Der neue Kürschner
Einst wurde Roda Roda von Freunden herausgefordert: er könne ja vieles erreichen, aber eines nicht. Nie, niemals würde er den ersten Platz im Kürschner einnehmen. Das Jahr ging zu Ende, der neue Kürschner erschien, und am Anfang stand:
(Wobei besonders schön das fürsorgliche Doppel-A ist: damit auch ja nichts passieren kann.) Aaba Aaba aber steht auch heute noch an erster Stelle in Kürschners Literaturkalender.
Das dicke Buch präsentiert sich in schmuckem, rotem Leineneinband, sehr empfindlich, also für die Redaktionsarbeit durchaus geeignet: man sieht jeden Hauch, jeden Fingerabdruck darauf, und eine Diskussion mit nasser Aussprache in der Nähe des Buches ist nicht gut möglich. Der alte Satzspiegel ist beibehalten worden, aber ein weißer, breiter Rand ist neu, wodurch das Büchlein größer geworden ist, der Druck nicht deutlicher. Einige Photos zieren den Band – aber das schadet nichts.
Wir sind unsrer achttausendzweihundert – die „Gelehrten“ nicht eingerechnet, die, zwanzigtausend Mann hoch, in einem besonderen „Gelehrten-Kalender“ vereinigt sind. Achttausend … ohne die Zerquetschten. Lasset uns ein wenig blättern.
Zunächst sieht jeder nach, ob er selber drin steht. Dann ziemt es sich, die Freunde aufzusuchen – ob vielleicht einer von ihnen mit einem Druckfehler gesegnet ist, ob sie auch alle da sind, wo sie wohnen, wo sie geboren sind, schau! schau! „20. Auflage“ – wer hätte das gedacht! und: „Chef vom Dienst“, nimm nur das Maul nicht so voll …
[171] Manche sind verschwunden, andre sind neu hinzugekommen; statt Kurt Eisner steht da zum Beispiel:
Diese Berufsangabe ist unvollständig – hier fehlt etwas.
Besuchst du deine Freunde im Kürschner, so fällt dir auf, daß da fast immer jemand ist, der „auch so heißt“ –– es gibt ja ganze Schriftstellergenerationen, bei denen das Dichten endemisch ist: die Hirschfelds von heute heißen Neumann oder Müller … Wolfgang Gneisenau, geb. Goetz, gibt seine Arbeiten an; als erste: „Origines gentis Goetz“. Der Ursprung der gens Goetz? Papier, Herr, Papier.
Bei manchen braucht man gar nicht erst das Geburtsdatum nachzusehen, das viele Damen ausgelassen haben – ein Blick auf die Buchtitel genügt. Roman: „Und sie rüttelte an der Kette“ – genug, ich weiß. Auch ist anzumerken, daß offenbar die unbekannten Schriftsteller am meisten geschrieben haben, und wie bei Rundfragen die di minores sich gewöhnlich über lange Seiten ausbreiten, die Gelegenheit, endlich einmal gedruckt zu werden, atemlos ausnutzend, so gibt es hier Kaninchenböcke, von deren unmäßiger Produktion wir uns nichts träumen lassen. Demitrius Schrutz (Adresse: Frau Rosa Obrist) hat eine ganze Kürschner-Spalte vollgedichtet; seit dem Jahre 1885 gehen dem Mann die Stücke jährlich wie die Bandwümer ab, ringeln sich noch ein wenig und liegen dann still.
Wer aber alles noch lebt, das ist mitunter gespenstisch zu sehen. Von meinem alten Lehrer Hänschen Draheim will ich gar nicht reden – Mehring, du hast immer erzählt, er habe ein Buch geschrieben: „Ein falsches ‚Und‘ bei Lessing“, das [172] steht aber nicht drin; doch denkt nur: den alten Joseph von Lauff gibt es noch, und wirklich und wahrhaftig:
Sie wohnt, wie nicht anders zu erwarten, in einer Kaiser-Wilhelm-Straße. Und inzwischen hat ihre Kunst die von Reimann erfundene Courths-M. übernommen; ob sich die beiden Damen wohl kennen?
Man lernt viel Neues aus dem Kürschner: es gibt, natürlich, ein Buch über „Eberswalde u. s. freiwillige Feuerwehr“; der unzuverlässige Bearbeiter des „Richtigen Berliners“ hat ein Buch gebucht: „Die Bühnenanweisung im deutschen Drama“, und wer nicht artig ist, muß es lesen – und Pseudonyme sind da, daß man vor Neid erblassen könnte. Neckische: „Hidigeigei“ und „Latschenbock“ und „Kiki“ und „Joachim Friedenthal“ … nein, das ist wohl kein Pseudonym. Einer heißt Heinrich Wilhelm Hubert Evers, sein Pseudonym, das ihn der Menschheit verbirgt, ist: W. Heinz Evers. Nur ein Apotheker kann auf solche Idee kommen.
So stehen wir denn alle im Kürschner verzeichnet, und jeder der Achttausendzweihundert hat, wenn er darin blättert, sicher einmal gesagt: „Ich möchte nur wissen, wozu die Leute so viel Bücher schreiben!“ (Anwesende ausgeschlossen.) Denn so geht das:
Das große Erlebnis, das sich vor einer Schreibmaschine, Bibliotheksbänden, einem Weib entzündet; göttlicher Funke, leuchtendes Auge, tiefe Einsamkeit, schwarzer Kaffee und was jeder so braucht; saubere Reinschrift und Paketsendung an eine Verlegerei; wehende Fahnen und haftende Druckfehler; vor Neuheit krachende Bände und verliebte Widmungen; boshafte Kritiken und Hymnen auf strikte Gegenseitigkeit; [173] eine Postanweisung, ein Scheckchen Honorar; stockender Absatz und staubende Vergessenheit; gehäutete Schlange, Dummstolz und Skepsis; angegriffen, abgegriffen, vergriffen … und dann eine halbe Petitzeile in Kürschners Literaturkalender: