestattete, war es selbst unter den außergewöhnlichen Zeitverhältnissen nicht unbedenklich, daß er, unter Umgehung der verantwortlichen Räthe der Krone, durch Vermittlung des ihm wohlwollenden Oberstallmeisters Generalmajor von Engel dem Könige selbst Rathschläge zu ertheilen suchte. Nach außen hin war er bestrebt, in Versammlungen und durch Zeitungsaufsätze einer vernünftigen, ruhig vorwärtsschreitenden Politik das Wort zu reden. Seine Ansprachen an die Bürger Dresdens, so u. a. im Dresdner Anzeiger vom 6. und 16. Mai, 20. Juni 1848, zeichneten sich durch ideale Gesinnung und patriotische Wärme aus, entbehrten aber freilich der agitatorischen Kraft. Ein Gegenstand des Kummers war ihm die Lässigkeit der eigenen Parteigenossen, die dem der Revolution zutreibenden Radikalismus fast ohne Widerstand das Feld überließen und dadurch mit verschuldeten, daß dieser, wenn auch nur vorübergehend, zur Herrschaft gelangte.

Je näher die Entscheidung rückte, um so lebhafter beschäftigte ihn die Sorge um das Königshaus, dem er eine unerschütterliche Hingebung entgegenbrachte. Mit Spannung verfolgte er die Laufbahn des im Felde stehenden Prinzen Albert. Als sich nach dem Gefecht bei Eckernförde in Dresden das Gerücht verbreitet hatte, der Prinz habe an diesem Kampfe theilgenommen, richtete er brieflich die Bitte an ihn, sich nicht mit allzu großer Kühnheit der Gefahr auszusetzen. Wenn auch eine solche Aufforderung bei dem thatenfrohen jungen Offizier ohne Erfolg bleiben mußte, so verdankt man ihr wenigstens das bekannte schöne Antwortschreiben, worin der Prinz mit einer für sein Alter überraschenden politischen Einsicht das Zusammenwirken der deutschen Stämme im Kampfe als den wahren Weg zur Einigkeit hinstellt[2]. In den verhängnißvollen [179] Maitagen aber war es dem treuen Manne vorbehalten, sich ein Verdienst von geschichtlicher Bedeutung um seinen König zu erwerben. Bereits am 30. April sprach er die Ueberzeugung aus, daß noch im Laufe der Woche die Revolution ausbrechen und der König genöthigt sein werde, die Stadt zu verlassen, und faßte schon damals den Plan, dafür zu sorgen, daß ihm für diesen Zweck ein Dampfschiff zur Verfügung stehe.

Nach dem Sturme auf das Zeughaus am Nachmittage des 3. Mai machte er sich ans Werk und brachte das einzige vorhandene Dampfschiff auf das Neustädter Ufer hinüber in Sicherheit. Abends sandte er den Gouvernementsadjutanten Vitzthum von Eckstädt zum General von Engel und ließ diesen ersuchen, dem Könige von der Bereitstellung des Dampfschiffs Mittheilung zu machen und ihm zu empfehlen, die Reise nach dem Königstein noch in der Nacht anzutreten. „Der König zögerte bis zum Anbruch des Tages; erst als die Minister am 4. Mai um 3 Uhr morgens mit der Meldung erschienen, daß ein baldiges Eintreffen der [aus Leipzig und Chemnitz beorderten] Truppen nicht zu hoffen sei, verließ der König eine halbe Stunde später mit seiner Gemahlin, gefolgt von den drei Ministern, dem Oberstallmeister und dem Adjutanten Reichard zu Fuß das Schloß und gelangte ungehindert über die Elbbrücke, die Klostergasse, das Wiesen- und Wasserthor bis an den Koselschen Garten, wo das Dampfschiff „Friedrich August“ zur Fahrt nach Königstein in Bereitschaft gehalten war“[3]. Die Flucht ging glücklich von statten, den Namen dessen, der allein sie durch rechtzeitige Vorsorge ermöglichte und damit die naheliegende Gefahr einer entwürdigenden Gefangenschaft des Königs beseitigte, hat die Geschichte bisher nicht gemeldet.[4]

Es war noch keine lange Zeit seit der Niederwerfung des Aufstandes verflossen, da mußte Fritzsche aus der ihm zu Theil werdenden Mißgunst entnehmen, wie gefährlich es für ein untergeordnetes Glied des Beamtenkörpers werden kann, sich außerhalb der Rangordnung Verdienste zu erwerben. Er glaubte es daher seinem Namen und seiner Familie schuldig zu sein, für die Zukunft die Wahrheit über sein politisches Wirken festzustellen, und faßte Ende 1851 einen zusammenhängenden Bericht darüber ab. Aber dieser hatte ein eignes Schicksal. Im Jahre 1857 lieh Fritzsche die aus acht Foliobogen bestehende Handschrift einem hochgestellten Manne auf dessen Wunsch zum Durchlesen, schon am nächsten Tage erhielt er sie mit Dank zurück, jedoch – der sechste Bogen fehlte! Es war der Theil, worin er geschildert hatte, welche unsäglichen Mühen und Aufregungen es ihn gekostet, das rettende Dampfschiff zu sichern und über dessen Benutzung mit dem Hofe zu einer Verständigung zu gelangen. Auf seine Rückforderung erhielt er die kühl abweisende Antwort, der Bogen sei verloren und nicht mehr aufzufinden. Und als er 1872 den Bericht nochmals überarbeitet und ergänzt hatte, verschwand auch diese Niederschrift, bevor sie in die Hände gelangte, für die sie bestimmt war. Einflußreiche Personen, deren beste Tugend in den Tagen der Gefahr die Vorsicht gewesen war, konnten es dem einfachen Manne nicht verzeihen, daß er sie damals an Königstreue und Opferfreudigkeit übertroffen hatte. Seine That nicht nur, auch ihn selbst wollten sie der Vergessenheit überliefert wissen: jedes Vorwärtskommen blieb ihm abgeschnitten – dieselbe Stelle, die ihm 1835 übertragen worden war, hatte er noch inne, als er 1872 in den „Ruhestand“ trat. Aufgerieben von der bittern Noth des Lebens starb er am 18. August 1873. Die einzigen Lichtblicke in langer trüber Zeit waren ihm die Beweise persönlichen Wohlwollens und dankbarer Zuneigung gewesen, die er vom König Johann und den königlichen Prinzen erfahren hatte. Möge die gegenwärtige Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen dem Andenken des trefflichen Patrioten zur Ehre gereichen.


Da es möglich wäre, daß in späterer Zeit es für die Meinigen von Interesse sein könnte, die wesentlichsten Momente meiner Theilnahme an den politischen Ereignissen während der Jahre 1848 und 1849, soweit dieselben zunächst mein Vaterland Sachsen oder auch dessen Hauptstadt Dresden betrafen, einer gänzlichen Vergessenheit entzogen zu sehen, so habe ich alle hier einschlagenden Ereignisse der strengsten Wahrheit gemäß, darum aber auch mit ausdrücklicher Namhaftmachung derjenigen Personen, zu denen ich dabei in nähere Beziehungen treten mußte, und noch zu einer Zeit, wo mein Gedächtniß ein treuer Repetent für jene Erlebnisse war, andrerseits aber auch keine Gefühlserregung mich mehr behinderte, das Erlebte mit der vollkommensten Ruhe zu überschauen und zu beurtheilen, in einzelnen geschäftsfreien Stunden niedergeschrieben.

Ich scheue mich nicht zu gestehen, daß auch mich ein begeisterndes Gefühl erfaßte, als nach der französischen Februar-Revolution des Jahres 1848 Deutschland – was man nämlich damals unter diesem Namen zu begreifen gewohnt war, – aus seinem todtenähnlichen Schlummer erwachte, als eine neue, nie gekannte Welt sich vor dem erstaunten, eines solchen Tageslichts noch ungewohnten Auge aufthat und als es den Anschein [180] gewann, daß fortan eine geregelte, vernunftgemäße Freiheit die Menschen erheben und veredeln, den Unterschied der Stände mit seinen Mißtrauen und Mißmuth verbreitenden materiellen und politischen Vorrechten zu Gunsten einer kleinen Minderzahl, der ungeheuern Mehrheit gegenüber, ausgleichen und der Einzelne von nun an ohne Rücksicht auf Geburt und Vermögen dasjenige, was er nach seinen moralischen und geistigen Eigenschaften werth sei, gelten werde.

Ich fühlte mich namentlich durch den Glauben beglückt, daß das deutsche Volk mit seiner angebornen Biederkeit und seiner hohen Intelligenz dem Auslande endlich die gebührende, obgleich so lange vorenthaltene Achtung abzwingen werde, und darum war es wiederum die Wahl zu der Frankfurter Nationalversammlung, welche meinen höchsten Enthusiasmus hervorrief, weil ich in ihr den geistigen Kampfplatz erblickte, auf welchem deutsche Treue und deutsche gründliche Bildung ihre ersten Lorbeeren pflücken und einen glänzenden Sieg über französische Petulanz und Halbwisserei, sowie über Englands Krämerpolitik davon tragen sollten.

Leider hatte von dem Tage an (es war am 9. März 1848), wo ich zuerst am Neustädter Rathhause, Nachmittags in der fünften Stunde, die von dem neuernannten interimistischen Vorstande des Ministerii des Innern, Dr. Zschinsky, unterzeichnete Bekanntmachung, die Aufhebung der Censur betreffend, zu Gesicht bekam, bis zu dem Tage, an welchem für Neustadt-Dresden die Wahl zum Frankfurter Parlamente stattfand, dem 13. Mai 1848, theils überhaupt in der Presse, theils insbesondere aber auf dem nachher sogenannten Vorparlamente zu Frankfurt a. M. eine in jener Zeit noch nicht geradezu mit dem Namen der Demokratie präcisirte Partei sich bereits Maßlosigkeiten und Uebergriffe so toller und allen Gesetzen hohnsprechender Art erlaubt, daß ich nur zu gut erkannte, wie dringend nothwendig es sei, jenen jugendlichen Organisationsplänen stabilere Elemente, namentlich praktische Erfahrung und staatsmännische Klugheit, gegenüber zu stellen, wenn nicht in dem Taumel einer Begeisterung, welche alle geschichtliche Entwickelung der bestehenden Verhältnisse, sowie die daraus entstandenen Sitten, Gewohnheiten, Sympathien und Antipathien der deutschen Völkerstämme prinzipiell mit Füßen trat, insbesondere aber unter dem Einflusse der an Wahnsinn grenzenden Behauptung, daß man mit der Vergangenheit gänzlich gebrochen habe, eine neue Ordnung der Dinge in der Luft aufbauen wollte, jede Aussicht auf die Möglichkeit, etwas Dauerndes zu schaffen, verloren gehen sollte.

Denn bei aller Empfänglichkeit für die Idee, Deutschlands Fürsten und Völker theils unter sich, theils nach außen hin zu einer großen, wechselsweise vertrauensvollen und darum glücklichen Familie umgeschaffen zu sehen, hatte ich doch nie einen Augenblick gezweifelt, daß sich dies nur durch Heiligachtung der gegenseitigen Rechte, auf dem Wege gesetzlicher Organisation und unter Respektirung der unter der Herrschaft von Jahrhunderten gebildeten Nationalcharaktere aller einzelnen deutschen Stämme erreichen lasse. Ja ich war mir sogar darüber vollkommen klar, daß es der ganzen Macht und Neuheit jener Idee bedürfen werde, um den bigotten Tyroler neben dem frivolen Berliner, den gemüthlichen Gefühlsmenschen aus Schwaben neben dem geistig durchbildeten Hannoveraner etc. zu brüderlicher Nachbarschaft auf einer Bank in dem gemeinsamen Hause einer deutschen Reichsverfassung zu vermögen.

