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Der Londoner Silbermarkt

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Hasbach
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Titel: Der Londoner Silbermarkt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 467–468
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Londoner Silbermarkt.

Wer sich in unserem rasch lebenden Jahrhundert, da Zeit Geld und Geld Zeit ist, den Luxus gestatten kann, zu Schiff und bei Tage in London anzukommen, den sollte die Furcht vor einer längeren Seefahrt, vor Schmutz, Unbequemlichkeit und auswandernden Schafen und Hämmeln als Mitpassagieren nicht bewegen, sich in einem Eisenbahncoupé der Hauptstadt des britischen Reiches zu nähern; denn nur wenn der Reisende an den zahllosen flachen Kähnen, imposanten Segelschiffen, gewaltigen Dampfern, an den ungeheuren Werften und den schier endlosen Waarenlagern vorbei die Themse hinaufdampft, dann empfindet er mit der Schärfe und Frische des ersten Eindrucks, daß er in die gewaltigste Handelsmetropole der Welt einfährt, daß er am Markte steht, wo vier Welten ihre Schätze tauschen. Ist er gelandet, hat er sich einer Droschke anvertraut, die in Reih und Glied mit den unübersehbaren Reihen von Karren, Kutschen und Omnibus vorwärtsstrebt und sich mit wunderbarer Geschicklichkeit durch den Wagen- und Menschenknäuel bewegt, dann führt ihn der Schwager in nicht allzulanger Zeit an einem viereckigen, einstöckigen, fensterlosen, rauchgeschwärzten Gebäude vorbei, welchem er wahrscheinlich keine Beachtung schenken würde, wenn ihm nicht wohlgenährte Portiers in einer ehrfurchterweckenden Livrée und mit unbeschreiblich würdevollen Gesichtern die Frage nach den Einwohnern desselben nahe legten. Wendet er sich an einen prosaischen Menschen, so wird er unfehlbar die Antwort erhalten: Das ist die Bank von England. Vielleicht führt ihn sein Schicksal an eine poetische Natur, und dann wird ihm die Erwiderung, daß dort König Mammon wohne, der entweder der Vater, Sohn oder Milchbruder des Gottes Mercur sei und bei dem geräuschvollen Leben in der Stadt und im Hafen seine Hand im Spiele habe. Besagter Poet meint damit zweifellos nicht, daß König Mammon nur eine Residenz besitze. Wie jeder große Fürst hat er mehrere Hoflager, aber nur eine officielle Hauptstadt; denn Niemand kann leugnen, daß der große König überall loyale Unterthanen zählt, obwohl uns Allen seit unserer frühesten Jugend gelehrt worden ist, Schätze zu sammeln, welche der Rost und die Motte nicht verzehren, obwohl wir in unseren Schulaufsätzen die Menschen beschworen haben, ihr Herz nicht an die Güter zu hängen, welche das Leben vergänglich zieren, und obwohl wir schon in Quarta dargelegt haben, daß alle Uebel und Leiden aus dem menschlichen Golddurste stammen.

Unter Golddurst verstanden wir natürlich die ungeregelte Begier nach Geld, mochte sich dieser Trieb auf Kupfer, Silber, Gold, schäbige Fünfgroschenstücke oder nagelneue Vereinsthaler richten. Hätte Jemand der strengen Anklage gegen unser Jahrhundert dadurch zu entgehen versucht, daß er behauptet hätte, er empfinde nur den Durst nach Silber, so würden mir ihm unfehlbar erwidert haben, daß wir den Ausdruck Golddurst gewählt, weil es der edlere, und daß auch der Silberdurst verwerflich sei.

Nebenbei bemerkt, war es in der That nöthig, das Streben nach dem Besitz edler Metalle Silberdurst zu nennen, wenigstens so weit das letzte Jahrzehnt in Frage kommt, da die Goldproduction in jener Zeit gesunken ist (ein berühmter Gelehrter in Wien, Professor Süß, hat sogar die düstere Prophezeiung ausgesprochen, daß die Tage des Goldes gezählt seien), während die Production des Silbers in demselben Grade stieg.

