Der Khedive

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Titel: Der Khedive
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 778–780
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Khedive.

Der Vicekönig ein guter Kaufmann. – Der Aufschwung der ägyptischen Städte. – Persönlichkeit des Khedive. – Der Minister des Khedive. – Ismail als Speculant. – Zwei Thronprätendenten. – Mustapha Pascha. – Halim Pascha. – Persönliche Liebenswürdigkeit des Vicekönigs. – Zukunft des Landes.

Wenn in den jüngsten Tagen der Kronprinz von Preußen, Kaiserin Eugenie, der Kaiser von Oesterreich und eine Reihe anderer höchster und hoher Persönlichkeiten mit einem Schweife von Diplomaten und Höflingen, von Künstlern und Gelehrten, Touristen und Journalisten – den immer schlagfertigen Notenschreiber Beust an der Spitze – sich um den derzeitigen Beherrscher des alten Pharaonenlandes sammelten, um die Vollendung eines Werkes zu feiern, welchem dieser selbst vormals den gehässigsten Widerstand entgegengesetzt hat, – wenn schon so viel vornehme Welt zu den plötzlich fashionable gewordenen Gewässern des Niles pilgerte, dann darf auch die „Gartenlaube“ nicht säumen, ihre Leser wenigstens im Geiste zu dem Manne zu führen, an dessen Hofe sich eine so glänzende Gesellschaft bewegte.[1]

Ismail ist bekanntlich der Sohn Ibrahim Pascha’s und der Nachfolger seines Onkels Said Pascha, aber mit keinem von Beiden besitzt er auch nur die geringste Charakterähnlichkeit. Ibrahim war ein kühner, derber Soldat, der immer gerad’ auf sein Ziel losging, Said ein milder, großherziger Regent, voller Begeisterung für seinen Beruf (wenigstens anfangs, ehe Täuschungen aller Art ihm, so zu sagen, das Herz brachen), jedenfalls der menschlich liebenswürdigste der gesammten Familie, Ismail gleicht an Ehrgeiz und Verschlagenheit mehr dem Gründer seiner Dynastie, seinem Großvater Mehemed Ali. Seine hervorragendste Eigenschaft ist ohne Zweifel sein außerordentliches Talent zu mercantilischen Speculationen. Hätte ihn das Geschick nicht zufällig zum Herrscher von Aegypten gemacht, so würde der Khedive unbestritten einen vortrefflichen Baumwollspeculanten von New-Orleans, einen erhabenen Börsenkönig, einen großen Eisenbahndirector und Getreidelieferanten abgegeben haben; denn selbst als Vicekönig hat er nach einander in allen diesen verschiedenen Rollen figurirt und mit dem Umfang und der Einträglichkeit seiner Operationen die bedeutendsten Handelsmatadore in den Schatten gestellt.

Mit vollem Rechte kann man daher Ismail Pascha als einen Kaufmannsfürsten bezeichnen, zugleich als den eifrigsten Schutzzöllner, welcher jemals existirt hat. Da er in Einer Person und zu gleicher Zeit Landwirth – und ein wirklich ausgezeichneter –, Producent, Exporteur, Gesetzgeber und erster Inspector der Eisenbahn- und Wassercommunicationen ist, so kann er Production, Transport und Preise ganz seinen Interessen gemäß regeln und die gesammte Volkswirthschaft Aegyptens monopolisiren. Reichlich ein Viertel des ertragsfähigen Grund und Bodens seines Reiches, hauptsächlich Baumwoll- und Zuckerländereien, gehört ihm als Privateigenthum, indem er die kleinen Besitzer zwang, ihre Ländereien ihm zu verkaufen; die Arbeitslöhne werden ausschließlich nach seinem Gutdünken normirt – oft genug zahlt er auch gar keine, wenn es ihm gerade so beliebt – und derart ist er billiger zu produciren im Stande, als irgend einer seiner Concurrenten. Weil ferner das Transportwesen einzig und allein von seinen Befehlen abhängt, so beherrscht er den Markt unumschränkt, – seine Erzeugnisse haben ja jederzeit bei der Beförderung den Vorzug vor allen anderen, und auf einen Wink von Seiner Hoheit sind willfährige Beamte in Menge bereit, den Transport von Producten seiner Rivalen zu verzögern oder nach Umständen ganz und gar zu hintertreiben. Endlich ist er der persönliche Eigenthümer einer ansehnlichen Flotille von Stromschiffen, welche den hohen Wasserzöllen und anderen sehr mannigfaltigen schweren Abgaben nicht unterliegen, die alle übrigen Fahrzeuge zu entrichten haben. Mit Einem Worte, die Gesetze, welche in Aegypten der Freiheit der Bewegung und des Verkehrs so hemmende Fesseln anlegen, sind für ihn nicht vorhanden.

