Der Stechlin/Neununddreißigstes Kapitel
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„Hör, Engelke, am Ende wird es noch mal was. Wie gefallen dir meine Beine? Wenn ich drücke, keine Kute mehr.“ „Gewiß, gnäd’ger Herr, es wird nu wieder, un das macht alles der Thee. Ja, die Buschen versteht es, das hab’ ich immer gesagt. Und gestern abend, als Lorenzen hier war, war auch lütt Agnes hier un hat unten in der Küche gefragt, ‚wie’s denn eigentlich mit dem gnädigen Herrn stünn‘? Und die Mamsell hat ihr gesagt, ‚es stünde gut‘.“ „Na, das is recht, daß die Alte, wie ’n richtiger Doktor, sich um einen kümmert und von allem wissen will. Und daß sie nicht selber kommt, ist noch besser. So ’n bißchen schlecht Gewissen hat sie doch woll. Ich glaube, daß sie viel auf ’m Kerbholz hat, und daß die Karline so is, wie sie is, daran is doch auch bloß die Alte schuld. Und das Kind wird vielleicht auch noch so; sie dreht sich schon wie ’ne Puppe, und dazu das lange blonde Zoddelhaar. Ich muß dabei immer an [457] Bellchen denken, – weißt du noch, als die gnäd’ge Frau noch lebte. Bellchen hatte auch solche Haare. Und war auch der Liebling. Solche sind immer Liebling. Krippenstapel, hör’ ich, soll sie auch in der Schule verwöhnen. Wenn die andern ihn noch anglotzen, dann schießt sie schon los. Es ist ein kluges Ding.“ Engelke bestätigte, was Dubslav sagte, und ging dann nach unten, um dem gnäd’gen Herrn sein zweites Frühstück zu holen: ein weiches Ei und eine Tasse Fleischbrühe. Als er aber aus dem Gartenzimmer auf den großen Hausflur hinaustrat, sah er, daß ein Wagen vorgefahren war, und statt in die Küche zu gehen, ging er doch lieber gleich zu seinem Herrn zurück, um mit verlegenem Gesicht zu melden, daß das gnäd’ge Fräulein da sei. „Wie? Meine Schwester?“ „Ja, das gnäd’ge Frölen.“ „I, da soll doch gleich ’ne alte Wand wackeln,“ sagte Dubslav, der einen ehrlichen Schreck gekriegt hatte, weil er sicher war, daß es jetzt mit Ruh’ und Frieden auf Tage, vielleicht auf Wochen, vorbei sei. Denn Adelheid mit ihren sechsundsiebzig setzte sich nicht gern auf eine Kleinigkeit hin in Bewegung, und wenn sie die beinahe vier Meilen von Kloster Wutz her herüberkam, so war das kein Nachmittagsbesuch, sondern Einquartierung. Er fühlte, daß sich sein ganzer Zustand mit einem Male wieder verschlechterte, und daß eine halbe Atemnot im Nu wieder da war. Er hatte aber nicht lange Zeit, sich damit zu beschäftigen, denn Engelke öffnete bereits die Thür, und Adelheid kam auf ihn zu. „Tag, Dubslav. Ich muß doch mal sehn. Unser Rentmeister Fix ist vorgestern hier in Stechlin gewesen und hat dabei von deinem letzten Unwohlsein gehört. Und daher weiß ich es. Eh’ [458] du persönlich deine Schwester so was wissen läßt oder einen Boten schickst…“ „Da muß ich schon tot sein,“ ergänzte der alte Stechlin und lachte. „Nun, laß es gut sein, Adelheid, mach dir’s bequem und rücke den Stuhl da heran.“ „Den Stuhl da? Aber, Dubslav, was du dir nur denkst! Das ist ja ein Großvaterstuhl oder doch beinah’.