Noch ein Waldecker

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Max Ring
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Noch ein Waldecker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 774–778
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[774]

Noch ein Waldecker.

Vor etwa vierzehn Tagen wurde zu Berlin das Denkmal Schinkel’s enthüllt, des Künstlers, dessen geniale Schöpfungen eine unvergängliche Zierde der preußischen Hauptstadt sind. Das Denkmal, welches sich an der Spitze des Platzes vor der Bauakademie – jetzt Schinkelplatz – erhebt, da, wo man auf die Schloßbrücke und auf den Prachtbau des Museums blickt, Schinkel’s großartigste Leistungen, ist von Friedrich Drake gefertigt, dessen Meisterhand sich durch die Ausschmückung der Schloßbrücke gleichfalls hohen Ruhm erworben.

In demselben kleinen Fürstenthum Waldeck, welches stolz darauf ist, unserem Jahrhundert bereits zwei andere, nicht minder große Männer geschenkt zu haben – Rauch und Kaulbach – ist auch Drake geboren.

Am äußersten Ende des bekannten, reizend gelegenen Badeortes

[775] 

Friedrich Drake in seinem Atelier.

[776] Pyrmont wohnte in einer der kleinsten und ärmlichsten Hütten der Drechslermeister Drake, ein Tausendkünstler, ein mechanisches Genie, aber leider trotz seiner Begabung und seines Fleißes vom Glücke wenig oder vielmehr gar nicht begünstigt. Von ihm lernte der kleine Fritz, mitten in Noth und Armuth, spielend die Kunstgriffe des Handwerks, und bevor er noch ordentlich lesen und schreiben konnte, erfand er bereits einen Pulverkammerbohrer, womit er seinen Vater überraschte, der sich der Freudenthränen über die frühreife Erfindungsgabe des Sohnes kaum zu erwehren vermochte.

Obgleich der Knabe in Folge der schlechten Ernährung in seiner körperlichen Entwickelung zurückblieb und auch sein Schulunterricht noch mehr als mangelhaft war, fehlte es ihm nicht an geistiger Bewegung und selbst poetischen Eindrücken, denen sich sein Herz namentlich dann öffnete, wenn er Morgens in den thaufrischen, sonnenlichten Wald geschickt wurde, für die einzige Ziege trockenes Laub zu holen.

Zu diesen dichterischen Eindrücken der Natur kam das nicht minder anregende Leben und Treiben des berühmten Badeorts mit seinen vornehmen Badegästen, mit seinem trefflichen Orchester und mit dem schimmernden Theater. Namentlich das letztere übte auf den Knaben, wie auf die meisten begabten Kinder, seine mächtige Anziehungskraft. Als er einst vor dem Schauspielhause die dort aufgehangenen Gemälde und Kupferstiche eines industriellen Bilderhändlers mit großem Interesse betrachtete, erschreckte ihn plötzlich ein unbegreiflicher Lärm, der ihm aus dem Gebäude entgegen schallte. Auf sein Anfragen erklärte ihm der Kaufmann, daß in dem Theater der große Devrient aus Berlin gastire und der vermeintliche Lärm der ihm gespendete Beifall sei. Der Gedanke, daß ein Mensch so berühmt zu werden vermöchte, erschütterte den Knaben und machte den tiefsten Eindruck auf sein kindliches Gemüth. Seitdem zog ihn seine Sehnsucht wiederholt nach dem Theater, aber leider besaß er kein Geld, um sich den Eingang zu erkaufen. Da er aber wußte, daß sein Vater dem Director verschiedene Requisiten, unter Anderem eine Klystiersprttze, geliehen hatte, als die Posse „Rochus Pumpernickel“ gegeben wurde, so suchte er sich dadurch Zutritt zu dem ihm verschlossenen Kunsttempel zu verschaffen, daß er das besagte Instrument wiederholt anbot, gleichviel, ob Shakespeare’s „Hamlet“ oder Schiller’s „Don Carlos“ gespielt wurde, in dem Glauben, daß ohne besagte Spritze kein Theaterstück überhaupt denkbar sei!

