Der Morgen einer Sängerin

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Autor: Max Ring
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Titel: Der Morgen einer Sängerin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 732–734
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Morgen einer Sängerin.
Aus den Erinnerungen eines Theaterfreundes.
Von Max Ring.

Wir haben sie noch gekannt, die reizende Sängerin, das Bild der Jugend, den verkörperten Frühling mit Wangen gleich Rosen und Augen, blau wie der lachende Himmel. Aus ihrer Silberkehle stiegen die Töne wie eine jubelnde, schmetternde Lerchenschaar über den jungen Saaten empor und schwangen sich bis in den höchsten Aether hinauf.

Kein Wunder, daß sie der Liebling des sonst so launenhaften Publicums war, daß sie angebetet, vergöttert wurde, noch dazu in einer Zeit, wo die ganze Oeffentlichkeit der Nation sich auf das Theater beschränkte und jedes Interesse sich der Bühne zuwendete. Die höchste Aristokratie, die reichsten Banquiers lagen zu ihren Füßen, die ernstesten gelehrten Schriftsteller und Künstler brachten ihr ihre Huldigungen dar, selbst das Volk jauchzte ihr Beifall zu, wenn sie erschien. Kein Stand, kein Alter entzog sich dem Zauber der lieblichen Erscheinung; leicht entzündbare Jünglinge und besonnene Männer, sogar die strengen Frauen erkannten willig ihre Herrschaft an und vereinten sich zu ihrem Lobe.

Sie stand damals im Zenith ihres Ruhmes, auf dem Höhenpunkte ihrer Triumphe und war so glücklich, wie nur eine junge, schöne, allgeliebte Primadonna sein kann. Aber auch das herrlichste Leben hat seine Schattenseiten und selbst die viel beneidete Sängerin war nicht frei von den kleinen, neckenden Leiden des menschlichen Daseins. So eben war sie aus der Probe einer neuen Oper, die beiläufig mehrere Stunden gedauert hatte, in ihre Wohnung zurückgekehrt. Erschöpft von der übermäßigen Anstrengung hatte sie ihre Toilette gewechselt und die beengende Seidenrobe mit dem bequemen, eleganten Schlafrock von weißem Cachemir vertauscht. Zierliche Pantöffelchen bedeckten den kleinen Fuß und fessellos durften die von den Banden der Frisur befreiten Locken um die schöne Stirn und den weißen Nacken flattern. In bequemer Stellung sank sie auf den schwellenden Divan nieder, um von den Mühen des Tages auszuruhen. Mechanisch griff sie nach einem Buch, weniger um es zu lesen, als um sich zu zerstreuen.

Sie wollte allein sein mit ihren Gedanken, ihren Träumen, sie sehnte sich nach Ruhe, nach einem stillen Augenblick der Sammlung, die ihr in dem Wirbel und Strudel ihres bewegten Daseins heute doppelt Noth that. Sie hatte in der Loge des Directors während der Probe den fremden Freiherrn bemerkt, für den sie sich unwillkürlich interessirte. Instinctmäßig ahnte sie, daß er nicht zu der gewöhnlichen Schaar ihrer zahlreichen Anbeter zählte, daß er sie wirklich liebte, aber eine unübersteigliche Kluft trennte sie von dem einzigen Mann, zu dem sie sich hingezogen fand. Außerdem war sie vor Allem Künstlerin, ihr Leben, ihr Herz hing an der Kunst wie die Pflanze an dem Boden, in dem sie wurzelt, aus dem sie ihre Nahrung zieht. Dennoch umschwebte sie das Bild des Freiherrn, und indem sie an ihn mit geschlossenen Augen dachte, entfiel das Buch ihren schönen Händen.