Darum habe ich aber auch von jeher an der Ueberzeugung festgehalten und hänge ihr noch immer auf das Innigste an, daß, wie auch immer die politische Gestaltung Deutschlands als eines Staatenconglomerates ausfallen möge, Glück und Segen nur dann daselbst auf die Dauer einziehen könne, wenn jene gemeinschaftlichen Regierungs- und Verwaltungsmaßregeln jedem einzelnen Staate, dem sein Territorialumfang überhaupt die Möglichkeit einer selbstständigen Existenz darbietet, seine eigene, nach Bildung und nationellen Eigenthümlichkeiten zu bemessende, freie Fortbildung auf geistigem wie auf[WS 1] materiellem Gebiete gewährleisten.

Bei solchen Ansichten und zugleich im Hinblick auf die Civilisation der größeren Mehrzahl der auf einen verhältnißmäßig kleinen Raum dicht zusammengedrängten deutschen Völkerschaften, mußte meine politische Ueberzeugung eine jede andere als die konstitutionelle monarchische Regierungsform für praktisch unausführbar ansprechen, und sie mußte es deshalb, weil eine republikanische Regierungsform, möchte sie nun für jeden einzelnen deutschen Staat insbesondere oder als eine gemeinsame deutsche Republik geschaffen werden, stets nur auf Kosten jener, aus einer langen Vorzeit in die Gegenwart herüber vererbten, nationellen und darum charakteristischen, mit den einzelnen Stämmen verwachsenen Besitzthümer sich würde erreichen lassen, ohne daß für diesen Verlust aus den bei so dichter Aufeinanderhäufung der Einwohnerschaften doppelt gefährlichen Schwankungen in dem republikanischen Staatsleben irgend ein stabiler Ersatz zu gewarten stände.

Hierzu kam, soviel Sachsen insbesondere anlangt, daß die unerschütterliche Anhänglichkeit meines verstorbenen Vaters an den seligen König Friedrich August, welchem er in der damaligen Geheimen Kabinetskanzlei lange Jahre hindurch gedient und den er auf vielfachen Reisen nach Warschau, Frankfurt a. M. und Plauen, Regensburg, Prag etc. begleitet hatte, auch [181] auf mich übergegangen war, ja daß ich in den bürgerlichen und politischen Tugenden des jetzt regierenden Königs einen um so dringendern Impuls zu unerschütterlichem Festhalten an der bei meinem Eintritte in den Staatsdienst auch dem Landesfürsten angelobten Treue und Ergebenheit jederzeit erblickt habe.

Dem allen nach konnten die von der Volkspartei für Dresden vorgeschlagenen oder durch sich selbst in Wahlmanifesten empfohlenen Kandidaten zur Frankfurter Nationalversammlung, wozu unter andern der Professor Wigard[5] und der Advokat Blöde[6] gehörten, – beide im Besitz des größten Anhangs bei ihren Parteigenossen und der extremsten radikalen Richtung zugethan – nicht geeignet sein, mir Vertrauen in ihre Mitwirkung zu Erreichung desjenigen Zieles einzuflößen, das ich als das heilsamste erkannt hatte.

Kaum erhielt ich daher Nachricht davon, daß ich in Neustadt mit zum Wahlmanne behufs jenes Wahlaktes ernannt worden sei, als ich beschloß, der Wahl Blödes, welcher eben für Neustadt die entschiedenste Aussicht eines günstigen Wahlsuccesses hatte, mit allen Kräften entgegenzuarbeiten.

Auf die bei dem Ausschusse des Deutschen Vereins gehaltene Anfrage, ob bereits dort in dieser Angelegenheit etwas beschlossen worden? wurde mir die Antwort, daß man auf diesen Umstand noch nicht zugekommen sei. Gleichwohl drängte die Zeit, und ich war daher schnell mit mir darüber einig, daß ich es nunmehr allein versuchen müsse, eine so unheilvolle Wahl, wofür ich die des Advokat Blöde nach meiner innigsten Ueberzeugung hielt, abzuwenden.

Ich theilte den zu dem Ende gefaßten Plan zweien meiner intimsten Freunde, Schönrock und Hughes[7], mit und begab mich am andern Morgen, einem Sonntage, zu Fuße nach Moritzburg, zum hiesigen Neustädter Wahlbezirke gehörig. – Dort verwies mich der Justizbeamte Qvenzel, den ich von Borna her kannte, an den Aktuar Buchner. Mit letzterem hatte ich jedoch beinahe 3 Stunden lang zu verhandeln, ehe ich ihn von der Lauterkeit und der freisinnigen Richtung meiner politischen Gesinnungen überzeugte. Es kam namentlich darauf an, einen Mann für die Wahl ausfindig zu machen, der der dortigen Amtslandschaft hinsichtlich seiner politischen Richtung und übrigens als Mensch bekannt war, indem nach Buchners Versicherung die Landleute ein in diesen Beziehungen ihnen fremdes Individuum keinesfalls in Betracht ziehen würden. Ich schlug ihm den Justizamtmann Hensel in Kamenz vor, der auf einem der früheren konstitutionellen Landtage Mitglied der zweiten Kammer und Sekretär der letzteren gewesen war, einen Mann von aufgeklärten Ansichten und von anerkannter Ehrenhaftigkeit. Buchner fand ihn annehmbar und versprach mir seine Empfehlung bei den übrigen Wahlmännern, zu denen er, Buchner, selbst mit gehörte. Nachdem ich ihm noch, um Gegenbestrebungen der andern Partei zu vermeiden, das tiefste Schweigen auferlegt hatte, begab ich mich ebenfalls zu Fuße nach Radeberg, dessen Bezirk gleichergestalt nach Dresden gehörte. Hier fand ich bei dem Justizbeamten Biedermann nicht geringere Schwierigkeiten, und erst nachdem es mir gelungen war, auch bei ihm Vertrauen zu finden, nannte er mir nicht nur die Namen der dort gewählten Wahlmänner, sondern versprach mir auch seine wenigstens mittelbare Intercession zu Gunsten Hensels, den er übrigens nicht weniger als eine in dasiger Gegend anerkannte persona grata bezeichnete. Stillschweigen wurde von ihm unbedingt zugesichert.

Am nächstfolgenden Tage verfügte ich mich, wegen des in den Dresdner Wahlbezirk ebenfalls hereingezogenen Theils des Amtes Dresden auf dem oberen rechten Elbufer, zu einem der dasigen Wahlmänner Namens Preißler auf dem Weißen Hirsche. Derselbe gelobte mir unter gleichen Bedingungen seine Fürsprache für den Amtmann Hensel bei den übrigen Wahlmännern an, wozu sich eine Zusammenkunft des ökonomischen Vereins auf dem Pohrsberge am Tage vor der Wahl als passende Gelegenheit darbot.

Der Wahltag erschien. Kein einziger der auswärtigen Wahlmänner sprach verabredetermaßen weder überhaupt über den Amtmann Hensel – ebenfalls als Wahlmann mit zugegen – noch insbesondere eine Silbe mit mir. Im Gartensalon des sogenannten polnischen Brauhauses auf hiesiger Meißner Gasse wurde eine Vorberathung sämmtlicher Wahlmänner, 94 an der Zahl, abgehalten. Hier war es, wo der Wahlmann von Trützschler[8], der inzwischen seine hochverräthischen Unternehmungen in Baden mit dem Tode durch standrechtliches Erschießen gebüßt hat, seinen Freund und Gesinnungsgenossen Blöde auf das Eindringlichste zur Wahl anempfahl. Als hierauf tiefes Stillschweigen erfolgte, blieb mir nichts weiter übrig, als das Wort offen gegen Blöden zu ergreifen. Ich schilderte die Eigenschaften des Mannes, welchem ich im Sinne meiner Wähler, denen, wie ich voraussetzen dürfe, meine politische Richtung bekannt sei, meine [182] Stimme zum Abgeordneten bei der Frankfurter Nationalversammlung zu geben mich für verpflichtet erachten werde, und bezeichnete als solchen den Amtmann Hensel. Um jedoch Blöden Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung zu geben, hielt ich ihm sein öffentlich im Druck erschienenes Wahlmanifest vor. Ich machte bemerklich, daß er darin gesagt habe: „das sächsische Volk will die konstitutionelle Monarchie“[9]. Ich forderte ihn auf, zu erklären, ob er sie auch wolle. Jene Fassung sei mir nicht genügend, weil sie ihm völlig freien Spielraum lasse, sich persönlich auch für eine allgemeine deutsche Republik auszusprechen und dabei mit der Ausflucht zu decken: „in meinem Wahlmanifeste habe ich ja bloß gesagt: das sächsische Volk will die konstitutionelle Monarchie; es ist dabei nicht im Entferntesten von mir angedeutet worden, daß ich sie auch wolle. Man hätte mich verstehen sollen“. Er werde dadurch allerdings nicht in Widerspruch mit den in seinem Wahlmanifeste gethanen Zusagen kommen, allein dies sei grade für mich um so bedenklicher, weil ich ihn verstanden hätte! Weiter hielt ich ihm die in der von mir mit zur Stelle gebrachten Nr. 16 des damals in Mannheim erscheinenden „Deutschen Zuschauers“, eines ultraradikalen Blattes, abgedruckte „Adresse von 90 Demokraten zu Marburg in Kurhessen an die Minorität der 143“ – welche aus der Paulskirche ausgetreten waren – „insbesondere die Herren Hecker und Struve“ vor, an deren Schlusse es heißt: „Wir, und mit uns gewiß die Mehrzahl des deutschen Volkes, erklären Euch hiermit, daß das von Euch ausgesprochene politische Glaubensbekenntniß ganz das unsrige ist und daß wir durch Wort und That zu dessen Verwirklichung mitwirken werden. Wir schließen uns Euch und allen ächten deutschen Republikanern an, und steuern muthig mit Euch dem großen Ziele, einer deutschen Republik, entgegen!“

Ich wies Blöden durch seine eigenen Referate in dem damals hier erscheinenden Morgenblatte nach, daß er sich mit unter jenen ausgeschiedenen 143 befunden habe, und forderte ihn nunmehr ferner auf, zu erklären, was von ihm auf jene Adresse, deren Eingang bei dem Adressaten vor dem öffentlichen Abdrucke angenommen werden müsse, daher es keinem Zweifel unterliege, daß sie wirklich abgegangen sei, geschehen? ob von ihm durch Stillschweigen seine Theilnahme an dem Streben nach einer deutschen Republik zugestanden oder von ihm dagegen Verwahrung eingelegt worden sei?

Blöde erhob sich in augenscheinlicher Aufregung, sprach seine höchste Verwunderung darüber aus, daß ich es habe unternehmen können, ihn in solcher Weise öffentlich zu interpelliren, und suchte in längerer, feuriger Rede – denn er sprach überhaupt sehr gut – die Loyalität seiner Gesinnungen zu dokumentiren. Ehe ich noch ein Wort darauf zu erwidern vermochte, wurde von Trützschlern auf „Schluß der Debatte“ – in einer Vorberathung, ohne alle parlamentarische Form und ohne jede Geschäftsordnung! – angetragen, dieser Antrag von dem erwählten „Vorstande“, dem Bürgermeister Haberkorn aus Pulsnitz[10], zur Abstimmung gebracht und von der sämmtlichen Demokratie genehmigt! Nichtsdestoweniger wurde Hensel mit 54 Stimmen, also unter 94 Votanten, mit mehr als absoluter Majorität gewählt. Die sämmtlichen übrigen 40 Stimmen waren auf Blöden gefallen, – ein Wahlresultat, welches in numerischer Beziehung das feste Zusammenhalten der Parteien in Betreff ihrer Kandidaten auf eine Weise charakterisirte, wie sie gewiß bei wenigen der damals so häufigen Wahlakte vorgekommen sein wird.

