Der vergiftende Garten

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Der vergiftende Garten
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1909, Erster Band, Seite 221–224
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Erscheinungsdatum: 1909
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[221] Der vergiftende Garten. – In den Siebzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts war das Haus eines höheren Beamten zu Crossen gegen acht Jahre lang der Sitz einer seltsamen Krankheit, die in den Sommermonaten fast alle Bewohner des Hauses wiederholt befiel und deren Ursache man trotz der sorgfältigsten Beobachtungen nicht entdecken konnte. Wenn der Juni herankam, zeigte sich bei einem oder dem anderen ein schmerzhafter, in kleinen, hellen Bläschen bestehender Ausschlag im Gesicht und an den Händen, woraus nach drei Tagen größere Blasen entstanden. Wenn dies acht bis zwölf Tage, manchmal auch noch länger, gedauert hatte, wozu sich oft Augen- und Halsentzündung und Fieber gesellten, trocknete der Ausschlag ab, und es blieben an manchen Stellen rote Flecken zurück, die aber erst nach und nach verschwanden. Die Ärzte nannten diese Krankheit eine Blatternrose, konnten aber kein Mittel ausfindig machen, ihr vorzubeugen.

Das Haus hatte bis 1769 einem Rentner gehört, der es nebst dem dazu gehörigen Garten dem Beamten zur freien Amtswohnung vermacht hatte. Bis zu dieser Zeit hatte niemand im Hause etwas von der Krankheit gewusst. Es war [222] höchst unwahrscheinlich, daß die Ursache in den Zimmern des Hauses liegen konnte, auch würden, wenn dies der Fall gewesen wäre, die Frühlings- und Herbstmonate wegen der feuchten Witterung das Auftreten der Krankheit begünstigt haben, während sie im Gegenteil mit dem Eintritt des Herbstes ganz aufhörte. Daher fiel später der Verdacht schließlich auf den Garten, der klein und von Gebäuden und Mauern ganz eingeschlossen war. Man schob die Schuld auf die dumpfige Lage desselben und aß so wenig als möglich von den darin gezogenen Küchengewächsen. Aber dennoch kehrte die lästige Krankheit immer wieder zurück, und man bemerkte, daß nach einem jedesmaligen Aufenthalt im Garten ein Anfall derselben erfolgte. Es war also fast zur Gewißheit geworden, daß die Ursache im Garten liegen mußte.

Einst kam ein junges Mädchen, das vorher einige Jahre in diesem Hause gewohnt und ebenso wie die anderen Hausgenossen an der Krankheit gelitten hatte, seit der Veränderung ihres Aufenthaltes jedoch davon verschont geblieben war, wieder zum Besuche. Sie ging in den Garten, hielt sich etwa eine Stunde darin auf, und noch an demselben Tage fühlte sie ein Jucken und Brennen am linken Arme. Am folgenden Morgen war er rot, geschwollen und mit den gewöhnlichen Blasen bedeckt. Doch griff das Übel diesmal nicht weiter um sich, sondern ging bald vorüber. Da schon nach einem so kurzen und einmaligen Aufenthalte im Garten diese Wirkung so schnell erfolgt war, so blieb nichts anderes übrig, als sie dem schädlichen Einfluß eines Gewächses zuzuschreiben.

Gleich am Eingange des Gartens stand nämlich eine Laube, die mit einem Gewächse bekleidet war, das man dort unter dem Namen des wilden Weines kannte und noch von dem letzten Eigentümer des Hauses dahin verpflanzt worden war. Man stellte fest, daß die gefährliche Jahreszeit gerade die war, in welcher dies Gewächs am vollkommensten grünte. Der Beamte selbst war noch zuletzt am heftigsten davon ergriffen worden, als er den Tag zuvor eine ganze Stunde damit zugebracht hatte, die herumhängenden Ranken an der Laube anzubinden und die jungen Schößlinge, die sich sehr vermehrt [223] hatten, wegzuschneiden. Ferner hatte man bemerkt, daß die Kinderfrau, die, während das ihr anvertraute Kind im Hofe umherlief, gewöhnlich in jener Laube saß, am häufigsten und empfindlichsten von jenem Ausschlage ergriffen wurde, das Kind hingegen, welches nur selten hineintrat, fast ganz davon befreit blieb. Die einzige Person im Hause, welche von jener Krankheit immer verschont blieb, war die Köchin, die fast nie den Garten betrat. Alle diese Beobachtungen zusammengenommen warfen also den größten Verdacht auf jenen sogenannten wilden Wein, und man beschloß, ihn ganz auszurotten. Dies geschah. Die Laube wurde an jener Stelle mit jungen Buchen umpflanzt, und seitdem hörte die Krankheit völlig auf.

Nur einmal zeigte sie sich wieder, und zwar bei folgender Gelegenheit: Im nächsten Sommer, nachdem die Ausrottung geschehen war, saß eine kleine Gesellschaft in der Laube. Eine junge Dame bemerkte unter der Bank zwischen den Steinen einen kleinen Schößling jenes Gewächses, der sich von dem ausgerotteten Stamme noch erhalten hatte, brach ihn ab und zeigte ihn den übrigen Personen. Sie bemerkte schon am nächsten Tage Blasen an den Fingern, die sich über den ganzen Arm verbreiteten und sogar den anderen Arm mit ergriffen, sich jedoch nach einigen Tagen wieder verloren.

Da der sogenannte wilde Wein (Vitis quinquefolia), dessen man sich zur Bekleidung der Lauben und Gartenwände bedient, ein ganz unschädliches Gewächs ist, so fragte man einen benachbarten Arzt nach dem wahren Namen jenes vergiftenden Strauches, und eine genauere Untersuchung zeigte, daß es der sogenannte Giftsumach (Giftrebenstrauch, Rhus toxicodendron[1]) war. Dieser Giftbaum ist zwar ursprünglich in Nordamerika einheimisch, aber in England und Deutschland schon seit geraumer Zeit bekannt. Der erzählte Fall ist einer der ersten, durch welchen man in Deutschland auf seine giftigen Eigenschaften aufmerksam wurde.

Der Giftsumach hat einen schwachen, doch holzigen Stamm, der drei bis acht Fuß hoch wird und viele schlanke, mehr oder weniger gebogene und gewundene Zweige treibt. [224] Die Rinde ist grau und unbehaart; die Blätter stehen zu dreien an langen Stielen, sind eirund, ziemlich groß, übrigens ungeteilt, glatt und dunkelgrün; die Blüten sind unscheinbar, klein, gelblichgrün und stehen in Trauben zusammen. Trotzdem er in unseren Gärten gut fortkommt und nur in sehr kalten Wintern zu leiden scheint, eignet er sich doch seiner giftigen Eigenschaften wegen, die sich, wie nicht nur wie obige Begebenheit, sondern auch viele andere Beobachtungen lehren, schon durch bloße Berührung und Ausdünstung äußern, nicht zum Anbau. Daher erfordert er auch in solchen Gärten, wo er des Arzneigebrauchs wegen gezogen werden muß, eine sehr behutsame Behandlung, und man tut wohl, wenn man Blätter davon abpflücken oder sonst etwas damit vornehmen will, dieses nur in Handschuhen zu verrichten.

W. K.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: toxicondendrum. Siehe Wikipedia: w:Eichenblättriger Giftsumach