Kleine amerikanische Sittenbilder/Nr. 6. Schicksale eines Eheringes
Kleine amerikanische Sittenbilder.[1]
Die Pfandhäuser in den Vereinigten Staaten sind nicht, wie in Europa, autorisirte und von der Polizei überwachte Creditanstalten, sondern Privatgeschäfte wie alle anderen, deren Vorstände jedoch nahezu alle im Geruch des Wuchers und der Diebeshehlerei stehen. Die Locale, in denen diese halb entehrenden Geschäfte betrieben werden, sind entweder zeisiggrün oder himmelblau, scharfgelb oder ziegelroth angestrichen und tragen als Abzeichen drei etwa achtzöllige vergoldete Kugeln über der Eingangsthür. Sie sind gezeichnet wie Kain; ihr bloßer Anblick ist eine genügende Warnung für Jeden, der sich ihnen naht und auf den ein Warnungszeichen noch Eindruck macht.
Seit Jahren führt mich mein Weg alltäglich durch eine Straße, in welcher vier dieser abschreckenden Gaunerbuden nebeneinander belegen sind. Als ich jüngst rasch an der letzten vorübergehen wollte, trat eine junge Dame mit den Worten auf mich zu:
„Ich bitte Sie um einen kleinen Dienst.“
„Und womit kann ich Ihnen gefällig sein?“ fragte ich.
„Sie wissen, daß eine junge Dame nicht wohl allein in ein solches Haus gehen kann. Ich habe keinen Begleiter und bitte Sie daher, mit mir einzutreten.“
„Und was dann?“ fragte ich.
„Sie sehen hier im Schaufenster eine Menge goldener Ringe auf einem schwarzen Sammetpolster. Bitte, gehen Sie mit mir in den Laden, begehren Sie diesen mit A. von L. gravirten Ring und kaufen Sie ihn für mich um jeden Preis. Es schaudert mich, ihn hier unter all dem infamen Gerümpel liegen zu sehen. Er gehört einem Manne, der –“
Sie konnte nicht weiter sprechen, aber sie hielt mir ihr Portemonnaie entgegen, und ohne es ihr abzunehmen, ging ich ihr voraus in den Laden, verlangte den bezeichneten Ring, erhandelte ihn um zwei Dollars wohlfeiler, als der Pfandverleiher ihn möglicher Weise verkaufen zu können behauptete, bezahlte ihn aus dem Portemonnaie, welches die junge Dame in den zitternden Händen hielt, und wollte sie eben wieder auf die Straße geleiten, als sie sich an den Kaufmann wendete und ihn fragte, ob er den Namen des Herrn kenne, der ihm den Ring verkauft habe.
„Des Herrn? Es war gar kein Herr. Ein altes Weib, das mir schon öfter solche Waare gebracht, hat ihn mir verkauft. Doch muß der Ring seiner Größe nach für einen ziemlich starken Mann gemacht worden sein.“
Meine neue Bekannte oder besser Unbekannte stammelte einige Dankesworte und dann trennten wir uns auf Nimmerwiedersehen. Denn hier endet der kurze Roman, den ich zu erzählen hatte, und es steht meinen Leserinnen frei, ihn nach Belieben fortzuspinnen oder ihn rückwärts verfolgend auf seine ersten Anfänge je nach der Stärke ihrer Einbildungskraft zurückzuführen. Ich selbst kenne weder Anfang noch Ende davon. So viel aber weiß ich, daß, wenn ein scharfblickender Fremder durch die Straßen einer großen amerikanischen Stadt geht und in den Schaufenstern unserer Pfandverleiher Hunderte von Braut- und Eheringen mit den verschlungenen Anfangsbuchstaben der Namen der früheren Besitzer und dem Datum der glücklichsten Stunde im Leben so vieler Liebenden liegen sieht, er bei einigem Nachdenken eine gewisse Sittenrichtung besser beurtheilen kann, als aus langem Umgang mit gewöhnlichen Gesellschaftsmenschen, die ja die Sprache so oft benutzen, um ihre Denkungsart, und ihr süßestes Lächeln, um ihres Herzens Bosheit oder Schwächen zu verbergen. Diese Ringe lügen nicht, der Platz, an dem sie ausgestellt sind, verräth den Weg, auf dem sie dahin gelangten. Könnten sie sprechen, sie erzählten von Elend und Verzweiflung, aber mehr noch von schmählichem Leichtsinn, von Treulosigkeit und Heuchelei, von Tücke und frohlockendem Verrath. Ein solcher Ring, zwei, sechs, ein Dutzend möchten in einer volkreichen Stadt auf mit edler Sitte verträgliche Weise ihren Weg zu Pfandleihern gefunden haben, – beim Anblick von langen Reihen solcher Liebespfänder will es selbst dem wohlmeinendsten Sinn nicht gelingen, sich schwerer Anklagen gegen eine Gesellschaft zu enthalten, in der eine solche Barbarei zur alltäglichen Uebung zu gehören scheint.
