Der letzte Piratenzug der Korsaren von Tunis
Das Meer lag in tiefem Blau vor uns, Siciliens schöngeformte, schroffe Berge, unter der Sommersonne sengenden Strahlen rothbraun gefärbt, grüßten zum Abschied herüber und die Luft war dabei heiß und feucht, wie in einem Treibhause. Wieder einmal hatte ich das Mittelmeer zu durchschiffen, um von kurzem Sommerausfluge nach der „Rose des Westens“, nach Tunis, zurückzukehren. Die Gesellschaft an Bord des stattlichen Dampfschiffes bestand aus den verschiedenartigsten Elementen. Auch Deutsche fehlten nicht darunter.
Zwischen dem Diner, welches auf Deck unter dem gegen Abendsonne und Schornsteinrauch schützenden Zeltdache eingenommen wurde, und dem Thee entwickelte sich nach erfolgter Erlaubniß des Capitains ein munteres Treiben auf Deck: auf einer „Kunstreise“ begriffene ambulante Musikanten ließen ihre Tanzmelodien erklingen, und wacker drehten sich im Tacte das gerade unbeschäftigte Schiffsvolk und Passagiere der dritte Classe, meist arme italienische Arbeiter, welche auf Afrikas Küste lohnenden Verdienst zu finden hofften. Nur einige beturbante und malerisch gekleidete tunesische Juden saßen abseits und ließen sich durch Nichts in ihren eifrigen Rechnungen über Gewinn und Verlust stören.
Noch zu später Stunde hatte Niemand Lust, die Schlafstätte aufzusuchen, und als erst der Vollmond die Fluthen mit seinem Silberglanze übergoß, rückte die Gesellschaft näher zusammen, und in allgemeinem Gespräche verlieh Mancher seinen Gefühlen mehr oder weniger glücklichen Ausdruck.
Schließlich rief eine romantisch angehauchte Seele Erinnerungen an die Vergangenheit wach und gedachte der gefürchteten Korsaren, welche einst in diesen Gewässern ihr Wesen trieben; damals drohten zur See Gefahren, von welchen wir uns heute nicht träumen lassen, da wir uns auf dem Salondampfer wie zu Hause fühlen und noch raisonniren, wenn er etwa um eine Stunde verspätet am Bestimmungsorte eintrifft. Jenes Thema erregte lebhaftes Interesse, und ich konnte nicht umhin, die Romantiker damit zu trösten, daß ein, wenn auch bescheideneres, doch ebenso gefährliches Abenteuer, wie ein Ueberfall durch Seeräuber, durchaus nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit liege. Zur Bekräftigung dessen erzählte ich einen der vielen Fälle, die sich an der nur ganz unzureichend mit Leuchtthürmen und Seezeichen versehenen Nordküste Tunesiens in den letzten Jahren zugetragen. Das französische Dampfschiff „Auvergne“ scheiterte in der Nähe der kleine Insel Tabarca; fast sämmtliche an Bord befindliche Personen konnten sich retten, doch nur, um den rohen Gebirgsbewohnern jener unwirthlichen Felsküste in die Hände zu fallen. Die niemals gebändigten Kabylen stiegen alsbald von ihren Bergen herab, plünderten das Wrack der „Auvergne“ rein aus und nahmen den bedauernswerthen Gestrandeten ihre Kleider und die wenigen geretteten Habseligkeiten. Sie behandelten ihre Gefangenen unmenschlich und unterwarfen Weiber, Männer und Kinder den schimpflichsten und wahrhaft barbarischen Mißhandlungen. Ein Bootsmann rettete sich durch Flucht und trug die Nachricht von dem Geschehenen nach Tunis. Eilig begaben sich ein zufällig anwesendes amerikanisches Kriegsschiff und eine französische Corvette an die Stätte des Unglücks, während der 1882 verstorbene Bey Mohammed Essadok Pascha, der Gerechte, 350 Mann seiner Truppen in die Berge zur Befreiung der Gefangenen sandte; er mußte für den Schaden aufkommen, und hielt sich später an den räuberischen Tribus schadlos, deren Chefs von seinen Soldaten mehr durch List, als Gewalt zu Gefangenen gemacht und bis nach erfolgter Befreiung der Schiffbrüchigen und geleistetem Schadenersatz als Geiseln zurückbehalten worden waren.
Durch diese streng der Wahrheit entsprechende Erzählung war erst recht in unserem Kreise Stimmung gemacht für abenteuerliche und gruselige Seeräubergeschichten. Manche Anwesende wußten kaum, daß noch in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts die maurischen Piraten in diesen Gewässern frech ihr schändliches Gewerbe trieben, und waren erfreut, daß ich ihrem Wunsche, mehr darüber zu erzählen, nachkommen konnte, da ich erst kürzlich die leider nur spärlichen darauf bezügliche Nachrichten gesammelt hatte. Ich berichtete also über den letzten Korsarenzug der Tunesen gegen
[429] [430] europäisches Land in größerem Stile, und was ich dort in lauer Sommernacht auf den Fluthen des Mittelmeeres und sozusagen am Orte der Handlung und in der richtigen Stimmung erzählte, dürfte vielleicht auch die fernen Leser der „Gartenlaube“ bei grellem Tageslichte oder der traulichen Lampe ein wenig unterhalten. Das Tieftraurige und Beschämende in meiner Erzählung wird gemildert durch den Gedanken: jene Zeiten sind vorüber und werden niemals wiederkehren.
Im Jahre 1814 ging die Regierung des alten Hamuda Pascha zu Ende, welcher nach der fatalen Tasse Kaffee plötzlich starb, nachdem er lange regiert und mit wechselndem Glücke gegen den übermüthigen Nachbar, den Dey von Algier, zu Wasser und zu Lande Krieg geführt hatte. Bei seinem Barte hatte er einst geschworen, Jenem nicht mehr Tribut zu zahlen und willfährig zu sein, sondern sich von der erniedrigenden Abhängigkeit zu befreien, was ihm auch in der That gelungen war. Den Bruder Hamuda’s, Sidi Otman, den rechtmäßigen Thronerben, dessen sämmtliche Verwandte und andere Rivalen ließ der Husseinide Sidi Mahmud durch Dolch und Gift beseitigen und regierte alsdann das Land, wie ein italienischer Chronist sagt: „ohne Anstand und ohne Nebenbuhler“ nach seiner Weise. Diese war nicht gerade die sanfteste; bald hatten auch wieder die europäische Seefahrer mehr als früher von den tunesischen Piraten zu leiden, welche auf Beute und Menschenraub ausgingen. Sidi Mahmud begünstigte dieses vortheilhafte Gewerbe nach Kräften und strich schmunzelnd seine Procente vom Raube ein. Auch hatte er seiner Meinung nach noch Revanche zu nehmen für die vor nicht langer Zeit seinem Staate durch die „Christenhunde“ zugefügte Schmach: hatten doch die Venetianer eine der bedeutendsten Städte Tunesiens, das reichbevölkerte Ssaks, welches freilich ein wahres Seeräubernest gewesen war, gründlich zusammengeschossen. Der Bey träumte gern von früheren Tagen, als zum Beispiel zu Haireddin’s Zeit allein in der Kasbah (Burg) der Stadt Tunis 20,000 Christensclaven eingeschlossen waren und auf dem alten Sclavenmarkte das Gewerbe des Menschenhandels blühte.[1]
Nun, Mahmud Bey that, wie gesagt, Alles, um den Seeraub, das althergebrachte Privileg der Barbaresken, wieder in Schwung zu bringen. Da lag z. B. auf der Rhede von La Goletta[2] eine ganz stattliche Flotte von Kriegsschiffen, darunter eine Gabarre von vierzig Kanonen, zwei Schebecken jede von sechsunddreißig Kanonen, zwei solche von sechszehn Kanonen, acht oder zehn andere Schiffe und etliche Kanonenboote. Noch vom algerischen Kriege her waren die Schiffe ziemlich gut ausgerüstet und seetüchtig. Im Kriege freilich hatten sie keine sehr glänzende Rolle