in’s Gras biß, mehrere Pfund davon verzehrte und dann, in Folge der gestörten Verdauung, seine schöne Seele aushauchte. „So müssen alle Verräther sterben!“ schrien die Insurgenten mit sichtlichem, aber noch nicht gestilltem Blutdurst, „Auf, nach Valencia!“
Das gerechte Schicksal ging seinen nicht ungerechten Gang. Eben träumte Ritter Hugo vom Todtenkopf von einer alten Dame, die in ihrer Jugend einmal hatte Nonne werden wollen, als sich das Zimmer des Schlafes aufthat und das doppelt geöffnete Thor den Troß der mordlustigen Knappen hervorspie. Der Burgpfaff, welcher betrunken unter dem Tische lag und in brünstiger Andacht ein Stuhlbein umfangen hielt, erwachte zuerst. Ehe er jedoch recht zur Besinnung kam, machte ein großes Messer der Küche die intimste und angenehmste Bekanntschaft mit seinem Gekröse, worauf er alsbald mit helltönender Stimme das Lied: „Valet will ich dir geben, du arge, falsche Welt“ – sang und beim letzten Verse sanft und selig, aber leider ohne Absolution, in ein besseres Jenseits hinüberschlummerte.
Während des Spektakels schlug der Ritter die Spiegel seines Herzens auf, durchbohrte zwei in der Nähe stehende Buben des Stalls mit seinen stechenden Blicken, daß sie sogleich als stumme, bleiche Männer zur Erde niederfielen, und sprach dann gerührt zum alten Conrad, der sich den Bart ausgerissen hatte: „Auch Du, Brutus?“
Doch da kam er schön an. „Er will uns sticheln, der Junker des Krautes!“ schrie die Schaar. „Wart, wir wollen Dich bebrutussen!“ Und mit vertraulichem Hohn legten sie Stricke an seine dürren Glieder und sperrten denjenigen, der sie wie Kinder geliebt, in einen dunklen Thurm, worauf sie sich in den Keller begaben und den Rest der Nacht unter Küssen und Kosen beim Becher verbrachten.
Schauerliches, räthselhaft-entsetzliches Bild!
Unten im Bauche der Erde Gelächter und Gläsergeklirr, die Freude eilt barfuß, aber schelmisch lächelnd durch die Reihen, verfolgt von dem neckenden Scherz, der als kleines Hündchen mit dem Saume ihres Unterrockes spielt …
oben die Sünde mit der Reue und hinter der Reue die Verzweiflung, mit dürren nackten Armen ihr Opfer umfassend, oben der plötzlich zur Tugend zurückgekehrte Ritter Hugo vom Todtenkopf, welcher mit aufrichtiger Besserung, die Brille seines seligen Großvaters auf der Nase, in Schmolke’s Morgen- und Abendsegen liest. Die Erinnerung an sein geruchloses Leben peinigt ihn mit unsäglichen Foltern, und da springt er auf, da flucht er noch einmal der süßen Stunde seiner Geburt, da rennt er mit dem harten Schädel gegen die nicht unharte Mauer, da überläßt er sich den unbeschnittenen Nägeln des Schmerzes, welcher sogleich anfängt, ihn zu zerfleischen.
Als die Knappen am andern Morgen kamen, um ihrem Gebieter eine Visite zu machen, fanden sie ihn auffallend still. Bei näherer Betrachtung durch gute Fernröhre ergab es sich, daß er todt und in zwei Theile getrennt war –
der unbarmherzige Schmerz hatte ihn zerrissen, wahrscheinlich so sanft wie möglich, weil noch auf den Lippen des theuren Todten ein zufriedenes Lächeln schwebte.
So endete schrecklich, wie er gelebt, der Ritter Hugo vom Todtenkopf, ein warnendes Beispiel sowohl für die sichern Weltmenschen, welche in ihren Lüsten und Begierden hinleben, als auch für gottlose Romanschreiber, welche nicht Anstand nehmen, Erzbösewichte auf den Ruhekissen eines guten Gewissens zum Himmel fahren zu lassen. Die Burg, worin er hauste, ist längst verfallen; aber noch heute scheinen die einzelnen Steine dem ermüdeten Wanderer die großen Worte des unsterblichen Seneka zuzurufen:
„Quäle nie ein Thier zum Scherz,
Denn es fühlt wie du den Schmerz!“[1]
- ↑ Sollte irgend ein berühmter Setzer des Tons diese herrliche Erzählung des Schauers zu einem Operntexte benutzen wollen, so bitte ich ihn, sich deswegen an die Redaktion des Trichters zu wenden, die ihm das Nähere mittheilen und mein Talent, eine schauderhafte Erzählung in schauderhafte Verse zu bringen, nach Pflicht und Gewissen bezeugen wird. Der Verf.
Eduard Kauffer (Red.): Der Nürnberger Trichter. Friedrich Campe, Nürnberg 1848, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fr%C3%A4nkische_Bl%C3%A4tter_nebst_dem_Beiblatt_Der_N%C3%BCrnberger_Trichter.djvu/147&oldid=- (Version vom 31.7.2018)