So ungefähr erzählte und commentirte ich im Freundeskreise den mir jüngst begegneten Vorfall, als ein norddeutscher Gutsbesitzer, der schon seit zwanzig Jahren in St. Clair County, im Staate Illinois, lebte, die Bemerkung machte, daß ihm vor nahe achtzehn Jahren ein junger Mann in den Weg gekommen wäre, dem es schwerer geworden sei, seinen Trauring loszuwerden. Voll allen Seiten gebeten, die Geschichte zu erzählen, ließ sich der alte Pionier also vernehmen:
[430] „Ich hatte mich etwa seit einem Jahre auf dem Gute festgenistet, das ich heute noch bewirthschafte, als sich mir ein etwa dreißigjähriger, wohlgebauter und rechtschaffen dreinsehender Prairiesohn vorstellen ließ mit der Bitte um Kost und Wohnung in meinem Hause für einige Monate, vielleicht auch Jahre, wie er sagte. Der junge Mann sprach etwas Englisch, aber sehr gut Französisch neben seiner Muttersprache, und da ich nach kurzer Unterhaltung entdeckte, daß er in der modernen Literatur sowohl, wie auch in den exacten Wissenschaften wohlbewandert sei, so hielt ich ihn für einen erfreulichen Zuwachs zu meiner Familie. Da wir uns gegenseitig gefielen, wurden wir schnell über unsere Bedingungen einig und niemals hatten wir Ursache, den raschen Handel zu bereuen. Wir hatten einen wackeren Mann, nur von etwas schwermüthigem Wesen, bei uns angenommen, der in mancher Gefährde unseres harten Prairielebens treu zu uns gestanden, von dem Alt und Jung vieles Nützliche lernten und von dessen verständigem, vorsichtlichem Sinn heute noch prachtvolle Alleen von Fruchtbäumen und beim Ausreuten des Waldes stehen gelassene Baumgruppen beredteres Zeugniß ablegen, als ich es in Worten thun könnte.
Unserem neuen Freunde wurde einstweilen ein gegen Westen gelegenes Dachzimmer mit einem Giebelfenster auf einen freien mit Haselbüschen und üppigem Unkraut bewachsenen offenen Platz eingeräumt, und den Tag nach seinem ersten Besuche zog er ein. Er brachte eine Menge von Kisten und Koffern, mehr, als ich mit Frau und Kindern über den Ocean nachgeschleift, und doch war auch ich nicht armer Leute Kind. Es mag wohl am dritten oder vierten Tage nach seiner Ankunft gewesen sein, – wir saßen gerade um den Mittagstisch – als mein damals fünfjähriger Knabe mit einem goldenen Ringe in der Hand herbeigesprungen kam.
Er sagte, er habe ihn draußen an einer Haselhecke hängend gefunden. Unser neuer Freund, – ich sehe ihn noch jetzt vor mir – weiß wie die Wand und am ganzen Körper bebend, streckte die Hand nach dem Ringe aus und sagte: ,Bitte, geben Sie, der Ring gehört mir!’
Es wurde bei Tisch kein Wort mehr über den Vorfall gesprochen, aber sobald wir allein waren, erzählte mir unser Freund unaufgefordert seine traurige Geschichte. Er hatte sich vor etwa drei Jahren in Turin mit einer gefeierten Schönheit verheirathet. Wenige Tage nach der Hochzeit führten ihn dringende Geschäfte nach Nizza, und bei seiner Rückkehr, die schneller erfolgte, als man zu Hause erwartete, fand der Unglückliche sein heißgeliebtes Weib in den Armen eines piemontesischen Kapitäns, den seine Frau, wie er später erfuhr, schon vor ihrer Vermählung wohl gekannt und hinter dem Rücken ihrer Eltern öfters allein empfangen haben sollte. Die Neuvermählten wurden bald darauf von Tisch und Bett geschieden; mein Freund gab sein erst kurz vor seiner Verbindung etablirtes Geschäft wieder auf, zog wieder zu seiner bereits bejahrten Mutter und beschloß bald darauf, wenigstens für einige Jahre in die weite Welt zu gehen, wo dann die Zeit und veränderte Umstände sein krankes Herz vielleicht heilen würden.
Beim Packen seiner Sachen sei ihm eine Weste in die Hände gefallen, in deren eine Tasche er unmittelbar nach der entsetzlichen Entdeckung seinen Trauring gesteckt hatte. Er ließ ihn unberührt und unbetrachtet, hängte aber die Weste in den hintersten Winkel einer dunkeln Kammer, die ihm als Garderobe diente, überzeugt, daß seine sorgsame Mutter nach seiner Entfernung die Weste finden, den Ring entdecken und, die Ursache begreifend, warum er ihn zurückgelassen, für immer nach Schicklichkeit darüber disponiren würde, so daß er ihm selber wenigstens niemals mehr vor Augen käme. Doch es sollte anders sein. Die sorgsame Mutter fand die Weste schon vor der auf den nächsten Tag bestimmten Abreise ihres Sohnes, glaubte, er habe sie in dem dunkeln Winkel nicht gesehen, und packte sie nebst manchen Gedenkzeichen ihrer mütterlichen Sorgfalt in eine von seinen Kisten, und das Erste, was beim Auspacken in unserer Wohnung dem neuen Hausgenossen in die Hände fiel, war die Weste und mit ihr der Ring. Ein tiefer Schmerzensschrei habe sich seiner Brust entrungen und als würfe er das ihn hartnäckig verfolgende Symbol ihrer Treulosigkeit in die tiefe See, habe er den Ring aus seinem Dachfenster hinaus in’s Freie geschleudert.
