Des Kaisers Tusculum
Der Geburtstag des Kaisers ist jüngst zum ersten Male allüberall in den deutschen Gauen auf das Festlichste begangen worden und man hat in den verschiedenen Ländern dies- und jenseits des Mains dem Oberhaupte des deutschen Reiches diese Huldigung mit so rückhaltloser Freudigkeit dargebracht, daß man darin nur einen neuen Ausdruck jenes stolzen Gefühls erkennen kann, welches uns bei dem Gedanken überkommt, alle die getrennt gewesenen Theile Deutschlands wieder geeinigt und wieder unter Einem Hute zu sehen. Der Repräsentant der deutschen Einheit ist dem Volke aber der deutsche Kaiser, und darum lenkt es mit Recht seine Aufmerksamkeit immer wieder auf dessen Person, auf die Gewohnheiten, denen er auch im Privatleben huldigt, auf die Menschen, mit denen er sich umgiebt, auf die Orte, an denen er lebt.
Mein heutiger Beitrag hierzu – denn ein solcher ist der vorliegende Artikel – wird deshalb um so willkommener sein, als Schloß Babelsberg, der bekannte Land- und Ruhesitz des Kaisers Wilhelm, meines Wissens noch nie eine eingehende Schilderung in Wort oder Bild erfahren hat.
Gewiß sind schon Viele der Gartenlaubenleser auf der Berlin–Potsdam–Magdeburger Eisenbahn gefahren und diese wissen, daß der Zug, wenn er das Weberdorf Nowawes ober Neudorf passirt hat, nach einer Weile hält, aber nicht vor einem Bahnhofe, sondern vor einem kleinen Hause; es ist eine kleine Cottage, fast ganz aus geschnitztem Holze hergestellt, Gothik und Renaissance durcheinander, sie enthält nur ein Erdgeschoß, zu beiden Seiten desselben dehnen sich Veranden von blühenden Sträuchern umwogt aus. Die Läden an den Fenstern des Hauses sind aufgezogen; durch die aus einer Spiegelscheibe bestehenden Fenster sieht man in das Innere, in zwei Salons, die mit hellem Kattun decorirt sind. „Was ist das hier?“ fragen die meisten Insassen der Waggons. Das ist das Stationshäuschen, welches die Verwaltung der Berlin–Potsdam–Magdeburger Bahn dem Kaiser Wilhelm hat bauen lassen, damit derselbe vom Bahnhof aus den weiten Umweg nicht zu machen braucht, um noch nach Schloß Babelsberg zu gelangen.
„Der Kaiser steigt aus,“ geht es von Mund zu Munde, aus allen Coupés strecken sich Köpfe, um die greise Gestalt mit ehrfurchtsvollen Blicken zu begrüßen; ohne Beihülfe und mit einer fast jugendlichen Beweglichkeit steigt der Kaiser den ziemlich steilen Wagentritt hinab. Die hohe, kräftige, imposante Gestalt ist mit einem leichten Militärpaletot bekleidet, darunter mit einem einfachen Militärüberrock. Mit ihm verläßt noch ein Adjutant den Salonwagen, ein noch junger, sehr kräftig aussehender Mann. Es ist der Prinz Radziwill, ein Verwandter der königlichen Familie von Preußen, seine Großmutter war eine Nichte Friedrich’s des Großen und eine Schwester des bei Saalfeld gebliebenen Prinzen Louis Ferdinand. Aus einem danebenliegenden Coupé steigen noch ein Jäger und ein Lakai. Ersterer trägt eine dicht angefüllte grüne saffianene Vortragsmappe, Letzterer einen schwarzledernen Reisesack; dieser zeigt an, daß der Kaiser auf Babelsberg übernachten will. Auf der anderen Seite des Stationshäuschens sieht man einen offenen Wagen halten mit zwei hochgebauten schwarzen Trakehner Hengsten, die schon eine Weile gewartet haben und nun ungeduldig den Boden stampfen.
Schon nach kurzer Fahrt rollt der Wagen durch das Gitterthor des Babelsberger Parks. Dies ist eine Anlage, die erst in den letzten acht Jahren geschaffen wurde, aus Wiesen und Feldern, die den Einwohnern von Nowawes abgekauft wurden. Die Baumgruppen sind noch jung und haben sich noch nicht in jener üppigen Laubfülle entwickelt, in welcher sich die sanft vor uns ansteigende, von einem hochragenden gothischen Wachtthurme gekrönte Höhe zeigt; es waren, um diese Anpflanzungen zu schaffen, Tausende von ausgegrabenen älteren Bäumen von nah und fern herbeigeschafft und hier gepflanzt worden. Die Pflege derselben erforderte unendliche Sorgfalt und Mühe, viel Abbruch thaten der jungen Schöpfung die Winterfröste, und fast ein Drittheil starb aus, aber nun haben sie in dem nicht allzu fruchtbaren Boden Wurzel gefaßt und versprechen für die Zukunft ein tüchtiges Gedeihen. Mit prüfendem und wohlgefälligem Auge betrachtet der Kaiser die junge Anpflanzung, sie ist sein Werk, wie auch der See dort, über dessen Ränder Weiden und Eschen ihre langen Zweige in die helle, klare Fluth niedertauchen. Mit der vorspringenden Höhe, die von dem gothischen Wartthurm gekrönt wird, beginnt der eigentliche Babelsberg oder auch Babertsberg, wie er früher genannt wurde. Eigentlich existirten neun verschiedene Namenslesarten, bis dann endlich die Benennung „Babelsberg“ officiell festgestellt wurde, vielleicht um die bisherige Sprachverwirrung in Bezug auf den wahren Namen anzudeuten. Früher hatte dort eine Windmühle gestanden; der damalige Prinz von Preußen hatte sie im Jahre 1841 angekauft, mit der Berechtigung „zu mahlen, Brod zu backen und das Gebäck in der Stadt Potsdam zu verkaufen“, Gerechtsame, von denen aber der Besitzer es bisher nicht nöthig hatte Gebrauch zu machen. Im Jahre 1848 war die erwähnte Mühle abgebrannt, und die Brandruinen machten dem jetzigen Thurme Platz, der die kaiserliche Privatbesitzung nach Süden hin flankirt.
Wir begegnen auf diesem von der Natur so begünstigten, von sorgsamer Pflege so liebevoll unterhaltenen Fleckchen Erde zahlreichen Erinnerungen aus dem Leben des Kaisers. So ist dieser vor uns aufsteigende, aus Sandstein erbaute, runde Thurm, dessen Spitze von vier graziösen Eckthürmchen gekrönt wird, eine Copie des Eschenheimer Thurms in Frankfurt am Main und eine Erinnerung an die Zeiten, welche der Kaiser [247] in verschiedenen Perioden seines Lebens dort zugebracht hat. Dieser hat übrigens das Territorium nicht in der Gesammtheit und Ausdehnung überkommen, wie sich jetzt dasselbe vom genannten Wartthurm bis zum Griebnitzsee in der Längenausdehnung einer halben Meile erstreckt, sondern er hat es sich erst nach und nach aus verschiedenen Parcellen zusammengelegt und zu einem Ganzen abgerundet. Ein großer Theil allerdings, namentlich der Forstgrund, wurde ihm von seinem Vater König Friedrich Wilhelm dem Dritten in Erbpacht gegeben, ein Theil auch von seinem Bruder König Friedrich Wilhelm dem Vierten geschenkt, das Uebrige jedoch hat er sich von verschiedenen Privatleuten zusammengekauft, je nach Umständen und auch nach Mitteln, denn bekanntlich sind die preußischen Prinzen nicht reich, ihre Vorfahren hatten von jeher keinen Unterschied zwischen Staat und Dynastie gemacht, das Volksinteresse war auch ihr Familieninteresse, so daß auch die preußischen Könige keine Schätze für ihre Familie aufzuspeichern vermochten.
Friedrich Wilhelm der Dritte hinterließ seinen Kindern, so zu sagen, kein Vermögen; aber er vermachte dem Lande eine Million als erstes Grundstocks-Capital zu einer Eisenbahn, welche den Osten des Landes mit dem Westen verbinden sollte. Die preußischen Prinzen haben außer ihrer Apanage wenig mehr, und die Feststellung derselben datirt noch aus einer Zeit, wo, gegen die Gegenwart, der Werth des Geldes um das Dreifache höher stand. Da galt es also für den damaligen Prinzen von Preußen, sich nach der Decke zu strecken, und das hat er in den Zeiten der Noth in seiner Jugend gelernt; dafür war ihm sein sparsamer Vater ein leuchtendes Beispiel gewesen. Der Kaiser war stets ein vortrefflicher Haushalter mit den ihm zugewiesenen Mitteln gewesen. Auch in dieser Eigenschaft hat der Kaiser mit seinem Vater viele Aehnlichkeit. Ich will hier nur ein kleines Beispiel erzählen.