Die demokratischen Mitglieder der Wahlhandlung waren durch dieses Ergebniß auf das Alleräußerste betroffen, und eine gleiche Wirkung zeigte sich auch unter den übrigen, von außen durch Thüren und Fenster eingedrungenen, der allergrößten Mehrzahl nach der Volkspartei ebenfalls angehörigen Zeugen jenes Aktes. Wie ganz unerwartet die Wahl Hensels der Demokratie kam, davon zeugte bei dem später in der „Stadt Leipzig“ eingenommenen Mittagsmahle eine meinem Nachbar zur Linken, dem Advokat von Polenz aus Radeberg, welcher jener Partei leidenschaftlich zugehörte, gethane Aeußerung. Er fragte mich nämlich geradezu: wie man nur auf den Amtmann Hensel gefallen sein möge? Er, Polenz, sei erst gestern noch in Dresden gewesen und habe von seinen Parteigenossen allgemein gehört, daß Blödes Wahl für so gut als zweifellos angesehen werden könne, indem von der konservativen Partei gar kein Gegenkandidat aufgestellt worden sei.

Ich fand natürlich keine Veranlassung, ihm den Hergang der Sache auseinanderzusetzen, wohl aber ward ich durch diesen Wahlsieg umsomehr in meiner Ueberzeugung bestärkt, daß im politischen Leben jeder Einzelne durch Konsequenz, bereitwillige Hingebung und Energie auch ohne fremde Beihilfe einen Erfolg von allgemeiner Wichtigkeit erreichen kann. Hieraus entsprang auch in der ganzen Folgezeit mein mehr auf mich selbst als auf das Zusammenwirken mit Andern [183] berechnetes politisches Verhalten und Streben, und jene Erfahrung ward für mich zugleich ein Beweggrund mehr, nie eine auf mich gefallene Wahl in den Ausschuß des Deutschen Vereins, dem ich als Mitglied angehörte, zu acceptiren, obgleich ich nach freier Wahl den Sitzungen des Ausschusses öfters beiwohnte.

Denn, wenngleich der Amtmann Hensel späterhin wider Erwarten – wahrscheinlich unter dem Einflusse seines Bruders, des Stadtrath Hensel aus Zittau, welcher der radikalen Partei angehörte – sich auf dem Frankfurter Parlamente mit zur Linken hielt, so ist derselbe doch von extremen Beschlüssen und Maßregeln fern geblieben, und jedenfalls war es für die Residenzstadt Sachsens eine unter den damaligen Verhältnissen sehr bedeutende Ehrenrettung, daß nicht bei beiden Wahlen, in Altstadt – wo Wigard gewählt ward – und in Neustadt die konservative Partei der Demokratie unterlag.

Es folgte nunmehr eine Zeit, in welcher die Demokratie durch die Vaterlands- und republikanischen Vereine einer-, sowie die konservative Partei durch die deutschen Vereine andererseits auf die großen Massen zu wirken und sie, je nach der Verschiedenheit ihres Standpunktes, für ihre Tendenzen und Pläne zu gewinnen suchten.

Dies sprach sich am deutlichsten bei den Vorbereitungen zu den Wahlen aus, welche dem in der Folgezeit mit dem Namen des „Unverstands-Landtags“ bezeichneten Landtage des Jahres 1849 vorangingen. Es wurden zu solchem Behufe vielfache Volksversammlungen in- und außerhalb Dresden abgehalten und vielen derselben habe ich gemeinschaftlich mit anderen Mitgliedern des deutschen Vereins, namentlich aus dessen Ausschusse, beigewohnt. Schmerzlich war es im höchsten Grade, daß, selbst im Bereiche der Stadt Dresden, nur so äußerst wenig Männer der konservativen Partei sich herbeiließen, in dergleichen Volksversammlungen mit zu erscheinen, während alle Räume stets von den Mitgliedern der Vaterlandsvereine überfüllt waren. So gelang es mir z. B. bei einer Volksversammlung im Reußischen Garten in Antonstadt[11] nur noch zwei Mitglieder des Deutschen Vereins, Advokat Ackermann[12] und Dr. Tittmann[13]), zu einer Begleitung dahin zu gewinnen, während über 400 Anhänger des Vaterlandsvereins aus allen Theilen der Stadt sich daselbst eingefunden hatten. Wie sehr eine solche, in numerischer Hinsicht entmuthigende Minorität das Uebergewicht der Demokratie, die an blinde Unterwürfigkeit gegen ihre Wortführer, mochten dieselben auch die paradoxesten Sätze und unsinnigsten Versprechungen ihren Zuhörern auftischen, gewöhnt war, kräftigen und dem konservativen Prinzipe schaden mußte, lag auf der Hand. Es waren schwere Kämpfe und heiße Tage, und es gehörte die höchste, nur bei inniger Liebe zu König und Vaterland mögliche Selbstverleugnung dazu, um in einem so ungleichen Kampfe nicht zu ermüden. – Die Unthätigkeit und Furchtsamkeit der konservativen Partei allein trägt, nach meiner vollsten Ueberzeugung, die Schuld daran, daß die Demokratie zu einer so beispiellosen Machtentwickelung in Sachsen gelangen konnte.

Da es Sitte war, daß alle Wahlkandidaten in jenen Volksversammlungen erschienen, um sich ihren Wählern persönlich vorzustellen und zu empfehlen, und da unter ihnen auch der damalige Staatsminister Dr. von der Pfordten von dem Deutschen Vereine in Neu- und Antonstadt als Kandidat für die erste Kammer aufgestellt worden war, so richtete ich an den Ausschuß des Deutschen Vereins in einer Sitzung des Ersteren die Frage: ob nicht auch der Staatsminister von der Pfordten angegangen werden möchte, in einer nächstens bevorstehenden Wahlversammlung in obgedachtem Reußischen Garten ebenfalls vor seinen Wählern sich persönlich einzufinden? Man beauftragte mich, deshalb mit Herrn von der Pfordten zu konferiren.

Als ich ihm am nächsten Morgen deshalb in seiner Privatwohnung aufwartete, fand er es zwar an sich in der Ordnung, daß auch er, nachdem er einmal die Aufstellung seiner Person als Wahlkandidaten angenommen habe, sich jener Sitte füge, glaubte jedoch einer einseitigen sofortigen Zusage sich enthalten und vorerst noch mit den übrigen Ministern über diese Frage in Vernehmung treten zu müssen. Er beschied mich daher auf den nächstfolgenden Morgen in die Lokalität des Gesammtministerii im Königl. Schlosse zu sich.

Dort eingetroffen erfuhr ich von ihm, daß seine Kollegen, namentlich der Staatsminister Oberländer, aus dem Grunde gegen eine solche persönliche Berührung mit den Wählern sich ausgesprochen hätten, weil ja ihre, der Minister, politische Ansicht bereits genugsam im Volke bekannt sei. Er lehnte daher sein Erscheinen in der am nämlichen Tage, Abends 8 Uhr, stattfindenden Volksversammlung ab, fügte jedoch hinzu, daß, um jeden Zweifel zu beseitigen, die sämmtlichen damaligen Staatsminister ihr politisches Glaubensbekenntniß auch noch ausdrücklich öffentlich ablegen würden.

So entstand jenes inhaltschwere folgereiche „Offene Wort“ der Minister vom 8. Dezember 1848, welches, von der Demokratie mit eben so großem Erstaunen als rückhaltloser Erbitterung aufgenommen, den Sturz [184] des Märzministerii in Sachsen herbeiführte, weil die Demokratie hiernach in diesem Ministerio nicht die Theilnehmer und Begünstiger, sondern, wenigstens in der Mehrzahl der Minister, die Gegner ihrer revolutionären und republikanischen Pläne erblickte!

Noch am Abend der nämlichen Wahlversammlung, als dieselbe bereits eben zu Ende war, brachte der Hofrath, jetzige Regierungsrath Schulz einen Abdruck jenes „Offenen Wortes“ nach dem Reußischen Garten. Er hatte in der Hoffnung, die Versammlung noch beisammen zu finden, sich zu möglichster Eile einer Droschke bedient; allein er traf doch schon zu spät ein, um das wichtige Aktenstück noch der versammelten Demokratie vortragen zu können.

So war also abermals ein an sich unbedeutender Gegenstand – wohin ich die Aufforderung des Ministers von der Pfordten zum Erscheinen in einer Volksversammlung rechnen muß – die Ursache zu einem für das Schicksal Sachsens so höchst einflußreichen Ausgange geworden, an welchen ich bei der Idee, daß auch ein Staatsminister, als Wahlkandidat nach seinem eigenen Willen, wie hier, gleich allen übrigen Kandidaten die Verbindlichkeit über sich habe, seinen Wählern die Gelegenheit zu persönlicher Bekanntschaft zu bieten, auch nicht im Entferntesten hatte denken können.

Wie sehr die konservative Partei durch einen unverantwortlichen Indifferentismus und durch Mangel an aller Konsequenz der Demokratie in die Hände arbeitete, sprach sich, um nur einen Fall zu erwähnen, recht unverkennbar bei den Wahlen der Geschworenen in Antonstadt aus. Ich wurde, da man einmal meine Thätigkeit in allen politischen Angelegenheiten kannte, aufgefordert, mich der Vorbereitungen zu diesen Wahlen daselbst anzunehmen. Demgemäß ging ich mehrere loyale Bürger in Antonstadt an, sich zu einem bestimmten Tage in der Bergmann’schen Restauration auf der Alaungasse einzufinden. Es versammelten sich aber zu meinem größten Erstaunen nicht nur überhaupt sehr viele daselbst, sondern auch darunter Männer aus den höheren Ständen. Nach langen Debatten vereinigte man sich auch zu diesem Behufe über eine Kandidatenliste. Ich ließ dieselbe drucken, legte sie an 6 verschiedenen Orten in Antonstadt aus und machte solches, sowie den anberaumten Wahltag auch noch außerdem 2 Mal im Dresdner Anzeiger bekannt. Nichtsdestoweniger brachte die Demokratie die Mehrzahl ihrer Kandidaten durch. Der Grund davon war, daß viele meiner Gesinnungsgenossen und unter diesen gerade Männer höherer Bildung, welche bei jener Vorversammlung mit zugegen gewesen waren, nicht mit gewählt hatten: der Eine, weil er seinen Stimmzettel abzugeben vergessen, der Andere, weil er meine Bekanntmachung im Dresdner Anzeiger ebensowenig als die Ankündigung des Wahlausschusses gelesen hatte! Und dennoch fand sich später, als ich mir das Resultat der Abstimmung aus den Wahlakten privatim vorlegen ließ, daß es z. B. gerade nur zweier konservativen Stimmen mehr bedurft hätte, um den Republikaner Heeren, welcher bei so bewandten Umständen als Wahlmann obgesiegt hatte, von der Wahl auszuschließen, ja daß, wenn überhaupt von der konservativen Partei noch 15 Stimmen, sage fünfzehn Stimmen mehr abgegeben worden wären, diese Partei von 20 Kandidaten achtzehn durchgebracht haben würde.

Aber freilich mit Gemeinplätzen als: „auf meine Stimme kommt nichts an“, oder „mir ist die ganze Sache zuwider“, oder „es muß erst recht schlecht werden, eh’ es besser wird“, hinter welchen die konservative Partei ihre Trägheit und Muthlosigkeit zu verbergen pflegte, siegt man über eine so enggeschlossene und wohldisziplinirte Phalanx, dergleichen die Demokratie darstellte, nicht und rettet man auch König und Vaterland nicht. Es wandelt mich wohl zu Zeiten ein recht schmerzliches Gefühl an, wenn ich Leute, die damals in so ernster, ja verderbenschwangerer Zeit ihren Amüsements nachgingen und unsere, Geist und Körper gleich niederdrückenden Anstrengungen vornehm belächelten, die Früchte der wiederhergestellten Ordnung, für welche wir vergeblich kämpften, jetzt in stolzer Ruhe genießen, ja sich sogar der Freude über die ihnen seitdem zu Theil gewordenen Auszeichnungen hingeben sehe.