gespielt, sondern sich vor der feindlichen Flotte unter die schützenden Kanonen der Forts zurückgezogen, ohne sich den auf offener See wartenden Algeriern zum Kampfe zu stellen. Die Braven hatten dort eben eine andere Aufgabe gewittert, als das zur lieben Gewohnheit gewordene Ueberfallen und Ausplündern wehrloser Kauffahrer; den Schwachen gegenüber hatte immer „auch der Mameluck Muth gezeigt“. Der biedere Landesvater hörte nun eines Tages von einem gelehrten Mollah den nationalökonomischen Grundsatz aussprechen, es sei verwerflich, die Hülfskräfte eines Landes nicht zu dessen Nutzen und Wohlfahrt zu verwenden. Darüber dachte er bei der Pfeife nach und, o Wunder, statt nach genommenem Kaffee zu den Freuden des Harems zu eilen, befahl er dem Sclaven, den dienstthuenden Adjutanten herbeizurufen, während der „Pfeifenbewahrer“ neue Tschibuks mit köstlichem Latakiatabak stopfte. Der Sclave holte den Adjutanten, der Adjutant den ersten Minister. Diesem, welcher erst vor Kurzem an die Stelle des unbequem gewordenen und deshalb „beseitigten“ Mariano Stinca gesetzt worden war, theilte der Bey seine Idee mit und weidete sich nicht wenig an der pflichtgemäßen grenzenlosen Bewunderung, womit sein Getreuer die Weisheit des Herrn anhörte. Plante dieser doch nichts Anderes, als einen munteren Korsarenzug aus dem „ff“, wobei die Kriegsschiffe von La Goletta die herrlichste Verwendung finden konnten. Es war dabei auf Landung, womöglich Ueberrumpelung einer ganzen Stadt und Gewinn unermeßlicher Beute abgesehen. Nach längerem Ueberlegen, wer unter den höheren Officieren und Capitainen seiner Mordgesellen am geeignetsten zur Leitung des Unternehmens sei, fiel die Wahl auf den berüchtigten Mustapha Raïs. Dann ging es schnell vorwärts mit den noch erforderlichen Rüstungen, und noch im September 1815 konnte das Geschwader, bestehend aus acht Fahrzeugen, in See stechen, um seinem unheimlichen Zweck nachzugehen.
Einen bestimmten Plan hatte der Admiral nicht entworfen, auch waren ihm in dieser Beziehung weiter keine Befehle ertheilt worden. Nach echter Seeräubermanier gedachte er, auf gut Glück zu operiren und jede günstige Gelegenheit beim Schopfe zu erfassen. Freilich bot sich letztere nicht mehr so leicht, wie früher. Durch die vorhergegangenen langjährigen europäischen Kriegswirren hatten Handel und Schifffahrt auch auf dem Mittelmeere arg gelitten und wenige Kauffahrer durchkreuzten das Meer, obenein in größerer Gesellschaft und unter englischer, von den Piraten respectirter Flagge segelnd. Englische Kriegsschiffe lagen bei Minorca und Malta, vorläufig noch in Ruhe; und was den Hauptzweck des gegenwärtigen Unternehmens anlangte, so war dieser, eine Landung an europäischer Küste, erst recht erschwert. Die Küstenbewohner waren auf ihrer Hut; schon längst hatte man an besonders bedrohten Stellen feste Wacht- und Schutzthürme errichtet, welche noch jetzt großentheils erhalten sind und sich an der italienischen Küste bis an den Meerbusen von Genua hinauf vorfinden. Nach erlangter Gewißheit vom Herumschwärmen der Korsaren und bei zu befürchtendem Angriff derselben wurde die Wachsamkeit verdoppelt, und durch Signale mittelst Kanonenschüssen und Leuchtfeuern warnte man sich gegenseitig vor dem Herannahen des schrecklichen Feindes.