Mit der Herstellung des Sees, an dem der kaiserliche Herr eben vorübergefahren ist, vergingen mehrere Jahre. Jenes äußerlich langsame und stille, aber innerlich stetige und ruhige Werden und Wachsen, jene reif überdachte Vorbereitung für einen desto sicherern und gedeihlichern Erfolg und das aus diesem Bewußtsein entspringende ruhige, geduldige Zuwarten, das wir in der Persönlichkeit des Kaisers, wie in der Entwickelung des Staates unter seiner Regierung verfolgen können, das zeigt sich so recht deutlich hier auf seinem kleinen Privatbesitz, an den neuen Anlagen, an dem See, den ein anderer Eigenthümer mit den erforderlichen Mitteln vielleicht in drei Monaten hätte herstellen können. Nicht so der Kaiser. Er hatte für diese Anlagen jährlich einen bestimmten Etat ausgesetzt; war dieser überschritten, so blieben die Arbeiten bis zum nächsten Jahre liegen, und wenn der Kaiser dennoch darum angegangen wurde, wenigstens das und das noch vollenden zu lassen, so war seine Antwort: „Nein, ich habe in diesem Jahre kein Geld mehr.“
Der Kaiser hat indessen den ältern Theil des Babelsberger Parkes erreicht, den er schon vor etwa dreißig Jahren zu dem Uebrigen gekauft hat.
Je mehr sich der Weg in die Höhe windet, desto grüner wird der Park, desto dichter der Holzbestand. Es treten bereits einige recht behäbige knorrige alte Eichen an den Weg; sie breiten ihre Schatten über denselben und lassen nur noch einigen Lichtern der abendlichen Sonne ihr neckisches Spiel. Der Weg wird immer laubdunkler, mit dem Landschaftlichen vermischt sich nun schon das Architektonische, es ragen aus den Wipfeln gothische Thürme und Giebel auf, es drängen sich aus dem Laube pavillonartige, im spätgothischen Stile erbaute Gebäude, das Thorhäuschen, das Oekonomiehaus und das Cavaliergebäude. Links vom Wege eröffnen sich wunderbare Fernsichten; es ist, als ob ein Paar starke Arme die knorrigen Aeste der Bäume auseinanderhielten, um den Durchblick auf die tiefblauen Havelseen zu eröffnen, und auf den Schimmer von Rosenroth und Goldesglanz, mit denen die über dem dunkeln Waldhorizont stehende Sonne die ruhigen Wasser beglänzt. Mit der wieder zunehmenden Höhe des Weges werden auch die Baumgruppen immer höher, dichter und imposanter. Wir sind in dem ursprünglichen Forstgrunde mit seinem alten Eichenbestande. Nun zeigen sich auch gothische Thürmchen und Strebpfeiler, mittelalterliche Zinnen und hohe gothische Bogenfenster, zuletzt die Umrisse eines achteckigen, massiven, von Zinnen gekrönten Thurmes.
Der Wagen fährt auf einen freien Platz und hält vor einer niedrigen, mit einem eisernen Gitter verschlossenen Thür, vor dem Eingange zum Schlosse Babelsberg. Dasselbe liegt nun in seiner ganzen Ausdehnung vor unseren überraschten Blicken da. Es ist in dem Stile gebaut, den man den englischen Schloß- oder den Tudorstil nennt. Aber der finstere Name der Tudors hat nichts mit dem vor uns liegenden Gebäude zu thun. Es ist kein regelmäßiges Bauwerk. Man sieht es dem Ganzen an, daß es nicht mit einem Male, daß es nach und nach entstanden ist. Im Anfange war die ganze Schloßanlage auf ein einfaches Landhaus in dem bereits erwähnten Stile berechnet. Schinkel hatte den Plan gemacht und Persius den Bau geleitet. Im Jahre 1835 war derselbe vollendet. Es war derjenige Theil des Schlosses, der sich bei der Anfahrt zuerst gezeigt hatte. Er enthielt nur die nothwendigsten Räume für den Prinzen und seine Gemahlin. Neun Jahre hatten sich die Herrschaften mit diesem bescheidenen Sommersitze begnügt.
Unterdessen war die Schenkung König Friedrich Wilhelm’s des Vierten an Grund und Boden dazu gekommen, da wurden die Fontainen und Bewässerungsanlagen durch eine Dampfmaschine von vierzig Pferdekraft geschaffen, die das Wasser aus der Havel bis zu anderthalb hundert Fuß auf die Höhe des Hügels führte, und nachdem so durch Meister Lenné, diesen genialen Naturdenker, diesen Moltke auf dem Gebiete der Gartenkunst, die landschaftliche Grundlage der ganzen Besitzung festgestellt war, legte der damalige Prinz von Preußen auch die Hand an die Erweiterung des Schlosses. Schinkel, der den ersten Entwurf gemacht hatte, war allerdings schon todt, aber Persius zeichnete und baute in seinem Geiste weiter, und manchmal kam auch Semilasso-Pückler-Muskau und gab architektonische und landschaftliche Impromptus, die beachtet und ausgeführt wurden. Aus dem Landsitz wurde ein Fürstensitz, den Familiengemächern wurden große Repräsentationsräume, Fremdenzimmer etc. angefügt, und so entstanden diese massigen achteckigen und graziösen runden, diese hohen und niederen Thürme, diese vorspringenden und zurücktretenden Façaden, diese reich ornamentirten Pavillons, Erker und Balcons, diese Terrassen und Freitreppen, dieses Gemisch moderner Eleganz und phantasiereicher Romantik, dieser prachtvolle, imposante und dabei anmuthige und graziöse Schloßbau, auf dem die Gluth und der Friede des werdenden Abends liegen, in dessen Fenster die liebe goldene Sonne noch einmal grüßend hineinnickt und das in seinem Eindrucke gerade das Gegentheil von dem ist, was der Name Tudor sonst besagen will.