Um dem Zauber zu entfliehen, nahm sie die Zeitungen und warf einen flüchtigen Blick hinein. Ihr Auge fiel zuerst wie natürlich auf die Theaterkritik, auf ihren eigenen Namen. Obgleich an die Oeffentlichkeit gewöhnt, empfand sie doch jedes Mal einen leisen Schauer, wenn sie ihren Namen gedruckt, ihre Leistungen besprochen sah. Diesmal hatte der ihr wohlbekannte Referent, dessen zudringliche Besuche sie mit Höflichkeit abgelehnt, die Gelegenheit benützt, um sich zu rächen, indem er mit perfider Geschicklichkeit dem Lobe den giftigsten Tadel beimischte und die allerdings von ihr selbst nicht gebilligte Uebertreibuug ihrer schwärmerischen Verehrer auf ihre eigene Rechnung stellte, sie der Lächerlichkeit zugleich mit jenen preisgebend. Empört warf sie das Blatt fort, als hätte sie eine schlimme Natter gestochen. Wäre sie ein Mann gewesen, so hätte sie für die ihr zugefügten persönlichen Beleidigungen Rechenschaft gefordert. Sie war aber nur ein Weib und schutzlos. Thränen füllten ihre schönen Augen, die viel beneidete Sängerin weinte.

Doch sie hatte keine Zeit ihrem Schmerze nachzuhängen, die eintretende Kammerfrau meldete einen vielgenannten Theater-Agenten. Wie gern hätte sie den Zudringlichen zurückgewiesen, aber sie durfte nicht, da der einflußreiche Geschäftsmann und Seelenverkäufer, wie sie wußte, ihr den Abschluß eines höchst vortheilhaften Gastspiels überbrachte, von dem er nicht unbedeutende Procente bezog. Sie war die Stütze einer alten Mutter, einer jüngeren Schwester und trotz ihrer Jugend die Ernährerin ihrer ganzen Familie. Konnte sie ein so glänzendes Anerbieten zurückweisen, sich den gefährlichen, habgierigen Mann zum Feinde machen? Die angebetete Primadonna hatte keinen eigenen Willen, sie mußte den schmuzigen Wucherer empfangen, seine widrigen Schmeicheleien und noch widerlicheren Späße dulden. Das verlangte ihr Stand, ihre ganze Stellung, ihr eignes Interesse, diese Rücksicht war sie sich und ihrer Familie schuldig.

Endlich verabschiedete sich der Theater-Agent, indem er den Contract ihr mit einer Miene überreichte, als hätte er ihr ein Königreich geboten. Sie athmete wieder auf und freute sich, allein sein zu können. Allein im nächsten Augenblick ließ sich Seine Herrlichkeit, der englische Gesandte, bei ihr melden. Vergebens schützte sie den Zustand ihrer Toilette, den Mangel an Zeit vor, der halsstarrige Engländer ließ sich nicht abweisen. „Ich habe Zeit und kann warten,“ sagte der phlegmatische Lord, indem er sich in einen bequemen Lehnstuhl des Empfangzimmers warf. Sich in die unabänderliche Nothwendigkeit fügend, wechselte die Sängerin so schnell wie möglich ihren Anzug und begrüßte Seine Herrlichkeit mit ihrem freundlichsten Lächeln, während sie innerlich ihren lästigen Gast, trotz ihres guten Herzens, dahin wünschte, wo der Pfeffer wächst. Aber der Lord war am Hofe angesehen, gab die glänzendsten Gesellschaften, hatte ihr durch seine Empfehlungen in London die höchsten Kreise der dortigen exclusiven Aristokratie eröffnet, sie stets protegirt und zu großem Dank verpflichtet. Er war zwar überaus langweilig und litt am Spleen, allein dabei höchst gutmüthig und außerordentlich gefällig. Schon aus Dankbarkeit, wenn nicht aus Klugheit, war sie verpflichtet, seine Gesellschaft zu dulden und die Kosten einer Unterhaltung zu tragen, welche sich von seiner Seite auf ein grinsendes Lächeln und einige nichtssagende Worte beschränkten; was ihn jedoch nicht hinderte, zwei volle Stunden zu bleiben, worauf er in Begleitung seines prächtigen Neufundländer Hundes, der unterdeß im Vorzimmer den Teppich und die Stühle beschmuzt hatte, seinen steifen Abschied nahm.