Auf diese Weise kann man sich denken, daß dem Khedive Jahr aus Jahr ein enorme Erträgnisse in die Tasche fallen müssen, über die wirkliche Höhe dieser Summe fehlt es indeß an einem genauen Nachweis. Wohl aber giebt die erstaunliche Entwicklung, deren die Ausfuhr Aegyptens sich seit einer Reihe von Jahren erfreut, einen ungefähren Begriff von dem jährlichen Gewinn des Vicekönigs, denn weit über die Hälfte des Exports, der zum Beispiel in vier Jahren, von denen zwei noch auf die Regierung Said’s fallen, von 1862 bis 1865 inclusive, mehr als zweihundertundvierzig Millionen Franken betrug, kommt auf seine Rechnung. Mit dieser rapiden Entwicklung des Exports hat die Bevölkerungszunahme, namentlich in den größeren Städten des Landes, gleichen Schritt gehalten und selbstverständlich gleichfalls zur Erhöhung von Ismail’s Revenüen beigetragen. Als im Jahre 1854 Said den viceköniglichen Thron bestieg, zählte Alexandria nicht mehr als achtzigtausend Einwohner; im Jahre 1865 hatte es bereits zweimalhunderttausend, von denen die volle Hälfte Nichtägypter waren. Cairo, in welchem 1854 noch keine dreimalhunderttausend Menschen wohnten, umschließt heute über viermalhunderttausend, darunter, mit Einschluß der Griechen, etwa fünfundfünzigtausend Europäer.

Als Ismail noch nicht Khedive war – erzählt ein amerikanischer Publicist – ehe er noch Aussicht auf den Thron hatte, und nachmals, nach dem Tode seines älteren Bruders Achmed, wo er sich bereits die Herrscherlaufbahn erschlossen sah, bin ich viel mit ihm zusammen gekommen. Damals war er eine ganz angenehme Erscheinung, besser unterrichtet als die Mehrzahl der Orientalen, mit verbindlichem Wesen und feinen Manieren, mit vollkommener Geläufigkeit und Bequemlichkeit sich der französischen Sprache bedienend, glich er in Kleidung, Sitten und Unterhaltung einem eleganten und gebildeten Franzosen. Er trug ausschließlich europäische Tracht; von den Spitzen seiner feinen Lackstiefeln bis zu seinen tadellos geschnittenen Pantalons und zu seinem gut sitzenden Fracke hätte er im Bois de Boulogne und im Hyde-Park für das Muster eines tonangebenden Cavaliers gelten können. Die einzige Andeutung seiner morgenländischen Abstammung blieb sein rother Tarbusch oder Fez, aber sein Kopf war nicht geschoren wie bei anderen Bekennern des Islam. In seinem Palaste nahm er diese Mütze gern ab, und man sah dann sein kurz geschnittenes röthliches Haar, welches, im Verein mit seiner lebhaften Gesichtsfarbe, ihm ein entschieden europäisches Aussehen gab.

Wer den jetzt zur Corpulenz neigenden Mann von Mittelgröße mit den beweglichen hellbraunen Augen zum ersten Male erblickt, dem wird er so wenig türkisch wie nur möglich erscheinen. Bei näherer Bekanntschaft freilich wird man inne, daß die ausländische Cultur, das vielfache Reisen und Leben im Occidente blos äußere Erscheinung und Manieren, nicht aber Natur und Wesen des Khedive verändert haben. Er ist scharfblickend und vernünftig genug, um einzusehen, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, die europäische Civilisation zurückzudrängen oder auch nur stauen zu wollen, die sich gleich einer Hochfluth durch die Schleußen ergießt, welche ihr Mehemed Ali und später Said Pascha in Aegypten geöffnet haben, aber er hat sie mehr zu seinem eigenen persönlichen Vortheil, als zur Wohlfahrt seines Reiches und Volkes [779] zu benützen gesucht. Selbst die Handels- und Verkehrserleichterungen und die Milderung der Lage der armen Fellahs, welche unter Said eingetreten waren, sind von Ismail factisch wieder aufgehoben worden. Die Masse der Nation, die drei und eine halbe Million eingeborener Aegypter, schmachtet noch heute, kaum das nackte Leben fristend, in einem unbeschreiblichen materiellen und geistigen Elende.

