Der Kriegs- und Friedensrath in Paris
Wir gehören nicht zur „Börse“, manchmal über Krieg- und Friedensnachricht um zwölf Uhr „himmelhochjauchzend,“ ein Viertel auf Eins aber schon wieder „zum Tode betrübt.“ Auch nicht zu den Proletariern der Diplomatie und Staatsweisheit, welche von einem Blitze des electrischen Telegraphen bis zum andern ihr kümmerliches Hoffen und Harren fristen, und mitten in den tiefsten Nahrungssorgen für ihren hungrigen Witz glauben: „’s hilft am Ende doch,“ wie der Chamisso’sche Held, dem’s so sehr zu Herzen ging, daß ihm der Zopf so hinten hing. Eben so wenig zum Kriegsrathe, noch zur Friedensconferenz, sondern zur Gartenlaube, in welcher bekanntlich kein Janusthor angebracht ist, durch welches Krieg und Frieden, wie Mann und Frau im alten Wetterhäuschen auf dem Mechanismus eines Hundedarmes, aus- und einspazieren könnten.
Wir sitzen mit andern gewöhnlichen Sterblichen vor dem Vorhange, auf welchen die Bosko’s und Dubler’s der höheren Taschenspielerkunst ihre dissolving vious (sich auflösende Ansichten!) abspiegeln. Wir bilden uns nicht ein, die sich auflösenden Ansichten, expreß für das Publikum vor dem Vorhange zum Besten gegeben, besser zu verstehen als jeder Andere; glauben es aber doch Einigen, die von der Erscheinung zu sehr hingerissen werden, daß sie das Wesen vergessen, zurufen zu müssen: „Fürchten Sie sich, meine Herren und Damen, sie beißen nicht!“ Oder: „Jubeln Sie nicht zu sehr, der schöne Mann oder der hübsche Paragraph, oder der kitzliche Punkt oder die lachende Aussicht werden sich gleich in Wolf und Wolfsschlucht verwandeln, wo sie Kugeln gießen, die zuletzt den Schützen selbst treffen.“
Im Ganzen haben wir also immer den Trost: ’s wird sich auflösen, ’s wird auch bald alle werden, und einem andern, und dies wieder einem andern Scheinbilde Platz machen. Das Publikum verlangt’s am Ende so, besonders das in Paris, das am Ersten „ekelig“ wird, wenn man ihnen nicht immer wieder etwas Neues bietet. Wir müssen gestehen, daß es dem Kaiser Napoleon bisher glücklich gelungen ist, die lieben Pariser und hinten im Parterre und auf den Galeeren auch das übrige Europa gut zu unterhalten. Nach der ersten Freude über den 2. December und über den voreilig „anerkennenden“ Lord Palmerston zogen die glorreichen Adler des Kaiserreichs über die Bühne mit allgemeinem Wahlrecht und sonstiger phantastischer, unterhaltender Umgebung. Dann wurde Paris zu einem Phönix, blos um prächtig aus seiner Asche hervor empor zu steigen. Dabei war „das Kaiserthum der Friede,“ - „holder Knabe, schlummernd am Bache,“ aber ein sehr langweiliger Junge für die so situirten Pariser. Deshalb lös’te sich der Junge auf und verwandelte sich plötzlich in den brüllenden Mars mit groß-napoleonischer „Gloire;“ Civilisation gegen Barbarei, Türkenrettung und Rußlands Untergang, und wie die gläubigen, andächtig-ernsten Zeitungen sich sonst ausdrückten. „Nichts Besseres lob’ ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, daß hinten weit in der Türkei die Völker auf einander schlagen,“ sagt der Philister in Goethe’s Faust. Aber die Türkei lag gar zu weit hinten und noch weiter der Ruhm. Von Beiden konnten die Pariser nicht leben. Deshalb mußte die Industrieausstellung trotz aller ungünstigen Umstände gelingen und Mars auf der Krim sogar schweigen, um die nach Paris dampfenden Völker nicht zu stören. Nach der Ausstellung, der Friedensepisode, kamen Malakoff und Sebastopol, Napoleon in London und Victoria in Paris, und zwar am Grabe des großen Napoleon, dessen Nachkommenschaft Palmerston und Wellington auf ewige Zeiten aus Frankreich verbannt hatten, Victoria am Arme des Neffen neben der in Paris lebendig gewordenen Asche des großen Onkels.
Um kleinere lebende und sich auflösende Bilder zu übergehen, wurde nun Paris wieder durch den großen „Kriegsrath“ in Aufregung und Nahrung gesetzt. Kaum haben wir diesen in Holz geschnitten und zum Abdruck gebracht, lös’t sich der Kriegsrath in die große Friedensconferenz zu Paris auf, eine neue glänzende Saison für die Stadt der Freude und Desperation.
Da der Kriegsrath alle officiellen Hauptgrößen der alliirten Civilisation umfaßte, die auch in der Friedens-Conferenz wieder zum Vorschein kamen, ist es wohl nicht uninteressant, sie uns näher anzusehen. Blos neunzehn illustrirte Personen: des Kaisers Napoleon Majestät, Prinz Jerome Bonaparte, Prinz Napoleon, Herzog von Cambridge, Lord Cowley, Sir Edmund Lyons, Admiral Dundas, Sir Richard Airey, Sir Harry Jones, General della Marmora, Marschall Vaillant, Graf Walewski, General Canrobert, General Bosquet, General Niel, General Martimprey, Admiral Hamelin, Admiral de la Gravière und Admiral Penaud. Sie hielten ihre erste Sitzung am 10. Januar, seitdem mehrere, die zum Theil sehr lebhaft und stürmisch gewesen sein sollen, da sich eine äußerste Linke unter Prinz Napoleon und eine äußerste Rechte unter dem Herzog von Cambridge in die Haare gerathen sein sollen. Die äußerlichen Lebensschicksale des Präsidenten dieses Kriegsraths und der angehenden Friedensconferenzen in Paris, des Kaisers und Helden dieser Versammlung, setzen wir als bekannt voraus, zu dessen innerem Leben fehlt es bis jetzt noch an Material und Federkraft.