Mustapha Raïs war entschieden vom Glücke nicht begünstigt. Er kreuzte an der italienischen Küste hin und her, machte auch mehrere Landungsversuche, doch fruchtlos, und einige gelegentlich in seine Hände gefallene gute Prisen, Barken von geringem Gehalt, konnten nicht für den erhofften Hauptschlag entschädigen. Der Admiral befand sich in Folge dessen in schlechtester Stimmung; die Befehlshaber seiner Schiffe konnten ihm nicht helfen, machten ihm im Gegentheil heimlich Vorwürfe, und die Besatzung grollte und murrte bedenklich, als bereits mehrere Wochen verstrichen waren und ihrer Raublust noch immer nicht Genüge geschehen. Sie verlangten heimwärts. Das war für den Admiral ein Gedanke, den er weit von sich wies. Mit leeren Händen zurückkehren, hieß das Schicksal herausfordern; er wußte wohl, was ihm in diesem Falle von Seiten des grimmen Mahmud Bey blühte, weil er allein oder doch hauptsächlich für das Mißlingen des so hoffnungsvoll begonnenen Unternehmens verantwortlich gemacht werden würde. – So saß er grübelnd eines Abends allein in seiner geräumigen und mit kostbaren Teppichen prachtvoll ausgeschmückten Kajüte an Bord des „El Essed“, seines Admiralschiffes; eine Pfeife um die andere, ein Glas Grog nach dem anderen wurde geleert. Mustapha war kein scrupulöser Muselmann, ließ sich vielmehr Wein und geistige Getränke trotz Allah und dem Propheten trefflich munden und wußte sie, wie eben jetzt, als Sorgenbrecher zu schätzen. – Das Geschwader befand sich auf der Höhe von Terracina und kam, südlichen Curs haltend, bei schwachem Winde kaum merklich vorwärts. Da ließ sich zu später Stunde der Capitain der zweitgrößten Schebecke, Sidi Abdallah, beim Admiral melden und wurde alsbald ziemlich griesgrämig von demselben empfangen. Nach den hergebrachten Begrüßungen ließ sich Abdallah nieder und sprach folgendermaßen:
„Was Dich betrübt o Mustapha, ist Keinem von uns ein Geheimniß: lastet doch auf Allen schwer die Unthätigkeit und Erfolglosigkeit. Du grübelst nun darüber nach, ob Du uns nach Westen an die spanischen Küsten, oder östlich in’s Adriatische Meer führen sollst. Wenn Du aber eine guten Rath hören willst, so kann ich ihn Dir vielleicht geben und Deiner Thatkraft eine ersprießliche Bahn zeigen.“ [431] „Sprich, Abdallah,“ entgegnete Mustapha, „und gesegnet seien Deine Worte, falls sie meine tief gesunkene Hoffnung wieder beleben.“
Und nun erzählte Abdallah von den reichen und blühenden Eilanden, welche nahe der Südwestküste Sardiniens gelegen sind und mit ihren kleinen Schiffen nach dem Festlande, Sardinien und den balearischen Inseln eifrig Handel treiben. Wenig Getreide, doch Wein und Früchte von vorzüglicher Güte und in großer Menge werden daselbst gebaut, die Berge sind wildreich, das Meer wimmelt von Fischen und der Thunfischfang vor Allem ist eine ergiebige Quelle der Wohlhabenheit. - Vor vierzig Jahren hatten tunesische Korsaren eine jener Inseln, San Pietro, gänzlich ausgeplündert, vor sieben Jahren Algerier fast die ganze Bevölkerung derselben in die Sclaverei geführt. Einzelnen kecken Seeräubern waren noch kürzlich Handstreiche gelungen: so war z. B. letzthin der toscanische Premierminister Seratti in jenen Gewässern von einem tunesischen Korsaren gefangen und zum Sclaven gemacht worden, gerade der Mann, welcher als Gouverneur von Livorno beim Großherzog die Freilassung der daselbst im Bagno unter hartem Joche seufzenden tunesischen Gefangenen durchgesetzt hatte. Die Bevölkerung jener Inseln ist sanften Charakters, eingeschüchtert durch die früher erlittenen Gewalttaten der Piraten, und militärische Besatzung kaum vorhanden. Also könne ein dorthin gerichteter Ueberfall kaum fehlschlagen und würde sicher reiche Frucht tragen.