“ Und dabei nahm sie statt dessen einen kleinen, leichten Rohrsessel und ließ sich drauf nieder. „Ich komme doch nicht zu dir, um mich hier in einen großen Polsterstuhl mit Backen zu setzen. Ich will meinen lieben Kranken pflegen, aber ich will nicht selber eine Kranke sein. Wenn es so mit mir stünde, wär’ ich zu Hause geblieben. Du rechnest immer, daß ich zehn Jahre älter bin als du. Nun ja, ich bin zehn Jahre älter. Aber was sind die Jahre? Die Wutzer Luft ist gesund, und wenn ich die Grabsteine bei uns lese, unter achtzig ist da beinah’ keine von uns abgegangen. Du wirst erst siebenundsechzig. Aber ich glaube, du hast dein Leben nicht richtig angelegt, ich meine deine Jugend, als du noch in Brandenburg warst. Und von Brandenburg immer ’rüber nach Berlin. Na, das kennt man. Ich habe neulich was Statistisches gelesen.“ „Damen dürfen nie Statistisches lesen,“ sagte Dubslav, „es ist entweder zu langweilig oder zu interessant, – und das ist dann noch schlimmer. Aber nun klingle (verzeih, mir wird das Aufstehn so schwer), daß uns Engelke das Frühstück bringt; du kommst à la fortune du pot und mußt fürlieb nehmen. Mein Trost ist, daß du drei Stunden unterwegs gewesen. Hunger ist der beste Koch.“ Beim Frühstück, das bald danach aufgetragen wurde – die Jahreszeit gestattete, daß auch eine Schale mit Kiebitzeiern aufgesetzt werden konnte – verbesserte sich [459] die Stimmung ein wenig; Dubslav ergab sich in sein Schicksal, und Adelheid wurde weniger herbe. „Wo hast du nur die Kiebitzeier her?“ sagte sie. „Das ist was Neues. Als ich noch hier lebte, hatten wir keine.“ „Ja, die Kiebitze haben sich seit kurzem hier eingefunden, an unserm Stechlin, da, wo die Binsen stehn; aber bloß auf der Globsower Seite. Nach der andern Seite hin wollen sie nicht. Ich habe mir gedacht, es sei vielleicht ein Fingerzeig, daß ich nun auch welche nach Friedrichsruh schicken soll. Aber das geht nicht; dann gelt’ ich am Ende gleich für eingeschworen, und Uncke notiert mich. Wer dreimal Kiebitzeier schickt, kommt ins schwarze Buch. Und das kann ich schon Woldemars wegen nicht.“ „Is auch recht gut so. Was zu viel ist, ist zu viel. Er soll sich ja mit der Lucca zusammen haben photographieren lassen. Und während sie da oben in der Regierung und mitunter auch bei Hofe so was thun, fordern sie Tugend und Sitte. Das geht nicht. Bei sich selber muß man anfangen. Und dann ist er doch auch schließlich bloß ein Mensch, und alle Menschenanbetung ist Götzendienst. Menschenanbetung ist noch schlimmer als das goldene Kalb. Aber ich weiß wohl, Götzendienst kommt jetzt wieder auf, und Hexendienst auch, und du sollst ja auch – so wenigstens hat mir Fix erzählt – nach der Buschen geschickt haben.“ „Ja, es ging mir schlecht.“ „Gerade, wenn’s einem schlecht geht, dann soll man Gott und Jesum Christum erkennen lernen, aber nicht die Buschen. Und sie soll dir Katzenpfötchenthee gebracht haben und soll auch gesagt haben: ‚Wasser treibt das Wasser.‘ Das mußt du doch heraushören, daß das ein unchristlicher Spruch ist. Das ist, was sie ‚besprechen‘ nennen oder auch ‚böten‘. Und wo das [460] alles herstammt, … Dubslav, Dubslav, … Warum bist du nicht bei den grünen Tropfen geblieben und bei Sponholz? Seine Frau war eine Pfarrerstochter aus Kuhdorf.“ „Hat ihr auch nichts geholfen. Und nu sitzt sie mit ihm in Pfäffers, einem Schweizerbadeort, und da schmoren sie gemeinschaftlich in einem Backofen. Er hat es mir selbst erzählt, daß es ein Backofen is.“ Der erste Tag war immerhin ganz leidlich verlaufen. Adelheid erzählte von Fix, von der Schmargendorff und der Schimonski und zuletzt auch von Maurermeister Lebenius in Berlin, der in Wutz eine Ferienkolonie gründen wolle. „Gott, wir kriegen dann so viel armes Volk in unsern Ort und noch dazu lauter Berliner Bälge mit Plieraugen. Aber die grünen Wiesen sollen ja gut dafür sein und unser See soll Jod haben, freilich wenig, aber doch so, daß man’s noch gerade finden kann.