Der Kaiser ist ausgestiegen und bleibt auf dem Platze einige Minuten stehen; er knöpft sich den militärischen Ueberrock auf und seine Mienen, seine Blicke nehmen einen Ausdruck an, als ob er hier, umweht vom frischen Hauche der Natur, und auf eigener, unbestrittener Scholle stehend, sich frei und erleichtert fühle, als ob es sich hier besser und reiner athmen ließe. Einige Minuten bleibt er im Anschauen des vor ihm ausgebreiteten anmuthigen Landschaftsbildes versunken. Dann wendet er sich wieder dem Eingang des Schlosses zu. An demselben steht der Castellan Theile, um seinen Herrn zu empfangen. Dieser richtet einige freundlich grüßende Worte an den langjährigen Diener und dann die Frage:
„Sind Gäste im Schlosse?“
„Nein, Eure Majestät! Während des Vormittags und Mittags waren zwar viele da – es ist heute der Tag für die Extrazüge – aber nun sind sie alle weg.“
Unter den Gästen verstand der Kaiser Fremde, die sich das Schloß ansehen wollten. Wären solche noch anwesend gewesen, dann wäre er einen anderen Weg gegangen, als den er jetzt kommt, nur um die Besucher nicht zu stören und ihnen die Freude nicht zu verderben. Diese zarte Rücksicht ging sogar schon so weit, daß der Kaiser aus einem Zimmer, in dem er sich zufälliger Weise befand, austrat und so lange sich beiseite hielt, bis die Gäste es besichtigt und wieder verlassen hatten. Auch wenn der Kaiser auf Babelsberg anwesend ist, wird der Park den Besuchern nicht verschlossen, nur die Morgenstunden bis zehn Uhr behält sich der Kaiser ungeschmälert vor. Durch einen niedrigen gewölbten Gang betritt der Besitzer von Babelsberg das Innere des Schlosses, er kommt von demselben in die „Hall“. Wer je das Innere alter englischer Schlösser besucht hat, glaubt sich hier nach Bauart und Einrichtung in eines derselben versetzt; wer je [248] einen Walter Scott’schen Roman gelesen hat, wird sich hier mitten in der Situation befinden. Da ist der große Kamin, und um denselben die Sitze, auf denen sich das Schloßgesinde und die Clangenossen um das Feuer gruppiren und sich Hochlandsgeschichten erzählen, da ist der Stuhl für den House Steward, da sind alte Geräthe aller Art – aber wir können uns nicht aufhalten. Der Kaiser steigt die Treppe in die erste Etage hinan, in derselben liegen die Zimmer der Kaiserin und die an dieselben anstoßenden Repräsentations-Räume, wie der große Gesellschaftssalon, die Bibliothek, der prachtvolle, durch zwei Etagen gehende Tanzsaal, der weiße Eßsaal mit dem gewaltigen gothischen Kamin und der imposanten Deckenwölbung. Der Kaiser steigt noch eine Treppe höher, seine Gemächer liegen in der zweiten Etage. Schon die Treppenwände und Fluren der ersten und zweiten Etage wären einer eingehenden Besichtigung werth. Sie enthalten eine Sammlung der verschiedenartigsten Gegenstände, namentlich alte schöne Holzschnitzereien, Bilder, Waffentrophäen, Jagdstücke etc. – In den Räumen dieses seines Sanssouci läßt der Kaiser ungern fremde Hände walten, von all’ den Möbelgeräthen, Bildern, Nippes- und sonstigen tausend Gegenständen, die hier im Schlosse aufgestapelt sind, existirt nicht das kleinste Stück, für das er nicht den Ort angegeben hätte, wo es Platz finden sollte, und viele Sachen, namentlich die Bilder, hat er mit eigener Hand angebracht. Originell ist das Arrangement einer kleinen Galerie, die an die Vorhalle der zweiten Etage stößt; dieselbe enthält in einer reichen und mannigfaltigen Sammlung von Jagdgeweihen, von dem imposanten Stirnschmuck des Elchs, des Schauflers, des Sechszehnenders an bis herab zu dem Gehörn des schwachen Rehbocks, eine interessante und vollständige Geschichte der Jagdfahrten des Kaisers im eigenen wie in fremdem Lande. Der Kaiser ist kein Nimrod, die Hohenzollern sind überhaupt keine Jagdfamilie, wie es theilweise die Bourbonen und die Habsburger waren. Aber wenn die Blätter fallen und die dichten Herbstnebel kommen, dann zieht es ihn doch hinaus in den Wald, dann beginnt er, umgeben von einer auserwählten Waidmannsschaar, seine Jagdreisen in die Mark, nach den großen Forsten in Sachsen und Hannover, um in freier Bewegung und frischer Natur sich von den Anstrengungen seiner Tage zu erholen und wie jeder andere gute Hausvater sich seinen Braten selbst zu schießen.