Mustapha Raïs war der lebhaften Schilderung des Capitains mit Interesse gefolgt. Die Idee leuchtete ihm ein und war jedenfalls besser, als langwierige Fahrten weiter in’s Ungewisse zu unternehmen. Er dankte Sidi Abdallah, als dieser sich verabschiedete, und versprach, den Vorschlag zu überlegen. In der That war er am nächsten Morgen zum Entschluß gekommen. Der Curs wurde nach Südwesten auf das sardische Cap Spartivento gerichtet.
Dem Seefahrer bietet sich ein entzückendes Bild, sobald er von Osten kommend jenes Cap umschifft hat und dann nordwärts steuert: eine vor Winden geschützte weite Bucht, die Bai von Palmas, liegt vor ihm, zur Rechten und geradeaus von den einsamen und wilden, doch an kostbaren Erzen reichen Waldgebirgen Sardiniens, zur Linken von den schöngeformten Bergen der Insel Sant’ Antioco umkränzt. Ewiger Frühling herrscht auf dieser glücklichen Insel, und wo das Land urbar gemacht und angebaut ist, trägt es hundertfältige Frucht; auch wird sie nicht von den gefürchteten Fiebern heimgesucht, welche Sardinien gefährlich machen, da die Seeluft dieselben vertreibt. Die Bewohner sind ein arbeitsames Völkchen und ihr Hauptort, ebenfalls St. Antioco genannt und im Hintergrund der Bai gelegen, ist seit langem ein wohlhabendes und blühendes Städtchen. Ueber demselben thront seitwärts nach der Seeseite zu auf stolzer Höhe eine alte Burg aus früheren Jahrhunderten, bisher mehr als ein Schmuck der pittoresken Gegend, als für ernstliche Vertheidigungszwecke geschätzt, doch immerhin in leidlichem Zustande erhalten, schon weil sie einer freilich recht unbedeutenden Besatzung von ein paar Dutzend Soldaten als Behausung dient. Zur Zeit unserer Erzählung befahl dort oben ein jugendlicher Commandant, der wackere Don Luigi Altamare, welcher erst kürzlich diesen Posten übernommen und für sich und seine Schwester, die fünfzehnjährige schöne Donna Maria, ein paar Thurmzimmer wohnlich und behaglich eingerichtet, auch die Vertheidigungswerke mit Hülfe der achtundzwanzig Mann, welche unter seinen Befehlen standen, einigermaßen in Stand gesetzt hatte.
An einem herrlichen Frühmorgen, wie er unter jenem Himmelsstriche dem Herbste eigen ist, war die Ruhe und Glückseligkeit, welche sonst über der Bai von Palmas und ihren Gestaden lagerte, in Schrecken und Angst verwandelt worden. Es war zwei Tage nach dem Abend, an welchem Abdallah die Aufmerksamkeit des tunesischen Piratenadmirals auf diese Gegenden gelenkt hatte. Nachts und in der Morgendämmerung hatten Warnfeuer und unaufhörliche Kanonenschüsse, erst aus der Ferne, dann immer näher, endlich von der im sardischen Küstenlande gelegenen Stadt Palmas herüber, die Bewohner von St. Antioco von der herannahenden entsetzlichen Gefahr in Kenntniß gesetzt. Die Kirchenglocken gaben das Alarmsignal. Die Städter wurden aus friedlicher Nachtruhe aufgeschreckt. Allgemeine Bestürzung herrschte: war doch der unerbittliche Korsar im Anzug! Die Männer versammelten sich in Eile auf der Piazza, sonst der Stätte gemütlicher Plauderei zum Austausch der Neuigkeiteu, und der Rath tagte im Municipalgebäude bei flackerndem Kerzenschein. Die Weiber wehklagten und jammerten, und Vorsichtige waren bereits auf’s Fortschaffen ihrer Kinder und der Habe bedacht. Die Zeit drängte, denn jeden Augenblick konnte sich das Unwetter über den Häuptern der Armen entladen, und schnell mußte ein Entschluß gefaßt werden. Rath und Bürgerschaft sahen ein, daß zum Retten ihres Eigenthums wahrscheinlich nicht mehr genügend Zeit sein würde. Und sollte man die Früchte sauren Schweißes und langjähriger Arbeit ohne Weiteres preisgeben, um nur das nackte Leben und die Freiheit zu retten? Dies widerstrebte den wackeren Männern um so mehr, als sie an ihre Angehörigen und deren Zukunft dachten. Nichts würden die Seeräuber schonen und lieber vernichten, was sie nicht fortschleppen könnten; eine rauchgeschwärzte Brandstätte aus der Heimath machen. Man beschloß also, sich zu vertheidigen, so gut es ging, wozu besonders der vom Commandanten der Burg gesandte Bote in dessen Auftrag dringend gerathen hatte. Wohl war die Stadt ummauert doch gerade nach der Seeseite zu die Ringmauer arg vernachlässigt; wohl schützte die Burg den westlichen Stadtteil, doch immerhin blieb das Unternehmen gegenüber einer größeren Macht ein verzweifeltes.