“ Adelheid sprach in einem fort, derart, daß Dubslav kaum zu Wort kommen konnte. Gelang es ihm aber, so fuhr sie rasch dazwischen, trotzdem sie beständig versicherte, daß sie gekommen sei, ihn zu pflegen, und nur, wenn er auf Woldemar das Gespräch brachte, hörte sie mit einiger Aufmerksamkeit zu. Freilich, die italienischen Reisemitteilungen als solche waren ihr langweilig, und nur bei Nennung bestimmter Namen, unter denen „Tintoretto“ und „Santa Maria Novella“ obenan standen, erheiterte sie sich sichtlich. Ja, sie kicherte dabei fast so vergnügt wie die Schmargendorff. Ein wirkliches, nicht ganz flüchtiges Interesse (wenn auch freilich kein freundliches) zeigte sie nur, wenn Dubslav von der jungen Frau sprach und hinzusetzte: „Sie hat so was Unberührtes.“ [461] „Nu ja, nu ja. Das liegt aber doch zurück.“ „Wer keusch ist, bleibt keusch.“ „Meinst du das ernsthaft?“ „Natürlich mein’ ich es ernsthaft. Über solche Dinge spaß’ ich überhaupt nicht.“ Und nun lachte Adelheid herzlich und sagte: „Dubslav, was hast du nur wieder für Bücher gelesen? Denn aus dir selbst kannst du doch so was nicht haben. Und von deinem Pastor Lorenzen auch nicht. Der wird ja wohl nächstens ’ne ‚freie Gemeinde‘ gründen.“ So war der erste Tag dahingegangen. Alles in allem, trotz kleiner Ärgerlichkeiten, unterhaltlich genug für den Alten, der, unter seiner Einsamkeit leidend, meist froh war, irgend einen Plauderer zu finden, auch wenn dieser im übrigen nicht gerade der richtige war. Aber das alles dauerte nicht lange. Die Schwester wurde von Tag zu Tag rechthaberischer und herrischer und griff unter der Vorgabe, „daß ihr Bruder anders verpflegt werden müsse“, in alles ein, auch in Dinge, die mit der Verpflegung gar nichts zu thun hatten. Vor allem wollte sie ihm den Katzenpfötchenthee wegdisputieren, und wenn abends die kleine Meißener Kanne kam, gab es jedesmal einen erregten Disput über die Buschen und ihre Hexenkünste. So waren denn noch keine acht Tage um, als es für Dubslav feststand, daß Adelheid wieder fort müsse. Zugleich sann er nach, wie das wohl am besten zu machen sei. Das war aber keine ganz leichte Sache, da die „Kündigung“ notwendig von ihr ausgehen mußte. So wenig er sich aus ihr machte, so war er doch zu sehr Mann der Form und einer feineren Gastlichkeit, als daß er’s zuwege gebracht hätte, seinerseits auf Abreise zu dringen. Es war um die vierte Stunde, das Wetter schön, [462] aber auch frisch. Adelheid hing sich ihren Pelzkragen um, ein altes Familienerbstück, und ging zu Krippenstapel, um sich seine Bienenstöcke zeigen zu lassen. Sie hoffte bei der Gelegenheit auch was über den Pastor zu hören, weil sie davon ausging, daß ein Lehrer immer über den Prediger und der Prediger immer über den Lehrer zu klagen hat. Jedes Landfräulein denkt so. Die Bienen nahm sie so mit in den Kauf. Es begann zu dunkeln, und als die Domina schließlich aus dem Herrenhause fort war, war das eine freie Stunde für Dubslav, der nun nicht länger säumen mochte, seine Mine zu legen. „Engelke,“ sagte er, „du könntest in die Küche gehn und die Marie zur Buschen schicken. Die Marie weiß ja Bescheid da. Und da kann sie denn der alten Hexe sagen, lütt Agnes solle heut abend mit heraufkommen und hier schlafen und immer da sein, wenn ich was brauche.