Der vorangehende Castellan hat eine niedrige eichengeschnitzte Thür geöffnet, der Kaiser steigt einige teppichbelegte Stufen empor, er ist in seinem Arbeitszimmer. (Siehe Abbildung.) Dasselbe nimmt das oberste Geschoß eines achteckigen Thurmes ein und ist in räumlichen Proportionen gehalten, die einem derartigen Gemache das Gepräge traulicher Behaglichkeit verleihen. Die Decke bildet ein sogenanntes Sterngewölbe, die Wände sind blau und dieses Kornblumenblau, die Lieblingsfarbe des Kaisers, wiederholt sich überall, namentlich in Stühlen, Kissen, Teppichen, die von zarten Händen gearbeitet und dem Kaiser verehrt worden sind. Den Boden bedeckt ein bunter Velours-Teppich, von dem sich die weißen, gothisch geschnitzten Ahornmöbel mit den naturfarbenen Lederbezügen effectvoll abheben. Die beiden Chaiselongues des Zimmers sind aber nicht zum Ausruhen da, sie sind zum Niederlegen für Karten, Bilder, Bücher, Musikalien bestimmt, die an den Kaiser gelangen.
Für den haushälterischen Sinn desselben liefert ein kleiner Schreibschrank, der am südlichen Fenster steht, einen neuen Beleg. Da hängen um eine Säule eine Menge Bindfaden, an denen man noch die Spuren von Siegellack entdecken kann; das sind dieselben, die der Kaiser von an ihn gelangenden Packetsendungen abnimmt und zu ähnlichem Zwecke wieder verwendet. Er kann nicht sehen, wenn etwas, und wäre es auch das Geringste, das noch einem Zwecke dienen kann, unnütz weggeworfen wird. Ebenso ist es auch mit den großen Couverts, in denen die Einläufe aus dem Ministerium an ihn gelangen und die gewöhnlich die Unterschrift tragen: An des Kaisers Majestät; wenn dieselben Sachen an die betreffenden Ressorts zurückgehen, dann ist das „An“ von des Kaisers Hand ausgestrichen und an dessen Stelle „Von“ hingeschrieben und darunter die Adresse der betreffenden obersten Behörde, so daß es also heißt: Von des Kaisers Majestät an das Ministerium so und so; ebenso ist auf das erbrochene Siegel ein neues mit der Krone gedrückt.
Ueberall in dem Zimmer sieht man auf Eigenthümlichkeiten und Details, in denen sich der Charakter des Kaisers widerspiegelt. So geht oberhalb der einen Chaiselongue aus der Wand ein eiserner Knopf, es ist ein Klingelzug; an demselben hängt ein Fähnchen von weißem Atlas, das etwa eine drittel Hand groß ist; mit Golddruck stehen auf demselben ungefähr die Worte: „Ein treuer Unterthan seinem geliebten Könige den 3. Juli 1867.“ Das genannte Datum ist der erste Jahrestag der Schlacht von Königsgrätz, und das Fähnchen hat seine kleine Geschichte. Eine wohlhabende Frau aus Schlesien wollte dem Könige in Erinnerung an die Siegesglorie jenes Tages eine Aufmerksamkeit, eine Liebe
[249][250] erweisen. Sie kam mit einem großen, schönen Baumkuchen, der die Form eines Bienenkorbes hatte, und obenauf stak das Fähnchen. Glücklich war sie aus Schlesien auf dem Babelsberg angekommen, aber beim Aussteigen aus der Droschke strauchelte sie, und der Bienenkorb lag in Stücken. Die Frau war trostlos, und weinend sah sie auf die Ruinen ihres Kuchens. Durch den Flügel-Adjutanten erhielt der König Kunde von dem kleinen Unglücksfall, er ließ die Frau kommen, tröstete sie und nahm von dem Tribut des Herzens, der ihm dargebracht worden war, das Fähnchen an sich, das nun hier in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt ist.
