Das angebliche „Finis Poloniae“ des Thaddäus Kosciuszko

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Autor: Karl Blind
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Titel: Das angebliche „Finis Poloniae“ des Thaddäus Kosciuszko
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 431–432
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das angebliche „Finis Poloniae“ des Thaddäus Kosciuszko.

Von Karl Blind.

Um der geistigen Befreiung der Menschheit willen möchte man wohl wünschen, daß einmal alle berühmten sogenannten „historischen Worte“ genau untersucht und ihre Wahrheit und ihr Werth festgestellt würden. Es giebt eine ganze Literatur solcher Schlag-, Kern und Gelegenheitsworte. Daß aber die falsche Münze dabei haufenweis unter die echte eingemischt ist, kann Niemand bezweifeln, der auf dem einen oder anderen Gebiete des Geschichtsstudiums den Quellen nachgeforscht hat.

Schwer ist es, ein Bild von der Ausdehnung des Unfugs zu geben, welchen das Wiederholen sogenannter historischer, im Grunde aber erdichteter Aeußerungen anrichtet. Manches berühmte Wort gilt als „beliebte Geschichtszierde“, das der vermeintliche Urheber, könnte er aus dem Grabe sprechen, mit Entrüstung zurückwiese, als eine ihm angethane tödtliche Beleidigung. Mancher andere angebliche Ausruf, welcher nie aus dem Munde gekommen, den man ihn zuschreibt, dient noch heute dazu, Völker untereinander zu verhetzen und böse Leidenschaften aufzuregen. Erst vor wenigen Monaten brachte die Pariser Bühne den Untergang des Schiffes „Le Vengeur“ (der Rächer), dessen Befehlshaber angeblich unter dem Rufe: „Es lebe die Republik!“ lieber mit seiner ganzen Mannschaft in den Wellen versank, als daß er sich den Engländern ergeben hätte. Die republikanischen Kämpfe Frankreichs in Ehren; sie waren ruhmvoll, einer guten Sache würdig! Darum bleibt es nichts desto weniger wahr, daß der Befehlshaber jenes Schiffes nebst dem größten Theile seiner Mannschaft die durch die Engländer angebotene Rettung annahm, zuerst als Gefangener nach England gebracht wurde und später ruhig in seiner Heimath verstarb, während Hunderttausende von Franzosen zähneknirschend dem „perfiden Albion“ fluchten, das den Tod eines solchen Helden verschuldet! Ich habe einen hochgebildeten Franzosen gekannt, der an den Ufern dieses Landes Schutz vor der in Frankreich herrschenden Willkür fand; er glaubte fest an die Mähr vom „Rächer“, nannte seinen Sohn „Le Vengeur“ und pflanzte ihm eine ganze Saat des Hasses gegen die verruchten Briten ein. Um wie viel milder hätte diesen würdigen Mann etwas mehr Geschichtskenntniß gestimmt, und um wie viel besser wäre es, wenn der Sohn sich nicht mit einer falschen Rolle trüge!

„Die Garde stirbt, doch sie ergiebt sich nicht!“ An diesem heldenhaften Ausruf Cambronne’s hat sich die bonapartisirende Ruhmsucht so lange geweidet und weidet sich noch daran. Victor Hugo hat in seinen „Unglücklichen“ jenes falsche historische Wort auf seine wirkliche Wurzel zurückgeführt. Es besteht aus einer einzigen Silbe, ist nicht druckfähig, auch für die geschichtliche Aufbewahrung gar nicht zu empfehlen, wenngleich Frankreichs großer Dichter in wahrhafte Begeisterung über dasselbe geräth. Zur Vervollständigung des Beweises von der bloßen Sagenhaftigkeit des „La Garde meurt, mais elle ne se rend pas!“ sei indessen hier erwähnt, daß Cambronne auf dem Felde bei Waterloo von einem hannoverschen Officier gefangen genommen und an den Achselschnüren über’s Schlachtfeld geführt wurde. Cambronne lebte noch manche Jahre später. Mit ihm und nach ihm lebte die unausrottbare falsche Sage. Und über solche Dinge gerathen sich Franzosen und Deutsche gelegentlich in die Haare!