“ Engelke stand verlegen da. „Nu, was hast du? Bist du dagegen?“ „Nein, gnäd’ger Herr, dagegen bin ich wohl eigentlich nich. Aber ich schlafe doch auch nebenan, und dann is es ja, wie wenn ich für gar nichts mehr da wär’ und fast so gut wie schon abgesetzt. Und das Kind kann doch auch nich all das, was nötig is; Agnes is ja doch noch ’ne lütte Krabb’.“ „Ja, das is sie. Und du sollst auch in der andern Stube bleiben und alles thun wie vorher. Aber trotzdem, die Agnes soll kommen. Ich brauche das Kind. Und du wirst auch bald sehn, warum.“ Und so kam denn auch Agnes, aber erst sehr spät, als sich Adelheid schon zurückgezogen hatte, dabei nicht ahnend, welche Ränke mittlerweile gegen sie gesponnen waren. Auf diese Verheimlichung kam es aber gerade an. Dubslav hatte sich nämlich wie Franz Moor – an [463] den er sonst wenig erinnerte – herausgeklügelt, daß Überraschung und Schreck bei seinem Plan mitwirken müßten. Agnes schlief in einer nebenan aufgestellten eisernen Bettstelle. Dubslav, gerade so wie seine Schwester, hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei seinem Erscheinen im Herrenhause gar nicht mehr gesehen; es trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille, dazu Knöpfstiefel und lange rote Strümpfe, – lauter Dinge, die Karline schon zu letzten Weihnachten geschenkt hatte. Gleich damals, am ersten Feiertag, hatte das Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo sie bei dem gnäd’gen Herrn in Krankenpflege gehen sollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da. Die Nacht verging still; niemand war gestört worden. Um sieben erst kam Engelke und sagte: „Nu, lütt Deern, steih upp, is all seben.“ Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas gekraustes langes Blondhaar, putzte sich wie ein Kätzchen, und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfstiefel an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als sie damit fertig war, nahm sie ihr Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf seine Schwester wartete. Denn um acht nahmen sie das erste Frühstück gemeinschaftlich. „So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast du denn schon deinen Kaffee gehabt?“ Agnes knickste. „Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei deiner Arbeit besser sehn kannst; du hast ja schon dein [464] Strickzeug in der Hand. Solch junges Ding wie du muß immer was zu thun haben, sonst kommt sie auf dumme Gedanken. Nicht wahr?“ Agnes knickste wieder, und da sie sah, daß ihr der Alte weiter nichts zu sagen hatte, ging sie bis an das ihr bezeichnete Fenster, dran ein länglicher Eichentisch stand, und fing an zu stricken. Es war ein sehr langer Strumpf, brandrot und, nach seiner Schmalheit zu schließen, für sie selbst bestimmt. Sie war noch nicht lange bei der Arbeit, als Adelheid eintrat und auf ihren im Lehnstuhl sitzenden Bruder zuschritt. Bei der geringen Helle, die herrschte, traf sich’s, daß sie von dem Gast am Fenster nicht recht was wahrnahm. Erst als Engelke mit dem Frühstück kam und die plötzlich geöffnete Thür mehr Licht einfallen ließ, bemerkte sie das Kind und sagte: „Da sitzt ja wer. Wer ist denn das?“ „Das ist Agnes, das Enkelkind von der Buschen.“ Adelheid bewahrte mit Mühe Haltung. Als sie sich wieder zurechtgefunden, sagte sie: „So, Agnes. Das Kind von der Karline?