Der zerrissene Ritter vom Todtenkopf
Die Nacht war dunkel, wie die Zukunft Germaniens. Der Sturm, rasend mit der ganzen Macht, die ihm gerade zu Gebote stand, brach in den Forsten die stolzen Eichen und in den Wohnungen der armen Staubgeborenen die zitternden Fensterscheiben. Die Unholde und Gespenster erhoben sich aus den Grüften, gingen zähnefletschend, doch mit Anstand auf den Kreuzwegen auf und ab oder rissen die Eingeweide der Gestorbenen zum schrecklichen Mahle aus den erschrockenen Grabhügeln, die mit heiserer Stimme wohl zu bekommen wünschten.
Hugo, der Ritter vom Todtenkopfe, saß in seiner einsamen Burg, schweigend wie das herannahende Unglück, finster brütend wie das böse Gewissen. Er war Tyrann im vollsten, reinsten Sinne des Wortes, allen Lastern und noch einigen anderen größern und kleinern Fehlern ergeben. Sein Schwert vergoß aus Liebhaberei ganze Meere von Blut und unzählbare Verwünschungen belasteten mit Centnerschwere das schuldbefleckte, ruchlose Sein seines Daseins. Er war Mörder aus Grundsatz und ließ oft an einem Tage drei bis vier seiner treuen Knappen über die Klinge springen, worauf diese gewöhnlich die irdischen Leiden mit den himmlischen Freuden vertauschten und fröhlich zu ihren Vätern und Müttern gingen. Von seiner Religion etwas zu sagen, ist unmöglich. Doch hielt er sich nach löblicher Rittersitte einen Burgpfaffen, hauptsächlich aus dem Grunde, um mit diesem in seinen Mußestunden, deren er täglich vier und zwanzig hatte, zu zechen und Würfel zu spielen.
„Conrad!“ rief jetzt der Ritter, vor Wuth schäumend, einem alten gebrechlichen Knappen zu, „Conrad!“
Der Unglückliche schlich mit tiefgesenktem Haupte herbei.
„Kusch’ Dich!“ brüllte der Gebieter, wild die Augen rollend, und der mit einem ehrwürdigen Silberbarte versehene Greis legte sich auf den Bauch, streckte die abgemagerten, entfleischten Hände vor und drückte gehorsam den Kopf auf die Erde.
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In diesem Augenblick und in dieser Stellung mußte er leider! niesen; denn er hatte den Schnupfen und zwar den Stockschnupfen. Schauerlich wie Wehruf hallte der Ton seiner gerötheten Nase durch die Säulen des sehr hohen gothischen Saales, den herrliche Gemälde schmückten und unzählige Gasflammen erhellten.
„Du bist des Todes schuldig!“ schnaubte der Ritter vom Kopfe des Todten mit Tiger-Wildheit den immer mehr und mehr erblassenden Knappen und Greis an. „Warum hast Du geniest?“
„Gnade, Gnade!“ stammelte der Halbohnmächtige.
„Nichts von Gnad’!“ schäumte Jener, die Stirn fürchterlich runzelnd. „Du hast geniest, Du mußt sterben!“
„Ach, Barmherzigkeit, edler Herr! Bedenkt meine arme Frau und sieben ungezogene Kinder, von denen mir bereits vier in die schöne Ewigkeit vorausgegangen!“
„Nichts von Barmherzigkeit! Morgen wirst Du gehangen, die morsche Hülle Deiner unsterblichen Seele gehört den Raben!“
Hohnlachend verließ der Ritter vom Kopfe des Todten den sehr hohen gothischen Saal und den außerordentlich unglücklichen Greis und Familienvater, begab sich, vor Verruchtheit ein Kirchenlied trällernd, in sein Gemach des Schlafes, wo er mit dem wohlbeleibten Burgpfaffen noch einige Schoppen Wein trank und sich dann in die Arme des Schlummers warf.