Während die Goldausbeute in den fünf Jahren von 1866 bis 1870 etwa 2700 Millionen Mark betrug und von 1871 bis 1875 auf etwa 2400 Millionen Mark herunterging, stieg die Silberproduction von 1200 Millionen Mark in dem Quinquennium 1866 bis 1870, auf 1700 Millionen Mark in dem Jahrfünft 1871 bis 1875. Wenden wir uns daher mit der Treulosigkeit, welche nun einmal in der von Grund aus verderbten und bösen Menschennatur liegt, von der sinkenden Größe ab und heften wir unsern Blick auf das steigende Gestirn!

Noch immer werfen Central- und Süd-Amerika große Mengen Silber auf den Londoner Silbermarkt. In den letzten Decennien haben die Gruben von Comstock in Nevada reiche Erträge geliefert, die jedoch nicht bestimmt abzuschätzen sind. Die amerikanischen Delegaten der letzten Pariser Münzconferenz gaben sie auf 33 Millionen Dollars für das Jahr 1870 an. Statistiker und Edelmetallhändler haben sie auf das Vierfache dieser Summe berechnet.

Die Aufnahme der Baarzahlungen in Nordamerika hat einen guten Procentsatz des dort gewonnenen Silbers absorbirt, und bedeutende Mengen werden von San Francisco direct nach Ost-Asien verschifft, aber ein großer Bruchteil dieses Silbers verläßt den neuen Erdtheil noch immer mit dem Bestimmungsorte London, nachdem es in den Minenländern geschmolzen und in Barrenform gegossen worden ist. Nehmen wir von dem auf dem Oceane hoffentlich sicher herüberschwimmenden Silber für einen Augenblick Abschied und fragen wir uns, welche Umstände gerade London zum Sitze des Silbermarktes gemacht haben, ist es doch so weit von den Fundstätten des Erzes entfernt!

Schon die geographische Lage bestimmt England zum Zwischenhändler zwischen Ost und West und London zum Weltmarkte. Der sich über jeden Platz der Erde erstreckende Handel Englands, die zahlreichen, in allen fünf Welttheilen zerstreuten Colonien führten natürlich zu mannigfachen finanziellen und commerciellen Beziehungen mit der Hauptstadt. Ueber sechszig coloniale und fremde Banken haben ihre Filialen in London, und außerdem werden manche Bestellungen und Zahlungen durch Londoner Kaufleute und Banken vermittelt, da Niemand gern im directen Handelsverkehr mit wenig bekannten ausländischen Firmen steht und sich lieber eines Londoner Hauses als Mittelsperson bedient.

So ist London der große Markt wie für jeden Handelsartikel, so auch für Silber, und ein Ort für große internationale Zahlungen, das clearing-house der Welt geworden. An keinem Orte sind so bedeutende Summen verleihbaren Capitals vorhanden. Vielleicht hat ihm auch die größere Sicherheit vor Kriegsgefahr eine unvergleichliche Stellung schaffen helfen. Gesetzt, Paris wäre im Jahre 1870 der große Geldmarkt der Welt gewesen, welche furchtbaren Folgen müßte die Einschließung der Stadt gehabt haben!

Doch kehren wir zu unseren Edelmetallsendungen zurück!

Sobald ein Westindienfahrer im Londoner Hafen oder in Southampton oder Liverpool angekommen ist und in Kisten und Kästchen wohlverpackte Edelsteine, Gold- und Silberbarren an die englische Küste geführt hat, sendet die Bank von England einige ihrer Beamten ab, um die Schätze in Empfang zu nehmen. Alle Edelmetallsendungen aus überseeischen Ländern werden nämlich zur größeren Sicherheit an die Bank von England adressirt, und die Händler und Agenten können sie erst dort in Empfang nehmen. Wer in der City einem der mit zwei oder vier Pferden bespannten Wagen begegnen sollte, welche die wenig umfangreichen, aber schweren Edelmetalle zur Bank transportiren, der wird, ohne zu wissen, was für Waaren an ihm vorüberrollen, keine Ahnung von den ungeheuren Werthen haben, welche an das Bullion-Office[1] der Bank abgeführt werden. Das Bullion-Office liegt auf der Rückseite der Bank in Lothbury Street. Nachdem sich eins der großen Thore geöffnet hat, wandern Edelsteine, Gold- und Silberbarren und Silberdollars in die Bankkeller hinab.