“ Dubslav nickte. „Das ist mir ja ’ne Überraschung. Und wo hast du sie denn, seit ich hier bin, versteckt gehalten? Ich habe sie ja die ganze Woche über noch nicht gesehn.“ „Konntest du auch nicht, Adelheid; sie ist erst seit gestern Abend hier. Mit Engelke ging das nicht mehr, wenigstens nicht auf die Dauer. Er ist ja so alt wie ich. Und immer ’raus in der Nacht und ’rauf und ’runter und mich umdrehn und heben. Das konnt’ ich nich mehr mit ansehn.“ „Und da hast du dir die Agnes kommen lassen? Die soll dich nun ’rumdrehn und heben? Das Kind, das Wurm. Haha. Was du dir doch alles für Geschichten machst.“ [465] „Agnes,“ sagte hier Dubslav, „du könntest mal zu Mamsell Pritzbur in die Küche gehn und ihr sagen, ich möchte heute Mittag ’ne gefüllte Taube haben. Aber nich so mager und auch nich so wenig Füllung, und daß es nich nach alter Semmel schmeckt. Und dann kannst du gleich bei der Mamsell unten bleiben und dir ’ne Geschichte von ihr erzählen lassen, vom ‚Schäfer und der Prinzessin‘ oder vom ‚Fischer un sine Fru‘; Rotkäppchen wirst du wohl schon kennen.“ Agnes stand auf, trat unbefangen an den Tisch, wo Bruder und Schwester saßen, und machte wiederholt ihren Knicks. Dabei hielt sie das Strickzeug und den langen Strumpf in der Hand. „Für wen strickst du denn den?“ fragte die Domina. „Für mich.“ Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterschied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von diesem Unterschied wahr, sah vielmehr ohne Furcht um sich und ging aus dem Zimmer, um unten in der Küche die Bestellung auszurichten. Als sie hinaus war, wiederholte sich Adelheids krampfhaftes Lachen. Dann aber sagte sie: „Dubslav, ich weiß nicht, warum du dir, so lang ich hier bin, gerade diese Hilfskraft angenommen hast. Ich bin deine Schwester und eine Märkische von Adel. Und bin auch die Domina von Kloster Wutz. Und meine Mutter war eine Radegast. Und die Stechline, die drüben in der Gruft unterm Altar stehn, die haben, soviel ich weiß, auf ihren Namen gehalten und sich untereinander die Ehre gegeben, die jeder beanspruchen durfte. Du nimmst hier das Kind der Karline in dein Zimmer und setzt es ans Fenster, fast als ob’s da jeder so recht sehn sollte. Wie kommst du zu dem Kind? Da kann sich Woldemar freuen und seine Frau auch, die so was ‚Unberührtes‘ hat. Und Gräfin Melusine! Na, die wird [466] sich wohl auch freun. Und die darf auch. Aber ich wiederhole meine Frage, wie kommst du zu dem Kind?“ „Ich hab’ es kommen lassen.“ „Haha. Sehr gut; ‚kommen lassen‘. Der Klapperstorch hat es dir wohl von der grünen Wiese gebracht und natürlich auch gleich für die roten Beine gesorgt. Aber ich kenne dich besser. Die Leute hier thun immer so, wie wenn du dem alten Kortschädel sittlich überlegen gewesen wärst. Ich für meine Person kann’s nicht finden und sagte dir gern meine Meinung darüber. Aber ich nehme häßliche Worte nicht gern in den Mund.“ „Adelheid, du regst dich auf. Und ich frage mich, warum? Du bist ein bißchen gegen die Buschen, – nun gut, gegen die Buschen kann man sein; und du bist ein bißchen gegen die Karline, – nun gut, gegen die Karline kann man auch sein. Aber ich sehe dir’s an, das eigentliche, was dich aufregt, das ist nicht die Buschen und ist auch nicht die Karline, das sind bloß die roten Strümpfe. Warum bist du so sehr gegen die roten Strümpfe?“ „Weil sie ein Zeichen sind.