Ein durch und durch praktischer Mann, ist Ismail viel schwieriger zu behandeln, als sein ungestümerer und weniger überlegender Vorgänger. Was Findigkeit und zähe Schlauheit betrifft, so können unsere gewiegtesten Diplomaten bei dem Khedive in die Schule gehen, wie er denn auch in verschiedenen Differenzen mit europäischen Mächten schließlich den unbestrittenen Sieg davongetragen hat. Allerdings besitzt er in seinem ersten Minister einen unvergleichlichen Gehülfen und Förderer seiner Pläne, einen Mann, der durch seinen erfinderischen Kopf und seine gewandte Feder für Aegypten und dessen Regenten das geworden ist, was in seinen Blüthentagen Reschid Pascha dem Sultan war. Obschon von Geburt ein armenischer Christ, also von vornherein mit den schwersten socialen Hemmnissen kämpfend, hat sich Nubar Pascha, durch sein überlegenes Talent und seine ungewöhnliche Bildung, doch schon als junger Mann erst Said und dann Ismail bei ihren heikelen Verhandlungen mit den europäischen Mächten und deren Geschäftsträgern in Aegypten unentbehrlich zu machen verstanden. Die hauptsächlichsten der modernen Sprachen sprechend oder doch verstehend und von Kindheit an für das diplomatische Handwerk geschult, schwang sich Nubar Pascha von einem untergeordneten Posten im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten unter Abbas Pascha, unter dessen Nachfolger Said rasch zum Premierminister auf, welchen Posten er auch heute unter Ismail noch bekleidet.

Nubar Pascha’s äußere Erscheinung hat etwas ungemein Ansprechendes. Sein südlich dunkeles Gesicht ist rund und voll mit regelmäßigen Zügen und glänzenden schwarzen Augen. Die beständig lächelnde Lippe und die immer glatte, unbewölkte Stirn des Mannes lassen nicht ahnen, welche Schlauheit und Energie sich dahinter versteckt, denn, gleich allen hohen Würdenträgern des Ostens, heuchelt auch Nubar Pascha eine Apathie und Indolenz, die seinem eigentlichen Wesen ganz fremd sind. Seine Sprachfertigtet kommt dem polyglottischen Talente des Cardinals Mezzofanti nahe; theils im Abendlande, theils in Constantinopel erzogen, spricht er fast eine fremde Sprache so gut wie die andere. Der Erbe eines enormen Vermögens, hat er dasselbe durch glückliche Speculationen noch beträchtlich zu vergrößern gewußt und ist gegenwärtig unter den reichen orientalischen Paschas wahrscheinlich einer der allerreichsten. Zu seiner Ehre sei aber bemerkt, daß er seine Carriere nicht etwa der Apostasie verdankt, vielmehr hat er sein Christenthum niemals verleugnet und schwört bis heutigen Tages zu dessen Fahne.

Zwei Eigenschaften machen sich in Ismail’s Charakter die Herrschaft streitig: seine Geldgier und sein Ehrgeiz. Die erstere hat ihn zum größten Pflanzer und Kaufmann des Landes werden lassen, zum Bankier, Speculanten und Monopolisten, und anstatt seinen Reichthum in fürstlichen Passionen und Festlichkeiten zu vergeuden, wie es Said zu thun liebte, ist er so klug gewesen, Schätze auf Schätze zu sammeln und durch ganz Aegypten sich Grundbesitz zu erwerben, so daß er in seinem Reiche geradezu für geizig gilt. Als Baumwoll- und Zuckerproducent hat er ein ganz besonderes Talent für mercantilische Speculation an den Tag gelegt und jedweden Vortheil seiner Stellung auf das Geschickteste auszubeuten verstanden.

Zur Zeit, als die Viehseuche so ziemlich alle Lastthiere Aegyptens dahinraffte, führte der Vicekönig ungeheure Mengen der letztern ein und verkaufte sie mit hohem Nutzen. Sein ganzer Import ging ohne Quarantäne ein und war von Zöllen und Abgaben jeglicher Art befreit, so daß jede ausländische Concurrenz völlig ausgeschlossen und ihm das Monopol der Lieferungen blieb. Auch in englischen Steinkohlen soll er höchst glücklich speculirt haben; ägyptische Staatsschiffe mußten den Transport derselben frachtfrei übernehmen, so daß für Ismail auch hierbei ein ganz erklecklicher Gewinn abfiel, denn die jährlich aus England nach Aegypten gehenden Steinkohlen belaufen sich auf ein Quantum von nahezu viermalhunderttausend Tonnen.