Besagtes Bullion-Office möge man sich nicht etwa als ein schönes, mit allem modernen Comfort ausgestattetes Zimmer vorstellen! Mit seinem gewölbten Dache, einigen Pulten und Wagen bietet es einen durchaus ernsten und fast ärmlichen Anblick dar. Nur nach der Ankunft eines Westindienfahrers erheitert sich seine düstere Physiognomie, soweit sich die Physiognomie eines solchen Gemaches erheitern kann. Dann erscheinen die Empfänger der Edelmetalle, und die Bedienten sind eifrig damit beschäftigt, die Barren und Münzen aus den Kellern heraufzuholen. Die Bank übernimmt es gegen eine mäßige Provision, die angekommenen Sendungen zu wägen. Dann erklingt den ganzen Tag über das Gerassel der Geldstücke, welche in die kupfernen Wagschalen geschüttet und wunderbar rasch gewogen werden. Zum Zählen ist natürlich keine Zeit.

Aber, wird man fragen, genügt denn das Wägen, um den Werth zu ermitteln? Könnte ein Barren nicht inwendig von Eisen sein und nur eine dünne Silberschicht auf der Oberfläche enthalten? Allerdings! Aber darum wird auch jeder Barren, wenn er nicht von einer Firma geliefert wird, die sich eines durchaus ehrlichen Namens erfreut, noch einmal umgeschmolzen. Darauf wird er mit den feinsten Instrumenten auf seinen Feingehalt untersucht. Die Wissenschaft ist heutigen Tages so weit fortgeschritten, daß die Untersuchung eines kleinen Stückchens, welches vom Barren abgeschlagen wird, zur Prüfung genügt. Erst wenn diese Probe den [468] Grad der Feinheit des Metalls festgestellt hat, wird der Betrag ausbezahlt oder auf Rechnung gestellt.

Die Herren, welche im Bullion-Office die Schätze fremder Welttheile in Empfang nehmen und ganz so wie andere Sterbliche aussehen, sind Kaufleute und Agenten, welche die Edelmetalle entweder auf eigene Rechnung oder gegen Provision importiren. Selbst große Häuser können das Gold und Silber nur mit Schwierigkeiten beziehen und verschicken; denn erstens erfordert dieses Geschäft eine eigenthümliche Waaren- und Marktkenntniß, und außerdem muß der Händler Lagerräume besitzen; auch setzt das Verpacken und Versenden der Edelmetalle Leute voraus, welche sich berufsmäßig damit beschäftigen. Es giebt Kaufleute in der City, die Millionen erhalten und versenden, ohne einen Pfennig davon zu Gesicht zu bekommen. Daß die Edelmetallagenten im Rufe makelloser Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit stehen müssen, ist nach dem Vorhergehenden kaum erwähnenswerth.

Soviel über die Producenten und Händler! Nun zu den Consumenten!

Die Edelmetalle werden bekanntlich zu Schmucksachen verarbeitet und dienen, geprägt und in bestimmten Gewichtsgrößen, als Geld. Es ist leicht zu.verstehen, daß, wenn der Wohlstand eines Landes in gleichem Schritte mit seiner Bevölkerung wächst, der Bedarf nach Schmucksachen steigen wird. Auch eine größere Menge von Käufen und Verkäufen wird abzuschließen sein, was größere Mengen Geld nöthig macht. Dazu kommt, daß sich Geld und Schmucksachen allmählich abnutzen und durch neue Schmucksachen und neue Geldstücke ersetzt werden müssen. Daher ist in normalen Zeiten fortwährender Bedarf nach Edelmetallen vorhanden. Man folgere aber daraus nicht, daß der größte Theil des in London angekauften Silbers in Fabriken und Münzen wandere! Es dient hauptsächlich zu internationalen Zahlungen.