Der Deutsche Verein mag in vielen Dingen fehlgegriffen haben, allein den circa 20 Männern des Ausschusses vom Dresdner Deutschen Vereine muß ich, und ich nehme hierbei Gott zum Zeugen an, nachrühmen, daß sie damals mit unsäglicher Hingebung und geistiger wie körperlicher Anstrengung, unter den entmuthigendsten Anzeichen, die gute Sache zu verfechten nie ermüdeten. Noch ein paar Hundert solcher Patrioten – denn diesen Namen verdienen sie – und die Demokratie wäre nie zu dem Gipfel der Macht gelangt, auf welchem sie Sachsen an den Rand des Abgrundes brachte! Statt dessen mußten wir für so viele Demüthigungen und Verhöhnungen unsern alleinigen Trost in dem Bewußtsein finden, wenigstens die Schmach von unserm Vaterlande abgewendet zu haben, daß nicht einmal von Jemandem der Versuch gewagt worden sei, Sachsen vor den unheilvollen Plänen der Demokratie zu schützen. Wohin dieselben geführt, hat das Jahr 1849 bewiesen.

Als Dresden während der Maitage vom Kanonendonner wiederhallte, fragte ich Mehrere, denen jenes Brocardicon: „es muß erst recht schlecht werden etc.“, am geläufigsten gewesen war, ob es ihnen denn nun schlecht genug sei? und erhielt gewöhnlich zur Antwort: „wer [185] hätte das gedacht!“ Sie hatten nach allen Kräften beigetragen, den Karren, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, in den Koth hinein zu fahren, als er aber darinnen steckte, hatten sie weiter nichts als angsterfüllte Gesichter und jenen Wahlspruch alter Weiber, einen Rath aber oder Hände, um ihn wieder herauszuziehen, am allerwenigsten.

Ich könnte noch andere Züge, welche ein helles Licht auf die damaligen Zustände in Sachsen werfen würden, anführen, da sie aber ohne Einfluß auf die Geschicke Sachsens im Allgemeinen sind und nur den Erfolg haben könnten, die betheiligten Personen zu kompromittiren, so mögen sie bei allem Interesse, welches sie darbieten, lieber verschwiegen bleiben.

Während des Unverstandslandtags besuchte ich häufig am Abende die Haage’sche [?] Bierwirthschaft in Neustadt, wo gewöhnlich zwei der leidenschaftlichsten Demokraten, Dr. Minckwitz[14] und von Gregori[15], anwesend waren. Am Sonntag, den 29. April 1849, war Nachts 12 Uhr der von Gregori noch daselbst zugegen. Als es eben Mitternacht schlug, bemerkte letzterer in einem hingeworfenen Tone, daß soeben „etwas passire.“ Auf meine anscheinend indifferente Frage: „Nun, was denn?“ antwortete Gregori folgendes: „Gestern wollte doch die Regierung die Kammern durch Dekret auflösen“ – das diesfallsige Dekret ist allerdings vom 28. April 1849 – „und übersendete solches den Präsidien, um dasselbe durch Vorlesung zur Kenntniß der Kammern zu bringen. Allein, da nach der Verfassungsurkunde der König die Kammern in Person oder durch einen Kommissar zu entlassen hat, worunter auch die Auflösung derselben zu verstehen ist“ – in § 117 der Verfassungsurkunde ist dies in Bezug auf die Entlassung der Ständeversammlung allerdings bestimmt und in dem provisorischen Gesetze wegen einiger Abänderungen der Verfassungsurkunde, vom 15. November 1848, auch hierunter nichts geändert – „so haben die Präsidien jenes Auflösungsdekret nicht anders als durch einen bevollmächtigten Kommissar annehmen zu wollen erklärt, und es wird daher die wirkliche Auflösung der Kammern erst morgen – Montag den 30. April – durch einen Kommissar in Vollzug gesetzt werden. Die Motive hierzu liegt weniger in der Solvirung dieser Förmlichkeit, als in dem Verlangen, Zeit zu gewinnen. Da nämlich die Regierung den Ständen den Vorwurf gemacht, daß die wichtigsten Angelegenheiten von denselben unerledigt gelassen worden seien, und dies hauptsächlich als Beweggrund zu ihrer Auflösung gelten soll, so versammeln sich in diesem Augenblicke, Sonntags Nachts 12 Uhr, wo der erste Wochentag wieder beginnt, die Kammern, um noch mehrere bereits ihrem Ende nahegebrachte Geschäfte vollends abzuthun und dadurch Gelegenheit zu erhalten, den Vorwurf der Regierung abzuwenden oder wenigstens zu entkräften.“

In einer Zeit wie der damaligen, wo die Demokratie sich alles erlaubte, was ihren Zwecken diente, war auch eine solche eigenmächtige Kammerversammlung nicht im Entferntesten zu bezweifeln, und ich beschloß daher augenblicklich, den vorsitzenden Staatsminister Dr. Held hiervon zu benachrichtigen, um der Regierung Gelegenheit zu geben, sich auf jenes Maneuvre gefaßt zu machen. Ihn in der Nacht wecken zu lassen, erschien mir um des unvermeidlichen Aufsehens willen nicht rathsam, ich ging daher am folgenden Morgen um 5 Uhr zu ihm, konnte aber erst nach 7 Uhr vorkommen. Der damalige Staatsminister Dr. Held hörte mich aufmerksam an und dankte mir für meine Aufmerksamkeit. Später hat derselbe zwar, als er in den Maitagen auf dem Bade wohnte, gegen meine Frau gesprächsweise die Aeußerung fallen lassen, daß er schon vor meinem Erscheinen bei ihm von jenem Unternehmen der Kammern Kenntniß gehabt, allein, um mich nicht zu enttäuschen, hierüber geschwiegen habe. Indeß möchte ich an jener Angabe doch zweifeln, weil ich mir wenigstens dann das passive Verhalten der Regierung, einer solchen nächtlichen illegalen Kammerberathung gegenüber, nicht würde erklären können.

Es war nunmehr die verhängnißvolle Zeit angebrochen, wo die Annahme oder Nichtannahme der deutschen Reichsverfassung, wie solche aus dem Schooße der Frankfurter Nationalversammlung hervorgegangen, unter andern auch über die nächsten Geschicke Sachsens entscheiden sollte.

So genau ich auch die Pläne der Demokratie kannte, so gut ich selbst wußte, daß jedes derselben gemachte Zugeständniß, statt eine Versöhnung anzubahnen, von ihr nur als Schwäche angesehen und in dieser Richtung benutzt wurde, – daher ich, unter andern, sofort nach erfolgter Anerkennung der Grundrechte in Sachsen gegen meinen Kollegen Kühnel die Ueberzeugung aussprach, daß damit, wie auch der Erfolg bewies, das Ministerium Held sich den Todesstoß versetzt habe, – so konnte ich doch, auch bei der reiflichsten und gewissenhaftesten Prüfung aller Umstände, mich der Ansicht nicht erwehren, daß die Nichtanerkennung der Frankfurter Reichsverfassung Sachsen in größeres Unglück stürzen werde, als ein solches aus deren Anerkennung Seiten der sächsischen Regierung zu besorgen stehe.

Ich wurde hierbei von der Ansicht geleitet, einmal daß die Anerkennung derselben, wenn solche nicht auch [186] von den größeren deutschen Staaten ausgesprochen werde, in der Hauptsache einflußlos bleibe, sowie daß umgekehrt, wenn Sachsen jene Reichsverfassung nicht anerkenne, dies deren Giltigkeit für Deutschland, falls die größeren Staaten sich ihr unterwürfen, keinenfalls behindern könne, und dann zweitens, daß die in allen Kreisen, welcher Bildungsstufe oder politischen Richtung sie auch angehören mochten, sich damals ohne Ausnahme auf wahrhaft beispiellose Weise kundgebende Sympathie für diese Verfassung auch in den Augen des Staatsoberhauptes um so gewichtiger erscheinen müsse, je weniger eben hierbei eine bloße Parteibestrebung hervortrat und je indifferenter, wie mir dem Obigen nach schien, in Bezug auf den politischen Erfolg hinsichtlich der Neugestaltung Deutschlands das partielle Verhalten Sachsens bei dieser Angelegenheit sein konnte.

Mit einem Worte: ich hielt die Wirkung, welche die Nichtachtung jener Sympathie nothwendigerweise für den König haben mußte, für viel zu gefahrdrohend, als daß diese Gefahr durch die Wichtigkeit des politischen Erfolgs einer Nichtanerkennung der Reichsverfassung Seiten des Königs hätte aufgewogen werden können. Dazu gesellte sich, wie ich offen gestehen muß, die Besorgniß, daß die Unbeugsamkeit, welche man den Regenten Sachsens in entscheidenden politischen Momenten nachzusagen gewohnt ist, im vorliegendem Falle zu des Königs höchstem Unheile ausschlagen möchte. (Der Ausgang jener schrecklichen Epoche der Zweifel und Bekümmernisse hat gezeigt, wie groß mein Irrthum in jeder Hinsicht gewesen ist. Ich bekenne ihn offen und tröste mich dabei mit dem Glauben, daß es in Sachsen, eben außer dem Könige selbst, nicht leicht einen Menschen von Theilnahme an dem öffentlichen Leben geben wird, der sich nicht damals gleich mir geirrt hat. Leider sind aber jetzt nur wenige so ehrlich, dies zu gestehen.)

Was war also bei den Gefühlen der aufrichtigsten Verehrung und treuesten Anhänglichkeit gegen den König, sowie der innigsten Liebe zu meinem Vaterlande, die mich von Jugend auf beseelt haben, natürlicher, als daß ich Jemanden von Einfluß für meine damalige Ansicht zu gewinnen suchte! Ein Mann von der reinsten Ehrenhaftigkeit und genauer Bekanntschaft mit den Verhältnissen bei Hofe, an den ich mich deshalb wendete, bezeichnete mir den Generalmajor, jetzigen Generalleutnant und Oberstallmeister von Engel als denjenigen, auf welchen ich mein Augenmerk zu richten haben würde.

Zwar würde es in Zeiten des inneren Friedens als eine unverantwortliche Selbstüberhebung angesehen werden und auch in der That als eine solche angesehen werden müssen, wenn ein Mann von meiner untergeordneten, einflußlosen Stellung sich erdreisten wollte, ganz unaufgeforderter Weise mit Ansichten und Rathschlägen in Bezug auf die wichtigsten Staatsangelegenheiten hervorzutreten; allein die Gefahr wuchs damals von Stunde zu Stunde in so drohender Weise, daß der redliche Wille, seinem Könige und dem Vaterlande zu dienen, auch dann keine Zurückweisung zu gewarten hatte, wenn die Person hierzu einen an sich sonst unstatthaften Weg einschlug. Zudem erschien es mir als eine Pflicht jedes Patrioten, unbekümmert darum, ob es ihm selbst vielleicht sogar nachtheilig werden könne, überall mit Rath und That an die Hand zu gehen, besonders in Tagen wie jene waren, wo der, dem hierbei keine Verantwortlichkeit oblag, sich deshalb möglicherweise in einem Gemüthszustande befand, der ihm eine ruhigere Anschauung der Dinge gestattete als einem verpflichteten und verantwortlichen Rathgeber.