Einmal der Entschluß gefaßt, ging es schnell an die Ausführung desselben. Weiber, Kinder und Greise begaben sich auf die Flucht, theils in’s Innere der Insel, theils auf die Burg, deren Thore sich den Hülflosen öffneten. Ein langer Zug von Flüchtenden, die mühsam ihre kostbarste Habe fortschleppten, bewegte sich nach der Höhe. Die wehrhaften Männer indeß bewaffneten sich, um sich alsbald an der Seeseite zu sammeln und dem Feinde mit dem Muthe der Verzweiflung entgegenzutreten, willig sich den in Eile erkorenen Führern unterordnend.
Der letzte Hoffnungsschimmer, daß vielleicht das Unwetter vorüberziehen möchte, verschwand, als bald nach Tagesanbruch im Süden die Segel der Barbaresken auftauchten, direct in die Bai auf St. Antioco lossteuernd. Lauter wurde das Wehklagen der Flüchtenden, welche sich nun alle nach der Landseite begaben; die Thore der Burg schlossen sich und wurden verrammelt. Die Vertheidiger der Stadt unter Oberleitung des Podestà hatten sich kaum auf ihre Posten verfügt, als schon zu ihrem Schrecken mit acht Schlffen, die Piraten in nächster Nähe vor Anker gingen. Noch immer drängten sich in den Gassen die Fliehenden, deren viele erst spät zur Flucht bereit geworden waren. Mit finsterem Ernste und zum Aeußersten entschlossen harrten die Männer des Angriffs der wüsten Schaar, welche sich nun tobend auf ihre friedliche Insel ergoß; konnten sie doch das Ausschiffen derselben nicht verhindern und mußten sich bei ihrer geringen Zahl dem übermächtigen Feinde gegenüber auf die Defensive hinter der Mauer beschränken. Ihr Loos schien im Voraus entschieden, doch furchtlos sahen sie dem Tode entgegen.
In ungeregelten Haufen sammelten sich einige hundert Schritte westlich von Burg und Stadt die Mauren. Mustapha Raïs war noch an Bord geblieben. Vom Admiralschiffe aus beobachtete er im Kreise seiner Officiere die Situation und glaubte, den Widerstand leicht besiegen zu können. Die Reihen der Vertheidiger beobachtend, lächelte er höhnisch im Hinblick auf ihre geringe Anzahl und den schlechten Zustand der Stadtmauer. Auch die Burg schien ihm kein ernstliches Hinderniß zu sein, im Gegentheil, ein leicht zu überwindendes Object des Angriffs: wohl hatte er schon während der Fahrt den Zug der Flüchtlinge dorthin bemerkt. Doch hielt er einen Versuch, sich ohne Verluste durch List und Treulosigkeit der Stadt und Burg zu bemächtigen für angebracht und sandte demgemäß Befehle an die unter Sidi Abdallah’s Führung gelandeten Trnppen. Alsbald trennten sich zehn Mann von denselben und schlugen, mit grünen Zweigen in der Hand als Zeichen friedlicher Botschaft, die Richtung auf die Burg und Stadt ein. Dort, wo der Bergabhang bis nahe an’s Meer herantritt, theilten sie sich; vier der Parlamentaire gingen auf die Stadtmauer zu, die Uebrigen klimmten den Berg hinan. Erstere waren bis auf 200 Schritte der Mauer nahe gekommen, als ein über sie hingefeuerter Schuß sie zum Stillstehen bewog. Doch erschien von der Stadtseite nicht der erwartete Unterhändler. Von Neuem avancirten sie. Von Neuem ertönten Schüsse und über der Mauer legten die Vertheidiger auf die Tunesen an. So zogen sich diese resultatlos zurück. Nicht besser ging es den sechs Andern. Zwei oder drei derselben hatten sich zu keck der Burg genähert, schweiften [432] herum und suchten in die Stadt einen Einblick zu gewinnen. Man schoß auf sie und Einer stürzte tödtlich getroffen nieder. Mit lautem Rachegeschrei eilten Alle zurück. Dann gab ein Kanonenschuß des „El Essed“ das Signal zum Angriff.