Prinz Jerome Bonaparte ist der jüngste Bruder des großen Napoleon, in Deutschland noch als „König von Westphalen“ im Andenken. Prinz Napoleon, dessen Sohn aus der zweiten Ehe mit einer Prinzessin von Würtemberg, war Republikaner nach der Februarrevolution, wohnte neuerdings in der Nähe des Kriegsschauplatzes, und steht deshalb in dem Rufe, etwas vom Kriege zu verstehen, über welchen er auch eine kritisch-verurtheilende Abhandlung schrieb.
Graf Walewski soll auch napoleonisches Blut, und zwar vom großen Napoleon, in seinen Adern haben. Ein Pole mütterlicher Seits, in Frankreich erzogen, nahm er Theil an der polnischen Insurrektion 1831, focht und blutete er für Polen und kam er nach England als Gesandter der revolutionären Regierung. Mitglied der „polnischen Association“, französischer Gesandter in England, Minister des Auswärtigen unter Napoleon - das sind einige äußerliche Andeutungen seines Charakters. Er gehört zu den Charakteren, die den jetzigen Napoleon unterstützten und tragen halfen, Persönlichkeiten, die erst später ordentlich geschildert werden können.
Der Herzog von Cambridge, „Alcibiades“ der Hocharistokratie Englands, unverheirathet, aber mit großem Interesse für das schöne Geschlecht, weniger für Kanonenmündungen, ging als Vertreter des königlichen Blutes von England hinüber. Er wurde 1819 in Hannover geboren, war eine Zeit lang im Glauben der Eingeweihten künftiger Gemahl der Königin Victoria und nahm bei der Alma und Inkerman eine commandirende Stelle ein, aus welcher ihn die Franzosen heraushauen mußten (sonst wäre die Schlacht an der Alma verloren gewesen). Wegen „Gesundheitsrücksichten“ kehrte er bald zurück, und lebt seitdem mit martialischem Aussehen friedlich unter höchsten Damen und Herren. Nur als der rothe Prinz Napoleon im Kriegsrathe die Wiederherstellung Polens verlangte, zog der Vertreter des constitutionellen Königsblutes von England das Schwert seiner Beredtsamkeit und loyalen Gesinnung und schlug den „Rath“ Napoleon’s, der noch lange nicht so aussah, als sollte er That werden.
Lord Cowley, berühmt als Enkel Wellington’s, ging hinüber, um an „Berathungen“ Theil zu nehmen; Admiräle Lyons und Dundas, um in marinirten Angelegenheiten mit ihren Erfahrungen zu nützen. Sir Richard Airey war Quartier-Meister der englischen Ostarmee, die bekanntlih ziemlich ein Jahr lang kein Quartier fand. Marschall Vaillant ist jetzt Kriegsminister in Frankreich, und Admiral de la Gravière Marineminister, General Martimprey, Chef des französischen Armee-Stabes auf der Krim, fungirte als Vertreter Pelissier’s. Admiral Hamelin commandirte, vor Bruat, die französische Flotte im schwarzen Meere und Penaud war voriges Jahr Kollege des Admiral Dundas auf der Ostsee.
General Niel und Sir Harry Jones waren Haupt-Confusionsräthe der Ingenieur-Operationen des Krieges. General Niel lobte den Sir Harry Jones wegen ausgezeichneter Dienste am - Redan, und Sir Harry Jones bedankte sich öffentlich bei General Niel für guten Rath bei der Vernichtung Bomarsunds, das aber noch steht.
Die Generäle Canrobert und Bosquet sind Busenfreunde des Kaisers, obgleich Letzterer ein hartnäckiger Republikaner sein [99] soll. Im Uebrigen sind sie unsern Lesern schon früher vorgestellt worden.
Was endlich General della Marmora betrifft, ist er jedenfalls der verdienstvollste Mann im ganzen Kriegsrathe, der deshalb auch am Wenigsten und im Friedensrathe gar nicht gehört wird. Sardinien ist von letzterem ausgeschlossen. Er schuf die neue sardinische Armee durch Mittel, die in England alle durchaus für unmöglich gelten, durch Absetzung und Pensionirung aller unfähigen, hochgebornen, alten Leute und Heranziehung junger, tüchtiger Talente aus allen Klassen, ohne Personen-, Klassen- und populäre Rücksichten zu nehmen. Wie ein Marmorblock, fest und gottvoll, führte er seinen Plan durch, der jetzt in einer Armee lebt und wirkt, welche der Trost und Trotz Sardiniens ist gegen äußere Drohungen und Gefahren. Im Innern vertrauen sie auf freie Bewegung, Gerechtigkeit und Humanität der Regierenden.
Das sind die Hauptpersönlichkeiten, welche den Kriegshelden unter Napoleon’s Direktion Rath geben sollten und jetzt durch einige neue Persönlichkeiten bereichert, den Friedenshoffnungen Europa’s Nahrung und Dessert besorgen sollen. Ob sie solide Nahrung produciren werden, solche, welche dem Kriegsgotte Mars auf eine gute, dauernde Zeit den brüllenden Kanonenmund stopfen mag, ob sie, wenn nicht das, ernsten, entscheidenden Krieg beschließen - das Alles sind Fragen, die man sehr frei hat an das Schicksal. Vorläufig sieht Europa, insofern es politisirt und Diplomatie- und Börsenschwindel treibt, aus, als litte es an einem stark zurückgetretenen Schnupfen.