Da mich übrigens der General Engel auch persönlich sehr wohl kannte, so suchte ich ihn noch am nämlichen Tage, Montag den 30. April, Abends 6 Uhr, zuerst in seiner Wohnung und dann in der Ressource auf. Dort fand ich ihn und bei der ausführlichen Entwickelung meiner obigen Ansicht an ihm zugleich einen sehr aufmerksamen Zuhörer. Er versprach mir, hiervon den von mir sehnlichst gewünschten Gebrauch zu machen. Dies ermuthigte mich noch zu einem andern Wagniß. Ich beschwor ihn nämlich, da ich an dem baldigen Abgange wenigstens einzelner der Mitglieder des Ministerii Held keinen Augenblick zweifelte, den König zu bitten, daß er bei Bildung eines neuen Ministerii den Staatsminister a. D. von Carlowitz und den Geheimenrath Dr. Zschinsky zuziehen möge. Letztern schilderte ich ihm zugleich als einen Mann von ebenso unwandelbarer Treue als von unerschütterlicher Charakterfestigkeit. Ich konnte dies nach der langjährigen genauen Bekanntschaft mit dem Geheimenrathe Dr. Zschinsky und nach den unzähligen politischen Gesprächen, die zwischen uns stattgefunden hatten, mit gutem Gewissen thun. Der Herr von Carlowitz hat seine Betheiligung bei der Tags darauf auch wirklich eingetretenen Ministerkrisis abgelehnt. Die Ernennung des Geheimenrathes Dr. Zschinsky zum Justizminister und Ministerpräsidenten, welche am dritten Tage, dem 2. Mai, erfolgte, ist bekannt. Noch am Morgen des Tages vorher, ehe diese Ernennung stattgefunden hatte, also am 1. Mai, vertraute ich dem Geheimenrathe Dr. Zschinsky im Sitzungszimmer des I. Senats des Appellationsgerichts den ganzen Inhalt meiner am Abend vorher mit dem General Engel gepflogenen Unterredung an und sagte ihm in prophetischem Geiste vorher, „daß er morgen Minister sein werde“. Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht!

In den Frühstunden des 1. Mai erfuhr ich ferner, daß der Vaterlandsverein durch Dr. Minckwitz [187] und Destillateur Schmidt an der Spitze eines öffentlichen Zuges dem Ministerio Held im Lokale des Justizministerii eine Mißtrauensadresse überbringen würde. Ich eilte augenblicklich, den General Engel aufzusuchen, um ihn womöglich noch vor seiner Aufwartung bei dem Könige zu sprechen. Es glückte mir auch. Der General Engel war zwar bereits bei dem Könige gemeldet, wartete aber noch in dem Balkonzimmer des Königlichen Schlosses, weil der Kriegsminister Rabenhorst schon vorgelassen war, und so vermochte ich denn durch die Vorstellung der Dringlichkeit meiner Unterredung mit dem General Engel, ehe er bei dem Könige eintrete, den diensthabenden Portier, daß er Jenen noch einmal in das sogenannte Thronzimmer nach der Schloßgasse zu, bis wohin ich muthig vorgedrungen war, herausrief. Der General Engel, dem ich überhaupt in jener ganzen verhängnißvollen Epoche die größte Willfährigkeit und Humanität nachrühmen muß, kam auch wirklich heraus. – Damals ging Alles! – Ich stellte ihm vor, daß, wenn der König überhaupt sich noch entschließen könne, die Reichsverfassung anzuerkennen, dies vor dem Ablaufe zweier Stunden geschehen müsse. Bis dahin Vormittags um 11&nbsp Uhr – wo die Ueberreichung jener Mißtrauensadresse vor sich gehen sollte und auch wirklich vor sich gegangen ist – trage diese Anerkennung noch das Gepräge einer selbstständigen freiwilligen Handlung an sich, nach 11 Uhr werde sie als erzwungen erscheinen und somit jedes politische Gewicht verlieren, welches außerdem für den König, wie ich glaubte, von den segensreichsten Folgen sein müsse. Hierauf trat der Kriegsminister vom König heraus und zu uns hin. Ich fragte ihn, ob ihm das Vorhaben des Vaterlandsvereins bekannt sei? Er antwortete: „Ja, es sind aber keine bedenklichen Anzeichen da!“ – Da verneigte ich mich und – ging. Ich war mir bewußt, alles bis zur äußersten Erschöpfung gethan zu haben, was damals einem Privatmanne, denn in einer andern Eigenschaft konnte ich nicht handeln, möglich war. Der Himmel hat den Ausgang anders gefügt und das Schicksal Badens später gezeigt, wie wenig, auf meinem untergeordneten Standpunkte, eine richtige Voraussicht der Zukunft, auch bei dem besten Willen, zu erreichen stand. Ich bin jetzt auf das Vollkommenste überzeugt, daß, wenn auch der König die Reichsverfassung anerkannt hätte, die Revolution dadurch doch nicht unterdrückt, sondern höchstens um einige Zeit hinausgeschoben worden wäre. Sie, die Reichsverfassung, war blos Mittel zum Zweck, und zwar ein anscheinend recht ehrliches, sowie zugleich ein sehr wirksames, weil, bei der im Volke zu dessen allergrößtem Theile für die Reichsverfassung verbreiteten Sympathie, alle Parteien dadurch gewonnen wurden, die Einen zum Mithandeln, die Andern wenigstens zur Abneigung vor der Unterstützung von Gegenmaßregeln. Der wirkliche geheime Zweck aber, wozu jenes ostensible Mittel führen sollte, war: Umsturz der bestehenden Regierungsformen, denn die Demokratie im Sinne unserer sächsischen Radikalen ist ohne Republik undenkbar. Dieselben mögen sagen, was sie wollen, sie, die wahren d. h. gehörig instruirten Demokraten, wissen recht wohl, daß die Behauptung des Gegentheils nichts als eine Mystifikation ist, berechnet auf die Hasenherzigkeit ihrer eigenen Gimpel oder Novizen und auf die Simplizität der Konservativen.

Hätte ich übrigens damals schon gewußt, daß Preußen den übrigen deutschen Regierungen für den Fall von Unruhen wegen Nichtanerkennung der Reichsverfassung seine militärische Hilfe bereits angeboten hatte, ehe wir in Sachsen in die Lage kamen, diese Hilfe zu brauchen, dann würde sich auch mir die ganze Sachlage in einem andern Lichte dargestellt haben. Allein in dem Glauben, daß wir, den tobenden Brandungen der förmlich fanatisirten Volksbewegung gegenüber, auf die zu Tage liegende Unzulänglichkeit unserer eigenen Mittel beschränkt seien, mußte ich mit so vielen die Unbeugsamkeit des Königs für ein unberechenbares Wagstück halten. Denn, was man auch später immer über die Entbehrlichkeit der preußischen Hilfe an sich, mit der Behauptung, daß es ohne letztere nur längere Zeit in Anspruch genommen haben würde, den Aufstand zu bewältigen, gesagt haben mag: ich erinnere mich der Begrüßungsworte, womit der Generalleutnant von Schirnding die letzten beiden Bataillone des Regiments Kaiser Alexander, welche unter ihrem und des ganzen Regiments Kommandanten, damaligen Oberstleutnant Grafen Waldersee, auf dem Neustädter Markte in enggeschlossener Kolonne aufmarschirt waren, begrüßte, noch sehr wohl. Es kamen darinnen die Worte vor: „ich heiße Sie herzlich willkommen, denn Ihre Hilfe thut uns sehr noth!“ – Ich kenne den General von Schirnding zu lange – noch von Pegau her, wo er als Rittmeister stand – und zu genau, um nicht augenblicklich – da ich ganz in seiner Nähe war – herauszuhören, daß jene Worte gar sehr von Herzen kamen, und zwar von einem sehr erleichterten Herzen. Er aber als oberster Befehlshaber der damals hier vereinigten bewaffneten Macht mußte wohl am besten wissen, ob und inwieweit wir fremde Hilfe brauchten. Nur war es in der Folgezeit preußischerseits wenig ehrenhaft, daß, weil wir durch Hilfe von dort her dem Heißhunger der Demokratie entronnen waren, man nun von uns verlangte, wir sollten uns aus purer Dankbarkeit dagegen von Preußen verspeisen lassen, und daß, als wir dagegen protestirten und auch nach dem Gebote der gesetzlichen Selbsthilfe operirten, man die Vorwürfe des scheußlichsten Undankes [188] gegen uns schleuderte. Mag auch jener ursprünglichen Hilfe der Verdacht einer weiteren Vorausberechnung nicht gerade untergelegt werden, so nahm doch das spätere Verhalten Preußens in der traurigen Unionsepoche ganz die Wendung an, als ob man die ehemalige Hilfeleistung sich zu Nutze machen wolle, um von dem Gefühle der Dankbarkeit nunmehr dasjenige als ein freiwilliges Opfer zu beanspruchen, was die von Preußen unterstützten Staaten der Demokratie gezwungen hatten Preis geben sollen: ihre selbstständige staatliche Existenz.

Uebrigens muß ich dem Staatsminister Dr. Zschinsky noch jetzt das Zeugniß geben, daß bereits in den letzten Augenblicken, die ich mit ihm vor seiner Ernennung zu dieser Charge in politischem Gespräche verbrachte, wir uns darüber einigten, daß, wenn Kraft genug vorhanden sei, dem Drängen der Demokratie nach Anerkennung der Reichsverfassung zu widerstehen – worüber auch ihm damals noch nichts bekannt war – dieser Widerstand jedenfalls gewagt werden müßte. Als daher Dr. Zschinsky nach seiner Berufung in das Ministerium den König bei dessen Weigerung gegen eine solche Anerkennung unterstützte, hat Ersterer nicht blos den Willen des Königs vollzogen, sondern ist hierbei, weil ihm das Hilfsanerbieten Preußens natürlich in seiner neuen Stellung sofort bekannt werden mußte, auch der eigenen Ueberzeugung vollkommen treu geblieben.

Wer, wie ich, absichtlich so viel mit Demokraten verkehrt hatte, dem konnte nicht verborgen bleiben, daß dieselben, wo es die Erreichung ihres auf Einführung republikanischer Regierungsformen gerichteten einzigen Zieles galt, zu jeder Gesetzesübertretung, zu jedem politischen Verbrechen bereit und gerüstet waren. Eine neue politische Weltordnung schwebte ihnen einmal vor. Jeder hielt sich für ebenso befähigt als berufen, bei dieser gewaltsamen Reorganisation eine Hauptrolle – mit einigen Nebenvortheilen für ihn selbst – zu spielen, und was dabei nach gewöhnlichen reaktionären Begriffen in die Kategorie der Verbrechen; wenn auch der schwersten, gehörte, dafür ließ sich, bei dem ihnen, den Demokraten, auch nicht im Entferntesten zweifelhaften Siege, äußersten Falles in krimineller Hinsicht die Freisprechung durch das Verdikt gleichgesinnter Geschworenen, sowie in moralischer Beziehung eine Absolutoria durch die ebenmäßige Gefügigkeit des eigenen Gewissens versprechen, welches man mit den Vorspiegelungen von der Heiligkeit des Zweckes auch über die Wahl der Mittel längst in den erforderlichen Schlaf eingewiegt hatte.

Unter diese Mittel gehörte selbstverständlich auch Revolution und Entthronung, und ich war schon am Montage, dem 30. April 1849, davon, daß erstere in den allernächsten Tagen ausbrechen werde, so vollkommen überzeugt, daß ich, da man mit solchen Prophezeiungen unbegreiflicherweise überall nur tauben Ohren predigte, meinem Kollegen Kühnel[16], als wir an jenem Montage Mittags gemeinschaftlich in unsere Wohnungen zurückkehrten, die Mittheilung machte: ich würde, da noch im Laufe der eben angetretenen Woche der König genöthigt sein werde, seine Residenz bei Nacht und Nebel zu verlassen, wenigstens immer Vorkehrung treffen, daß ihn ein Dampfschiff bei dieser gezwungenen Entfernung aufnehme und außerhalb Dresden bringe. Auch Kühnel wollte meine Befürchtungen in solchem Umfange nicht theilen, er wird aber die Wahrheit vorstehender thatsächlichen Angabe gewiß jederzeit bestätigen.

