Der Preis der Popularität
[432] Der Preis der Popularität. Vor einigen Jahren tritt eines schönen Sommermorgens Theodor Döring, der große Menschendarsteller, an eine der Fruchtbuden unter den Linden in Berlin, um eine Melone zu kaufen. Mit kundigem Auge wählt er die schönste Frucht aus dem Vorrath und fragt nach dem Preise.
„Diese Melone da kostet zwei Thaler,“ giebt die Händlerin, die jung und von angenehmem Aeußern ist, zur Antwort.
„Zwei Thaler? ein wenig sehr theuer!“ spricht der Künstler gedehnten Tones.
„Zwei Thaler für diese Prachtmelone ist durchaus kein zu hoher Preis,“ meint die Händlerin. „Für einen so berühmten Künstler, wie Herr Döring, ist eben das Beste doch nur gerade gut genug,“ setzt sie mit einem verbindlich graciösen Lächeln hinzu.
Die Mienen des Künstlers erhellen sich sichtbar.
„Wie, Sie kennen mich?“
„O, ich bitte, wie sollte ich Herrn Döring nicht kennen?“
„Haben Sie die Güte, mir die Melone einzuschlagen,“ sagt der Schauspieler und legt allsogleich zwei Thaler auf das Zahlbrett.
Die Melone wird in zartes rosa Seidenpapier geschlagen und der Künstler verläßt, die eingewickelte Frucht in der Hand, die Händlerin mit großer Huld grüßend, die Bude.
Es ist nicht Fashion – gilt wenigstens dem Berliner nicht dafür – zwischen den Linden selbst zu gehen. Unser Künstler wendet sich demnach links und setzt auf dem Trottoir auf der Kranzler’schen Seite seinen Weg fort. Da begegnet ihm von ungefähr der Komiker und urkomische Mensch, Rudolph Haase, damals Menschendarsteller am Thaliatempel des großen Deichmann.
„Ah, guten Tag, lieber Haase,“ redet der königliche Hofkomödiant den Collegen aus der Schumannsstraße mit herablassender Freundlichkeit an. „Wohin des Weges? Begleiten Sie mich doch ein Streckchen.“
Und der königliche Kunstbeamte legt mit einem plötzlichen Anflug cordialer Collegialität seinen Arm in den des komischen Gauklers.
„Ich habe mir soeben eine Melone gekauft und dabei eine mir schmeichelhafte Erfahrung gemacht,“ nimmt Döring weiter das Wort und erzählt den Vorfall. „Sehen Sie, lieber Haase,“ fährt er dann fort, „populär muß der Künstler sein, Popularität muß ihm seine Kunst und seine Künstlerschaft erwerben, darin bestehen seine erhabensten Lorbeeren. Alles Lob der Kritik und der einzelnen Kenner wiegt die Popularität nicht auf, kann sie niemals ersetzen. Und ich besitze diese Popularität, und ich bin stolz auf diesen Besitz“
„Hm,“ macht Haase, und sein unendlich gutmüthiges, mädchenhaft rosiges Gesicht nimmt einen unbeschreibbar komisch listigen und schlauen Ausdruck an. „Wat haben Sie für det Ding Melone bezahlt? Zwee Dahler? Is ’n bisken ville Jeld, aber ’t schad’t nischt. Woll’n wir nich ’n Ojenblick mang die Linden jehn?“
„Weshalb?“
„Na, komm’n Sie man, man enen eenzijen Ojenblick.“
„Aber ich begreife nicht, lieber Haase – indeß, wenn Sie es so sehr gern wünschen - -“
Die beiden Künstler überschreiten die Straße und promeniren die Linden hinauf nach dem „alten Fritz“ zu. Kanin haben sie zehn bis zwanzig Schritte gemacht, so hält Haase den Hofschauspieler zurück.
„Was giebt’s?“ fragt dieser.
„Passen Sie auf!“ antwortet Haase und legt seine Hand auf die Schulter eines Exemplars jener Species humani generis, die man Berliner Gamins nennt, welches eben eifrig die Affichen an einer Litfaßsäule studirt.
Der Junge dreht sich mit einem zornigen: „Nanu, wat is ’u det?“ um und starrt den beiden Männern in’s Gesicht.
„Junge, kennst Du mir?“ fragt Haase.
Ohne sich eine Secunde nur zu besinnen, setzt der edle Gamin beide Hände mit ausgespreizten Fingern an seine Nase und schreit: „Ach, Knobbe, Knobbe! Ich soll Knobbe’n nich kennen?“ (,Knobbe’ heißt nämlich jener an habituellen Zahnschmerzen – gegen die er erfolglos zwar, aber trotzdem nicht minder eifrig und unausgesetzt, gebrannte Wässer innerlich anwendet – leidende Schlossergesell in der bekannten Posse ,die Maschinenbauer’, dessen Figur eben Rudolph Haase’s Verkörperung auf der Bühne zu einer Berliner Originaltype geschaffen hat.)
„Da, Junge, hast’n Silberjroschen!“
„Seh’n Sie, Herr College,“ wendet sich jetzt der komische Mensch Rudolph Haase zu dem großen Künstler Theodor Döring, „Sie haben Recht, Popularität is für ’n Künstler die Hauptsache. Wir sind Beide populär – ich bin populär für’n Silberjroschen und Sie sind populär für zwee Dahler! Na, lassen Sie sich die Melone gut schmecken! Adieu!“
Theodor Döring, behauptet die Medisance, soll zu dieser Melone furchtbar
viel Zucker verbraucht, dennoch aber ihr Fleisch bitter gefunden haben.
C. F.