Der Bürge

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Autor: Eduard Gottwald
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Titel: Der Bürge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19–20, S. 215–218, 227–229
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[215]
Der Bürge.
Ein Zeitbild aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts.

Wenn im Jahre 1558 in Bautzen, der alten Hauptstadt der damals zum Königreiche Böhmen gehörigen Oberlausitz, irgend ein toller Streich ausgeführt worden war, der nicht allein öffentliches Aergerniß gegeben, sondern oft auch die Bewohner der Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte, so konnte man sicher darauf rechnen, daß ein Mann dabei mit thätig gewesen war, der unter dem Namen des tollen Barthel oder auch des polnischen Studenten im Munde des Volkes lebte, und als solcher in allen Chroniken der Stadt zu finden ist. [1] Nun gab es zu jener Zeit, wo nach Heimathsschein und Vermögensverhältnisse nicht gefragt wurde, in allen reichen und mächtigen Städten – und zu diesen gehörte auch Bautzen vor dreihundert Jahren – eine Menge Abenteurer und Parteigänger, die bei den fortwährenden Fehden, welche Fürsten, Bischöfe und Städte unter einander führten, stets bereit waren, zu Lanze und Schwert zu greifen, und für die Stadt, in welcher sie auflagen, in’s Feld zu ziehen, dabei vor Allem aber zuerst sich selbst zu bedenken, und aus den Truhen und Schränken der Bürger und Landleute, zu deren Schutz sie ausrückten, ihre Säckel zu füllen. Diese Art Glücksritter fanden vorzugsweise in der Lausitz am Längsten Aufnahme und Duldung, denn während in allen übrigen Gauen Deutschlands die Macht des rauflustigen Adels längst gebrochen war, trieben, von den Streitigkeiten begünstigt, in welchen die Städte der Lausitz fortwährend mit den Königen von Böhmen, mit den Churfürsten und Herzögen von Sachsen und mit den Bischöfen von Meißen lebten, die böhmischen und lausitzer Junker nach wie vor das Faustrecht, und niemals ärger als in der Zeit, in welcher die Sechsstädte bei dem Kaiser Ferdinand I., der zugleich König von Böhmen war, in Ungnade gefallen waren, eine Zeit, die unter dem Namen des Pönfalles genügend historisch bekannt ist, und über welche wir nur wenige Worte erläuternd hier einschalten wollen.

Schon längst war die Macht und der Reichthum der lausitzer Städte dem Kaiser Ferdinand I. ein Dorn im Auge gewesen, so wie die katholische Geistlichkeit denselben bitter wegen der immer mächtiger in der Lausitz sich verbreitenden neuen Lehre grollte, und es bedurfte daher nur der wiederholten Beschwerde der dem Kaiser ergebenen Ritterschaft, daß in den Sechsstädten das Werben für den schmalkaldischen Bund, trotz kaiserlichen Verbotes, stark betrieben werde, sowie der Klage, daß dieselben dem Befehle des Kaisers, Söldner und Geschütz zur Entsetzung des von den protestantischen Truppen belagerten Klosters Dobrilugk zu senden, nicht Folge geleistet hätten. – Nun war allerdings für den schmalkaldischen Bund und für den geächteten Churfürsten Johann Friedrich von Sachsen in der Lausitz offen und ungescheut geworben worden, aber trotzdem hatten die Städte sich nicht geweigert, dem Kaiser zu drei verschiedenen Malen Mannschaften und Geschütz zu senden, welche jedoch stets nur auf zwei Monate gedungen waren, und zurückberufen wurden, als das barbarische Hausen der spanischen Hülfsvölker in der Niederlausitz die Sechsstädte nöthigte, ihre Kriegstruppen zur eigenen Sicherheit in ihren Mauern zurückzubehalten. Als aber jene mord- und beutegierigen Horden Spaniens sich aus der Lausitz entfernt hatten, war auch das städtische Contingent von Neuem wieder ausgerüstet und nach Dobrilugk gesendet worden, um dort mit der kaiserlichen Armee sich zu vereinigen. Allein dort hatten Kaiser Ferdinand’s Kriegshauptleute dieselben mit dem Bedeuten zurückgesendet, man bedürfe ihrer nun nicht, die Strafe aber werde den Städten wegen deren trotzigen Ungehorsams auf dem Fuße folgen. Und diese Strafe bestand in nichts Geringerem, als daß sämmtlichen Städten der Oberlausitz durch einen Gewaltstreich des Kaisers all’ ihre Privilegien und Freiheiten für null und nichtig erklärt wurden, daß ihnen all’ ihre Stadt-, Lehn- und Landgüter entzogen, ihre Kirchen, Kleinodien, Geldbriefe und Stiftungseinkünfte mit Beschlag belegt, ihr sämmtliches Geschütz nebst Munition an kaiserliche Feldhauptleute abgeliefert und ihnen zur Eintreibung hoher Strafgelder starke Besatzung aufgezwungen wurde. Die Deputirten, welche die durch diese grausamen Gewaltthätigkeiten ruinirten Städte nach Prag an den Kaiser schickten, um ihre Unschuld zu beweisen und um Milderung dieser harten Strafe zu bitten, wurden in die Kerker geworfen und nur nach Erlegung hohen Lösegeldes ihrer Haft nach geraumer Zeit entlassen, den Städten aber erst nach eilf Jahren nach und nach ihre ihnen entrissenen Privilegien und Güter zurückgegeben.

Während dieser Zeit des Pönfalles hatten böhmische und lausitzer Ritter die fast schutzlosen Städte ärger als je heimgesucht, und deren ohnmächtigen Grimm auf offnem Markte gespottet; [2] – als aber die Städte nach und nach wieder zu ihrer früheren Macht gelangten, boten sie all’ ihre Kräfte auf, um sich an dem übermüthig gewordenen Adel zu rächen, und dem Unwesen der Stegreifritter ein Ende zu machen.