Wie sehr bedauerte der Commandant der Burg jetzt, wie schon beim Herannahen der Piratenschiffe, nicht im Besitze von ein paar brauchbaren Kanonen zu sein; die Rohre, welche unter Schlinggewächsen verborgen lagerten, waren gänzlich werthlos, ebenso die kleine Lärmkanone. Nun, mit Gottes Hülfe hoffte er, auch so zu widerstehen, jedenfalls aber sein Leben theuer zu verkaufen.
Abdallah stürmte an der Spitze von etwa 700 Mann am Burgberg vorüber gegen die Stadt; denn zunächst gedachte er den Feind aus der unteren Stadt hinauszuwerfen, dann erst die Burg, wo er die reichste Beute vermuthete, zu nehmen. Die Angreifer fanden einen heroischen Widerstand. Wohlgezielte Salven fügten ihnen beträchtlichen Schaden zu, und als sie trotzdem bis zu den Mauern vorgedrungen waren, vermochte ihr grimmiger Angriff nicht, das Hinderniß zu überwältigen. Nach kurzem, erbitterten, doch vergeblichem Ringen gingen sie zurück. Abdallah schäumte vor Wuth! Von Neuem ordnete er seine Schaaren, jetzt einen einzigen, den schwächsten Punkt zum Ansturm Aller ausersehend. Mit wüstem Geschrei drangen sie vor. Wiederum streckte das Blei der Vertheidiger so Manchen nieder, ehe es zum Kampfe mit blanker Waffe kam. Wiederum kämpften jene als wahre Helden, dieses Mal unter schwierigeren Umständen und ebenfalls schwere Verluste erleidend. Mit Mühe gelang es ihnen, sich zu halten – abermals wichen die wilden Horden zurück. Mustapha Raïs hatte mit Ingrimm den Verlauf des Angriffs verfolgt. Unerhört, unglaublich schien ihm, was seine Augen sahen. Er ließ frische Truppen landen, setzte sich selbst an die Spitze derselben und feuerte sie in einer kurzen Ansprache durch Verheißung reicher Beute zum nochmaligen Angriff an. Zum dritten Male und in fast verdoppelter Anzahl drangen die Barbaresken vor. Es war unmöglich, ihrer erdrückenden Uebermacht Stand zu halten. Die tapferen Vertheidiger leisteten verzweifelten Widerstand, doch bald ging die vom Podestá ausgegebene Losung durch ihre Reihen, sich kämpfend bis zur Piazza zurückzuziehen. Keiner wandte sich zur Flucht, sondern jeden Fußbreit den nachdringenden Feinden streitig machend, gingen sie bis zum Hauptplatz zurück und setzten sich hier von Neuem fest. Zunächst begann nun ein wüstes Plündern des gewonnenen Stadttheiles seitens der schon kampfesmüden und mehr beutegierigen Tunesen. Während dessen athmeten die Bürger ein wenig auf und benutzten die Zeit bis zum voraussichtlich letzten Kampfe, um sich in Eile so gut als möglich zu verbarrikadiren.