Unter solchen Eindrücken und Anregungen war Fritz sechzehn Jahre alt geworden und die Zeit gekommen, wo er einen Lebensberuf wählen sollte. Auf Wunsch seines Vaters wanderte er mit dem leichten Bündelchen, das seine ganze Ausstattung enthielt, nach Cassel zu dem tüchtigen Mechanikus Breithaupt, um bei diesem das Nöthige zu lernen. Aber der Meister wies den schwächlichen, halbwüchsigen Burschen, dem er nichts Besonderes zutraute, unter dem Vorgeben zurück, daß er genug Arbeiter habe. Fritz jedoch bat so lange und inständig, bis der gutmüthige Breithaupt ihm gestattete, nach vierzehn Tagen wieder anzufragen. Um keinen Preis der Welt wäre er nach Pyrmont zurückgekehrt, lieber trieb er sich unter den schwersten Entbehrungen auf einem Dorf in der Nähe von Cassel herum. Sobald die Frist verstrichen, stand der kleine kümmerliche Geselle wieder vor der Thür des Meisters, der ihn nur zögernd und wider Willen aufnahm. Aber bald überraschte er seinen Lehrer durch Fleiß und Beharrlichkeit, welche die Haupttugenden Drake’s neben seiner genialen Begabung sind. Breithaupt räumte ihm einen Platz an seinem Familientische ein und bevorzugte ihn vor seinen gewöhnlichen Arbeitern. Nachdem er länger als vier Jahre hier verweilt, beabsichtigte er als Mechanikus nach Petersburg zu gehn.

Schon in Cassel zwar tauchte dann und wann in der Seele des heranwachsenden Jünglings der Gedanke auf, statt eines Handwerkers ein Künstler und zwar Bildhauer zu werden. Hatte er doch bereits als Knabe heimische Erinnerungen, Scenen aus der Hermannsschlacht in hölzerne Pfeifenköpfe geschnitten. Hier wandte er sich an den Hofbildhauer Ruhl, der ihm aber wohl in Anbetracht der ärmlichen Verhältnisse entschieden abrieth. Mit dem Entschluß, als Mechanikus in Petersburg sein Glück zu suchen, kehrte er nach Pyrmont in das Vaterhaus zurück, um seine Paßangelegenheiten zu ordnen, nachdem ihn eine gütige, aber unbekannte Hand von der ihm obliegenden Militärpflicht befreit hatte. Während seines Aufenthaltes half er dem Vater bei der Arbeit, die leider gerade damals so schwach ging, daß er noch viel Zeit übrig hatte. In einer dieser Mußestunden modellirte er ohne jede frühere Anweisung die Statue eines Schullehrers, der ein äußerst populärer Mann in dem Städtchen war. Das kleine wohlgetroffene Bild stellte er in das Fenster und bald sammelten sich die Bewohner, die bewundernd sogleich den beliebten Lehrer erkannten. Zugleich schnitt er einen Christus in Elfenbein, den ein fremder Badegast so schön fand, daß er statt der geforderten sechs Louisd'or ihm dafür zwölf zahlte.