“ „Das sagt gar nichts, Adelheid. Ein Zeichen ist alles. Wovon sind sie ein Zeichen? Darauf kommt es an.“ „Sie sind ein Zeichen von Ungehörigkeit und Verkehrtheit. Und ob du nun lachen magst oder nicht, – denn an einem Strohhalm sieht man eben am besten, woher der Wind weht – sie sind ein Zeichen davon, daß alle Vernunft aus der Welt ist und alle gesellschaftliche Scheidung immer mehr aufhört. Und das alles unterstützt du. Du denkst wunder, wie fest du bist; aber du bist nicht fest und kannst es auch nicht sein, denn du steckst in allerlei Schrullen und Eitelkeiten. Und wenn sie dir um den Bart gehn oder dich bei deinen Liebhabereien fassen, dann läßt du das, worauf es ankommt, [467] ohne weiteres im Stich. Es soll jetzt viele solche geben, denen ihr Humor und ihre Rechthaberei viel wichtiger ist als Gläubigkeit und Apostolikum. Denn sie sind sich selber ihr Glaubensbekenntnis. Aber, glaube mir, dahinter steckt der Versucher, und wohin der am Ende führt, das weißt du, – so viel wird dir ja wohl noch geblieben sein.“ „Ich hoffe,“ sagte Dubslav. „Und weil du bist wie du bist, freust du dich, daß diese Zierpuppe (schon ganz wie die Karline) rote Strümpfe trägt und sich neue dazu strickt. Ich aber wiederhole dir, diese roten Strümpfe, die sind ein Zeichen, eine hochgehaltene Fahne.“ „Strümpfe werden nicht hochgehalten.“ „Noch nicht, aber das kann auch noch kommen. Und das ist dann die richtige Revolution, die Revolution in der Sitte, – das, was sie jetzt das ‚Letzte‘ nennen. Und ich begreife dich nicht, daß du davon kein Einsehn hast, du, ein Mann von Familie, von Zugehörigkeit zu Thron und Reich. Oder der sich’s wenigstens einbildet.“ „Nun gut, nun gut.“ „Und da reist du herum, wenn sie den Torgelow oder den Katzenstein wählen wollen, und hältst deine Reden, wiewohl du eigentlich nicht reden kannst…“ „Das is richtig. Aber ich hab’ auch keine gehalten…“ „Und hältst deine Reden für König und Vaterland und für die alten Güter und sprichst gegen die Freiheit. Ich versteh’ dich nicht mit deinem ewigen ‚gegen die Freiheit‘. Laß sie doch mit ihrer ganzen dummen Freiheit machen, was sie wollen. Was heißt Freiheit? Freiheit ist gar nichts; Freiheit ist, wenn sie sich versammeln und Bier trinken und ein Blatt gründen. Du hast bei den Kürassieren gestanden und mußt doch wissen, [468] daß Torgelow und Katzenstein (was keinen Unterschied macht) uns nicht erschüttern werden, uns nicht und unsern Glauben nicht und Stechlin nicht und Wutz nicht. Die Globsower, so lange sie bloß Globsower sind, können gar nichts erschüttern. Aber wenn erst der Buschen ihre Enkelkinder, denn die Karline wird doch wohl schon mehrere haben, ihre Knöpfstiefel und ihre roten Strümpfe tragen, als müßt es nur so sein, ja, Dubslav, dann ist es vorbei. Mit der Freiheit, laß mich das wiederholen, hat es nicht viel auf sich; aber die roten Strümpfe, das ist was. Und dir trau ich ganz und gar nicht, und der Karline natürlich erst recht nicht, wenn es auch vielleicht schon eine Weile her ist.“ „Sagen wir ‚vielleicht‘.“ „O, ich kenne das. Du willst das wegwitzeln, das ist so deine Art. Aber unser Kloster ist nicht so aus der Welt, daß wir nicht auch Bescheid wüßten.“ „Wozu hättet ihr sonst euern Fix?“ „Kein Wort gegen den.“ Und in großer Erregung brach das Gespräch ab. Noch am selben Nachmittag aber verabschiedete sich Adelheid von ihrem Bruder und fuhr nach Wutz zurück. |