[216] Unter die Söldnerschaar, welche die Stadt Bautzen zu ihrer eigenen Vertheidigung hielt, hatte sich auch ein Pole, Namens Bartholomäus Wranitzky auf ein Jahr anwerben lassen, welcher im Gefolge des Königs Sigismund II. von Polen den 12. Februar 1556 nach Bautzen gekommen und dort zurückgeblieben war, als der Polenkönig seine Reise weiter fortgesetzt hatte. Wranitzky nannte sich einen Edelmann und nahen Verwandten des Fürstbischofs von Krakau, gab vor, in Wilna Medizin studirt zu haben, daher er auch den Namen des polnischen Studenten erhalten hatte, seiner mehrfach schon verübten losen Streiche wegen aber auch der tolle Barthel genannt wurde. Eine Zeit lang hatte er mit Hülfe eines gefüllten Seckels in Bautzen ein wildlustiges Leben geführt, dann aber unter den Defensionern Dienst genommen, und sich in einer Fehde Bautzens gegen die Junker von Crosta und Cottwitz insofern um die Stadt verdient gemacht, als er einen der reichsten Rathsherren der Stadt, den Lederhändler Matthias Pribus, aus den Händen der Feinde befreit hatte. Dieser tapfern That wegen ließ der Magistrat dem Polen manch leichtfertigen Streich ungeahndet hingehen, und der durch ihn gerettete Rathsherr hatte zu wiederholten Malen den stets leeren Geldbeutel seines Retters mit ungarischen Gulden gefüllt; als aber fast keine Woche verging, in welcher nicht Klagen gegen Wranitzky beim Magistrat einliefen, da ersterer aus dem Dienste der Defensioner getreten war, und nun auf Kosten des geretteten Lederhändlers lebte, der Gerettete aber nachgerade der Brandschatzungen seines Retters müde wurde, da beschloß der Stadtrath, bei der nächsten Beschwerde, welche gegen den Polen laut werde, denselben hart zu strafen und dann für immer aus der Stadt zu verweisen.

Und auf einen neuen Unfug, welchen der Pole ausüben würde, sollte der Stadtrath gar nicht lange warten, und zwar einen Unfug der Art, daß des Magistrats Ansehen diesmal beim Volke gewaltig darunter gelitten hätte, wenn man nicht mit Strenge gegen den Frevler verfahren wäre, obgleich nicht verhindert werden konnte, daß durch denselben zu einem Sprüchworte Veranlassung gegeben worden war, welches sich bis in die neueste Zeit in der Lausitz erhalten hatte.

Wranitzky war nämlich von Neuem wieder tief in des Rathsherrn Schuld gerathen, und dieser, welcher vor Kurzem erst durch zwei seiner ältesten Diener auf arge Weise an Geld und Leder bestohlen worden war, hatte diesmal nicht die geringste Neigung, sich gegen seinen Lebensretter nachsichtig zu zeigen, und ihm sogar gedroht, daß wenn er mit der versprochenen Rückzahlung nicht zum festgesetzten Termine Wort halte, er sicher darauf rechnen könne, auf längere Zeit sein Quartier im Schuldthurme zu finden.

Nun wußte der Pole recht gut, daß wenn sein Gläubiger Strenge gebrauche, er auf Mitleid für seine Person von Seiten der übrigen Rathsmitglieder nicht hoffen dürfe, zumal ihm der regierende Bürgermeister Wolf Mühlhof vor allen Andern am Wenigsten gewogen war, da er diesem eines seiner schönsten und theuersten Rosse durch Quacksalberkur hingeopfert; eben so genau war es ihm bekannt, daß der Schließer im Lauenthurme seinetwegen von der vorgeschriebenen Gefangenkost nicht abgehen werde, und er selbst zu einer Wasserkur nicht die geringste Neigung verspürte; er befand sich daher zum ersten Male in der guten Stadt Bautzen in der unangenehmen Lage, Geld zu schaffen, oder in den Schuldthurm zu wandern.

Befangener als je ging er diesmal am Zahltage zum Rathsherrn, dem er wiederholt hoch und heilig schwor, daß sein Oheim, der Fürstbischof, ihm in den nächsten Tagen zweihundert ungarische Gulden senden werde, wie ihm bereits von Krakau aus gemeldet worden sei, da er zu einer Stelle an König Sigismund’s Hofe für würdig befunden worden wäre, und daß er von diesem Gelde sofort seine Schuld abtragen und dann dieser undankbaren Stadt für immer Valet sagen wolle. Allein der mit Leder handelnde Rathsherr, noch tief entrüstet über die Untreue seiner Diener, war diesmal noch zäher als seine Waare, welche in Ballen hoch aufgethürmt seine Lagerhäuser füllte, und wies alle Versprechungen des Polen hartherzig zurück. Als dieser nun ihm vorwarf, daß er ihn aus den Händen der Raubritter befreit und doch wohl bessern Dank verdient habe, als durch seine Härte Quartier im Lauenthurme zu nehmen, entgegnete der Rathsherr grollend:

„Ei, hättet Ihr mich doch den Krautjunkern überlassen, ich wäre sicher für ein billigeres Lösegeld wieder frei geworden, als ich Euch bereits gezahlt, und habe daher keine Lust, Euch länger zu borgen, noch mich von Euch brandschatzen zu lassen.“

„Aber bedenkt doch,“ sprach so ernst als möglich Wranitzky, „wie leicht hätte Euch damals einer dieser wilden Schnapphähne den Garaus machen können, wenn ich nicht mein Leben für das Eure gewagt?“

„Das habt Ihr mir nun schon unzählige Male vorgerückt und allemal, wenn Ihr zahlen sollt oder frisch borgen wollt!“ rief der Lederhändler erzürnt. „Nun und wenn dies geschehen wäre, so wäre ich ohne lange Qual aus der Welt geschieden, während Ihr mich täglich peinigt und die Schmach, von meinen vertrautesten Dienern mich bestohlen zu sehen, hätte ich nicht erlebt. Aber diese Schurken trifft ihr Lohn, denn binnen drei Tagen knüpft sie Hans Hämmerling auf, und ich glaube nicht, daß die Welt viel verliert, wenn Ihr meinem getreuen Buchhalter und dessen Spießgesellen Gesellschaft leisten wolltet.“

„Beim heiligen Bartholomäus, meinem Schutzpatron!“ polterte jetzt der Pole, sich beleidigt stellend. „Ihr seid ein hartherzig grober Patron, der völlig vergessen hat, daß er mir sein elendes Krämerleben dankt, und nicht daran denkt, daß er es mit einem Edelmann zu thun hat. Wahrlich, Ihr verdientet eine derbe Lection, damit Ihr Euch künftig besser gegen Leute meinen Standes benehmt, und bitter bereue ich, Euch nicht in den Händen der Plackers gelassen zu haben.“

„Was, Ihr Strolch, der sich einen Edelmann nennt, obwohl man dies eben so wenig weiß, als ob man sagen kann, daß Euer Vater ein Troßbube und Eure Mutter eine feile Metze gewesen sei!“ schrie in heftigen Zorn ausbrechend der Rathsherr. „Ihr wollt mir drohen und mich in meinem eignen Hause verunglimpfen? Den Augenblick packt Euch fort oder ich lasse Euch von meinen Knechten auf die Straße werfen!“

„Ist dies Euer letztes Wort?“ frug drohend der Pole und stampfte [darauf] gewaltig mit seinem verrosteten Ritterschwerte klirrend auf das Holzgetäfel des Fußbodens.