Die Behandlung der Fellahs, welche unter unerbittlichen Aufsehern die ausgedehnten Ländereien des Khedive bebauen müssen, ist eine wahrhaft empörende. Früh und spät werden sie mit der Peitsche zur Arbeit angehalten. Ismail’s Reichthum ist mithin buchstäblich dem Schweiß und Blut seiner unglücklichen Unterthanen abgepreßt worden. Factisch sind sie Sclaven, wenn sie schon officiell nicht so heißen. Jene menschenfreundlichen internationalen Bestrebungen, die sich die Ausrottung des Sclavenhandels am weißen Nil zum Ziele gesetzt haben, kommen ihnen also nicht zu gute.

Die andere Charaktereigenschaft des Vicekönigs – jener intensive Ehrgeiz, welcher als Erbstück von Mehemed Ali auf ihn übergegangen ist und bei Said Pascha die größeren Verhältnisse des Patriotismus angenommen hatte – brennt in seiner egoistischeren Brust wie ein verzehrendes Feuer. Dieser Ehrgeiz hat ihn auch nicht ruhen und nicht rasten lasten, als bis er endlich das Ziel erreicht sah, welches der Lieblingstraum schon sämmtlicher seiner Vorgänger war, für welches sie Alle die unsäglichsten Opfer gebracht, die unerhörtesten Anstrengungen gemacht haben, ohne je reussiren zu können – die Thronfolge in der directen Linie seiner männlichen Nachkommenschaft.

In Aegypten, wie noch heute in der Türkei, war nämlich nicht der älteste Sohn des jedesmaligen Regenten der künftige Erbe des Thrones, sondern der älteste männliche Sprosse der Dynastie überhaupt, und der Umsturz dieser durch altes Gesetz geheiligten Bestimmungen, welchen Ismail schließlich durchgesetzt hat, muß eben so wohl als ein bedenkliches Wagestück von Seiten des Sultans als für ihn selbst betrachtet werden; denn in dem Ferman, das Aegypten als ein erbliches Paschalik erklärte, war dieses alttürkische Nachfolgegesetz ausdrücklich hervorgehoben und seit dem Vertrage zwischen der Hohen Pforte und Mehemed Ali, welchen die europäischen Großmächte garantirt hatten, immer gewissenhaft befolgt worden.

Ismail Pascha ist indeß möglich geworden, was seinen Vorgängern unmöglich war; die Pforte hat seinen Sohn als den künftigen Khedive anerkannt und bis jetzt keine der Großmächte einen Einspruch wider die willkürliche Verletzung einer Vertragsbestimmung erhoben, eben so wenig aber auch einer der geschädigten Prinzen gegen den Act protestirt. Stillschweigen ist jedoch nicht allemal gleichbedeutend mit Einwilligung, am allerwenigsten im Orient, wo man an die Löwenhaut, falls sie nicht zureicht, gern ein Stückchen Fuchspelz anzustücken pflegt. Nach dem alten Gesetz hätten die nächste Anwartschaft auf die Nachfolge in Aegypten gehabt: Mustapha Pascha, der Bruder, und Halim Pascha, der Onkel Ismail’s, der Erstere blos sechs Wochen, der Letztere nur zwei Monate jünger als der derzeit regierende Vicekönig, dessen Sohn erst zehn Jahre alt ist. Diese beiden Prinzen sind gleich gescheidte Männer, sehr populär im Lande und stützen sich auf eine mächtige Partei. Wenn sie für jetzt schweigen, so geschieht dies lediglich aus Furcht vor unliebsamen Maßnahmen, die sie treffen würden, wollten sie ihre Ansprüche geltend machen. Mustapha Pascha erfreut sich des Vorzugs europäischer Bildung in höherem Maße als alle anderen Mitglieder seiner Familie. Er hat einen großen Theil von Europa bereist und lebt viel in Paris, wo er in der besten Gesellschaft verkehrte, namentlich in literarischen und künstlerischen Kreisen. Ein Mäcen von Kunst und Wissenschaft, zeichnet er sich durch eine wahrhaft fürstliche Freigebigkeit aus. Auch in Constantinopel hat er sich längere Zeit aufgehalten und hohe Aemter unter der türkischen Regierung bekleidet. Aber er ist bekanntlich ein Reformer und das anerkannte Haupt der „jungtürkischen“ Partei; darum hat ihm der Sultan, welcher die Reform nur auf dem Papier liebt, seine Gnade, seine Aemter und seinen Einfluß entzogen. Ja, die Erbitterung, die den Großherrn gegen ihn ergriff und welche die den schwachen Monarchen in ihren Banden haltende alttürkische Partei immer von Neuem zu schüren suchte, hat ohne Zweifel eben so viel wie die reichen Spenden Ismail’s dazu beigetragen, daß dieser Letztere die Umstoßung des alten Successionsgesetzes endlich glücklich erwirkte.