Als daher am Donnerstage, dem 3. Mai, der Kommunalgardenausschuß zu Dresden den unglückseligen Beschluß gefaßt hatte, die Kommunalgarde auf Appell zusammen zu berufen, um ihr – unter den Waffen – die Antwort des Königs auf die Adresse der Kommunalgarde zu eröffnen, so eilte ich, da mein Kollege Kühnel Mittags gegen 1 Uhr in der höchsten Bestürzung aus der Sitzung des gedachten Ausschusses, dessen Mitglied er war und wo er, sowie der Stadtrath Advokat Herrmann ganz allein die Festigkeit gehabt hatten, gegen jenen Beschluß zu stimmen, nach der Kanzlei zurückkam, sofort in das Sitzungszimmer des II. Senats, theilte dort dem Präsidenten mit, daß um 1 Uhr Appell geschlagen werden und er daher, weil dabei große Bewegungen auf den Straßen entstehen möchten, gut thun würde, die Sitzung baldigst zu schließen, was denn auch sofort geschah. Von hier aus begab ich mich ferner in das Gesammtministerium im Schlosse, bat um eine Unterredung mit dem nunmehrigen Staatsminister Dr. Zschinsky und eröffnete ihm als meine offene Meinung: daß mit dem Glockenschlage 1 Uhr die Revolution in Dresden beginne, was auch der Minister Dr. Zschinsky selbst nicht in Zweifel zog. Auf meine Frage, ob er darauf vorbereitet und gerüstet sei? antwortete er in unverkennbarer großer Ruhe: „Ja!“ Hier mußte ich schweigen und mich entfernen, weil eine Deputation aus Leipzig, welche eben in der höchsten Niedergeschlagenheit vom Könige kam, eintrat. Ein darunter befindlicher alter Freund, Professor Erdmann, reichte mir im Vorbeigehen mit Thränen in den Augen die Hand. – Es verdient die höchste Bewunderung, daß der König jenen beispiellosen Grad von Festigkeit besessen hat, so vielen Bestürmungen um Anerkennung der Reichsverfassung zu widerstehen; ich meinesorts muß aber offen bekennen, daß, als die Frage einmal bis zur blutigen Lösung getrieben war, [189] mit der nunmehr eingetretenen Gewißheit der einzuschlagenden Richtung auch eine gewisse Ruhe in mein Inneres wieder einkehrte.

In dieser Stimmung begab ich mich nach Hause[17], nachdem ich noch unterwegs, an den Pontonschuppen, den Hauptmann von Grünenwald in dem Augenblick getroffen hatte, wo er mit seiner Batterie sich zum Abmarsch bereit machte. Ich sagte ihm, Abschied nehmend, „Sie werden viel zu thun bekommen!“ Der Erfolg hat dies bestätigt.

Bei dem Mittagessen theilte ich meiner Frau mit, daß ich in die Stadt gehen würde, um für alle Fälle Sorge zu tragen, damit schon in nächster Nacht ein Dampfschiff in Bereitschaft sei, wenn vielleicht „Jemand vom Hofe“ Dresden verlassen wolle. Nach 3 Uhr trat ich meinen Weg an der Elbe hin an. Der Kaufmann Opitz, welcher bereits auf dem Bade wohnte, begleitete mich bis auf die Stelle dem Elbberge gegenüber. Weil aber schon auf dem Kreuzthurme gestürmt wurde und man Schüsse hörte, kehrte er wieder nach Hause zurück, ich dagegen fuhr im Kahne über die Elbe und ging im Gondelhafen hinauf nach dem Zeughause zu. Dort war aber der ganze Raum mit Menschen so vollgestopft, daß ich kaum die Brühlsche Terrasse erreichen konnte. Man sah, darunter auch Weiber, den Angriffen des Volks auf das Zeughaus zu! Ich ging einen Augenblick zu dem Inhaber der Restauration auf der Terrasse, Haßfeld, den ich sehr muthlos fand, und sprach ihm, sowie seiner Frau nach Kräften Muth zu, indem ich ihn namentlich daran erinnerte, daß er stets so viel für die Armen gethan habe. Als ich wieder heraustrat, fiel im Zeughause ein furchtbar krachender Kanonenschuß, und augenblicklich darauf stürzten Hunderte von Menschen in der wildesten Flucht über die Brühlsche Terrasse hinweg, so daß es den Anschein hatte, als ob wenigstens Reiterei auf dem Fuße folge. Indessen brachten in einem geringen Zwischenraume 4 bis 5 tobende Handarbeiter einen Verwundeten geführt, welcher einen Streifschuß am Kopfe erhalten hatte. Die Wunde war mit einem schmutzigen weißen Tuche verbunden, allein das Blut drang darunter hervor und hatte seine ganze Kleidung in einem langen Strahle bereits überflossen. Der Verwundete ließ sich ruhig führen, allein seine Begleiter stießen die leidenschaftlichsten Verwünschungen, namentlich gegen das Militär, aus und schwuren hoch und theuer, wenn sie nur erst das Zeughaus erstürmt und sich in den Besitz von Waffen gesetzt hätten, schreckliche Rache nehmen zu wollen.

Auch für den, der noch nie eine Revolution mit angesehen, wie ich, mußte es sonnenklar werden, daß eine solche hier mit Riesenschritten vorwärts ging. Man stellte jenen Verwundeten auf dem Platze vor dem Schlosse und der katholischen Kirche förmlich zur Schau aus und von allen Himmelsgegenden strömten Zuschauer herzu. Der immer größer werdende Haufe wurde jedoch bald durch das bloße Erscheinen von vier Geschützen zerstreut, welche unter dem Hauptmann von Grünenwald über die Brücke nach Altstadt marschirten und dort, unmittelbar am Ausgange der Brücke, mit der Mündung theils nach der Augustusstraße, theils nach dem Durchgange zwischen Kirche und Schloß gerichtet, abprotzten.

Einen besonders tiefen Eindruck machte es auf mich, als ich gewahrte, daß man in der I. Etage des Schlosses nach der Brücke heraus in einer der gläsernen Balkonthüren von unten herauf eine Scheibe eingeworfen hatte. Wenige Stunden nach Beginn des öffentlichen Widerstandes, und schon ein so thätliches Vergreifen an den nächsten wohnlichen Umgebungen des darin anwesenden Staatsoberhauptes! Dieses Hinwegsetzen über alle Gebote der Sittlichkeit, der Achtung, ja sogar der bei der großen Masse durch Gewohnheit wenigstens geheiligten Pietät, ließ mich deutlich erkennen, daß an keine Schonung von Seiten des Volks mehr zu denken, sondern daß der Kampf auf Tod und Leben bereits engagirt war.

Ich machte mich sonach an mein reiflich überlegtes Werk. In dem kleinen Hause an der Appareille, wo das Büreau der Dampfschiffe sich befindet, waren nur zwei Expedienten, der ehemalige Kaufmann Albrecht, den ich sehr gut kenne, und ein mir unbekannter junger Mensch, Namens Reichel, zugegen. Die Dampfschifffahrtsdirektoren Heimbold und Leonhardi waren, wie ich auf Befragen erfuhr, an jenem Tage von Dresden abwesend.

Ich nahm jene beiden Expedienten auf die Seite und ließ mir von ihnen das Ehrenwort darauf geben, über das, was ich ihnen eröffnen würde, gegen Jedermann das tiefste Stillschweigen zu beobachten, indem ich zugleich jeden von ihnen für die unübersehbaren Folgen eines Bruchs dieses Angelöbnisses auf das Ernstlichste verantwortlich machte. Hierauf erklärte ich ihnen, daß ich von diesem Augenblicke an das eben an der Appareille vacant liegende einzige Dampfschiff „Friedrich August“ auf meine Rechnung in Beschlag nehme und für alle Kosten (nach Befinden aus meinen Mitteln) stehen würde, weil vielleicht Jemand von der Königlichen Familie damit abreisen werde. Auf meine Anfrage

      a) warum das Schiff eben geheizt werde und
      b) ob Kohlen genug vorhanden seien, um vielleicht eine Fahrt nach Königstein zu unternehmen?

erfuhr ich [190]

      zu a) daß der Kessel nach einer vorgenommenen Reparatur probirt werde und
      zu b) daß zwar Kohlen genug auf dem Schiffe sich befänden, um bis Königstein zu gelangen, daß aber, wenn vielleicht bis zur Abfahrt ununterbrochen geheizt werden sollte, um sogleich Dämpfe in Vorrath zu haben, der Kohlenvorrath nicht ausreichen würde und auch bei der Wendung der öffentlichen Angelegenheiten in Dresden, wie solche bereits wahrnehmbar, an Herbeischaffung eines größeren Vorrathes nicht zu denken sei.

Da nun zu besorgen stand, daß die Terrasse bis zum Hereinbrechen der Nacht von den Aufständischen besetzt werden möchte – eine Maßregel, deren eigentliche strategische Nothwendigkeit selbst mir, dem Laien, einleuchtete, – so ordnete ich an, um das Dampfschiff vorher jedenfalls in Sicherheit zu bringen, daß dasselbe, wenn es bei seiner gegenwärtigen Kesselprobe Dämpfe genug haben werde, das Innere der Stadt verlassen und zunächst der Wiese unterhalb des Kosel’schen Gartens, also auf der Neustädter Seite, jedoch nicht unmittelbar am Ufer, sondern ein Stück stromeinwärts vor Anker gehen möge. Da ich darauf bestand, daß selbst[18] ....................................................................................... antreten. Auch einen Unteroffizier, welcher mitfahren sollte, lehnte ich, damit nicht so viele Personen bei Nacht in einem Kahne vor der Zeit Aufsehen erregen möchten, definitiv ab. Die Umkleidung und Herbeischaffung des Schlüssels zu dem einen Pontonschuppen, worin das Schonzeug zu den Kähnen sich befand, nahm abermals viel Zeit weg, und ich befand mich daher in der größten Unruhe, da man Seiten des Hofs jeden Augenblick die Abreise antreten konnte und Leonhardi noch immer nicht auf seinem Posten war. Endlich stieß der Kahn mit letzterem vom Ufer ab, und zwar, wie ich ausdrücklich verlangte, dergestalt, daß derselbe nach dem Schatten, welchen die Brühl’sche Terrasse auf den Elbstrom warf, auf dem kürzesten Wege hinüber fuhr, um dann, von der tiefen Dunkelheit geschützt, die Appareille zu erreichen, was auch glücklich gelang. Es war bereits Nachts in der 12. Stunde. Bis um 1/4 4 Uhr stand ich auf dem Bade an der unteren Elbmauer in der höchsten Spannung, ob alles glücklich von Statten gehen werde, allein als endlich beim Anbrechen des Tages noch immer keine Abfahrt erfolgte, was bei dem eingetretenen dichten Nebel, wenigstens durch das Geräusch sich hätte bemerkbar machen müssen, legte ich mich, zum Tode ermüdet und angekleidet, in meiner Wohnung auf ein Sopha. Nach 5 Uhr stand ich wieder auf und erblickte, als der Nebel von Neuem eine Fernsicht gestattete, das Dampfschiff nicht mehr, sodaß also die Abreise doch noch vor sich gegangen sein mußte. Wer vermöchte die Freude meines Herzens mit Worten zu schildern? Es war einer der erhebendsten und beglückendsten Momente meines Lebens!

