Der Ungeratene
[772] Der Ungeratene. (Zu dem Bilde S. 769.) Es ist Winterszeit. Frau Erszebet und ihre Ziehtochter Maria hatten den großen Tisch näher zum Ofen gerückt, um nach eingenommenem Frühstück zur Nadel zu greifen, als sich die Thüre aufthut und ein hochgewachsener, kräftiger junger Mann in die Stube tritt, bei dessen Anblick sich in den Mienen der Frauen Freude und Unmut, Zärtlichkeit und Besorgnis in seltsamer Mischung malen. Es ist Ferencz, der Sohn des Hauses, der „Ungeratene“, wie ihn die Dorfleute nennen, vielleicht nur deshalb, weil er sie alle an Mut und Körperkraft überragt.
Dabei ist aber Ferencz im Grunde seiner Seele ein herzensguter Junge, der keinem Kind ein Leid zufügt und die alte Frau, mit welcher er im beständigen Kriege lebt, ebenso zärtlich liebt wie sie ihn. Beide haben eben heißes Blut in den Adern! So ist es gekommen, daß endlich nur ein einziges Menschenkind auf Seite des „Ungeratenen“ steht, ein Menschenkind allerdings, dessen Lieblichkeit und Herzensgüte ihm reichen Ersatz bietet für die Feindseligkeit der ganzen kleinen Dorfwelt.
Die schwesterliche Neigung, welche Maria von frühester Jugend für den älteren Spielgenossen, Freund und Beschützer empfand, ist mit der jungfräulichen Reife zu innigster Liebe erblüht, und so sehr sie das heftige Wesen des Jünglings bedauert, es kann ihre gute Meinung von ihm um so weniger beirren, als sich der ungeberdige Kraftmensch ihr gegenüber stets lammfromm und geduldig zeigt.
Aber gerade diese Liebe, die auch im Herzen des starken Mannes in hellen Flammen emporschlug, führte die Dinge zu schlimmer Wendung.
Natürlich erregte Marias blühende Schönheit auch anderer junger Leute Wohlgefallen; und eines Tages flog die Kunde durch das Dorf, Ferencz habe einen zudringlichen Freier seiner angebeteten Maria mit solcher Wucht zu Boden geschleudert, daß er „für tot“ vom Platze getragen worden sei.
Nun war geschehen, was man längst vorausgesehen, nun wurde der „Ungeratene“, der Meinung seiner Feinde nach, reif für den Galgen, an den sie ihn so oft, gewünscht. So arg kam es nun zwar nicht. Nachdem sich der Totgeglaubte von seinem Schrecken erholt, zeigte es sich, daß er außer einigen tüchtigen Beulen ganz und heil geblieben war, daher es denn auch, für den gewaltigen Helden. mit einigen Tagen Haft im städtischen Arrest sein Bewenden hatte. Allein auch diese „milde Strafe“ trug nicht zur Sänftigung des „Ungeratenen“ bei, noch weniger aber thut dies jetzt der erzürnten Frau Erszebet Bußpredigt, welche den vor wenigen Stunden in Freiheit Gesetzten daheim empfängt.
Es ist der Augenblick, den die Hand des Künstlers in unserem Bilde festgehalten hat. Keifend und scheltend steht Frau Erszebet vor dem unbußfertigen Sünder, vergebens bemüht, dessen Sinn durch den Gebrauch aller erdenklichen Kraftworte zu erweichen. Ferencz kennt sie längst und denkt, indem er leise vor sich hinpfeift: „Jsten, usce,, rede, was Du willst, kommt mir ein Zweiter ins Gehege, so geht es ihm nicht besser wie dem Ersten.“
Aber Maria, um deretwillen der wilde Pußtasohn gekämpft und gelitten, übernimmt mit dem feinen Takt und dem diplomatischen Geschick des liebenden Weibes die Vermittlerrolle zwischen Mütter und Sohn.
Der Erfolg ist um so weniger zweifelhaft, als die beiden Gegner nichts sehnlicher wünschen, denn versöhnt wieder friedlich miteinander weiter zu leben. Und wenn erst die liebliche Vermittlerin als junge Hausfrau ihre volle Macht über das Gemüt ihres „Ungeratenen“ entwickeln kann, dann wird ja wohl auch der häusliche Friede dauernd werden. F. Sch.