„Nichts hat sich verändert; es giebt nur einen Franzosen mehr!“ soll Ludwig der Achtzehnte nach der Wiederherstellung der Bourbonen ausgerufen haben. Mit diesem Worte sollte gesagt werden, daß das wiederhergestellte Königsgeschlecht die neue Zeit begreife und nicht an Reaction im Sinne der ‚Ci-Devants‘ denke. Was ist aber der wahre Sachverhalt? Bei dem feierlichen Umzug, bei welchem der Bourbon dies Schlagwort geäußert haben soll, verhielt er sich stumm wie ein Fisch. Als die Sache zu Ende war und ein Bericht darüber im „Moniteur“ erscheinen sollte, frugen die Hochweisen des engeren Rathes sich untereinander: „Was hat Seine Majestät heute gesagt?“ – Allgemeine Verlegenheit! Nicht einer einzigen Bemerkung konnte man sich von ihm entsinnen! – „Das geht nicht,“ sagte einer der Anwesenden, ein Mann von feinem, witzigem Geist, „er muß etwas gesagt haben!“ – Frankreich ist in der That das Land der bezeichnenden Worte; hat man sie nicht bei der Gelegenheit, so erfindet man sie nachträglich. Also er mußte etwas gesagt haben! „Ich hab’ es,“ rief der Geistvolle endlich aus; er hat gesagt: Rien n’est changé; il n’y a qu’un Francais de plus!“ So geschah es; so kam es in den Staats-Anzeiger. Als der König am folgenden Tage erwachte, fand er, daß man ihm ein historisches Wort in den Mund gelegt hatte. Seit damals spielt dasselbe in der Geschichte und ist doch eine Erfindung. Denn daß sich unter der Restauration „sehr Vieles veränderte“, ist nur allzubekannt. Die Bourbonen hatten wahrhaftig „nichts gelernt und nichts vergessen“ (das ist historisch); und der „eine Franzose“ nebst seinem Nachfolger wußte sich der Nation so widerwärtig zu machen, daß schließlich „1830“ erfolgte.

Das Sprüchwort sagt: „Lügen haben kurze Beine.“ In der Geschichte aber haben sie sehr lange; sie schreiten damit in’s Unendliche fort, und das Untergestell scheint ihnen im Laufe der Zeit eher zu wachsen, als sich zu vermindern. Das beweist unter andern der Ausruf: „Finis Poloniae“, den man Thaddäus Kosciuszko angedichtet hat und der, wie es scheint, aus der Geschichte, aus Zeitschriften und aus Zeitungen gar nicht mehr fortgeschafft werden kann.

Zur Berichtigung eines in der Gartenlaube, unter der Aufschrift: „Der ,alte Feldherr‘ in Solothurn“ enthaltenen Aufsatzes hatte ich in Nr. 10 Ihres geschätzten Blattes mit wenigen Worten mitgetheilt, daß Kosciuszko selbst sich einst mit Unwillen dagegen verwahrte, auf diese Weise das Leben einer Nation von dem Leben eines Einzelnen abhängig gemacht zu haben. Die Berichtigung trug mir vor wenigen Tagen einen Brief der Redaction, unter Beischluß eines anderen aus Mainz, ein, woraus ich ersehe, daß der Zweifel an der Echtheit des Kosciuszko’schen Ausspruches großes Erstaunen erregt. Ich kann mich über dies Erstaunen um so weniger wundern, als mir noch kaum Jemand vorgekommen ist, der das „Finis Poloniae“ nicht in sein geschichtliches Glaubensbekenntniß eingeschlossen hätte. Fand ich doch zwei Geschichtsschreiber – darunter einen berühmten französischen, der sonst nicht leicht nachbetet – die beide fest überzeugt waren, der polnische Führer sei mit jenem Ausruf verwundet vom Pferde gesunken.