Mitternacht war längst vorüber, als Conrad aus der Erstarrung erwachte, welcher er in Betrachtung seines nahen Todes erlegen war. Auf den Zehen schlich er sich aus dem Saale, über eine lange Gallerie bis zu seiner geliebten Ehegattin, die schon lange, mit der Haube des Schlafes bekleidet und von den Enkeln ihrer Mutter umringt, in den weichen Kissen lag. Leise nahte er ihr und rief noch ein wenig leiser ihren Namen. Als sie aber nicht sogleich erwachte, so zog er gefühlvoll sein schartiges Schwert und kitzelte sie, zwar mit Grazie, doch wehmüthig-seufzend und ganze Bäche von Thränen vergießend, an der edelgeformten griechischen Nase dort, wo die ewige Vorsehung diesen Theil des menschlichen Körpers mit zwei holden Oeffnungen versehen hat.
„Donnerwetter!“ lispelte verschämt die greise Knappin.
„Erwache, edelste der Frauen, erwache!“
„Was ist los? Wer stört mich in den sanften Umarmungen des Morpheus?“
„Ich bin’s," hauchte der unglückliche Knappe und glückliche Familienvater, während er anfing, die schloßweißen Haare seines Bartes einzeln auszureißen. Er setzte diese Beschäftigung ungefähr zwei bis drei Stunden fort und hatte unterdessen Zeit genug, seiner Frau zu erzählen, daß er morgen etwas erleben werde, was der Gesundheit sehr nachtheilig sei.
„Das heißt mit andern Worten?“
„Ich werde gehängt werden, mein Schatz!“
Die Frau faßte sich wie alle Frauen schnell. „Kopf des Schafes,“ flüsterte sie mit liebender Stimme, „Du hängen? Nein, das wird, das soll, das darf nicht geschehn. Aber,“ fuhr sie mit hohlem Grabestone fort, „einen Mord soll es geben, gräßlich wie der Gedanke, der ihn ausgebrütet, … vernimm, der Ritter vom Todtenkopfe, unser gnädigster Herr, muß sterben. Ich habe es beschlossen, um Dich zu retten.“
„Sterben!“ hallte Conrad, der keinen Bart mehr hatte, als langes Echo spottend nach.
„Und nun fahr’ hin, lahmherzige Gelassenheit!“ donnerte Madame Conrad, aus dem Bett springend. „O, könnt’ ich den Ocean vergiften, daß sie den Tod aus tausend Quellen saufen! Hin, die andern Knappen und Verschworenen zu wecken! Es gehe der Mord an sein entsetzliches Geschäft!“
Die Familie Conrad forderte hierauf Arm in Arm das Jahrhundert in die Schranken. Die übrigen Knappen waren völlig damit einverstanden, den Herrn, der sehr guten Wein im Keller hatte, zu tödten. Der Meister des Stalles, der sich ihrem löblichen Beginnen widersetzen wollte, wurde mit einer Axt des Streites – nach Andern mit einem Morgen des Sternes – niedergehauen, worauf er sogleich [47] in’s Gras biß, mehrere Pfund davon verzehrte und dann, in Folge der gestörten Verdauung, seine schöne Seele aushauchte. „So müssen alle Verräther sterben!“ schrien die Insurgenten mit sichtlichem, aber noch nicht gestilltem Blutdurst, „Auf, nach Valencia!“
Das gerechte Schicksal ging seinen nicht ungerechten Gang. Eben träumte Ritter Hugo vom Todtenkopf von einer alten Dame, die in ihrer Jugend einmal hatte Nonne werden wollen, als sich das Zimmer des Schlafes aufthat und das doppelt geöffnete Thor den Troß der mordlustigen Knappen hervorspie. Der Burgpfaff, welcher betrunken unter dem Tische lag und in brünstiger Andacht ein Stuhlbein umfangen hielt, erwachte zuerst. Ehe er jedoch recht zur Besinnung kam, machte ein großes Messer der Küche die intimste und angenehmste Bekanntschaft mit seinem Gekröse, worauf er alsbald mit helltönender Stimme das Lied: „Valet will ich dir geben, du arge, falsche Welt“ – sang und beim letzten Verse sanft und selig, aber leider ohne Absolution, in ein besseres Jenseits hinüberschlummerte.