Aber jetzt bin ich für keinen Menschen zu sprechen! Mit diesem Vorsatze kehrte die erschöpfte Sängerin in ihr trauliches Ruhezimmer zurück, um sich von Neuem ungestört ihren Gedanken zu überlassen. Auf der Schwelle wurde sie jedoch durch einen lauten Wortwechsel zwischen ihrer Kammerfrau und einem sehr dicken Herrn zurückgerufen. Dieser hatte sich, wenn auch nur mit der kleineren Hälfte seines unförmlichen Körpers, in die halbgeöffnete Thür geschoben und dieselbe in Belagerungsstand erklärt, während die Kammerfrau vergebliche Anstrengungen machte, diesen neuen Koloß von Rhodus zum Rückzug zu bewegen. Der Anblick war so komisch und wirkte so erheiternd, daß die Sängerin ihren Entschluß, ungestört zu bleiben, aufgab und den dicken Herrn, der kein Anderer als der geistreiche Schriftsteller und Theaterkritiker Karl Schall und einer ihrer wärmsten Verehrer war, zu sich hineinzog, während er, wie ein Betender, flehend die Arme zu seiner Göttin empor hob.

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Im Boudoir der Sängerin.

[734] Keuchend sank der schlesische Falstaff, der sich damals in Berlin aufhielt, um einen ihm zugefallenen Lotteriegewinn zu erheben und in wenigen Wochen todt zu schlagen, auf den ihm zugeschobenen Sessel nieder, welcher jedoch für seine ungeheure Körperfülle sich viel zu schwach erwies, so daß der trotz seiner lächerlichen Erscheinung höchst geistvolle Mann in steter Gefahr schwebte, durchzubrechen. Nachdem er zu Athem gekommen war und sich einigermaßen erholt hatte, zog er aus den riesigen Taschen seines weitläufigen Leibrocks, der hinreichte, um daraus für eine Compagnie Cadetten die nöthige Bekleidung anzufertigen, eine kostbare Bonbonniere hervor, die er mit seinem süßesten Lächeln der Sängerin darreichte. Zugleich forderte er sie auf, den süßen Inhalt zu versuchen, was sie auf seine wiederholten Bitten endlich that. Zu ihrer Ueberraschung war jedes Bonbon in ein aus Rosapapier zierlich geschriebenes Gedicht zu ihrem Preise eingehüllt. Es regnete förmlich Akrosticha und Disticha zu ihrem Lobe, Ottave Rime und Sonette, die ihren Namen in den künstlichsten und bewunderungswürdigsten verschlungensten Formen feierten. In der That mußte sie über diese Verschwendung von Geist, Witz und Feinheit staunen, die hier in Spielereien vergeudet wurden, während die Hälfte davon, zu ernsteren Zwecken verwendet, genügt hätte, dem Dichter eine bedeutende Stellung in der Literatur zu sichern.

Indeß mußte sie ihm dankbar sein und deshalb sprach sie in freundlichen Worten ihm ihre Anerkennung aus, worüber ihr dicker Anbeter in ein solches Entzücken gerieth, daß sie einen ernstlichen Schlaganfall für ihn befürchtete. Bald aber schwand das glückselige Lächeln wieder von den schmunzelnden Lippen und ein Seufzer, würdig eines verliebten Elephanten, entrang sich seiner breiten Brust. Sein Gesicht verdüsterte sich und die im Fett versunkenen Augen wurden feucht. Als ihn aber die Sängerin um den Grund seines Kummers fragte, gestand er ihr, daß er heute nur gekommen sei, um von ihr einen ewigen Abschied zu nehmen, indem er im Begriffe stehe, sich morgen zu duelliren. Auf ihr Drängen bekannte er ihr, daß jene schändliche Kritik des abgewiesenen Recensenten ihn im Café Royal zu einem überaus heftigen Ausbruch gegen ihren Beleidiger veranlaßt habe, in Folge dessen diesem nichts Anderes übrig geblieben sei, als ihn durch den bekannten Philosophen Hegel fordern zu lassen.

