Der himmlische Garten

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Der himmlische Garten
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aus: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung) S. 315-318
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Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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 Der himmlische Garten.

     Maximina, die an ihres Vaters
Herzen hing, (denn nach der Mutter Tode
Hatt’ er sie, sein einzig Kind, erzogen
Und der Mutter Bild in ihr geliebet;)

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Maximina hing auch nach des Vaters

Tod’ an seinem Herzen, und verlassen.
Wie ein Lamm in öder wilder Wüste
Sehnte sie sich oft zu ihm hinüber:
„Ach, daß ich ihn Einmal schauen könnte

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Droben dort in seinem Paradiese!“


     Und ein süßer Schlaf umfing sie freundlich,
Und sie sah im holden Traumgesichte
Einen Garten voll der schönsten Blumen,
Die auf Erden sie noch nie gesehen.

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Goldne Früchte glänzten auf den Bäumen,

Deren Zweige klingend sich bewegten.

     Freundlich kam der Vater ihr entgegen:
„Sieh, o Kind, wie angenehm ich wohne!“
Nahm sie bei der Hand und zeigt’ ihr tausend

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Schöne Blumen. –


               „Laß mich, sprach sie träumend,
Diese junge Rosenknospe brechen –“

     „Brich sie, wenn du kannst!“ – Die Knospe wich ihr.

     „Sieh, o Tochter, eben das war Deine

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Lebensblum’. Unausgeblühet kannst du,

Darfst du sie nicht brechen; unter Dornen
Blühet sie, doch voll und schön und einsam.“

     „O so zeige mir dann, guter Vater,
Dein’ und meiner Mutter Lebensblume!“


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     „Siehe hier auf Einem Stengel beide.

Eine längst, die andre kaum verblühet.“

     Wundernd sah sie jetzt die vielen Blumen,
Rosen, Lilien und Hyacinthen,
Knospend, blühend und verwelkend.

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 „Tochter,

Sprach die himmlische Gestalt, und wurde
Leuchtender. Du siehest hier den weiten
Lebensgarten auserwählter Menschen.
Engel wachen über Bäum’ und Früchte:

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Deiner Knospe Hüter sind Wir beide,

Ich und deine Mutter.“ –

 „Ach, wo ist sie?“

     Glänzend ging die schönste der Gestalten
Ihr vorüber, und das Kind erwachte.

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Paradies und Vater war verschwunden.

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     Aber immer blieb ihr tief im Herzen
Dieser Traum; auch sehnlich-wünschend wollte
Sie die Lebensknospe eh nicht brechen,
Eh es ihres unsichtbaren Wächters

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Linde leise Vaterhand geböte.