Doch Mustapha Raïs hatte anders beschlossen und bemühte sich, den größten Theil seiner Leute vom Plündern abzurufen, was ihm freilich erst gelang, als alle noch vorgefundenen Werthgegenstände fortgeschleppt, der Rest aber zertrümmert und vernichtet war; die Burg sollte nunmehr gestürmt werden; dies geschehen, schien es ein Leichtes, den letzten Widerstand der Städter zu besiegen.
Schier unglaublich klingt es, wenn berichtet wird, die Burg von St. Antioco sei erst nach fünfstündigem Kampfe den unzähligen Angreifern erlegen! Weiber, Kinder und Greise nahmen die Muskete zur Hand, um Leben und Freiheit zu vertheidigen! Doch nicht die übermenschliche Anstrengung, die verzweifelte Abwehr der Christen vermochte das Ende, den Fall der Burg, abzuwenden: alle 28 Krieger starben den Heldentod, als letzter der brave Commandant Don Luigi Altamare, von Wunden bedeckt und durch Blutverlust geschwächt, getödtet von der Hand des Mustapha Raïs selbst. Als kostbare Beute ließ dieser die schöne Schwester des Commandanten bewußtlos für sich an Bord bringen.
Die Städter waren indeß wenig belästigt worden; aus dem Innern der Insel kamen zahlreiche Trupps wohlbewaffneter Bauern herbei und allmählich konnte man gegen die Tunesen vorgehen, ja, sie schließlich über die Mauer hinausdrängen. Die frischen Kräfte der Vertheidiger, die harten Anstrengungen, die Ermattung und Unlust seiner Truppen ließen den Korsarenadmiral auf einen nochmaligen Angriff gegen die Stadt verzichten, und nachdem er sich mit den Seinen, den Gefangenen und der Beute eingeschifft hatte, lichtete er sofort die Anker, froh, seinen Zweck erreicht zu [433] haben: nicht ohne große Opfer war dies geschehen, denn gegen 200 Gefallene beklagten die Piraten. Ihnen folgte der Fluch der Bedauernswerthen, welchen theuere Angehörige und Freunde entrissen waren entweder durch den Tod oder – und diese waren noch bemitleidenswerther – als Gefangene, deren das harte Loos der Sclaven auf Afrikas Küste wartete.
Am 20. October des Jahres 1815 ging Mustapha Raïs auf der heimischen Rhede von La Goletta vor Anker und konnte seinem Herrn im Triumphe 158 neue Sclaven, worunter acht Familienmütter, und eine beträchtliche Beute vorführen: das war das traurige Ergebniß des letzten Piratenzuges der tunesischen Korsaren.
Wenig später donnerten die Kanonen des Admirals Exmouth
vor Algier; auch Tunis und Tripolis wurden gedemüthigt, und
durch den Vertrag vom 8. August 1830 wurde in Tunis durch
Sidi Hussein Bey die Sclaverei der Weißen formell aufgehoben;
die endgültige Beseitigung der Sclaverei durch Achmed Bey wird
seit 1846 datirt. Martini.
- ↑ Der Markt heißt jetzt El Serradschine (Sattlerquartier). Im Hintergrunde ragt auf unserem Bilde (S. 432) das schöne Minaret der Kasbah-Moschee über die Mauern der Burg empor.
- ↑ Die Hafenstadt von Tunis und der wichtigste Hafen Tunesiens überhaupt. Das bunte Treiben, dem hier das Auge des Beschauers begegnet, ist durchaus originell, denn die meisten Völker des Orients scheinen sich in La Goletta ein Rendez-vous gegeben zu haben. Da erscheinen die Wüstensöhne mit ihren Kameelen, die Beduinen hoch zu Roß, türkische, griechische und italienische Kaufleute und mit den jüdischen Händlern oder Wechslern auch deren Frauen und Töchter in der originellen Tracht tunesischer Jüdinnen, in eng anliegenden bunten Hosen mit einer Kappe von Goldstoff auf dem Kopf. Ch. Speier’s treffliche Illustration (S. 429) gewährt uns einen charakteristischen Einblick in dieses Treiben.