Aufgemuntert durch diese Erfolge wagte er sich darauf an die Büste des dortigen Brunnenarztes Mundhenk, der sich stets der Familie Drake als ein freundlicher Gönner und Wohlthäter erwiesen hatte. Dieser war von seinem Bilde so sehr befriedigt, daß er unwillkürlich ausrief: „Ach! wenn Sie zu meinem berühmten Vetter Rauch nach Berlin kommen könnten!“ Diese unabsichtlichen Worte waren entscheidend für Drake’s Lebenslauf und schlugen wie ein Blitz in seine Seele. Sein Entschluß stand jetzt fest: er wollte Bildhauer werden und unter Rauch’s Anleitung sich zum Künstler bilden. Zu diesem Behufe schickte er dem berühmten Landsmann als Probearbeit eine kleine Statue, mit der Bitte, dieselbe zu beurtheilen und, wenn er sie gut finden sollte, ihn unter die Zahl seiner Schüler aufzunehmen. Als eine zustimmende Antwort erfolgte, reiste Drake nach Berlin, wo ihm Rauch den Eintritt in sein Atelier unter der Bedingung gestattete, daß der junge Eleve auf drei Jahre die nöthigen Subsistenzmittel aufweisen sollte.

Damit sah es freilich traurig aus, da Fritz im Ganzen nur über achtzehn baare Thaler zu verfügen hatte, mit denen er drei Jahre auskommen sollte. Zunächst fand er bei einem Landsmann, einem Tischler, eine Schlafstelle auf den Hobelspähnen der Werkstätte und später in dem kleinen dunkeln Gemüsekeller, wo er sein Lager mit Ratten und Mäusen freundschaftlich theilte, ohne sich in seinem gesunden Schlafe stören zu lassen. Das war freilich etwas, aber nicht viel. Das Glück ließ ihn jedoch bald die Bekanntschaft eines wohlhabenden Beamten machen, der sich in seinen Mußestunden mit mechanischen Arbeiten beschäftigte. Drake führte sich bei ihm als Liebhaber der Mechanik ein, gestand aber dem braven Manne seine Noth, worauf dieser ihm das Anerbieten machte, ihm gegen freie Wohnung und Kost bei seinen Arbeiten zu helfen, was natürlich mit dem größten Danke angenommen wurde.

Auch mit seinem berühmten Lehrer Rauch gestalteten sich die Verhältnisse täglich freundlicher. Der Meister zog den armen, schüchternen Schüler in sein Haus, wo dieser zum ersten Mal den Reiz einer höheren Geselligkeit kennen lernte. In dem Atelier arbeiteten verschiedene junge Männer, mit denen er sich bald befreundete. Vor Allen ragte schon damals der geniale Rietschel hervor, dessen höfliches, freundlich anschmiegendes Wesen zwar Drake anzog, während eine gewisse Verschiedenheit der Charaktere und des Bildungsganges keine innige Berührung aufkommen ließ. Trotzdem vertrugen sich Beide auf das Beste, wie folgende kleine Geschichte beweist. Nach gethaner Arbeit reinigten die Schüler ihre von Thon beschmutzten Hände in einem gemeinschaftlichen Becken. Während Drake sich wusch, bemerkte er an der Wand einen Zettel, den einer der Schüler angeheftet hatte. Zuerst summend, dann laut mit volltönender Stimme sang er den Zettel ab, der verschiedene Anzeigen enthielt: Tinte, Stiefelwichse, bairisch Bier, trockne Pflaumen, Federn und Papier. Rietschel, der daneben stand und wartete, stimmte mit ein; es bildete sich eine Art Wechselgesang, der, ohne daß die jungen Leute eine Ahnung hatten, zahlreiche und vornehme Zuhörer fand, da ein königlicher Prinz gerade das Atelier besuchte und die scherzhafte Production in allem Ernst für eine ihm erwiesene Huldigung hielt, für die er sich bei Rauch ausdrücklich bedankte.