Wie erfreut, wie dankbar und wie würdigend der Kaiser für den kleinsten Beweis von Theilnahme und Erinnerung ist, das beweisen so viele Gegenstände, die hier in diesem Zimmer eine Stelle gefunden haben, damit sein Herz sich inmitten so mancher Enttäuschungen immer daran erfreuen kann. Jenes kostbare Geschenk eines Kaufmanns aus Breslau, das auf dem runden Vortragstische steht, eine Uhr aus Ebenholz und Silber in Gestalt eines römischen Triumphbogens, steht ihm nicht höher als eine weiße, fast schon vergilbte Atlasschleife, die in der Ecke einer der Chaiselongues liegt und an der man noch Spuren von silbernem Laubwerk sehen kann. Sie war an einen Kranz geheftet, der ihm am 11. Juni 1854, an seinem silbernen Hochzeitstage, geschenkt wurde. Seitdem liegt sie zur Erinnerung hier, an einer recht merkwürdigen Stelle, auf einem großen Paket von zusammengebundenen Drucksachen. Dieselben sind nun auch schon vergilbt; sie sind zweiundzwanzig Jahre alt, ein recht hohes Alter für Druckpapier. Sie enthalten eine vollständige Sammlung aller Carricaturen, welche im Jahre 1848 und 1849 auf den jetzigen Kaiser als Prinzen von Preußen erschienen sind. Aber damit gleichsam keine Bitterkeit über jene Vorgänge in seinem Herzen nachwirke, sind sie mit Gaben der Liebe, mit Arbeiten seiner beiden Kinder aus den Jugendtagen zugedeckt, mit einer Häkelarbeit seiner Tochter Louise, der jetzigen Großherzogin von Baden, und mit den ersten Versuchen der Malerkunst seines „Fritz“, des jetzigen Kronprinzen des Deutschen Reiches.
[256] Sehen wir uns die Bilder an den Wänden des Arbeitszimmers näher an. Sie stellen meist militärische Gegenstände und Persönlichkeiten dar, Friedrich den Großen mit seinen Generälen, nach den Zeichnungen von Menzel, Revuen, Scenen aus dem Feldzug von 1866, die erste und die zweite Krönung in Königsberg etc. Daneben begegnen wir aber auch in verschiedenen kleinen und größeren Kupferstichen den Nachbildungen idealer Frauengestalten der Düsseldorfer Schule; an einem Kaminschirm ist ein prächtiger moderner englischer Kupferstich in einfachen goldenen Rahmen eingefaßt, derselbe stellt die Herzogin von Wellington dar, eine der schönsten Frauen Englands. An die Lehne eines Sessels ist eine Kreidezeichnung der Großherzogin von Baden angelehnt; vor dem Schreibtische am Fenster ruht auf einer Staffelei ein großes, in goldenen Rahmen gefaßtes Bild der Kaiserin, eine Kreidezeichnung des verstorbenen Hofmalers Lauchert. Vor den Fenstern der Westseite steht der Schreibtisch des Kaisers, eine lange Tafel aus polirtem, mit blauem Sammt überzogenen Ahornholz; nach drei Seiten hin ist derselbe ganz frei, nur rechts ist ein kleiner etagèrenförmiger Aufbau gemacht, in dessen verschiedenen Fächern eine Menge jener kleinen, graziösen [257] und kostbaren Dinge stehen, die als Geschenke so oft zum Merkzeichen von glücklichen oder bedeutungsvollen Stunden unseres Lebens werden. Das große massive Schreibzeug auf der Tischplatte ist aus Gußeisen, dahinter stehen kleine Aquarell-Bilder, Abbildungen des Palais in Berlin und des Schlosses Babelsberg, und hinter demselben die etwa einen Fuß hohe Alabaster-Figur eines Engels, der die Friedenspalme in seinen Armen hält. Derselbe ist ein Geschenk der Kaiserin am Jahrestage der Schlacht von Königsgrätz. Rechts der Schreibmappe sind Schreibutensilien, wie Federn, Siegellack, Messer, Scheeren, Petschafte aufgelegt; außerdem liegen
auf dem Tische noch die letzten Nummern des Deutschen Reichs-Anzeigers, die neueste, vier Finger dicke Rang- und Quartierliste der preußischen Armee, mehrere Bücher über den letzten Feldzug und ein in schwarzes Leder gebundenes Gesangbuch, auf das ein goldenes Kreuz gedruckt ist.
Auch Photographien in Etuis sind aufgestellt, die der Kaiserin, der Großherzogin von Baden als jungen Mädchens, der verstorbenen Kaiserin von Rußland und des Kaisers Nicolaus, der Großfürstin Helene und der Königin Victoria von England und des Prinzen Albert. Vor Allem aber ist ein kleines Bild dazu angethan, unser historisches Interesse anzuregen, ein vortreffliches Miniaturbild Friedrich’s des Großen, gemalt von seinem Hofmaler Pesne. Der große König hatte dieses Bild an den Herzog von Braunschweig-Bevern geschenkt, es war ein Versöhnungsgeschenk für den Herzog, der durch die Capitulation bei Breslau die Gnade des Königs verscherzt hatte. Nach dem Tode des Königs kam es in eine Stettiner Familie und diese hatte es in der Mitte der dreißiger Jahre dem jetzigen Kaiser, so besagte wenigstens die Schrift auf der Rückseite des Bildes, zum Geschenk gemacht.