Statt die erwartete Anerkennung seines ritterlichen Benehmens ihm zu zollen, beklagte sich jedoch die bestürzte Sängerin über seinen allzugroßen Eifer und den schlechten Dienst, den er ihr, wenn auch in bester Absicht, geleistet, indem er durch sein voreiliges Betragen ihren Ruf auf’s Spiel gesetzt und sie in die unangenehmsten Verwickelungen gebracht habe. Zugleich bat und beschwor sie ihn, sich mit seinem Gegner zu versöhnen, indem sie ihn für den Fall seines Ungehorsams nie wieder zu sehen drohte. Das war genügend, um den armen Schall, der jedoch mehr Muth als sein Ebenbild Falstaff besaß, schnell von seinem blutdürstigen Vorhaben abzubringen. Er versprach, noch an demselben Tage den Secundanten seines Gegners aufzusuchen und diesem die gewünschte Erklärung abzugeben. Natürlich war der kindlich einfache, gutmüthige Hegel mit dieser Lösung der ihm ohnehin fatalen Angelegenheit äußerst zufrieden, während der friedfertige Schall ruhig die Spöttereien seiner Freunde über das vereitelte Duell ertrug und selbst seine Witze über diesen Ausgang machte, wobei er jedoch auf die Bemerkung: „Man werde an seinem Muthe zweifeln,“ erwiderte: „Wer das thut, daß ich es höre, den schlage ich hinter die Ohren,“ eine Drohung, die er mit einer Respect einflößenden Bewegung seiner kolossalen Faust begleitete.

Nachdem der dicke Seladon gegangen, glaubte die schöne Sängerin erliegen zu müssen. In das Gefühl der Erschöpfung mischte sich zugleich die Empfindung ihrer Hülf- und Rathlosigkeit. Sie wußte, daß sie Feinde und Neider besaß, wie jedes große Talent, daß die Kabale und Intrigue geschäftig war, ihr zu schaden und ihren Ruf zu untergraben. Und nun gesellte sich noch dazu die Ungeschicklichkeit, der gutgemeinte, aber übel angebrachte Diensteifer ihrer Freunde. Wohin sie blickte, sah sie sich von Gefahren und Unannehmlichkeiten umgeben, fürchtete sie neue Verdrießlichkeiten und vor Allem die wechselnden Launen des großen Ungeheuers, Publicum genannt, das heute seine Idole vergöttert und morgen in den Staub zieht. Während alle Welt die reizende Primadonna glücklich pries, überließ sie sich den schwärzesten Gedanken für ihre Zukunft und Seufzer auf Seufzer drängte sich aus dem schwer bedrückten Busen.

Aber die schwerste Probe nach der Probe war ihr noch aufgespart. Mit feinem Lächeln überreichte ihr die verschlagene Kammerfrau einen Brief, wie sie deren täglich zu Dutzenden empfing, süß und duftend, bald geistvoll, bald einfältig, bald zuversichtlich, bald demuthsvoll, bald schwärmerisch und romantisch, bald nüchtern und prosaisch. Schon wollte sie ihn wie die übrigen ungelesen in den Kamin werfen, als ihre Augen auf das Wappen fielen, welches das Couvert versiegelte. Mit zitternden Händen erbrach sie es, mit irrenden Augen durchflog sie die Zeilen der bekannten Hand, ihr Herz pochte im wilden Aufruhr, ihre Pulse flogen und tief erschüttert ließ sie sich von Neuem auf den Divan niedersinken.