Bei dieser Stelle seiner Erzählung angelangt, übergab er mir den Ring, einen massiven einfachen Goldreif, auf dessen innerer Fläche sein und seiner Frau Name ineinander verschlungen eingegraben waren.
,Jch beschwöre Sie, befreien Sie mich für immer von dem Ringe. Verkaufen Sie ihn bei Ihrer ersten Reise nach der Stadt an einen Goldarbeiter, der Ihnen jedoch versprechen muß, ihn umzuschmelzen, und schenken Sie den Erlös für den Goldwerth der Bettlerin, die jede Woche um ihr Almosen kommt?
Ich versprach es, vergaß aber leider bei meiner nächsten Reise den Ring mitzunehmen. Bei meiner Heimkehr erinnerte mich ein fragender Blick unseres Hausfreundes an seinen Auftrag, und um alle unangenehmen und weitläufigen Explicationen abzuschneiden, nickte ich mit dem Kopfe, und ein zufriedener Zug auf seinem Gesichte absolvirte mich von der Nothlüge, die ich mir gewiß in der besten Absicht von der Welt zu Schulden kommen ließ. Er war glücklich – so weit er es sein konnte – unter dem Eindruck, daß er endlich dem Ringe nicht mehr begegnen werde. Als nun zwei Tage darauf auch noch die alte Bettlerin mit einem Goldstück überrascht wurde, das, wie ich ihr sagte, bei der Kindtaufe ‚unseres Jüngsten’ für sie bestimmt worden sei, da konnte er nicht mehr bezweifeln, daß dies sogar die letzte Anspielung sein werde, die ihm den Ring jemals wieder in’s Gedächtniß zurückrufen würde.
Aber es sollte anders kommen. Wir bauten damals eine Küche unmittelbar neben das Haus; derselbe kleine lebhafte Junge, der früher den Ring gefunden, steckte die von den Tischlern zusammengekehrten Spähne in Brand, und ehe wir’s uns versahen, brannte die ganze Küche lichterloh, ja es war selbst die größte Gefahr für das Haus. Als dem verlässigsten männlichen Hausgenossen reichte ich unserm piemontesischen Freunde die Schlüssel zur Commode, in der mein Geld und meine Werthpapiere, sowie eine nicht unbedeutende Summe, die er selbst mir zum Aufbewahren gegeben hatte, lagen, und bat ihn, während ich und das Hausgesinde das Feuer löschen würden, den Inhalt der Geldschieblade auf alle Fälle in Sicherheit zu bringen.
Das Feuer war bald gelöscht, die Schublade wieder an ihren Platz gebracht, und ohne eine einzige Bemerkung übergab mir der unglückliche Mann wieder den Schlüssel dazu. Der erste Blick, den er in die Lade gethan, mußte den entsetzlichen Ring getroffen haben. Ein Zettel – ich bewahre ihn bis auf diese Stunde – auf welchem ein zerklopftes Stückchen Gold lag, belehrte mich über den ganzen Vorfall. Er lautete wie folgt:
,Lieber Freund! Das beiliegende Klümpchen Gold gehört Ihnen. Sie haben es mit fünf Dollars sogar viel zu theuer bezahlt. Nur auf die Form und Bedeutung hatte ich leider noch ein Recht, und diese habe ich nunmehr für immer zerstört. Ich hätte dies schon vor Jahren gethan, aber ich fürchtete, daß die Unglückliche, die mir den Ring einst gegeben, jeden Hammerschlag, den ich ihm versetzen würde, mitfühlen möchte. Jetzt ist sie todt, und oben im Himmel oder sonstwo wird sie wohl die Art nicht gewahr, wie ich endlich für immer das Symbol ihrer gebrochenen Treue zu zerstören gezwungen worden war?‘
Wir sprachen niemals wieder über den Vorfall. Kurze Zeit darauf rief den vortrefflichen Menschen die Todeskrankheit seiner Mutter nach Italien zurück. Ich erfuhr seitdem, daß er bald nach seiner Mutter Tode ebenfalls erkrankte und ihr nach drei oder vier Jahren in’s Grab folgte.“
Kein Zweifel, daß es auch hier zu Lande so fein fühlende Menschen giebt, wie diesen Piemontesen. Die Tausende aber, die alljährlich in den Vereinigten Staaten ihre Trau- oder Verlöbnißringe bei Pfandverleihern verkaufen oder versetzen, gehören gewiß nicht in diese Classe.
- ↑ S. Jahrg. 1863, Nr. 5.