Unterdeß hat der Leibjäger die dicke Ledermappe in das Zimmer gebracht, der Kaiser zieht einen Schlüssel, öffnet dieselbe, knöpft sich den Rock auf, setzt sich in den geschnitzten Schreibstuhl an den Schreibtisch und macht sich an die Arbeit.
Von dem Arbeitszimmer führen einige Stufen abwärts in das anstoßende Schlafzimmer des Kaisers. In die Thür ist ein in Wasserfarben, von Professor Heyden in Berlin gemaltes Bild des Kronprinzen eingelassen; dasselbe stellt den Heerführer in Campagneuniform mit der Feldmütze dar; es ist nach dem Feldzuge von 1866 gemalt und eines der schönsten Bilder, die von dem Kronprinzen existiren. Zu gleicher Zeit hat der König den General v. Steinmetz von demselben Künstler malen lassen und dem Bilde einen Platz dem Kronprinzen gegenüber angewiesen. In dem Raume selbst fesseln unsere Aufmerksamkeit noch zwei plastische Bildwerke; das eine ist eine von der Kronprinzessin modellirte Gypsbüste der Kaiserin, das andere ein Abguß der Todtenmaske der Königin Louise, aus dem Mausoleum zu Charlottenburg. Im Uebrigen ist in dem Gemache nicht viel zu bemerken, als etwa der einfache schlichte Sinn des Mannes, der hier seine Ruhe hält. An der Wand, den Fenstern gegenüber steht ein schmales niedriges Bett, zu dessen Häupten ein Kissen von Rehleder herausschaut und das mit einem schwarz- und weißcarrirten Plaid bedeckt ist. Am Fußende ist in einer Art Bildstöckchen ein kleines Crucifix aus Gußeisen angebracht. Die Gardinen des Bettes und der Fenster sind von weiß- und grüngeblümtem [258] Kattun, die Möbel selbst von polirtem Ahornholz. Unter denselben befindet sich eine Art Gartenstuhl, eine Arbeit des Kronprinzen.
Bekanntlich hat von den Söhnen Friedrich Wilhelm’s des Dritten jeder ein Handwerk lernen müssen, auch bei dem Enkel ist diese löbliche Sitte festgehalten worden, und der Sohn hat einen Stuhl hergestellt, weit, fest und solide, damit sein Vater auf demselben so recht behaglich sich ausruhen könne. Auf einem anderen Stuhle liegt ein altes Kissen in Tapisserie, es ist eine Arbeit der Königin Louise, daneben auf einem Tische ein kleiner Strauß von künstlichen Kornblumen, der dem Kaiser von einer armen Wittwe[WS 1] bei irgend einer Gelegenheit verehrt wurde und schon seit Jahren an dieser Stelle liegt.
Draußen fängt es an dunkel zu werden; der Kaiser erhebt sich, nachdem er etwa zwei Stunden gearbeitet hat, knöpft den Rock wieder zu, nimmt die Militärmütze und schreitet die Treppe hinab. Auf einem Absatz derselben ist in einem runden Gestelle eine Sammlung von Stöcken der mannigfaltigsten Art, dünne und dicke, kunstvoll geschnitzte und ganz schmucklose. Der Kaiser nimmt sich den einfachsten, ein Weichselrohr, das er schon seit dreiunddreißig Jahren benützt und das er sich mit eigener Hand in seinem Parke geschnitten hat; es hat weder Krücke noch einen Knopf, es ist der einfache Stock, wie er von der Wurzel geschnitten ist. Damit beginnt nun der Kaiser seinen Abendspaziergang durch den Park. Manchmal nimmt er sich den Flügeladjutanten vom Dienst zur Begleitung, diesmal ist er allein, rüstig schreitet er vorwärts, die Höhe hinter dem Schlosse hinan. Zwischen den runden Wipfeln des Laubholzes beginnen schon die schlanken Kiefern emporzusteigen, dann kommt eine Strecke, wo der Park aufhört und der Kiefernwald anfängt; aber wie frisch, wie kräftigend ist der Harzduft, den die Palme des Nordens ausströmt! Der Kaiser ist auf dem höchsten Punkte von Babelsberg angelangt, er hält still, um Auge und Herz an dem prachtvollen Landschaftsbild, das sich vor seinen Augen aufthut, zu laben. Zu seinen Füßen liegen die Zinnen und Thürme des Schlosses, vor ihm nach allen Seiten breiten sich die weiten seeartigen Buchten der Havel aus, über die sich in kühnem Bogen die Brücke von Glienicke wölbt. Die ganze Fläche ist vom Abendsonnenlicht beleuchtet und in der rosenrothen Fluth baden sich die Schwäne, die diese Wasserstrecke zu Tausenden bevölkern.