Leider sollte aber diese Freude eine um so erschütterndere Unterbrechung erfahren. Denn als ich gegen 8 Uhr an das Neustädter Gouvernementsgebäude gelangte, erfuhr ich dort als allgemeine Neuigkeit, daß das Dampfschiff, worauf sich der König, die Königin und die Minister Dr. Zschinsky, Rabenhorst und von Beust befunden, bei Pirna aufgehalten, der König und die Minister gefangen genommen worden seien und man dieselben per Eisenbahn nach Altstadt-Dresden, folglich in das Centrum der Revolution, in Kurzem zurückbringen werde. Man erzählte, daß die Demokratie, sofort nach erhaltener Nachricht von der zu Wasser erfolgten Abreise des Königs, auf der Eisenbahn bis Pirna vorausgeeilt sei und die Festnehmung des Dampfschiffs mit allen darauf befindlichen Personen ausgeführt habe. Mein Schreck war unbeschreiblich. Mir schwebte augenblicklich vor, daß man alle Schuld auf den Veranstalter jener Abreise werfen und mich um so härter tadeln werde, je mehr ich unaufgefordert und ohne durch meine amtliche Stellung irgendwie hierzu angewiesen zu sein, in Dinge, die mir an sich fern lagen, mich immiscirt hatte. Daß mich hierzu die Liebe zu meinem Könige angetrieben, würde bei Allen, die nur nach dem Erfolge urtheilen – das erkannte ich wohl – keineswegs als Rechtfertigung gegolten haben. Ich durfte über das Urtheil der Welt auch gar nicht lange in Zweifel bleiben, denn der Herr von Thielau – der ehemalige Abgeordnete aus der Lausitz - welcher vor dem Gouvernementsgebäude mehrere Personen vom Civil- und Militärstande haranguirte, warf so laut, daß es alle Umstehenden hören konnten, die Frage auf: „ich möchte nur wissen, wer dem Könige den unsinnigen Rath gegeben hat, zu Schiffe zu entfliehen? Da nehme ich einen Wagen mit sechs Pferden bespannt und eine Schwadron Kavallerie und fahre damit durch ganz Sachsen!“

Nun dachte ich zwar bei mir selbst: der Mann hat gut reden, denn woher kommt wohl gleich ein Wagen mit sechs Pferden, nachdem man schon am Nachmittag vorher, also 12 Stunden früher, sich an zwei leeren Hofpferden vergriffen hatte, und die Kavallerieschwadronen stehen ebenfalls nicht so zum beliebigen Dienste aufmarschirt; allein dem ungeachtet konnte diese Aeußerung nicht verfehlen, meine Angst, [191] die, ich darf es gestehen, mich zum ersten Male an mich selbst erinnerte, zu verdoppeln.

Ich hatte allerdings mir nicht verhehlt, daß, wenn die Demokratie den Sieg davon tragen und mein Antheil an der Entfernung des Königs zu Tage kommen sollte, man mit mir, bei der damaligen, geradezu an Wuth grenzenden Stimmung gegen denselben, in ein sehr strenges Gericht gehen werde; denn durch die Entfernung des Königs war der Demokratie mit einem Male die Aussicht benommen worden, daß der König, dessen weiches und der Rührung leicht zugängliches Herz allgemein bekannt ist, bei einem länger fortgesetzten Straßenkampfe doch noch zur Nachgiebigkeit bewogen werden könne. Allein je mehr ich gegen Andere darüber aufgebracht war, daß ihnen das Gefühl der persönlichen Selbstaufopferung so gänzlich fremd war, um so weniger durfte ich einen Augenblick mein eigenes Schicksal beachten, wo es galt, den König und das ganze Land nach Befinden vor unheilbarem Verderben zu retten. Und das Leben des Königs konnte damals, dessen war ich mir vom ersten Momente an klar, sehr leicht gefährdet werden, denn in so stürmischen Zeiten hilft der Zufall oft vollführen, was die Absicht allein nicht erreichen kann, und welch’ unübersehbaren Wirrwarr würde der Tod des Königs damals über das Land gebracht haben!

Dahingegen muß ich gestehen, daß bei allen diesen Betrachtungen der Gedanke an das Gelingen meiner Unternehmung mich aufrecht erhalten und ermuthigt hatte. Jetzt trat zum ersten Male die Volksrache und das Mißlingen der von mir angetragenen Hilfe vor meine Seele. Wer will mit mir darüber rechten, daß dieser Gedanke mich bis in die tiefste Seele erschütterte? Doch wurde ich endlich, ebenfalls mit Hilfe des Zufalls, von meiner unbeschreiblichen Besorgniß erlöst. Ein Bekannter, Kanzlist Röhr, theilte mir auf der Straße unaufgefordert mit: daß er soeben einen Fremden gesprochen, welcher von Schandau über Königstein, Pirna und Pillnitz in Neustadt-Dresden eingetroffen, beim Vorüberfahren an der am Fuße der Festung Königstein gelegenen „Neuen Schänke“ den König im Hinaufsteigen begegnet habe. Die von jenem Fremden angeführten weitern Details ließen keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Mittheilung aufkommen. – Herzlicher hat wohl an jenem Tage nicht leicht irgend Jemand Gott gedankt als ich!

Freitag der 4. Mai, Abends, ließ mich einen Blick in die Wankelmüthigkeit des Militärs niederer Grade thun, der mich, was namentlich den Verkehr zwischen Soldaten und Bürgern im Neustädter Kellerlokale anlangte, mit höchster Besorgniß erfüllte. Unzweifelhaft trug noch die feste Haltung des aus Leipzig eingetroffenen, auf der Brücke postirten Schützenbataillons das Meiste bei, das Ehrgefühl der andern in Neustadt verbliebenen Truppentheile, denn nur von diesen kann ich sprechen, aufrecht zu erhalten. Dem ungeachtet kamen im Verkehr zwischen Soldaten und Bürgern ganz offen die, bei den überall reichlich fließenden Getränken, nicht einmal für frevelhaft geltenden Hoffnungsäußerungen vor, daß am nächsten Tage auch die Schützen mit den Bürgern gemeinschaftliche Sache machen würden.

Als nun am Morgen des 5. Mai, Sonnabends, die Bekanntmachungen der inzwischen zusammengetretenen provisorischen Regierung im Anzeiger und Journale erschienen, welche den Eingang enthielten: „Der König und die Minister sind geflohen. Das Land befindet sich ohne Regierung etc.,“ litt es mich nicht mehr in Dresden. Nachdem ich vorher noch bei meinem Kollegen Kühnel gewesen war und dort dem zufällig ebenfalls anwesenden Referendar im Gesammtministerio, Roßberg, die Zusicherung ertheilt hatte, für Herbeischaffung eines gewissen (hier nicht näher zu bezeichnenden) Schriftstücks besorgt zu sein, dessen Erlangung damals von der äußersten Wichtigkeit war, eilte ich, anfangs zu Fuße, nach der Festung Königstein, weil ich annahm, daß man dort von dieser Perfidie der provisorischen Regierung, welche den Glauben an den gänzlichen Mangel einer legitimen Regierung in Sachsen hervorrufen sollte, noch nicht unterrichtet sein werde. Und ich hatte mich hierin keineswegs getäuscht.

Schon in Wachwitz traf ich vor der Presse einen Wagen, den ich, obgleich der Kutscher keine Livree trug, wie dies an jenem Tage, mit Ausschluß der Hofdienerschaft auf der Festung Königstein selbst, überall der Fall war, doch sofort für einen Hofwagen erkannte. Der Kutscher fuhr mich auf Verlangen augenblicklich nach Pillnitz zu dem Bereiter Zacharias und dieser gab mir abermals Wagen und Pferde, von denen ich mich wieder bis auf die Anhöhe vor Dorf-Wehlen bringen ließ. Von hier aus ging ich nach Stadt-Wehlen, ließ mich hier über die Elbe setzen, nahm einen Führer über Thürmsdorf nach der Festung Königstein und traf daselbst auch Nachmittags in der 4. Stunde ein.

Ich erhielt Zutritt bei dem Prinzen Johann, welchen ich von dem Staatsminister Dr. Zschinsky, dem General von Engel und dem General Reichard umgeben fand. Nachdem ich meinen Rapport mit möglichster Offenheit und Umständlichkeit erstattet hatte, begab sich der Staatsminister Dr. Zschinsky zum Könige und händigte mir dann eine kurze schriftliche, jedoch wie ich, behufs leichterer Vertilgung, gebeten hatte, offene Instruktion ein. Auch vom Prinzen Johann erhielt ich Aufträge, die jedoch nur [192] Privatangelegenheiten betrafen, ebenso vom Minister Dr. Zschinsky.

Der Prinz Johann, mit welchem ich an jenem Tage zum ersten Male zu sprechen kam, war überaus gnädig gegen mich und hat mich unter wiederholtem Händedrucke versichert, daß es sehr wohl thue, in solchen Zeiten treue Herzen zu finden. Ich würde mir diese Mittheilung, die wie eine Ruhmredigkeit klingt, hier nicht gestatten, wenn ich mir nicht selbst das Zeugniß geben könnte, daß mein Herz die Bezeichnung eines treuen Herzens auch wirklich verdient hat. Der König hätte jedes Opfer von mir verlangen können, ich entzog mich ihm gewiß nicht und hätte es auch mein Leben kosten sollen, – ein Leben, das ja ohnehin seit jener Zeit immer mehr und mehr alles Aufschwungs der Seele und fast jeder Freudigkeit beraubt worden ist.

Der General Engel ließ mich wieder nach Pirna zu fahren, vor der Stadt aber bei dem Hausberge stieg ich aus und log mich nun durch die Stadt selbst, welche ich überall mit demokratischen Gruppen angefüllt fand, auf die Weise hindurch, daß ich vorgab, von einer Reise in die sächsische Schweiz zurückzukehren. Zu solchen Zwecken hatte ich vorsorglicherweise das Reisetäschchen, dessen ich mich sonst bei meinen Fußwanderungen bediente, umgehangen, und dieses leistete mir nun sehr gute Dienste, indem Jedermann mir glaubte und meine Anfragen über den Stand der Dinge in Dresden, den ich natürlich nicht zu kennen vorgab, beantwortete. So kam ich glücklich über die Elbe und in der 9. Stunde nach Pillnitz. Von dort fuhr ich wieder zu Wagen weiter, allein, da Zacharias besorgte, daß in den Dörfern am rechten Elbufer, welche an sich schon höchst demokratisch gesinnt waren und wo die Aufregung von Stunde zu Stunde wuchs, die Pferde, als dem Hofe gehörig, ausgespannt werden möchten, einen andern Weg, nämlich durch den Helfenberger Grund und über die Berge nach Dresden. Leider verfuhr sich in der Dunkelheit der Nacht – denn der Himmel war sehr bewölkt und daher vom Monde nichts zu sehen – der Kutscher so weit, daß ich erst in der 12. Stunde auf dem Bade ankam. Ich begab mich sofort in das Gouvernementsgebäude zu Neustadt, um dem Staatsminister von Beust meine Depesche zu überreichen, konnte jedoch nicht vorkommen, weil derselbe nach Versicherung seines Dieners aus übermäßiger Anstrengung sich auf kurze Zeit zur Ruhe begeben habe. Ich kam daher um 4 Uhr Morgens wieder und fand hier den Minister in einem Zustande geistiger und körperlicher Apathie, der mich mit der innigsten Theilnahme erfüllte, ja der mir aus besondern Gründen sogar Besorgnisse über die körperliche sowohl als über die moralische Ausdauer dieses an sich einer kräftigen physischen Konstitution entbehrenden Mannes einflößte. Zum Theil wenigstens konnte ich ihm das Herz erleichtern. Es fehlte nämlich überall an Geld, es fehlte in Pillnitz, auf dem Königstein und in Dresden an Geld. Zacharias hatte mich bei meiner Durchreise dringend gebeten, den Oberstallmeister General Engel um eine Zusendung von Geld nach Pillnitz anzugehen, wohin Zacharias mit dem ganzen Königl. Marstalle ohne einen Groschen Geld und ohne Naturalvorräthe geflüchtet war. Engel konnte ihm keines verschaffen, weil man auf dem Königstein selbst ohne Mittel sich befand. Ein Gleiches war bei den in Dresden anwesenden Ministerien der Fall. Die Revolution war Allen zu schnell über den Hals gekommen, als daß man sich für dergleichen Eventualitäten hätte vorsehen können. Als mir daher der Staatsminister von Beust diese dringende Noth klagte und dabei an der Möglichkeit verzweifelte, den interimistischen Vorstand des Hausministerii, Geheimen Hofrath Zenker, nach Neustadt zu befördern, versprach ich ihm, nur um ihn wenigstens insoweit zu beruhigen, daß, wenn nicht Alles mißglücke, der Genannte in 1 Stunde zur Stelle sein solle. Gesagt, gethan. Ich kannte die hohe Gewissenhaftigkeit und unerschütterliche Berufstreue des Geheimen Hofrath Zenker genau genug, um zu wissen, daß er, dafern irgend eine Möglichkeit vorliege, dem Rufe gewiß folgen werde. Ich selbst durfte mich, bekannt wie ich in Dresden meiner Person nach bin und auch in Bezug auf meine politische Richtung damals vorzugsweise war, nicht nach Altstadt wagen, ohne das Entgegengesetzte meines Zweckes zu riskiren, nämlich den Geheimen Hofrath Zenker nicht an Ort und Stelle zu schaffen.

