Der Zweifel (Fünfte Sammlung)
Nichts ist gefährlicher, als zweifeln zu wollen, wo alles vest und gewiß ist.
Das erfuhr neulich ein junger Mann von seinem Verstande, von untadelhaften Sitten, ein gewissenhafter, bescheidener Jüngling; nur daß er in Sachen, die er nicht recht begriff, etwas zu sorgfältig seyn mochte. Sein Name war Zweifel.
Zuerst gab er sich in die Schule der Theologen, sah ihre Uneinigkeit, zweifelte, und ward als Ketzer und Heide verbannet.
Er ging zu den Staatsklugen, fing ihre Staatsgeheimnisse nur leise und leicht zu untersuchen an. Er zweifelte, und ward als Rebell Landes verwiesen.
Von da kam er zu den Gelehrten. Er hörte ihre genaue Kenntniß, die sie von Himmel und Erde, von der menschlichen Seele und ihren Organen hatten, zweifelte; und man warf ihm seine Dummheit vor, man stach mit Federmessern auf ihn, und warf ihn aus dem gelehrten Kreise.
Endlich gieng er zum Volk. Kaum aber, daß er sich merken ließ, er wünsche ihre Sitten sanfter, ihre Sinne weniger roh; so hieß er ein Schwärmer und ward gar aus der menschlichen Gesellschaft verstoßen. „Im Kerker, sprach man, geniesse er seiner Weisheit; nur wolle er unsre Ruhe nicht stören!“
Von aller Welt verlassen, war es umsonst, daß er sich auf Gewissen, Vernunft, Rechtschaffenheit berief; er wolle keine Ordnung, keine Ruhe stören. – Er flehete Tauben; alle Stände der Menschen waren gegen ihn hart und ungerecht; nur Eine Zuflucht blieb ihm übrig, zu Gott, der das Innre kennet.
Der gerechte Richter hörte den Armen und sandte ihm seinen Boten, den Tod. Der befreiete ihn aus dem Kerker, und foderte ihn vor des Ewigen Richtstuhl. Da wird Klage und Antwort gehört, da wird was recht und billig ist, gesprochen werden!