„Mein letztes mit Euch!“ entgegnete kalt der Rathsherr. „Entweder Ihr zahlt binnen drei Tagen, oder stellt mir einen sichern Bürgen, was Ihr jedenfalls nicht könnt, oder wandert in den Lauenthurm, um über Euern Stammbaum nachzudenken.“

„Also einen Bürgen nehmt Ihr an?“ frug höhnend Wranitzky. „Nun gut, den sollt Ihr haben und sollte ich ihn Euch vom Galgen holen!“ und spöttisch lachend verließ er des Rathsherrn Gemach.


In jenen unruhigen Zeiten, in welchen Abenteurer wie Wranitzky oft Jahre lang in einer Stadt auflagen und wenn Gefahr drohete, Monate lang als deren Söldner dienten, dann aber, wenn diese beseitigt, wieder als Spieler und Raufbolde ihr wüstes Leben fortführten, bis heimliche Flucht, Gefängniß und schimpfliche Ausweisung diesem Treiben ein Ende machte, wechselte die gesicherte Ruhe auf Markt und Straßen sehr oft unerwartet mit dem wilden Lärm kriegerischer Rüstungen und die Bürger, die wenig Augenblicke vorher nicht das geringste Unheilvolle ahnend, in ihren Werkstätten gearbeitet, mußten plötzlich Hammer und Pfeile, Hobel und Nadel wegwerfen, wenn die Lärmtrommel ertönte, um sich zu waffnen und ihren Sammelplätzen zuzueilen zur Vertheidigung der Stadt und des eigenen Herdes, denn gar oft und bald wurde die erstere von einem feindlichen Ueberfalle bedroht, oder fremde Truppen, denen der Durchzug gestattet, übten so rohe Gewaltthätigkeiten auf dem der Stadt gehörigen Gebiete oder auch im Innern derselben aus, daß der Magistrat sich genöthigt sah, mit bewaffneter Hand einzuschreiten, um sich von den Plagereien einer solchen zügellosen Sodateska zu befreien.

Eine so unverhoffte Störung der innern Ruhe erfuhr auch Bautzen an demselben Tage, an welchem Wranitzky, mit sich und der Welt zerfallen, den Rathsherrn verlassen hatte und nun seiner Herberge zum goldenen Lamm zuschritt, in welcher ebenfalls ein immer peinigender werdender Gläubiger, der Wirth, den Polen schon seit mehreren Tagen mit Verweigerung fernerer Aufnahme und Zurückhaltung der [nöthigsten] Zehrung bedroht hatte, wenn nicht bald durch eine frische Geldsendung aus Krakau die Schuld desselben auf dem Kerbholz des Wirths verwischt wurde. Aber aus Krakau, das wußte Wranitzky sehr genau, da kam sicher nichts zu seiner Hülfe, denn die Geldsummen, mit welchen er geprahlt, [217] als seien diese ihm von dorther gekommen, die hatte er entweder im Spiel gewonnen oder durch irgend einen glücklichen Zufall, wo nicht durch einen tollen Gewaltstreich erpreßt oder erborgt. Jetzt aber, wo sein Credit längst überall zu Ende, der Rathsherr und Wirth nicht länger borgen und mit der Zahlung sich gedulden wollten, und eine Fehde der Stadt, wo vielleicht etwas zu erschnappen sei, auch nicht in Aussicht stand, jetzt sah der Pole wohl ein, daß er entweder noch vor Ablauf des dritten Tages die Flucht ergreifen oder in den Schuldthurm wandern müsse. Mit diesen Betrachtungen beschäftigt, schritt Wranitzky seiner nah am Gerberthore gelegenen Herberge zu und schon wollte er in dieselbe eintreten, als plötzlich das Jammergeschrei mehrerer Landleute, die in ängstlicher Hast sich zum Gerberthore hereindrängten, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er eilte den nach der innern Stadt Flüchtenden entgegen, denen in immer stärkern Haufen die Bewohner der umliegenden Dörfer folgten, und erfuhr, daß ein feindlicher Reiterschwarm gar übel vor den Thoren der Stadt hause und bald auch in dieselbe eindringen werde. Zu gleicher Zeit rief von der Ortenburg herab die Lärmtrommel Bautzens Bürger zu den Waffen, und der Anblick der mit ihrem Viehe und den in Eile zusammengerafften Habseligkeiten in die Stadt flüchtenden Landvolke, so wie der mit den Waffen herbeieilenden Bürger, in deren Gesichtern zum großen Theil statt kecker Muth nur Furcht und Bestürzung zu lesen war, ließ den mit seiner eigenen Flucht beschäftigt gewesenen Polen das Unangenehme seiner Lage vergessen, und seinen tollen wilden Muth wieder findend, eilte er dem Thore zu, dessen schwache Besatzung durch ein Fähnlein Defensioner verstärkt wurde, welchen er sich anschloß, da er stets mit einem großen Schlachtschwert gewappnet einherging, und Alles, was er sein Eigenthum nannte, bei sich trug.

Er hatte noch nicht lange bei der Besatzung des Thores verweilt und sich schon der frohen Hoffnung hingegeben, daß die Stadt in irgend eine Fehde verwickelt und unter solchen Umständen der Rathsherr und Herbergswirth auf längere Zeit mit ihren Forderungen zurücktreten würden, als ein die braunschweigschen Farben tragender Kriegshauptmann nebst einem Trompeter sich dem Thore näherte und im Namen des Herzogs von Braunschweig Einlaß und Durchzug eines gegen tausend Mann starken Reiterhaufens verlangte, welche auf Kosten des Herzogs gegen die Türken geworben worden waren und nun bei Leipzig sich mit denjenigen Heerhaufen vereinigen sollten, welche der Churfürst August von Sachsen dem Kaiser Ferdinand I. zu Hülfe sendete.

