Der Maler auf der Studienreise
[488] Der Maler auf der Studienreise. (Zu unserer Abbildung S. 485.) In dem zum kühlen Trunke einladenden feinsten Wirthshause eines unserer interessanten Gebirgsstädtchen ist ein seltener Gast abgestiegen – einer jener Zauberkünstler mit Pinsel und Palette, die mit wenigen Farben und Strichen die originellen Volkstypen der Umgebung in täuschender Aehnlichkeit auf dem Papier festzuhalten verstehen. Neugierige Augen ertappten ihn bei dieser Thätigkeit auf seinen Wanderungen durch Wald und Flur; geläufige Zungen trugen rasch diese Kunde von Haus zu Haus, und so hat auch des Wirthes Töchterlein den Herrn Maler durch schöne Worte veranlaßt, sie abzuconterfeien. So ein Maler auf der Studienreise arbeitet schnell; bald stand das Fräulein leibhaftig da auf dem weißen Carton. Draußen im Garten in der schattigen Laube wurden dem Bilde noch ein paar charakteristische Farben und Lichter aufgesetzt, und nun tritt der Künstler mit dem fertigen Werke in das Gastzimmer. Da wird die interessante Lectüre des „Stadt- und Landboten“ sofort unterbrochen und Alle – der Herr Oberförster, der Herr Pfarrer und der Herr Amtmann - blicken, wie gebannt vor Staunen auf das so schnell fertig gezauberte Kunstwerk. – So dachten wir uns die Situation, als wir das heute von uns reproducirte treffliche Bild E. Stammel’s zum ersten Mal erblickten, und die Phantasie des Lesers dürfte bei Betrachtung dieser Scene aus dem lustigen Künstlerleben kaum zu einem andern Resultate gelangen.