Gleich dem türkischen Botschafter Dschemil Pascha ist auch Mustapha ein ausgesprochener Liebling der Pariser Damen und sein rother Tarbusch in jedem vornehmen Salon eine willkommene Erscheinung, wo sein ausgezeichnetes Conversationstalent den Vergleich mit den gesuchtesten „Causeurs“ der modernen Pariser Gesellschaft nicht zu scheuen braucht. Eben so hat er sich von jeher durch seinen Hang zur Intrigue hervorgethan, und seine Schlauheit, [780] seine Kühnheit und sein Muth sind so unbeugsam wie sein Wille. Ein solcher Mann kann sich wohl verstellen und seine Zeit und Gelegenheit abwarten, wird aber gewiß nicht, zahm und schwach, ohne Weiteres einem ungesetzlichen Act fügen, der ihn von einem Throne ausschließt, welchen er von der Stunde seiner Geburt an als sein rechtmäßiges Erbe betrachten mußte. Und selbst, wenn Ismail’s Sohn einmal wirklich den Thron seines Vaters besteigen sollte, so dürfte es ihm kein Leichtes sein, sich darauf zu erhalten. Gerade das Stillschweigen und die scheinbare Unterwerfung Mustapha Paschas thun Allen, die seinen Charakter kennen, untrüglich dar, daß er sich schon einen festen Plan vorgezeichnet hat, um damit hervorzutreten, sobald die Stunde zum Handeln da ist.

Vom Prinzen Halim Pascha laßt sich eine geduldige Unterwerfung unter Ismail’s Dictat noch viel weniger erwarten. In seinen Adern fließt das unbezähmbare Blut der Wüstenbeduinen, denen seine Mutter - eine von Mehemed Ali’s Frauen in dessen alten Tagen - angehört. Mit den Kennzeichen dieser wilden Race in Gestalt und Antlitz hat er auch ihre geistigen Eigenthümlichkeiten, ihre unüberwindliche Freiheitsliebe, ihre Treue in der Freundschaft und ihre Unversöhnlichkeit im Hasse geerbt. Durch ganz Aegypten und Syrien ist er selbst unter diesen geborenen Centauren, den Beduinen, als vollendeter Reiter berühmt. Seine Hauptleidenschaft ist die Jagd, und seine Lieblingserholung das sogenannte Dscherridspiel, jenes gefahrvolle Spiel, bei welchem ein Reiter dem andern im gestreckten Galopp seines Pferdes den Dscherrid oder Wurfspieß zuzuschleudern sucht. Darin und in der mit Falken und Hunden durch die Wüste sausenden Gazellenjagd mögen Wenige mit ihm wetteifern können. Trotz alledem ist auch er durch und durch mit europäischen Anschauungen erfüllt. Seiner Tochter hält er eine französische Erzieherin, und bei Gelegenheit eines feierlichen Diners, zu welchem viele Europäer geladen waren, stellte er Lehrerin und Schülerin seinen Gästen vor, zum Entsetzen der anwesenden Muselmänner. Kühn, freimüthig, mit offenem Herzen und offener Hand, genießt er eine große Beliebtheit und hat besonders im Volke zahlreiche Anhänger, deren Schaar durch die mancherlei Verfolgungen, welche er von Ismail Pascha hat erleiden müssen und die schließlich bis zu seiner Verbannung aus Aegypten geführt haben, nur noch mehr gewachsen ist.

Unähnlich seinem klügeren Vorbilde in den Tuilerien, hat der Khedive von sich und seinem Throne alle Mitglieder seiner Familie entfernt, anstatt die weise Politik zu üben, sie zu versöhnen und die Interessen des Hauses zu consolidiren. Mehr von innerer Zwietracht und Feindseligkeit gespalten und zerrissen ist kaum jemals eine Dynastie gewesen als die von Mehemed Ali gegründete. Ob sie bestehen oder stürzen wird, das lehren möglicherweise schon die nächsten Jahre, so viel aber steht jetzt schon fest, daß Aegypten nach Ismail’s Tode der Schauplatz heftiger Parteikämpfe werden wird, ebenso wie wir solchen in Frankreich nach Louis Napoleon's Ableben entgegenzusehen haben.