Sie glaubte zu träumen und doch war Alles wahr und wirklich. Der Freiherr, der Besitzer mehrerer der größten Herrschaften seines Heimathlandes, bot ihr sein Herz und seine Hand, nachdem er mit unendlichen Opfern die ihr unüberwindlich dünkenden Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt, den Stolz seiner hochadligen Familie zur Nachgiebigkeit gezwungen, die Einwilligung seines Königs erlangt. Sie konnte nicht mehr an seiner Liebe zweifeln und doch – zögerte sie sein glänzendes Anerbieten anzunehmen. Ein schwerer Kampf erhob sich in der reinen Seele der Sängerin, der Kampf der Liebe mit der Kunst. Ernsthaft prüfte sie sich, durchforschte sie die Falten ihres Herzens. Vor ihrem Geiste schwebte der Genius der Kunst, der sie bisher geleitet, dem sie Alles zu danken hatte. Mit warnender Stimme zeigte er ihr das herrliche Ziel, das ihr stets vorgeschwebt, eine wahre Priesterin des Schönen und Erhabenen zu sein, die Dienerin des Göttlichen auf Erden. Sie war geweiht dem Höchsten, sie gehörte nicht mehr sich selbst an. Durfte sie dem inneren Berufe untreu werden, treulos ihre Mission aufgeben und den Gott in ihrer Brust verrathen?

Ihr Stolz regte sich und sie sah sich auf der bereits erreichten Höhe, der Gegenstand allgemeiner Bewunderung und Anbetung. Eine Königin von Gottes Gnaden trug sie die Krone des Gesanges auf ihrem strahlenden Haupte, war sie die unumschränkte Herrscherin im Reiche der Kunst, und nun sollte sie ihrem Throne entsagen, herabsteigen von ihrer Höhe, wo sie sich Fürsten gleich gefühlt?

Welches Opfer war das größere, das des geliebten Mannes oder das ihrige?

Sie sollte fortan in die Stille des Privatlebens zurückkehren, den berauschenden Beifall der Menge, die schwärmerische Bewunderung der Jugend, die Anerkennung des Alters entbehren, um einem Manne anzugehören und ihn als ihren Herrn anzuerkennen, sie, die gewöhnt war, über Alle zu herrschen und jede ihrer Launen erfüllt zu sehen! Und dann, mußte sie nicht den hochmüthigen Stolz dieser aristokratischen Familie und Welt, welcher der Freiherr einmal angehörte, befürchten? Erwarteten sie nicht in den neuen Verhältnissen tausend Kränkungen, die Stecknadelstiche einer exclusiven Gesellschaft, in der sie doch stets nur als eine aufgedrungene Fremde betrachtet werden konnte? Jetzt war sie frei und sie liebte die Freiheit, wie jeder Künstler sie liebt, mit ganzer Seele und mit vollem Herzen. Auch der goldene Käfig bleibt ein Gefängniß für den an Freiheit gewöhnten Vogel.

In einer Stunde wollte der Baron selbst kommen und sich die Entscheidung aus ihrem Munde holen. Minute auf Minute verging und noch immer rang sie mit sich selbst, wogten ihre Gedanken gleich dem aufgeregten Meer. Pfeilgeschwind schien der Zeiger der Uhr zu fliehen, sie hätte ihm Halt gebieten mögen und doch – liebte sie den Freiherrn. Er war der erste und der einzige Mann, der ihr reines, unschuldiges Herz zu rühren und zu fesseln gewußt. Sie hatte seine schüchternen Bewerbungen nicht zurückgewiesen, seinen stets ehrerbietigen und doch so zärtlichen Worten mit Entzücken gelauscht. Dort auf dem vergoldeten Tische lag noch der verrätherische Blumenstrauß, den sie aus seinen Händen empfangen und an ihr Herz gedrückt. Sie war zu ehrlich, um mit ihm ein kokettes Spiel zu spielen, und er hatte bewiesen, daß er für sie kein Opfer scheute.

Plötzlich hörte sie das Rollen seines Wagens, sie vernahm seine Schritte, seine Stimme im Vorgemach. Ihr Stolz war dahin, alle ihre Zweifel geschwunden. Mit erröthenden Wangen, voll bräutlicher Scham und Demuth trat sie ihm entgegen. In ihren Augen konnte er sein Glück lesen und sanft zog er die Weinende an seine Brust. Ihre Thränen galten der Kunst, der sie jedoch nicht untreu wurde und die ihr später in schwerem Trübsal und Mißgeschick als Retterin erschien.