Der Selbstmord eines Skorpions

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Textdaten
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Autor: H. W.
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Titel: Der Selbstmord eines Skorpions
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 55–56
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[55] Der Selbstmord eines Skorpions. Zu den unangenehmsten Landplagen des Orients gehört namentlich der Skorpion, ein garstiges Ungeziefer, das sich bereits im Banate und in Siebenbürgen zeigt, in den Herkulesbädern von Mehavia von den Bauern schon als interessante Species den Gästen in kleinen Gläsern verkauft wird, jenseits der Donau aber sich in solcher Menge vorfindet, daß man alle Ursache hat, vor ihm auf der Hut zu sein.

Vor Kurzem las ich in den Blättern von einem Storch, der in Elbing freiwillig seinen Tod in den Fluthen eines Baches gesucht, und in dem man eine neue Gattung von Selbstmördern entdeckt haben wollte; da ich nun ebenfalls im Thierreiche ein ähnliches Beispiel zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, so will ich dasselbe dem Leser hier zum Besten geben.

Mein Selbstmörder gehörte zu den Skorpionen, von denen ich oben gesprochen. Schon in Widdin war ich diesen garstigen Thieren häufig in den Häusern und im Lager begegnet, später in Varna bewahrte mich Nachts, als ich in der offnen Gallerie eines Khan’s campirte, mein Durst vor dem Stich einen solchen Thieres, das ich, in Folge dieses Durstes erwachend, auf meinem Mantel kriechen sah und also noch zur rechten Zeit unschädlich machen konnte. In Konstantinopel endlich, wo der Skorpion zu den Hausthieren gehört, bot mir der Zufall die Hand, um mich an diesem garstigen Thiere zu revanchiren

Wir saßen eines Abends in Pera in der Gaststube einer deutschen Veranda. Mehrere deutsche Artillerie-Offiziere, die bisher vergebens um Anstellung in der türkischen Armee nachgesucht, immer vertröstet worden, und jetzt des Wartens müde, im Begriff waren, nach dem asiatischen Kriegsschauplatze zu gehen und dort ihr Glück zu suchen, ferner ein Franzose und ich, wir bildeten die kleine Gesellschaft, die gemüthlich um den Tisch und sich von den jüngsten Kriegsereignissen erzählte. Plötzlich schlug der Hund des Lieutenants P. an und sprang bellend um einen kleinen Gegenstand, den wir in dem Schatten, welchen der Tisch auf den Steinboden des Zimmers warf, nicht bemerken konnten.

„Es wird wohl ein Skorpion sein!“ rief der Wirth, der seiner Sache gewiß, schon mit der Feuerzange herbeikam und mit derselben gleich darauf einen Skorpion von etwa drei Zoll Länge, einen der größten welche ich bisher gesehen, an’s Licht hielt und auf den Tisch setzte. Herr v. C., ein Baier, der soeben hereintrat, ließ sich von dem Wirth eine kleine Flasche geben, der Skorpion wurde abermals mit der Feuerzange gepackt und sollte in die Flasche gesteckt werden, denn v. C., der in Pera ansässig, war ein großer Liebhaber dieser Thiere, er war bereits einmal von einem Skorpion gestochen worden, hatte vier Wochen an einer dick geschwollenen Seite laboriren müssen, und sammelte seitdem alle Skorpione, deren er habhaft werden konnte.

Eben dieser Stich war die Veranlassung der Liebhaberei des Herrn v. C., er sammelte die Skorpione, um sich vor ihnen zu hüten; jeder Hausbewohner von Pera nämlich hält sich gern eine bis zur Hälfte mit Oel gefüllte große Flasche, in diese werden die Skorpione gesteckt, welche man erhaschen kann, sie werden in diesem Oel ertränkt und müssen in diesem Oel verwesen, denn dieses gilt als einziges und sicherstes Gegengift gegen den Stich der Skorpione.

