Der Tschuktschenhund in dem Hausthiergarten der Universität Halle
[836] Der Tschuktschenhund in dem Hausthiergarten der Universität Halle. (Mit Abbildung S. 829.) Das vielseitige Interesse, welches der von der geographischen Gesellschaft zu Bremen dem obengenannten Hausthiergarten überwiesene Tschuktschenhund erregte, veranlaßt uns, dieses seltene Exemplar unseren Lesern in einem sehr getreu ausgeführten Holzschnitte vorzuführen. Der Tschuktschenhund zu Halle ist weiblichen Geschlechts und wurde im Alter von einem Jahre von den Herren Gebrüder Dr. Krause, welche im Auftrage der Bremer geographischen Gesellschaft zu naturwissenschaftlichen und geographischen Zwecken die Küstengebiete des Beringsmeeres bereisten, auf der Tschuktschenhalbinsel mit noch einem zweiten, männlichen Exemplare erworben und von San Francisco aus mit dem Bremer Schiffe „Anna“, Capitain Kruse, nach Europa gesandt. Der männliche Hund starb während der langen Seereise, bei welcher der Aequator zweimal passirt werden mußte, das weibliche Thier dagegen überwand die Schwierigkeiten der Reise sehr gut. Ueber dasselbe ertheilte uns Herr Professor Dr. Julius Kühn, Director des landwirthschaftlichen Instituts der Universität Halle, bereitwilligst nähere Auskunft.
Darnach ist der am Widerrist und am Kreuz gleichmäßig 48,5 Centimeter hohe Hund schwarz und weiß gefleckt, das Schwarz mit einem leichten Anflug von Braun, der hintere Rand des Sprunggelenks rehbraun.
Die Beschaffenheit der einzelnen Körpertheile ergiebt sich aus der Abbildung; insbesondere ist auf die spitze Schnauze hinzuweisen. Ihrer ganzen Bildung nach gehören die Tschuktschenhunde zur Rassengruppe der „Spitze“ und kommen im Wesentlichen mit dem Eskimohunde überein, sind jedoch etwas kleiner. Sie dienen wie dieser, den Bewohnern ihres Heimathlandes durch ihre vorzügliche Zugkraft und haben für dieselben einen unschätzbaren Werth; sie bilden ihr einziges, aber auch unentbehrliches Hausthier. Es sind dies die mit den Eskimos verwandten sogenannten „seßhaften“ Tschuktschen, die auch als Fischer-Tschuktschen oder Namollos bezeichnet werden und die sich fast allein von Fischen ernähren, auch ihre Hunde ausschließlich mit Fischen füttern. Die Tschuktschenhunde bellen nicht, sondern heulen nur. Bei Kreuzungen scheint jedoch diese Eigenthümlichkeit verloren zu gehen. Der abgebildete Tschuktschenhund warf nämlich am 20. Juli fünf Junge, von denen zwei starben, während drei vortrefflich gedeihen. Schon der Tragezeit nach können diese jungen Thiere nicht wohl reinblütig sein, weil der männliche Tschuktschenhund während der Seereise frühzeitig starb. Bemerkenswerth ist nur, daß das eine männliche Exemplar der Jungen bereits zuweilen ein deutliches Bellen wahrnehmen läßt.
Herr Professor Dr. Kühn macht uns noch darauf aufmerksam, daß der Hausthiergarten des landwirthschaftlichen[WS 1] Instituts zu Halle keineswegs zur Aufgabe hat, zahlreiche Hunderassen zu halten; nur Rassen von besonderem physiologischem oder züchterischem Interesse werden beiläufig mit aufgenommen – die wesentliche Bestimmung dieser Einrichtung beruht vielmehr in der Haltung und Züchtung der landwirthschaftlich wichtigsten Hausthiere, wie dies aus folgenden Ausführungen des Herrn Professor Dr. Julius Kühn hervorgeht:
„Das landwirthschaftliche Institut der Universität Halle besitzt in seinem Hausthiergarten ein eigenartiges, anderen Lehrstätten der Landwirthschaft fehlendes Unterrichtsmittel, dessen Werth für die Behandlung der Thierzuchtlehre nicht hoch genug anzuschlagen ist. Es sind hier auf einem Areale von circa einem Hectare die mannigfaltigsten und wichtigsten Rassen des Rindes, des Schafes, der Ziege etc. in sorgfältig ausgewählten Originalexemplaren vertreten, deren unmittelbare Anschauung und vergleichende Betrachtung weder durch Vorführung von Abbildungen noch durch Demonstrationen an plastischen Nachbildungen vollständig ergänzt werden kann.
Eine solche Vereinigung von Repräsentanten möglichst zahlreicher, selbst der geographisch entfernt verbreiteten und zum Theil auf größeren Viehausstellungen nur selten oder gar nicht zu beobachtenden Rassen kann auch nicht ersetzt werden durch die noch so bedeutenden Viehheerden eines mit einer Lehrstätte verbundenen Gutes. Die Rücksicht auf möglichsten Reinertrag des Betriebes gestattet hier nur die Haltung weniger, der besonderen Oertlichkeit entsprechender Rassen. Was damit für die Zwecke der praktischen Demonstration gewonnen wird, ist in gleicher Weise durch Excursionen nach den einem landwirthschaftlichen Institute benachbarten Gütern zu erreichen. Sicher ist der dadurch erzielte Gewinn für Ausbildung des Urtheils über einzelne Zuchtrichtungen hoch anzuschlagen, aber zur Erweiterung des Blickes für Rassengestaltung, zur Schärfung des Beobachtungstalentes und Aneignung eines umfassenderen, selbstständigeren Urtheils auf dem Gebiete der Thierzüchtung hat ein Hausthiergarten, wie er in Halle zuerst zur Ausführung gelangt ist, eine eigenthümliche, durch nichts Anderes zu ersetzende Bedeutung. Kann hier die einzelne Rasse auch immerhin nur durch wenige Individuen vertreten sein, so ermöglichen dieselben doch das Auffassen und die Unterscheidung des Typischen der Bildung und eine vorurtheilslose Würdigung der mannigfaltigen Rasseformen. Nur die vergleichende Betrachtung vieler Rasseformen vermag das Urtheil über Umfang, Richtung und Nutzbarkeit der Variabilität unserer Hausthierarten recht zu entwickeln und zu befestigen.
Ein solcher Rassengarten dient aber nicht nur in trefflichster Weise den Unterrichtszwecken, sondern wird sich auch für die Fortbildung und wissenschaftliche Fundamentirung der Lehre von den Rassen und von der Vererbung sowie für anderweitige zootechnische Studien in hohem Maße nutzbar zeigen – unser Hausthiergarten ist zugleich die erste Versuchsstätte für systematische thierzüchterische Forschung. An dieser sollen ebenso praktisch bedeutsame, wie streng wissenschaftliche Fragen ihrer Lösung entgegengeführt werden. Eine Reihe wichtiger Untersuchungen, insbesondere über Bastardzucht, ist bereits zu theilweisem Abschluß gebracht worden.“
Wir glaubten unseren Lesern diese gelegentlichen Ausführungen über eine in ihrer Art einzige Institution nicht vorenthalten zu sollen, weil die in dem Hausthiergarten des landwirthschaftlichen Instituts der Universität Halle ausgeführten Untersuchungen zum Theil von allgemeinerer Bedeutung sind; steht doch die Geschichte unserer Hausthierrassen in den intimsten Beziehungen zur Anthropologie und Geschichte der Menschheit, namentlich zur Urgeschichte derselben.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: landwirthschaflichen