Während des Spektakels schlug der Ritter die Spiegel seines Herzens auf, durchbohrte zwei in der Nähe stehende Buben des Stalls mit seinen stechenden Blicken, daß sie sogleich als stumme, bleiche Männer zur Erde niederfielen, und sprach dann gerührt zum alten Conrad, der sich den Bart ausgerissen hatte: „Auch Du, Brutus?“
Doch da kam er schön an. „Er will uns sticheln, der Junker des Krautes!“ schrie die Schaar. „Wart, wir wollen Dich bebrutussen!“ Und mit vertraulichem Hohn legten sie Stricke an seine dürren Glieder und sperrten denjenigen, der sie wie Kinder geliebt, in einen dunklen Thurm, worauf sie sich in den Keller begaben und den Rest der Nacht unter Küssen und Kosen beim Becher verbrachten.
Schauerliches, räthselhaft-entsetzliches Bild!
Unten im Bauche der Erde Gelächter und Gläsergeklirr, die Freude eilt barfuß, aber schelmisch lächelnd durch die Reihen, verfolgt von dem neckenden Scherz, der als kleines Hündchen mit dem Saume ihres Unterrockes spielt …
oben die Sünde mit der Reue und hinter der Reue die Verzweiflung, mit dürren nackten Armen ihr Opfer umfassend, oben der plötzlich zur Tugend zurückgekehrte Ritter Hugo vom Todtenkopf, welcher mit aufrichtiger Besserung, die Brille seines seligen Großvaters auf der Nase, in Schmolke’s Morgen- und Abendsegen liest. Die Erinnerung an sein geruchloses Leben peinigt ihn mit unsäglichen Foltern, und da springt er auf, da flucht er noch einmal der süßen Stunde seiner Geburt, da rennt er mit dem harten Schädel gegen die nicht unharte Mauer, da überläßt er sich den unbeschnittenen Nägeln des Schmerzes, welcher sogleich anfängt, ihn zu zerfleischen.
Als die Knappen am andern Morgen kamen, um ihrem Gebieter eine Visite zu machen, fanden sie ihn auffallend still. Bei näherer Betrachtung durch gute Fernröhre ergab es sich, daß er todt und in zwei Theile getrennt war –
der unbarmherzige Schmerz hatte ihn zerrissen, wahrscheinlich so sanft wie möglich, weil noch auf den Lippen des theuren Todten ein zufriedenes Lächeln schwebte.
So endete schrecklich, wie er gelebt, der Ritter Hugo vom Todtenkopf, ein warnendes Beispiel sowohl für die sichern Weltmenschen, welche in ihren Lüsten und Begierden hinleben, als auch für gottlose Romanschreiber, welche nicht Anstand nehmen, Erzbösewichte auf den Ruhekissen eines guten Gewissens zum Himmel fahren zu lassen. Die Burg, worin er hauste, ist längst verfallen; aber noch heute scheinen die einzelnen Steine dem ermüdeten Wanderer die großen Worte des unsterblichen Seneka zuzurufen:
„Quäle nie ein Thier zum Scherz,
Denn es fühlt wie du den Schmerz!“[1]
- ↑ Sollte irgend ein berühmter Setzer des Tons diese herrliche Erzählung des Schauers zu einem Operntexte benutzen wollen, so bitte ich ihn, sich deswegen an die Redaktion des Trichters zu wenden, die ihm das Nähere mittheilen und mein Talent, eine schauderhafte Erzählung in schauderhafte Verse zu bringen, nach Pflicht und Gewissen bezeugen wird. Der Verf.