Wenn der Bäcker A. dem Fleischer B. das ganze Jahr hindurch Brod und wenn B. dem A. während derselben Zeit Fleisch liefert und am 31. December Beide das Guthaben mit einander vergleichen, mögen die Beträge gleich hoch sein. Ist diesem Falle haben Beide fortwährend Geschäfte mit einander gemacht, ohne daß ein Geldstück hin- oder hergewandert wäre. Sind aber die Forderungen von verschiedener Höhe, so muß derjenige, welcher die geringeren Forderungen hat, dem Anderen die Differenz ausbezahlen. Nun stehen aber ganze Nationen in denselben Schuldverhältnissen zu einander, wie Individuen.

Wenn ein Land dem andern z. B. Kohle, Baumwolle und Tuch liefert und das andere z. B. nicht so viel Vieh, Getreide, Wein etc. exportiren kann, daß die Rechnung aufgeht, so muß von dem letzteren die Differenz in baarem Gelde ausgeglichen werden. In diesen internationalen Zahlungen wird das Edelmetall in Barrenform gewählt; denn die Münzen eines Landes haben nur in seltenen Fällen in fremden Ländern Cours. Es ist also nöthig, sie einzuschmelzen und umzuprägen, bevor man sich ihrer zu Zahlungen bedienen kann. Zweitens nutzt sich das Edelmetall in Barrenform nicht so leicht wie in Münzform ab, weil es in jener Gestalt eine geringere Oberfläche als in dieser hat.

In den ersten siebenzig Jahren unseres Jahrhunderts wurde das Silber sehr viel zu diesen internationalen Transactionen verwandt. Damals hatten Deutschland und die skandinavischen Reiche die Silberwährung, und die Staaten des lateinischen Münzbundes (Frankreich, Italien, Schweiz, Belgien, Spanien, Rumänien und Griechenland) waren Anhänger der Doppelwährung. Es bestand ein lebhafter Verkehr in Silber zwischen Hamburg und London. Seitdem jedoch Deutschland die Goldwährung einführte, die skandinavischen Reiche unserem Beispiele mit Entschiedenheit, Holland mit einiger Lauheit folgten und der lateinische Münzbund die Prägung des Silbers beschränkte, sind nur noch Indien, China und Japan treue Abnehmer des entthronten Metalles. Es ist der Mühe wert, bei den Ursachen des beständigen Silberabflusses nach Indien, der sicher schon ist den Zeiten der Phönicier und Römer beträchtlich war, einen Augenblick zu verweilen.

Es lebt dort eine Bevölkerung von etwa 200 Millionen Menschen, die zu ihren Einkäufen eine Menge kleiner Silbermünzen bedarf und eine ausgeprägte Neigung zu Schmucksachen aus Edelmetall besitzt. Die ärmeren, zahlreichen Classen Indiens tragen Silberschmuck, die reicheren Goldschmuck. Die große Mehrheit der Bewohner Indiens hat zudem die schädliche Gewohnheit, das Geld, welches sie nicht unmittelbar gebrauchen, zu verbergen und es so dem Verkehr zu entziehen. Es ist somit leicht verständlich, daß ein fortwährender Zufluß von Edelmetall in dieses Land nothwendig wird, obwohl es ungeheure Mengen von Edelmetall in Schmuck- und Geldform besitzt. Man ist nur zu leicht geneigt, diese Sitten barbarisch zu finden, und bedenkt nicht, daß die unteren und mittleren Classen eines hochcivilisirten Landes, nämlich Italiens, dieselbe Vorliebe für Schmucksachen und Bergung von Geld an den Tag legen.

Als die italienische Regierung vor nicht langer Zeit eine Anleihe abschloß, um Metallgeld an die Stelle seines entwertheten Papiergeldes zu setzen, wurde von einem Kenner Italiens, dem belgischen Nationalökonomen Emile de Lavéleye, behauptet, daß Italiens dem Verkehr entzogene Geldsummen und seine überflüssigen Schmucksachen zur Deckung der Anleihe vollauf genügen würden. Die Millionen Franken, welche das schöne Land jährlich seinen Gläubigern an Zinsen zu bezahlen hat, müssen daher als eine Ausgabe für die Befriedigung von unproductivem Vergnügen betrachtet werden.