Dieses Reitergeschwader war nun mit den Bewohnern derjenigen Dorfschaften, welche es auf seinem Zuge berührt, nicht eben glimpflich verfahren, und die Landleute der Bautzen nahe gelegenen Dörfer, noch ärgere Gewaltthätigkeiten befürchtend, hatten daher sich in die befestigte Stadt geflüchtet, noch ehe die Reiter dieselbe erreichten und nun, den Fliehenden auf dem Fuße folgend, das Oeffnen der Thore derselben verlangten. Der Magistrat, welcher durch Aufstellung von zweihundert Hakenschützen und achthundert Mann bewaffneter Bürger von dieser Reitertruppe für die Sicherheit der Stadt nichts zu fürchten brauchte, ließ, um der Entwicklung seiner Macht die nöthige Zeit zu gönnen, den Kriegshauptmann eine geraume Zeit warten, ehe die Antwort durch Oeffnen des Gerberthores erfolgte, durch welches diesen Truppen der Zug durch die Stadt gestattet wurde, auf deren Marktplätzen die Reiter auf einige Stunden absaßen und einen Imbiß gereicht erhielten, während die Befehlshaber derselben die Einladung erhielten, im Rathskeller als Gäste des Magistrats sich zu betrachten, und von wo aus an die Reiterhaufen der Befehl erging, die außerhalb der Stadt liegenden Dörfer als Nachtquartier zu wählen und strenge Mannszucht zu halten; eine kleine Abtheilung Reiter nebst den vornehmsten Führern und deren Bedienung erhielt Quartier in den Herbergen der Stadt, und nach wenig Stunden war die Ruhe in- und außerhalb Bautzens wiederhergestellt, nur erhielt, so lange die Reitergeschwader in der Nähe, die bewaffnete Stadtmacht die Weisung, jeden Augenblick gewärtig zu sein, auf ihren Sammelplätzen erscheinen zu müssen.

Höchst unzufrieden mit diesem ruhigen Verlauf des Truppendurchzugs schritt Wranitzky beim Herannahen der Nacht seiner Herberge zu, in welcher ein Werbeoffizier nebst einem Stallmeister der fremden Reiter Platz genommen, und Letzterer sich in den Besitz des von dem Polen bisher bewohnt gewesenen Gemachs befand, da der Wirth das blanke Gold der fremden Gäste den Vertröstungen des zahlungsunfähigen ältern Gastes vorgezogen hatte, und diesem, welcher unwillig über diesen Eingriff in seine Gerechtsame, den Wirth frug, was dies bedeuten solle, ziemlich barsch andeutete, daß er heute im Stalle mit einer Lagerstätte vorlieb nehmen müsse, morgen aber die Herberge zu seiner Aufnahme verschlossen finden würde.

Wranitzky, ohnedem schon unwirsch und zu Händeln aufgelegt, gerieth über dies Gebahren des Wirths in heftige Wuth und schwur hoch und theuer, diesen Schimpf blutig zu rächen, stürmte dann, den Wirth bei Seite werfend, nach seinem Gemache, aus welchem eben der braunschweigische Stallmeister trat. Aber kaum hatte der Pole den Fremden erblickt, als er das schon gezogene Schwert in die Scheide zurückstieß und auch der Stallmeister nun im Tone freudiger Ueberraschung ausrief:

„Wranitzky! Ihr hier?!“

„So ist’s!“ entgegnete dieser und wechselte mit dem Stallmeister einen herzlichen Händedruck.

„Aber warum war denn Euer Schwert so schnell aus der Scheide auf dem Wege zu mir,“ fuhr lächelnd der Stallmeister fort. „Wolltet Ihr hier oben in diesem Dachsbau einen Gang auf Leben und Tod versuchen, wenigstens saht Ihr grimmig genug aus, als ich Euch soeben erblickte.“

„Daran ist dieser Schuft von Wirth schuld,“ rief Wranitzky, und warf einen Blick finstern Grolles auf den Herbergsbesitzer. „Er hatte mein Gemach ohne mich zu befragen, Euch überlassen und ich war eben im Begriff, den neuen Bewohner aus demselben zu vertreiben, als ich Euch, einen alten, treu bewährten Freund erblickte, dem ich es ohne Händel nun überlasse.“

„Und der es mit Euch theilen wird, wie wir so manch ärmlich Lager getheilt, denn weichlicher seid Ihr nicht geworden, das sehe ich an diesem Schlupfwinkel, in welchem Ihr Euch eingemiethet,“ lachte der Stallmeister.

„Ich werde sogleich Decken besorgen, um ein zweites Lager da drinnen aufzuschlagen,“ bemerkte nun der Wirth, froh, daß durch die von ihm dem Polen zugefügte Beleidigung keine Händel mit dem Fremden herbeigeführt worden waren, und entfernte sich, der Stallmeister aber ergriff Wranitzky’s Arm und zog diesen in die Gaststube, um mit demselben hinter einem Kruge Meth sich des unverhofften Wiedersehens zu erfreuen.

Als daher die Schaarwache Abends zehn Uhr den Bewohnern der Herberge anbefahl, sich zur Ruhe zu begeben und nur der Wirth noch in Haus und Hof nachsah, ob Thür und Thor gut verschlossen, da saßen die beiden Freunde noch in traulichem Gespräch hinter dem schon mehrmals frisch gefüllten Methkruge.

„Bei meinem Schutzpatron,“ sprach jetzt Wranitzky mit einem Anfluge bitterer Wehmuth, „ich hab’ wahrhaftig mich nicht zu beklagen, daß mir das Glück auf den Fersen folgt, denn Ihr könnt mir’s bezeugen, alter Freund, wie hochgeachtet ich stand, als wir uns trafen im Hoflager des Königs Sigismund. Und jetzt, jetzt sehe ich in diesem erbärmlichen Krämerneste dem Schuldthurm entgegen, in welchen mich ein Gläubiger senden will, der, wenn ich ihn nicht gerettet, längst der Würmer Speise geworden wäre. Ha, wüßte mein fürstlicher Oheim dies, er würde in dieser schmachvollen Lage nicht länger den letzten Sproß unseres altadeligen Geschlechts verkümmern lassen.“

„Hört, Wranitzky.“ entgegnete der Stallmeister ernst, „ich habe Euch vor zwei Jahren kennen gelernt als ein junges, lustiges Blut, dessen Geldsäckel all seinen Freunden offen stand, und auch mir, der ich in preßhaften Verhältnissen in Eurem wilden Polenlande mich befand und dort hülflos von meinem damaligen Herrn, dem Grafen von Hoya, zurückgelassen worden war. Ihr habt mir dort redlich beigestanden, und mir viel erzählt von Eurem hohen Adel und mächtigen Verwandten, aber seht, ich habe Euch damals schon gesagt, daß Ihr ein toller Narr seid, der in’s Blaue hinein lebt und sich mit solchem Blendwerk brüstet, und auf einen Fürstbischof pocht, der gar nicht als Oheim für Euch vorhanden.“

„Bei meinem Schwerte!“ fuhr der Pole auf und wollte sich vertheidigen.

„Bleibt nur ruhig sitzen,“ entgegnete lachend der Stallmeister. „Mir macht Ihr es doch nicht glaubend, und selbst wenn ich Euch den Gefallen thun wollte, Eure Hirngespinnste für Wahrheit zu nehmen, was würde es Euch helfen? Nichts! Denn wenn Ihr bis übermorgen nicht zahlen könnt, so wirft man Euch, ohne sich um Euern Adel und Euern Oheim zu kümmern, in den Schuldthurm.“

[218] „Verdammt sei dieses Gesindel!“ grollte Wranitzky und that einen langen Zug aus dem frisch gefüllten Kruge.