Im persönlichen Verkehr, namentlich mit Fremden, entfaltet der Vicekönig noch heute eine große Liebenswürdigkeit und weiß immer den europäischen Gentleman, den französisch gebildeten Cavalier herauszukehren, wenngleich diese Civilisation mehr nur äußerer Schliff ist, als bei seinem Vorgänger Said, und er im Innersten seines Herzens dem europäischen Wesen bei weitem nicht so zugethan sein soll, wie er es gern scheinen möchte. Was er von abendländischen Institutionen und Einrichtungen importirt, was er europäischen Mustern nachgebildet hat – bei Allem ist ihm der äußere Schein die Hauptsache gewesen, mit Ausnahme, wo es sich um Anstalten zur Erhöhung seines Privatvermögens handelt. In dieser Beziehung geht sein Absehen stets auf den Kern der Dinge.

Indeß hieße es doch das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man Ismail alles wahre und nachhaltige Verdienst um die Wohlfahrt seines Reiches absprechen. Trotz aller seiner vielen Verkehrtheiten und Extravaganzen und trotz des keine Schranke heilig achtenden Egoismus, welcher den Kern seines Wesens bildet, hat Aegypten unter seiner Regierung Fortschritte gemacht, die unsere Bewunderung verdienen. Soweit es nur cultivir- und bewohnbar ist, wird das ganze Land von einem Netze von Schienenwegen und Telegraphenlinien überzogen, die sich bis in Regionen erstrecken, welche außer dem eingeborenen Händler und einzelnen griechischen Kaufleuten aller Welt bisher fast eine Terra incognita waren. Der alte Vater Nil hat seinen Nacken einem zahlreichen Geschwader von Dampfschiffen beugen müssen, deren Räder das lauernde Krokodil bis weit hinauf in das Oberland zurückgetrieben haben, zu Hunderten sind Zuckerraffinerien an seinen Ufern entstanden, und Alexandrien und Cairo, vornehmlich das erstere, mit ihren Fabriken und Werkstätten, haben schon einen ganz europäischen Anblick gewonnen. Wenn aber die große Masse der Nation noch zu wenig menschenwürdigen Zuständen gediehen ist, so darf man nicht vergessen, daß Ismail Pascha nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden kann. Ein großer Theil der Misère entspringt aus der altgewohnten Denk-, Glaubens- und Lebensweise, die selbst die Gesetzgebung eines Solon nicht mit Einem Male umschaffen könnte. In allen Fällen sind jedoch Leben und Eigenthum seiner Unterthanen unter Ismail’s Regierung tausend Mal sicherer, als sie es noch zu Anfang des vorigen Jahrzehnts unter dem Tiger Abbas waren, welcher in seinem Zorne keinen Mann und in seinen Begierden kein Weib verschonte.

Nichtsdestoweniger lautet das Endurtheil aller in Aegypten lebenden intelligenten Europäer dahin, daß Ismail Pascha bei seinem Volke entschieden unpopulär ist und daß Alle kaum die Zeit erwarten können, bis seine starke Hand die Zügel der Regierung nicht mehr führt.




  1. Im Interesse unserer Leser, die im Laufe dieser Tage von allen Zeitungen und Wochenschriften mit „Aegyptischen Reisebriefen“, „Bilderbogen aus Aegypten“, „Briefen vom Nil“ und wie sich alle die officiellen und nichtofficiellen Berichte über die Feierlichkeiten in Suez betiteln, überschwemmt werden, glaubten wir bezügliche Anerbieten unseres Specialcorrespondenten in Alexandrien, sowie zweier bekannter Reisenden ablehnen zu müssen; wir bringen daher keine enthusiastischen Berichte über das von einigen kühler Denkenden entschieden mißtrauisch betrachtete Unternehmen und über die durch seine Inauguration veranlaßten Festlichkeiten, bieten aber später unsern Lesern, deren Interesse für ägyptische Verhältnisse durch die Ereignisse der letzten Zeit doch wachgerufen sein mag, einzelne Bilder des dortigen Lebens aus der Feder unseres Specialberichterstatters. D. Red.