Während wir von Herrn v. C. wissen wollten, was mit diesem Skorpion anzufangen gedenke, holte uns der Wirth seinen Balsam aus dem Schrank; es war eine gute Quartflasche, in deren Oel bereits acht [56] oder zehn Skorpione den Tod gefunden hatten. Er wollte bereits seine Frau und einen seiner Gäste mit diesem Gegengift geheilt haben.

Herr v. C. reichte dem Wirth sein Fläschchen, der letztere packte das kleine, schwarze, krebsartige Thier mit der Zange; dieses aber leistete eine so verzweifelte Gegenwehr, wie ich sie nie von einem so unbedeutenden Geschöpf gesehen habe. Das Interesse, welches wir an der Vertheidigung des Skorpions fanden, brachte den Wirth auf den Gedanken, uns eine kleine Unterhaltung zu bereiten.

„Meine Herren,“ sagte er, „ich sehe, wir haben es hier mit einem den verzweifeltsten und galligsten dieser Thiere zu thun; geben Sie Acht, ich werde Ihnen jetzt ein kleines Schauspiel veranstalten.“

Er legte den Skorpion wieder auf den Steinboden und während der Hund wieder um ihn her sprang, brachte der Wirth eine Schaufel voll glühender Kohlen, die er im Kreise um den Skorpion herum legte. Wir hockten uns um diesen Zauberkreis und waren neugierig auf Das, was jetzt geschehen sollte. Dies ließ nicht lange auf sich warten.

Dem Skorpion ward es langweilig, sich so anschauen zu lassen, er suchte also sich davon zu machen und rückte auf die Kohlen los. Drei-, viermal machte er einen Angriff auf den glühenden Zirkel, als er sah, daß diese Angriffe nach allen Richtungen vergeblich waren, zog er sich in die Mitte des Kreises zurück und schien zu überlegen; dann begann er von Neuem dasselbe Manöver.

Auch dies fiel natürlich eben so fruchtlos aus, denn wo der Wirth noch eine Oeffnung in dieser Einkreisung gesehen, stopfte er sorgfältig dieselbe mit neuen Kohlen zu. Zweimal hatte der Gefangene umsonst seine Befreiung versucht und dadurch die Ueberzeugung gewonnen, daß keine Rettung möglich. Während dieser Versuche aber schien das Thier in eine entsetzliche Wuth gerathen zu sein; er schlug den Steinboden mit dem Giftstachel an seinem Schwanze und klappte verzweifelt seine Scheeren zusammen. Abermals zog er sich in die Mitte des Kreises zurück und bäumte und wand sich hier.

„Jetzt aufgepaßt!“ rief der Wirth. Und richtig: die Katastrophe kam. Der Skorpion bäumte sich nochmals und zog den Stachel und den Kopf unter sich zusammen; nach wenigen Sekunden sahen wir ihn die Scheeren, den Kopf und den Schwanz von sich strecken und kein Lebenszeichen mehr von sich geben.

„Meine Herren, der Vorhang kann fallen, das Trauerspiel ist aus,“ sagte der Wirth, nahm den Skorpion mit zwei Fingern aus der glühenden Arena und zeigte ihn uns.

„Das ist das dritte Mal, daß ich auf diese Weise einen Skorpion zum Selbstmord gezwungen habe,“ sagte der Wirth lachend zu uns und legte den Selbstmörder auf den Tisch. „So klein diese Bestie auch ist, so kann kaum ein anderes Thier so viel Galle in sich tragen, wie dieses; in seiner Wuth hat er sich seinen Stachel in den Kopf gebohrt, und ist an seinem eigenen Gifte gestorben. Sehen sie nur!“

In der That zeigte uns der Wirth die Stelle, wo sich der Skorpion in eins der Gelenke seiner Schale den giftigen Stachel gebohrt. Ich überzeugte mich, daß das Thier nicht an irgend einer Brandwunde gestorben, und kann also mit gutem Gewissen diesen unerhörten Selbstmord in die Naturgeschichte einregistriren.

H. W.