Drake lebte nur seinem Beruf; am Tage arbeitete er für Rauch und des Nachts für sich an einem „Relief der Hermannsschlacht“. Dieses war fast vollendet, als eines Nachts in seiner Wohnung, die er mit einem armen Studenten theilte, Feuer ausbrach und nicht nur die Arbeit vieler Monate, sondern seine sämmtlichen Habseligkeiten zerstörte. Aber gerade das Unglück sollte dazu dienen, eine günstigere Wendung in seinem Schicksal herbeizuführen. Der edle Rauch, von Drake’s traurigen Verhältnissen unterrichtet, bot ihm in seinem Hause eine kleine Wohnung an, wodurch der junge Künstler in den Stand gesetzt wurde, seinen Lieblingswunsch auszuführen, nämlich seine Schwester aus Pyrmont kommen zu lassen und mit ihr gemeinschaftlich zu wirthschaften. [777] Freilich mußte der kleine Haushalt mit zehn Thaler monatlich bestritten werden. Was ihm an Möbeln fehlte, ersetzte er durch selbst angefertigte Sculpturen. Seine schöne Schwester besorgte die Küche und diente ihm als Modell, wobei sie sich mit der alten Bettdecke drapirte.

Aber in dem kleinen, ärmlichen Stübchen wohnte Glück und Zufriedenheit; Abends erschienen die Freunde, der seitdem als Dichter und Maler bekannte Reineck, der spätere Oberbaurath Strack, und der verstorbene Dichter und Kunsthistoriker Kugler, ferner Herr von Quast, Plüddemann und Lüderitz; selbst ein griechischer Fürst ließ sich einführen. Während die Herren sich geistvoll unterhielten, bereitete die Schwester in der Küche den berühmten westphälischen Eierkuchen zu dem Kugler die Butter selbst lieferte.

Sobald Drake ein regelmäßiges Gehalt von Rauch bezog, ließ er auch seinen kleinen Stiefbruder nachkommen, für dessen Erziehung er Sorge trug. Leider wurde das schöne Familienleben durch eine lebensgefährliche Gehirnentzündung des jungen Künstlers gestört, die jedoch der sorgfältigen Behandlung des Geheimrath von Gräfe und dessen Assistenten Doctor Angelstein wich. Kaum genesen, folgte Drake seinem Lehrer Rauch nach München, um dort das Maximilians-Denkmal aufzustellen. Hier kam er mit Kaulbach, Schwanthaler und Cornelius in Berührung, dessen Medaillon-Portrait in kolossaler Größe er daselbst anfertigte. Wahrscheinlich in Folge der vorangegangenen Krankheit entwickelte sich eine geistige Schlaffheit und Unlust an jeder anstrengenden Arbeit, von der ihn Rauch in eigener Weise heilte. Nachdem er Drake einige Zeit still beobachtet hatte, theilte er ihm mit, daß die königliche Porcellan-Manufactur in Berlin das Ansuchen gestellt habe, ihr einen jungen Mann zu empfehlen, der für seine Arbeiten jährlich tausend Thaler beziehen sollte. Zugleich machte ihm Rauch die Proposition, diese einträgliche Stelle anzunehmen. Drake stand tief beschämt, indem er zwar das Wohlwollen, aber auch die geringschätzige Meinung des Lehrers von seinem Talent erkannte. Wie mit einem Schlage erwachte er aus seiner Apathie und dankte dem seelenkundigen Meister durch verdoppelte Thätigkeit.

Bald darauf gelangte an Rauch eine Anfrage aus Osnabrück wegen Anfertigung eines Denkmals für den patriotischen Schriftsteller Justus Möser. Er empfahl zu diesem Zwecke seine beiden besten Schüler Rietschel und Drake, mit dem Bemerken, daß Letzterer die Absicht habe, in seine Heimath Pyrmont zu reisen, weshalb eine Besprechung mit ihm sich leichter machen würde. Dieser Umstand gab den Ausschlag, so daß Drake gewählt wurde. Bevor er aber seine Reise antreten konnte, erhielt er die Nachricht von dem Tode seines Vaters, den er tief betrauerte.