Da man mich ersucht, „das Mögliche für die Ausmerzung dieser Geschichtsfälschung zu thun“, so gebe ich hier Kosciuszko’s eigenen Brief in der Uebersetzung aus dem mir vorliegenden französischen Text. Der Brief war an den Grafen Segur, Verfasser der „Decade Historique“, gerichtet und ist aus Kosciuszko’s eigenen Papieren von Georg Zenowicz gezogen. Er lautet wie folgt:

               „Herr Graf!

Anknüpfend an das Ihnen gestern übersandte Schriftstück, welches sich auf die Haltung des Herrn Adam Poninski wahrend des Feldzuges von 1794 bezieht, wünschte ich noch einer anderen Sache zu erwähnen, welche die unglückliche Schlacht von Maciejowice betrifft und die ich ein großes Verlangen trage aufzuhellen.

Die Unwissenheit oder der böse Wille steifen sich darauf (l’ignorance ou la mauvaise foi s’acharnent), mir das Wort ‚Finis Poloniae‘ in den Mund zu legen, das ich an jenem schicksalsvollen Tage ausgesprochen haben soll. Nun denn, vor Allem sei dies bemerkt: ehe noch die Schlacht zu Ende, war ich fast tödtlich verwundet worden und ich kam erst zwei Tage nachher wieder zu Sinnen, wo ich mich in den Händen meiner Feinde fand. Sodann: wenn ein solches Wort widersinnig und verbrecherisch in dem Munde eines jeden Polen (inconséquent et criminel dans la bouche de tout Polonais) ist, so wäre es dies in noch viel höherem Grade in dem meinigen.

Als die polnische Nation mich zur Vertheidigung der Zusammengehörigkeit, der Unabhängigkeit, der Würde, des Ruhmes und der Freiheit des Vaterlandes berief, wußte sie wohl, daß ich nicht der letzte Pole sei und daß mit meinem auf dem Schlachtfeld oder anderwärts erfolgenden Tode Polen nicht enden konnte, nicht enden sollte. Alles, was die Polen seitdem in den ruhmreichen polnischen Legionen gethan haben, Alles, was sie noch in der Zukunft thun werden, um ihr Vaterland wieder zu gewinnen, beweist genügend, daß, wenn wir, die ergebenen Soldaten dieses Vaterlandes, sterblich sind, Polen unsterblich ist; und Niemandem ist es erlaubt, das gröblich beleidigende Wort (l’outrageante épithète) ‚Finis Poloniae‘ zu gebrauchen oder zu wiederholen.

[432] Was würden die Franzosen sagen, wenn bei der unglücklichen Schlacht von Roßbach der Marschall Karl Rohan, Fürst von Soubise, ausgerufen: ‚Finis Galliae!‘ oder wenn man ihm in den Beschreibungen seines Lebens dies grausame Wort in den Mund gelegt hätte!

Ich werde Ihnen daher verbunden sein, wenn Sie in der neuen Ausgabe Ihres Werkes nicht mehr von diesem ‚Finis Poloniae!‘ sprechen wollen, und ich hoffe, daß der Einfluß Ihres Namens allen Denen Schweigen gebieten wird, die in Zukunft dies Wort wiederholen und mir eine schmachvolle Lästerung (un blasphème) zuschreiben wollten, gegen die ich mit meiner ganzen Seele Verwahrung einlege.

Es ist mein Vetter und Zögling, der junge Georg Zenowicz, der die Ehre haben wird, Ihnen diesen Brief einzuhändigen. Obgleich es seine Absicht ist, sich der kriegerischen Laufbahn zu widmen, wird er gleichwohl glücklich sein, sich Ihres wohlwollenden Schutzes würdig machen zu können, wenn die Verhältnisse ihn je in die Lage setzen, desselben zu genießen.

Empfangen Sie, Herr Graf, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.

      Paris, den 10. Brumaire, im Jahre XII. (31. (October 1803). T. Kosciuszko.

Dies der Brief, der allen Zweifel niederschlägt. Ich habe nach dem von der Redacteur der „Gartenlaube“ mir mitgetheilten Schreiben von einem Polen von hervorragender Stellung, auf die an ihn gerichtete Anfrage, die Nachricht erhalten, daß sich die Urschrift des Kosciuszko’schen Briefes in dem Urkundengewölbe der Familie Segur befindet.