Ich wählte also das einfachste Auskunftsmittel, indem ich einen Chaisenträger, nachdem derselbe seine Dienstkleidung abgelegt und eine Aermelweste angezogen hatte, am Elbberge über die Elbe und, für alle möglichen Hindernisse genau instruirt, nach der Wohnung des Ersehnten auf der Waisenhausstraße in der Nähe des Seethores entsendete. Eine Stunde darauf rapportirte mir der Chaisenträger, daß er mit seiner Begleitung glücklich im Neustädter Gouvernementsgebäude angelangt sei, worauf denn auch die Erhebung der benöthigten Gelder aus dem von der Brücke aus zugänglichen Kassenbehältnisse erfolgte.

Im weiteren Fortgange jenes Morgens erledigte ich die mir von dem Prinzen Johann und dem Staatsminister Dr. Zschinsky ertheilten Privataufträge und händigte auch dem damaligen Geheimenrathe, gegenwärtigen Staatsminister Behr das gesuchte Schriftstück, welches sich im Gewahrsam des Staatsministers Dr. Zschinsky in seiner Wohnung in Dresden an einer von letzterem selbst mir bezeichneten Stelle befand, mit dessen Genehmigung aus.

[193] Tags darauf, den 7. Mai, suchte mich der Geheime Referendar Roßberg in meiner Wohnung auf, und ließ mich, im Auftrage des Staatsministers von Beust, Einsicht von einem Briefe des Ministers Dr. Zschinsky an den Staatsminister Rabenhorst nehmen, worin ersterer unter anderen, mir fremd gebliebenen Mittheilungen, dem letzteren eröffnete, daß von dem Könige die Erlassung einer Proklamation an das sächsische Volk für dienlich erachtet worden sei, und worin demzufolge der Staatsminister Dr. Zschinsky anheimgab, sich zu Entwerfung einer solchen Proklamation meiner zu bedienen. Da ich aber sofort erkannte, wie tief der Geheime Referendar Roßberg sich hierdurch verletzt fühlen würde, so beruhigte ich denselben durch die bestimmte Versicherung, daß ich bei dem Wenigen, was ich in diesen stürmischen Tagen aushilfsweise zu leisten vermocht, für mich selbst schlechterdings nichts erstrebt habe – eine Bemerkung, zu der mich die Aeußerung Roßbergs: ob ich nicht geneigt sein würde, gleich unmittelbar in seine Dienstfunktion einzutreten? bewog – sondern daß es vielmehr zu meiner eigenen größten Beruhigung gereichen würde, wenn ich aus so drangvoller Zeit mit dem Bewußtsein vollkommener Uneigennützigkeit hervorgehen könne.

Anlangend die hinsichtlich meiner beschehene Hindeutung des vorsitzenden Staatsministers Dr. Zschinsky, so erläuterte ich dieselbe zu noch größerer Beschwichtigung Roßbergs dahin, daß, wie ich den Minister Dr. Zschinsky kenne, derselbe, da er von den dermaligen Geschäftsverhältnissen in Dresden auf der Festung Königstein natürlich keine Kenntniß besitze, gewiß nur der Mangel an sonstigen Arbeitskräften im Auge gehabt habe, als er auf den Gedanken gekommen sei, mich zu obigem Geschäfte in Vorschlag zu bringen. Endlich versprach ich dem Geheimen Referendar Roßberg, von diesen Gesichtspunkten aus dem Staatsminister von Beust selbst gegen meine Betheiligung mit irgend einer Dienstleistung in einem der Ministerien Vorstellung zu thun, und erfüllte auch dieses Versprechen in der nächsten Stunde, indem ich Roßbergen auf dem Fuße nacheilte. –

In der auf jene tragische Epoche folgenden Zeit, bis zum Anfang gegenwärtigen Jahres [1851], war ich bemüht, der Staatsregierung bei allen wichtigen Fragen politischer Natur mit meiner Feder in der Leipziger Zeitung und dem Dresdner Journale zu dienen. Viele der in beiden Blättern damals erschienenen Leitartikel habe ich verfaßt und bin dafür von der Oppositionspartei wiederholt hart angegriffen worden. Namentlich war dies der Fall mit einem zu der Zeit, als die zweite Kammer die sächsische Regierung zum Wiedereintritt in die preußische Union hindrängen wollte, geschriebenen Artikel in der Leipziger Zeitung über die Pflicht der Vaterlandsliebe, für dessen Verfasser man den Professor Wuttke in Leipzig hielt, sowie in diesem Jahre mit einem Artikel im Dresdner Journale über die Nothwendigkeit der von der Regierung bei den Kammern in Antrag gebrachten Verfassungsrevision, welchen Artikel man aus der Feder des Staatsministers von Friesen und sodann aus der des Vicepräsidenten der zweiten Kammer, des damaligen Appellationsgerichtspräsidenten von Criegern zu Budissin, geflossen wähnte. Alle diese Artikel habe ich aber ohne jede Anregung von irgend einer Seite her, lediglich aus eigenem innern Drange, meinem Vaterlande und der Regierung einen, wenn auch nur mit schwachen Kräften geleisteten Dienst zu erweisen, ja selbst, wie ich ebenso bestimmt versichern kann, ohne jeden fremden Beirath geschrieben. Was ich außerdem privatim zu nützen gesucht habe, mag hier unberührt bleiben!


  1. Die Originalhandschrift ist von den vier Töchtern des Verfassers, den Fräulein Fritzsche in Dresden, kürzlich dem Rathsarchive überwiesen worden.
  2. Das Original des Schreibens wird von Fritzsches Töchtern noch als theures Andenken bewahrt. Der Empfänger hatte es seiner Zeit einem Bekannten zu lesen gegeben und bei diesem war unbefugterweise eine Abschrift davon genommen worden, nach der man einen Einblattdruck herstellte und verbreitete. Nach diesem Drucke, der von Lesefehlern und Auslassungen strotzt, ist der Brief in den neueren Veröffentlichungen zur Lebensgeschichte des Königs Albert wiedergegeben und hat in solchem fehlerhaften Wortlaute kürzlich auch die Runde durch die deutsche Presse gemacht. Sogar die Datierung ist falsch, sie lautet nicht: „Soyordt bei Flensburg, den 19. April 1849“, sondern: „Seegard bei Flensburg, den 10. April 49“. Der Brief ist also nicht nach, sondern vor dem Gefecht bei Düppel geschrieben. Sinnentstellend ist namentlich die Ersetzung des Wortes Einigkeit durch Einigung, was doch, politisch genommen, etwas wesentlich Verschiedenes ist. Der falsch wiedergegebene Schlußsatz hat ferner die Meinung entstehen lassen, als ob Fritzsche im Auftrage einer Vereinigung von Bürgern an den Prinzen geschrieben habe, während er dies ganz aus eignem Antriebe that. Bei der Bedeutung, die dem Briefe für die Geschichte der innern Entwicklung König Alberts mit Recht beigelegt wird, erscheint es geboten, ihn hier endlich im richtigen Wortlaute abzudrucken:
    Liebster Fritzsche.

    Wie sehr ich mich über Ihr Schreiben gefreut habe, können Sie sich denken, denn Sie wissen wohl, wie sehr in der Fremde die Stimme eines wahren Freundes aus der Heimath wohlthut.

    Der Krieg hier hat, abgesehen von Recht und Unrecht, das schwer zu entwirren, für mich eine höhere Bedeutung: es ist das erste Zusammenwirken der eigentlich deutschen Stämme zu einem Ziele, es ist dies der wahre Weg zur Einigkeit, und diese Bahn zu öffnen ist es Pflicht namentlich des Fürsten voran zu gehen, und gelte es das Leben, denn liebster Freund, die Monarchie stirbt nicht durch den Tod eines Gliedes, aber Deutschland geht zu Grunde, wagt es nicht durchzukämpfen.

    Für mein Volk habe ich ein Herz und daß ich es habe, möge mein freundlicher Gruß an Sie, mittelbar ein Gruß an alle gleichgestimmten Sachsen zeigen.

    Seegard bei Flensburg, den 10. April 49.
    Albert 
    H. z. S. 

    Die Aufschrift des Briefumschlags, der mit dem königlichen Wappensiegel verschlossen ist und den Dresdner Ausgabestempel vom 14. April trägt, lautet:

    Sr. Hochwohlgeb. dem Hr. Appellationsgerichtssekretair Fritzsche in Dresden.
  3. P. Hassel, Aus dem Leben des Königs Albert, I S. 121.
  4. A. von Montbé, der Maiaufstand in Dresden, S. 91, berichtet, das Dampfschiff habe „auf Befehl der Regierung“ (!) bereitgestanden.
  5. Franz Wigard, damals Vorstand des K. stenographischen Instituts, später Dr. med. und unbesoldeter Stadtrath, gest. 1885.
  6. Gustav Blöde, wie Wigard Abgeordneter zum Frankfurter Vorparlament, 1849 Stadtverordneten-Vorsteher.
  7. Weinhändler Heinrich Schönrock und Professor Georg Hughes.
  8. Adolf von Trützschler, damals Hilfsarbeiter beim Dresdner Appellationsgericht, nachher einer der Führer des badischen Aufstandes, in Mannheim standrechtlich erschossen am 14. August 1849.
  9. Der dem Aufrufe des Vaterlandsvereins entnommene Satz der Blöde’schen „Wahlbewerbung“ lautete vollständiger: „Für die einzelnen teutschen Staaten gilt als Grundsatz: Freie Wahl ihrer Regierungsform. Das sächsische Volk will: die konstitutionelle Monarchie, als Vertreterin und Vollzieherin des Volkswillens!“
  10. Ludwig Haberkorn, damals Bürgermeister nicht in Pulsnitz, sondern in Kamenz, später in Zittau, langjähriger konservativer Präsident der zweiten Kammer, lebt noch als Geheimer Rath in Zittau.
  11. Jetzt „Ballhaus“ auf der Bautzner Straße.
  12. Gustav Ackermann, später Finanzprokurator, langjähriger Stadtverordneten-Vorsteher, Reichstagsabgeordneter und Kammerpräsident, lebt als Geheimer Rath noch in Dresden.
  13. Amtsprotokollant Dr. C. Th. Tittmann.
  14. Dr. Eduard Minckwitz, Advokat und unbesoldeter Stadtrath, gestorben 1886.
  15. Rechtskandidat Fr. Herm. von Gregory.
  16. Appellationsgerichtssekretär Anton Clemens Kühnel.
  17. Fritzsche wohnte auf dem Linckeschen Bade.
  18. Hier fehlt, wie erwähnt, ein ganzer Bogen von der Handschrift.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: doppelt auf