Der Stallmeister schwieg, als erwarte er eine Antwort seines Gefährten; als dieser aber stumm vor sich hin sah, fuhr er fort: „Wißt Ihr was! Ich selbst bin nicht so reich mit Gold versehen, um Euch aus Eurer Peiniger Händen zu befreien, was, nebenbei gesagt, auch eine Thorheit wäre, denn was Ihr hier schuldet, habt Ihr gewiß zehnfach zu verdienen gegeben, und den Lederhändler dürft Ihr gleich gar nicht bezahlen, denn der ist Euch mit Allem, was sein ist, dankbar verpflichtet.“

„Das meine ich eben auch,“ murmelte der Pole.

„Nun hört weiter!“ begann der Stallmeister wieder. „Morgen sollt Ihr also zahlen, oder den Tag darauf in’s Gefängniß wandern. Nun seht, da bin ich, dächte ich, gerade zur rechten Zeit gekommen, um Euch zu retten. Morgen trifft von Löbau noch eine Koppel Pferde hier ein, die ich mit meinen Leuten den Truppen bis Leipzig nachführe. Ich bleibe daher morgen Nacht noch hier, breche aber übermorgen Vormittag auf, um meine Reise fortzusetzen. Der Werbeoffizier, welcher hier mit einquartirt ist, begleitet mich mit seinen Reitern als Bedeckung. Wie wäre es nun, wenn Ihr Euch anwerben ließet als braunschweigischer Reitersmann und uns folgtet, oder noch besser, wenn Ihr Euch morgen Abend aus der Stadt entferntet und im nächsten Dorfe Euch aufhaltet, bis wir des Weges vorüberziehen?! Ein gutes Roß sollt Ihr finden, und bis zum Rottmeister werdet Ihr’s bald bringen, auch könnt Ihr ja Glück und Ehre erlangen im Feldzuge gegen die Ungläubigen, während Euch hier nichts als Schimpf und Schande erwächst!“

„Topp, es gilt!“ rief der Pole nach einer kurzen Pause finstern Nachdenkens, und schlug in die dargereichte Hand den Stallmeisters. „Ich ziehe mit, aber gedenken muß ich es diesem Schurken von Rathsherrn, der so gänzlich vergessen, was ich für ihn gethan.“

„Das ist Eure Sache,“ entgegnete der Stallmeister. „Ich helfe Euch, wie Ihr mir geholfen. Nur vergeßt nicht, Euch übermorgen außerhalb der Stadt finden zu lassen.“

„Habt keine Sorge, ich werde zur rechten Zeit bei Euch sein,“ bemerkte Wranitzky, und setzte dann mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu: „obgleich ich gestehe, daß mir an einem Zuge gegen die Türken wenig gelegen, und mir die Fehden der Städte mit den rauflustigen Junkern der Lausitz und Böhmens gar nicht übel behagten. Aber Ihr sollt mich finden, nur rächen muß ich mich, und auch an Diesem Gauch von Wirthe, der so oft meinen Seckel geleert hat, und nun ich am Teiche Bethesda sitze, mich hinauswerfen wollte aus seiner Spelunke; wahrlich, der Kerl verdiente den rothen Hahn auf’s Dach, ehe ich abziehe.“

In diesem Augenblicke kehrte der Wirth von seiner Runde zurück, und sichtbar zufrieden, die beiden Männer im freundschaftlichen Einverständniß zu finden, aber auch wünschend, daß bald Ruhe im Hause werde, wollte er diese eben ermahnen, ihr Lager zu suchen, als der Pole aufsprang und den leeren Methkrug dem Wirth mit den Worten hinreichte:

„Hört, Ihr ungewaschener Gesell, bringt uns noch einen Nachttrunk, und dankt dann dem Himmel in Eurem Kämmerlein, daß dieser wackere Mann mein langjähriger Freund ist, denn sonst möchtet Ihr wohl schwerlich mit heiler Haut davongekommen sein. Von diesem ritterlichen Freund könnt Ihr und andere Lumpen Euers Gelichters bestätigt hören, wie hoch ich jetzt noch geachtet bin an König Sigismunds Hofe, und welch Thor ich gewesen, fast zwei Jahre zu Eurer Stadt Heil und Rettung hier zu verweilen. Geht, armseliger Tropf, und bringt frischen Meth, daß ich die Galle hinunterspüle, die Eure Wucherfratze mir in den Hals hinauftreibt.“

Der Stallmeister, um diese Prahlerei zu unterstützen, ließ seine wohlgefüllte Geldbörse klingend durch die Hand gleiten, und sah halb lachend, halb grimmig dem Wirth dabei in’s Antlitz, so daß dieser kleinlaut entgegnete: „Ereifert Euch nur nicht wegen eines von meiner Seite begangenen Versehens, welches die mir so unerwartet über den Hals gekommene Einquartierung entschuldigen mag. Einen Krug Meth aber sollt Ihr als Nachttrunk erhalten, wie ihn der Kaiser nicht besser in seinem Keller hat, dann aber, edle Herren, begebt Euch zur Ruhe, ehe zum zweiten Male uns die Schaarwache daran mahnt.“

„Bringt den Schlaftrunk auf unser Gemach!“ befahl der Pole und verließ mit dem Stallmeister die Gaststube, um oben ungestört noch weiter mit dem zur glücklichen Stunde erschienenen Freunde zu plaudern und darüber nachzusinnen, auf welche Weise er sich an dem Lederhändler rächen solle vor seiner Flucht aus der Stadt.

[227] Die beiden Diebe, welche den Rathsherrn und Lederhändler Matthias Pribus bestohlen, sollten, dem Ausspruche des Gerichts gemäß, drei Tage nach Verkündung des Urtheils gehenkt werden, aber die Nachricht, daß im Laufe der nächsten Tage noch mehrere Abtheilungen der in der Niederlausitz so wie in Schlesien geworbenen Kriegstruppen, welche alle den Weg nach Leipzig über Bautzen nehmen mußten, in der Stadt eintreffen würden, veranlaßte den Magistrat, diese Hinrichtung einen Tag früher vorzunehmen, und zwar, da es am Vormittag des nächsten Tages zu spät wurde, diese Execution des Nachmittags stattfinden zu lassen; denn zu jener Zeit wurde der Gebrauch, daß Hinrichtungen nur bis vor zwölf Uhr Mittags vollzogen werden durften, nicht festgehalten, so wie darüber überhaupt auch jetzt eine gesetzliche Bestimmung nicht vorhanden ist.