Dem Bedürfnisse der Indier nach Edelmetallen kommt die Natur nicht durch Gewährung von Silberminen, sondern durch die Verleihung anderer Vortheile entgegen. Das Volk ist im Ganzen noch bedürfnißlos; wenigstens ist dort nur eine schwache Nachfrage nach Producten des Auslandes vorhanden. Dagegen begehrt Europa lebhaft seine Producte, z. B. Thee, Reis, Baumwolle. Die europäische Nationen können bei der Bedürfnißlosigkeit der Indier ihre Schulden nicht in Waaren berichtigen; sie müssen sie folglich mit Edelmetallen bezahlen. Aus diesem Grunde verlassen jährlich so viele Silberbarren den Londoner Hafen und verschwinden auf Nimmerwiedersehen in Calcutta, Bombay und Madras. Der stärkste Silberabfluß nach Ostindien wurde zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges verspürt, da der größte Theil alles Baumwollenbedarfs in jenen Jahren von Indien gedeckt werden mußte. Sobald in Indien eine schlechte Ernte eintritt, sobald europäisches Capital dort nutzbringend angelegt wird, verlangsamst sich der Silberabfluß natürlich. Dies war begreiflicherweise im Anfange der siebenziger Jahre der Fall; Indien litt damals unter einer Reihe schlechter Ernten.

Wer uns bisher gefolgt ist, wird leicht verstehen, warum Silber bald reichlich, bald spärlich an den Londoner Silbermarkt strömt. Wenn die Gruben einen großen Ertrag bei geringer Mühe oder geringen Productionskosten liefern, wenn Silber nicht stark begehrt wird, dann ist es in großen Mengen vorhanden und darum billig. Fangen aber die Silbergruben an nachzulassen, wird im Welthaushalt das Bedürfniß nach Silber lebhaft, dann schmelzen die Vorräthe dahin und die Preise des Silbers steigen. Von 1862 bis 1872 schwankte der Preis einer Unze (etwa 31 Gramm) Silber zwischen 62 und 60 Pence[2]. Aber von 1873 bis 1879 ging es auf 59, 58, 57, 54, 52, 50 Pence herab. Am 5. Juli 1876 stand es sogar auf 48¼ Pence. Die Gründe für diese Erscheinung waren einfach. Während in Amerika reiche Silberminen entdeckt wurden, waren die Ernten Indiens schlecht und führte Deutschland die Goldwährung ein. Ueber sieben Millionen Pfund Silber, die vorher in unserem Vaterlande als Münze gedient hatten, mußten nun auf den schon überfüllten Markt geworfen werden. Frankreich, welches uns die Einführung der Goldwährung durch die Zahlung der Kriegsentschädigung möglich gemacht hatte und als ein Land, in dem die Doppelwährung besteht, der größte Abnehmer unserer Silbervorräthe gewesen war, machte, nachdem über 600 Millionen Mark über die Vogesen gewandert, einen weiteren Einfluß unseres Silbers durch die Beschränkung der Silberprägung unmöglich.

Zu derselben Zeit erkannte man, daß man die Mengen der in Deutschland umlaufenden Silbermünzen unterschätzt hatte; die Phantasie der Londoner Händler und Agenten vergrößerte den Rest des unverkauften Silbers in’s Maßlose, und nun drückte die Furcht auf die schon fallenden Preise. So bewirkte ein Zusammenwirken verschiedener Factoren ein Sinken des Silberwerthes, wie er in der Geschichte noch nicht dagewesen ist.

Viel Angebot, wenig Nachfrage: das ist noch immer die Signatur des Londoner Silbermarktes. Wir glauben uns nicht zu täuschen, wenn wir auf Seiten des freundlichen Lesers eine ebenso geringe Nachfrage nach weiteren Nachrichten über den Londoner Silbermarkt vermuthen, und wir erlauben uns daher, von ihm Abstand zu nehmen.
Wilhelm Hasbach.     




  1. Bullion nennt man ungemünztes Gold oder Silber. Früher hieß Bullion die königliche Münze, in welche Gold und Silber, das nicht probehaltig war, eingeliefert wurde.
  2. 1 Penny (Mehrzahl Pence) = 8½ Pfennig.