Indessen wurde der Vertrag mit Osnabrück abgeschlossen, und die Statue Möser’s, die erste selbstständige Arbeit des Künstlers, öffentlich enthüllt. Die Ankunft Drake’s in seiner Vaterstadt, wurde mit einer Festvorstellung im Theater und mit einem Fackelzug gefeiert. Er aber mied die rauschenden Ehrenbezeigungen und schlich sich still und unbemerkt fort, um auf dem Grabe des geliebten Vaters zu weinen, dem es nicht vergönnt war, den Triumph des Sohnes zu erleben. Jetzt erst sah sich Drake in den Stand gesetzt, Italien und vor Allem Rom zu sehen. Kaum dort angelangt, eilte er zu dem großen Thorwaldsen, an den ihn Rauch empfohlen hatte. Er fand den berühmten Meister im alten Schlafrock, der stelleweise durchlöchert war. Der Empfang war kühl und abgemessen; Thorwaldsen steckte den Empfehlungsbrief von Rauch ungelesen in die Tasche. In seiner Verlegenheit, da er nicht wußte, was er mit seinem Besuch anfangen oder sprechen sollte, öffnete er eine Tischschublade, um Drake seine geschnittenen Steine zu zeigen, von denen er eine ansehnliche Sammlung besaß. In echt künstlerischer Unordnung lagen da Gemmen, Ordenssterne der verschiedensten Potentaten, Zeichnungen, Entwürfe bunt durcheinander. Da der berühmte Wirth nicht gleich den gesuchten Stein fand, warf er ein Paket Zeichnungen heraus, wobei der Zufall es wollte, daß ein mitfliegender Kupferstich zu Goethe’s römische Elegien ihm in die Hände fiel, den er jetzt aufmerksam betrachtete. „Sehen Sie,“ sagte Thorwaldsen, „das ist eine ausgezeichnete Composition, wenn auch der Künstler die Ausführung noch nicht ganz versteht - die Composition ist aber trefflich.“ Darauf erwiderte Drake, höchst erregt, daß er sich dieses Ausspruches mehr erfreue, als wenn ein Fürst ihm einen Orden verliehen hätte, da die Zeichnung von ihm selbst herrühre. Da sprang Thorwaldsen auf, reichte Drake die Hand und begrüßte ihn erst jetzt als wahren Freund und Kunstgenossen.

Ein Jahr weilte Drake in Rom, mehr um zu sehen, als um zu arbeiten. Mit dem Studium der Kunst wechselten die heiteren Ausflüge und Feste in der Umgebung ab, wobei es nicht an manchem interessanten Abenteuer fehlte. Zugleich öffnete sich ihm das gastliche Haus des geistvollen preußischen Gesandten Herrn von Bunsen, vor Allem aber die Kreise der Künstler, wo er Freunde für das Leben fand. Erfrischt und angeregt kehrte er 1838 nach Berlin zurück, um als selbstständiger Meister seine Laufbahn zu verfolgen. Neben Rauch erhielt er ein eigenes Atelier im königlichen Lagerhause. Hier arbeitete er zunächst die „Gruppe des sterbenden Kriegers“ und das „Medaillon der Charitas“, welche Friedrich Wilhelm der Vierte kaufte. Unzählige Bestellungen, besonders von Büsten berühmter Männer, wie Neander, Alexander und Wilhelm von Humboldt, welche dem Künstler die höchste Anerkennung zollten, nahmen seine Zeit fast ausschließlich in Anspruch, so daß Rauch bei einem Besuche ihm ironisch sagte: „Sie bekommen in dieser Beziehung einen erschrecklichen Ruf.“

Eine noch würdigere Aufgabe wurde ihm zu Theil, als die Stadt Berlin ihn mit der Ausführung des Denkmals für den verstorbenen König Friedrich Wilhelm den Dritten betraute, das gegenwärtig zu den sehenswürdigsten Kunstwerken der Hauptstadt zählt. Unstreitig ist diese Statue mit dem wunderbar schönen Kranz von Reliefs die originellste und zugleich die populärste Schöpfung der modernen Bildhauerei.