Als daher des andern Tages die vor der Stadt Nachtrast gehaltenen braunschweigischen Hülfstruppen abmarschirt waren, und nur der in der Herberge zum goldenen Lamm im Quartier liegende Werbeoffizier mit seinen Reitern nebst dem Stallmeister und dessen Leuten in Bautzen zurückblieb, führte man die Delinquenten gegen vier Uhr Nachmittags zum Richtplatze, der damals vor dem Thore auf dem sogenannten Galgenberge sich befand, und eine halbe Stunde später hing des Rathsherrn ungetreuer Buchhalter nebst dessen Spießgeselle an dem in Eile errichteten Galgen.

Der Pole, welcher als neugeworbener Reiter vom Werbeoffizier sein Handgeld und von dem Stallmeister ein Darlehn von mehreren Gulden erhalten hatte, und dem das Einpacken seiner sämmtlichen Habe nicht den geringsten Zeitaufwand verursachte, da er außer ein paar alten Reiterpistolen, einem lateinischen Gebetbuche und einigen falschen Würfeln nichts sein Eigenthum nannte, als was er auf dem Leibe trug, machte des andern Tages mit dem Stallmeister die Runde durch alle Spiel- und Zechherbergen der Stadt, und als die erwarteten Pferde von Löbau eintrafen und der Stallmeister zu deren Unterbringung sich von ihm trennte, und ihm nochmals einschärfte, noch diesen Abend unter dem Schutze der Dunkelheit die Stadt zu verlassen und seiner im nächsten Dorfe zu harren, trieb es den Polen nach der Gerbergasse in des Rathsherrn Haus, mit dessen Ein- und Ausgängen er genau bekannt war. Unbemerkt gelangte er zur Hinterpforte, welche mit der Stadtmauer in Verbindung stand, deren Schloß er mit leichter Mühe erbrach und diese von außen mit einem Stock anknüpfte. Von hier aus stand ihm durch den Garten und den Hof der Weg zun Wohngebäude offen, und als er diesen sich gesichert, schlich er zur Hinterpforte hinaus, ohne von irgend einem der Hausgenossen bemerkt worden zu sein, deren größerer Theil nebst dem Rathsherrn der Hinrichtung beiwohnten.

Der Tag, an welchem diese Hinrichtung vollzogen worden war, gehörte zu einem der trübsten und stürmischsten Octobertage und schon gegen sieben Uhr Abends bedeckte dichte Finsterniß die Stadt und deren Umgebung. Um diese Zeit verließ Wranitzky die Herberge, nachdem er dem Stallmeister seinen Plan mitgetheilt, auf welche Weise er an dem undankbaren Gläubiger sich zu rächen gesonnen sei; dieser, welcher bei dieser Mittheilung laut auflachte und seinen Beifall darüber zu erkennen gab, befahl einem der mit den Remontepferden angekommenen Knechte, den Polen zu begleiten, und wenn derselbe seine Hülfe nicht mehr brauche, sich in die Herberge zurückzubegeben. Mit diesem Knechte ging Wranitzky auf einem ihm bekannten Schleichwege unter dem Schutze der Finsterniß durch ein offenes Pförtchen der Stadtmauer dem Galgenberge zu, und obgleich er, sowie der ihm begleitende Knecht sich eines unheimlichen Grauens nicht erwehren konnten, je näher sie dem von schwarzer Nacht umhüllten Galgen kamen, so siegte doch bald die tolle Lust, dem undankbaren Gläubiger noch einen argen Streich zu spielen, über diese Furchtanwandlung, und rasch entschlossen kletterte der Pole an dem Galgen empor und schnitt den Buchhalter, dessen dürre Klappergestalt selbst in der Finsterniß sehr bemerkbar von der starken Mannesfigur seines Gefährten abstach, ab, belud damit den Knecht und schritt nun längs der Spree, über einen schmalen Steg derselben glücklich gelangend, der in der Stadtmauer ausmündenden Hinterpforte des dem Rathsherrn gehörigen Grundstückes zu, in deren Nähe er den Knecht zu warten befahl, ihm den todten Buchhalter abnahm, denselben aufhockte, mit dessen Armen um seinen Hals geschlungen ihn festhielt, und nun durch die geöffnete Pforte nach dem Garten eilte, von wo aus er leicht über den Hof in die Hausflur des Wohngebäudes gelangen konnte, in dessen Erdgeschoß das Verkaufsgewölbe des Lederhändlers lag. Vorsichtig, aber auch etwas ängstlicher, seit der Knecht nicht mehr in seiner Nähe war, schlich er sich mit seiner gespenstischen Last durch den Garten in den Hof. Nirgend war Licht zu erblicken, ringsumher herrschte die tiefste Ruhe, durch nichts unterbrochen, als durch das jetzt sich erhebende heisere Geheul eines Hundes in einem der Nachbarhäuser. Den Polen durchrieselte es eisigkalt und rascher eilte er vorwärts, wenige Schritte noch und er war in der Hausflur, sein Plan war gelungen, und schon wollte er mit der letzten Kraft seines Muthes den Buchhalter von seinem Rücken herabgleiten lassen und an die ihm wohlbekannte Ladenthüre lehnen, da fühlte er plötzlich, wie [228] die Hand des Gehenkten fester sich an seine Hand hielt und diese krampfhaft drückte. Sein Blut stockte, und entsetzt wollte er den Leichnam von sich werfen, aber vergebens, die Arme des Buchhalters hielten sich fest an ihn und drohten ihn zu erwürgen; der Angstschweiß brach ihm aus und schon war es ihm, als höre er ein leises Stöhnen und als hauche mit warmem Lebensathem der Todte ihn in’s Ohr; – da, seiner Sinne kaum mehr mächtig und von wahnsinniger Furcht gepackt, riß er mit der Kraft der Verzweiflung die seinen Nacken umklammernden Arme des Gehenkten auseinander und den Leichnam unter laut schallendem Gepolter auf die Hausflur werfend, verlor er, über sein Schwert stolpernd, das Gleichgewicht und stürzte mit dem Gehenkten zugleich zur Erde. Unverkennbar hörte er jetzt ein leises Aechzen und Stöhnen dicht neben sich und fühlte, wie der Gehenkte, auf welchen er gefallen war, Arm und Fuß zu bewegen begann und sich an ihm anzuhalten versuchte; er hörte im obern Stockwerk Stimmen laut werden und bemerkte bei dem schwachen Schimmer eines von dem obern Stockwerke herableuchtenden Lichts die Treppe, an deren letzte Stufen er mit dem Buchhalter zusammengesunken war. Er suchte zu entfliehen, aber die Kniee versagten ihm den Dienst, und nur als Lichtschimmer und Stimmen immer näher kamen und ihm trotz seiner Todesangst klar wurde, daß, wenn man ihn hier finde, er schwer für diesen Frevel büßen müssen und in harte Haft gelangen könnte, statt morgen mit dem Stallmeister hinauszuziehen als freier, stattlicher Reitersmann, da raffte er sich gewaltsam empor und eilte nach dem Hofe, um von da in den Garten durch die offene Hinterpforte außer den Bereich der Stadt zu gelangen und im nächsten Dorfe Rast zu halten, bis der Stallmeister vorüberziehe und ihn mitnehmen werde. Allein die Verwirrung, in welcher er sich befand, ließ ihm diesen Ausweg nicht finden, und um nur vor der Hand den Blicken der herbeieilenden Hausgenossen verborgen zu sein, schlich er, von Fieberfrost geschüttelt, in einen leer stehenden Schuppen, welcher den Hof von dem Garten trennte, und drückte sich in dessen Hintergrund unter Lattenwerk und Gerölle aller Art ängstlich zusammen, hoffend, sobald als möglich von hier aus noch entfliehen zu können.

Unterdeß waren die Hausbewohner näher gekommen und der Rathsherr, welchen zwei Diener mit Lichtern begleiteten, war der Erste, welcher den gehenkten Buchhalter erblickte, der jetzt völlig zum Leben erwacht, auf seine Kniee gesunken war und mit wirren Blicken die Näherkommenden anstarrte.

„Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ schrie der Rathsherr entsetzt zurückweichend, als er in der Jammergestalt seinen Buchhalter erkannte.

„Amen!“ stöhnte dieser und streckte wie um Gnade flehend die Hände nach dem frühern Brotherrn aus.

Da entsanken die Leuchter den zitternden Händen der Diener und in wilder Flucht und unter gellendem Hülferuf stürzten Alle auf die Straße.

Wenige Minuten darauf füllte sich Hausflur und Hof mit den theils erschrockenen, theils neugierig herbeieilenden Bewohnern der Nachbarschaft, und die Beherztesten derselben traten dem Gehenkten näher und beleuchteten ihn mit ihren Fackeln. Dieser aber vor Frost und Furcht zitternd, streckte wiederholt seine Hände den Staunenden entgegen und wimmerte kläglich um Gnade. Als nun aber Alle sich überzeugt, daß hier von einem Geisterspuk die Rede nicht sein könne, obgleich man den Buchhalter am Galgen und nicht hier in der Hausflur zu finden geglaubt hatte, da nahm der Rathsherr endlich das Wort und rief: „Wie kommt Ihr hierher, Unseliger?“

„Ich weiß es nicht,“ stöhnte kläglich der Befragte. „Mir ist es, als ob ich jetzt erst aus einem schweren, mir den Athem raubenden Traume erwacht sei, und als hätte ich durch einen schmerzhaften Fall wieder neues Leben in mir gefühlt.“

„Und wer hat Euch vom Galgen abgeschnitten?“ fragte der immer noch furchtsam in weiter Entfernung von dem auf den Knieen liegenden Delinquenten sich haltende Rathsherr und wieß auf den zerschnittenen Strick, dessen Ende auf den Rücken des Buchhalters herabfiel, während die von dem Henker geknüpfte Schleife sich aufgelöst hatte und nur locker den Hals umgab.

„Auch das weiß ich nicht, aber habt Erbarmen, laßt mir das Leben, und führt mich nicht wieder zum Hochgericht!“ stammelte jammernd der Buchhalter.

„Damit Ihr von Neuem wieder stehlen könnt!“ grollte der Rathsherr, bei welchem mit der verschwindenden Furcht der Haß gegen den Dieb wieder die Oberhand erlangte.

„O erbarmt Euch, und laßt mir mein elend Leben, nur nicht wieder zum Galgen!“ schrie der Gehenkte und rutschte auf den Knieen dem Rathsherrn näher, indem er dessen Hand zu erhaschen suchte.

„Das wird nimmer geschehen,“ entgegnete kalt und ernst die Stimme des Bürgermeisters Wolf Mühlhof, welcher durch den Volksauflauf herbeigeführt, mit einer Abtheilung Bewaffneter sich durch die Menge Platz brach. „Das Urthel des Gerichts,“ fuhr er fort, finster auf den Buchhalter blickend, „hat Euch das Leben abgesprochen, und welcher Spuk Euch auch wieder in Leben gerufen, Ihr seid dem Galgen verfallen und werdet demselben verbleiben. Auf! bindet ihn und führt ihn in Gefängniß, von wo aus er morgen in frühester Stunde die Reise wieder antreten mag nach seinem letzten Ziele, damit nicht Spott getrieben werde mit des hochnothpeinlichen Halsgerichts Urthel und Spruch.“

Diesem Befehle wagte keiner der Anwesenden entgegenzutreten, obgleich die Mehrzahl derselben nicht ohne Mitleid auf den Unglücklichen blickte, welcher jetzt wild aufheulend vor verzweiflungvoller Todesangst vergebens die Kniee des kalten, strengen Bürgermeisters zu erfassen versuchte. Die Bewaffneten ergriffen ihn, banden ihm die Hände auf den Rücken und schleppten ihn in’s Gefängniß; das Volk verlief sich, die Knechte des Lederhändlers aber, welche jetzt sorgsam Hof und Garten durchsuchten und mit Befremden die Hinterpforte offen fanden, entdeckten den in seinem Versteck sich verborgen haltenden Polen, den seine alte Keckheit gänzlich verlassen zu haben schien, so lange er hier in Besorgniß geschwebt, aufgefunden zu werden, dessen Trotz aber wiederkehrte, als die Knechte über ihn herfielen und ihm nach heftigem Widerstande ebenfalls die Hände knebelten.

„Also Ihr hier und versteckt gleich einem Strauchdiebe!“ rief der Lederhändler, eben nicht freudig überrascht bei dem Anblicke seines ihm verhaßt gewordenen Schuldners. „Ha, gewiß, Ihr und kein Anderer hat den Gehenkten vom Galgen geschnitten und in mein Haus getragen!“

„Wer sagt Euch dies!“ entgegnete trotzig der Pole und versuchte unter vergeblichen Kraftanstrengungen seine Hände aus den fesselnden Banden zu befreien.