Fast gleichzeitig mit dieser genialen Marmorarbeit schuf er die reizenden „Chorknaben“ an der Schloßkirche zu Wittenberg, die lieblichsten Kindergestalten voll holder Naivetät, entzückender Anmuth und frommer Andacht. Ende der vierziger Jahre erhielt er den Auftrag, zur Ausschmückung der Schloßbrücke die „Gruppe des durch den Sieg gekrönten Kriegers“ zu bilden, die sich durch ihren großartigen, energischen Charakter auszeichnet. Daneben arbeitete er die wohlgelungene Statuette des ihm befreundeten Dichters Scherenberg und das Standbild seines Lehrers Rauch, das die Halle des von Schinkel erbauten Museums ziert. Später wurde zu dem dreihundertjährigen Stiftungsfest der Universität Jena die Statue des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen bei ihm bestellt, nachdem Rauch den Auftrag abgelehnt hatte. Bei dieser Arbeit boten die kolossalen Körperformen des frommen Fürsten fast unüberwindliche Schwierigkeiten, die jedoch Drake mit gewohnter Energie zu überwinden wußte. In verhältnißmäßig kurzer Zeit schuf er das Werk, worauf er das Monument für den Fürsten von Putbus und die acht trefflichen Reliefs, das Wirken der Kunst, Industrie und Wissenschaft darstellend, für das Standbild des genialen Beuth folgen ließ. In nächster Zeit arbeitete er an dem Denkmal für Friedrich Wilhelm den Dritten in Colberg, an der kolossalen Statue Melanchthon’s für Wittenberg, an dem Mausoleum der verstorbenen Herzogin von Nassau, an dem Reiterstandbild des regierenden Königs von Preußen und an dem Denkmal für Schinkel, das zu den gelungensten Werken des Künstlers zählt.

Eine solch’ rastlose Thätigkeit hatte auch den verdienten Lohn gefunden; von Jahr zu Jahr verbesserte sich die finanzielle Lage des Künstlers, so daß es ihm vergönnt war, sich ein eigenes Haus in der Schulgartenstraße zu bauen, das er mit den hoheitvollen Gestalten der Künste als Trägerinnen des Balcons schmückte. Zugleich räumte ihm der kunstliebende König Friedrich Wilhelm der Vierte ein eigenes Atelier in der schönsten Gegend des Thiergartens ein, wo der Künstler ungestört seine herrlichen Schöpfungen entwerfen und bilden kann. Nachdem Drake großmüthig für seine armen Geschwister gesorgt, durfte er sich eine eigene Häuslichkeit gründen. Er heirathete ein junges Mädchen aus einer Bürgerfamilie Berlins, die ihm sechs Kinder schenkte, aber leider nach zehnjähriger Ehe starb. Im Jahre 1859 erfolgte seine zweite Vermählung mit der Gräfin Marie Waldeck; an ihrer Seite besuchte der Meister seine Vaterstadt, wo Beide unter so verschiedenen Verhältnissen, er als Sohn des armen Drechslers, sie als Tochter des hohen Fürstenhauses, dem Pyrmont gehörte, ihre Jugend verlebte. Vereint wanderten die glückliche Gatten zu dem Häuschen, wo einst Drake’s Eltern wohnten; es war verschwunden. Ein Schuhmacher hatte ein stattlicheres Haus auf der Stelle erbaut, doch die Pietät besessen, neben seinem Emblem, [778] dem Stiefel, welcher über der Thür eingehauen war, die Worte zu setzen: „Hier wurde Friedrich Drake geboren.“

Auch das Grab des geliebten Vaters suchte er vergebens; es war vergessen. Unwillkürlich erfaßte eine tiefe Trauer die Seele des Künstlers, als die Vergänglichkeit des Irdischen sich ihm aufdrängte, aber bald erhob ihn wieder der Gedanke, daß seine Heimath die ganze Welt und die Unsterblichkeit der Lohn des Genius sei.

Max Ring.