„Kein Anderer als Ihr ist eines solchen Bubenstreichs fähig!“ fuhr der Rathsherr voll bittern Grolles fort. „Was hättet Ihr auch Ursache zur Nachtzeit Euch zu verbergen im entlegensten Winkel jenes Schuppens?“

„Ich wollte mir noch einmal genau das Haus besehen, dessen Besitzer ich gerettet aus Räuberhänden, und der mich jetzt fesseln läßt durch seine Knechte, gleich dem ärgsten jenes Gesindels,“ knirrschte Wranitzky mit steigendem Ingrimm. „Nehmt mir die Stricke ab, Ihr Schurken, oder bei allen Teufeln, Ihr büßt es mit Eurem Leben, sobald meine Hand nur irgend frei wird, um den Griff eines Schwertes zu erfassen.“

„Für diesmal müßt Ihr Euch schon fügen, gefesselt zu bleiben gleich einem Diebe, denn Ihr habt dem Galgen seine Zierde und den Raben ihr Futter geraubt,“ entgegnete verächtlich der Rathsherr. „Darum mögt Ihr im Gefängniß Euch überlegen, welch schlechten Dienst Ihr dem Gehenkten geleistet, der durch Euch wieder in’s Leben zurückkehrte, um es von Neuem wieder unter Höllenqual dem Henker preiszugeben.“

„Ihr habt kein Recht an mir!“ brüllte der Pole und versuchte im ohnmächtigen Grimm mit dem Fuße nach dem Rathsherrn zu stoßen. „Ich bin des Herzogs von Braunschweig Kriegsmann von heute an, darum müßt Ihr mich frei geben. Ihr elende Krämerseele, dessen schäbiges Leben nicht werth war, es den Fäusten der Troßbuben zu entreißen. Verflucht seid Ihr, der auf so bübische Weise mich zu behandeln wagt.“

„Für jenen Reiterdienst hat man Euch reichlich bezahlt, jetzt aber geschieht Euch, wie Ihr es verdient,“ entgegnete kalt der Rathsherr und verließ hastig die Hausflur, die Knechte aber packten den vor Wuth schäumenden Polen und warfen ihn in den Kerker des Lauenthurms.


Die achte Stunde des nächsten Morgens fand sämmtliche Mitglieder des Magistrats der Stadt Bautzen in ernster Berathung [229] im Sessionszimmer des Rathhauses versammelt, nach deren Schluß der Scharfrichter zum zweiten und letzten Male den zum Leben zurückgekehrten Gehenkten dem Galgen zuführte und dort wieder neben dessen Mitschuldigen aufknüpfte, und obwohl auch in der Rathsversammlung sich so manche Stimme des Mitleids für den Unglücklichen erhoben hatte, so glaubte man dennoch der Milde hier keinen Einfluß gestatten zu dürfen, und auf die Erfüllung des Urthelspruchs streng bestehen zu müssen, welcher den Buchhalter verurtheilt, durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht zu werden und man durch einen Act der Gnade die in damaliger Zeit gefürchtetn Macht des städtischen Blutgerichts in den Augen des Volkes zu gefährden glaubte.

Als aber diese Execution, welche schnell und geräuschlos erfolgte vorüber war, und man den Scharfrichter zum zweiten Male für die Ausführung derselben bezahlt hatte, wurde der Pole vorgeführt und von diesem unter Androhung der Folter das Geständniß erpreßt, daß er geschworen habe, den Rathsherrn einen Bürgen für seine Schuld zu bringen Und solle er denselben vom Galgen holen. Dies Versprechen habe er erfüllt, denn ein anderer Bürge hätte sich für ihn nicht gefunden, nun aber verlange er Befreiung aus seiner Haft, da er seit gestern im Dienste des Herzogs von Braunschweig stehe und für immer die undankbare Stadt verlassen wollte.

Nach dieser Erklärung wurde Wranitzky wieder abgeführt, der Magistrat aber faßte nach kurzer Berathung den einstimmigen Beschluß:

„Den Polen Bartholomäus Wranitzky, zur Strafe wegen des von demselben verübten Frevels gegen die der Stadt zustehende richterliche Gewalt, in ein Faß zu spunden, durch einen Fuhrmann in die ödeste Gegend der Niederlausitzer Haide zu schaffen und dort laufen zu lasen, wohin es ihm beliebe, und jedoch ihn zu verwarnen, bei Todesstrafe Bautzen und dessen Weichbild je wieder zu betreten“.[3]


Als dem braunschweigischen Werbeoffizier so wie dem Stallmeister Kenntniß wurde von diesem Strafurtheil, durch welches der Pole nach einer dem Marsche der angeworbenen Truppen entgegengesetzten Richtung transportirt werden sollte, versuchten Beide, da sie mit der wenigen zu ihrem Gebote stehenden Streitkraft gegen die mächtige Stadt durch Gewalt nichts auszurichten vermochten, den Magistrat durch gütliche Vorstellungen zu bewegen, das Urthel dahin abzuändern, daß der neu angeworbene Reitersmann statt in die Gegend der Niederlausitz, nach der Dresdner Haide geschafft werden möchte, wozu man auch, im Stillen froh, den tollen Polen los zu werden, endlich seine Einwilligung gab.

Unter dem weit hin schallenden Gelächter des Volkes wurde auf offnem Markte Wranitzky in ein großes leeres Weinfaß gesteckt, der Deckel über ihm zugeschlagen und nur durch ein kleines Spundloch ihm die frische Luft zu schöpfen verstattet, und als der Fuhrmann unter lautem Peitschenschall mit seiner seltsamen Ladung in die Straße nach Dresden einlenkte, da schmetterten von der Herberge zum goldenen Lamme lustig die Trompeten zum Aufbruch und dem Fuhrwerke nach sprengte die letzte Abtheilung der braunschweigischen Hülfstruppen, denen der Stallmeister mit seinen Knechten und der Remonte folgte.

Ob der Pole sich nach Befreiung aus dem Fasse zu dem Stallmeister gefunden, und als braunschweigischer Reitersmann dem Krieg gegen die Türken beigewohnt hat, darüber ist in der Chronik nichts zu finden. Wohl aber hat sich durch diesen letzten tollen Streich des Bartholomäus Wranitzky in der Lausitz Jahrhunderte hindurch das Sprüchwort erhalten: „In Bautzen hängt man die Diebe zweimal.“
Ed. Gottwald. 


  1. Siehe Wilken’s Chronik S. 218 f., desgl. Grossen, S. 189 u. A. m.
  2. So schoß ein Junker von Zablitz auf dem Markte zu Bautzen einen Hund des Bürgermeister Loche nieder und feuerte ein zweites Pistol auf den Bürgermeister selbst ab, welches jedoch versagte, und als das Volk sich zusammenrottete und ihn vom Pferde reißen wollte, gab er diesem die Sporen und sprengte hohnlachend, mehrere Bürger überreitend, zum Thore hinaus. (S. Wilken’s Chronik S. 219.)
  3. S. Wilke’s Chronik S. 219 und Große’s Urkunden S. 189.