Rechts aus dichten grünen Wipfeln schauen Schinkel’s edle, classische Gebilde aus Stein, die Schloßgebäude von Glienicke; links auf einer der Anhöhen von Babelsberg hebt sich in glühender Beleuchtung die schlanke granitne Siegessäule aus grünem Laubmeer empor. Weiter unten verschwimmen im Dufte des Abends die Thürme und Kuppeln der Stadt, und weiterhin rings nach allen Seiten fällt der Blick auf sanft gewellte Hügel, auf dunkles und lichtes Grün und dazwischen auf einen silbernen Wasserstreifen, und überall ruht der Segen der Natur, ein wunderbarer Friede, der Wald und Flur und das Herz des Menschen erfüllt. Das ist einer der größten Reize dieses Besitzes, daß fast jedes Fenster des Schlosses einen andern Aussichtspunkt bietet, aber hier oben ist der schönste von allen.
Nach einer Weile setzt der Kaiser seinen Spaziergang fort; es begegnen ihm die Leute, die in dem Parke arbeiten; er kennt sie und geht freundlich grüßend an ihnen vorüber, bleibt wohl hier und da bei Einem stehen, nach Diesem und Jenem fragend, und setzt dann seinen Weg nach dem nördlichen Ende des Besitzthums, nach dem Portierhause, fort, das den Eingang von Glienicke her behütet; er überschreitet den breiten Fahrweg und geht eine Reihe von steinernen Stufen hinab nach dem Maschinenhause, das die Bewässerungsanlagen speist und das an einer der Buchten der Havel liegt. Er wendet sich links den Pfad an der Havel entlang und biegt in einen gar anmuthigen Weg ein; rechts ist das Wasser, links die ansteigende Höhe und das Ganze ein dichter Laubgang. Nach etwa zwanzig Minuten tritt der Spaziergänger aus demselben in eine offene lichte Stelle hinaus, in einen halbrunden Ausbau, hart am Wasser. Hier steht ein aus Stein gehauener altersgrauer Bildstock, wie man deren in katholischen Gegenden Süddeutschlands sehr häufig im freien Felde sieht. Der Kaiser bleibt einen Augenblick vor der Steinsäule stehen.
Im Jahre 1849 im Feldzuge gegen die Insurgenten in Baden, am 29. Juni, hielt der damalige Prinz von Preußen an demselben Bildstocke. Damals stand dieser auf dem Felde zwischen Bischweiher und Muggensturm, und die Kugeln der Insurgenten bestrichen das Bildwerk unaufhörlich; aber das hinderte den Prinzen nicht, das Denkmal alter Zeiten aufmerksam zu beobachten und zu seinem Adjutanten, dem Grafen Pückler, zu äußern, daß er vor seiner Abreise etwas Aehnliches für den Park von Babelsberg bestellt habe. Der Großherzog von Baden hatte das erfahren, in die Krone des Bildstockes das Eiserne Kreuz und Inschrift und Jahreszahl des betreffenden Tages als Erinnerung anbringen und dem Prinzen als Geschenk anbieten lassen. So fand das Bildstöckchen aus dem Süden hier an der Havel eine Stelle.
In der Fortsetzung seines Spazierganges kommt der Kaiser an einem Hause vorüber, das etwa hundert Schritte vom Wasser zurückliegt. Es ist in demselben Stile wie die Schlossgebäude gehalten, elegant und geschmackvoll; aber durchaus einfach von Ausdehnung sieht es wie das Landhaus eines wohlhabenden Privatmannes aus. Es war in den beiden ersten der vierziger Jahre erbaut; die jetzige Kaiserin hatte selbst den Plan dazu gezeichnet; es sollte ein Haus für ihre Hofdamen werden, aber dann bekam es eine andere Bestimmung.
Bis zu Ende des vierten Jahrzehnts konnte man in den Gartenanlagen und in den Spielplätzen, die das Haus umgeben, jeden Sonntag eine fröhliche, kecke, muthwillige Knabenschaar sich tummeln sehen; ihr Mittelpunkt und ihr Anführer war ein Altersgenosse, schlank, blondhaarig, blauäugig, der jetzige Kronprinz des deutschen Reiches, der hier mit seinem Gouverneur den größten Theil seiner Jugendzeit verlebte. So bieten sich überall dem promenirenden Herrn Erinnerungen und Beziehungen aus seinem Leben dar, überall Marksteine desselben. Nicht weit vom Hause führt ein Weg wieder bergan, diesen schlägt der Kaiser ein, er gelangt nach etwa zehn Minuten in eine Obstplantage. Die edlen Fruchtbäume sind nach französischem Muster an terrassenförmig aufsteigenden Mauern aufgezogen. Der Kaiser schreitet die Spaliere ab, er trifft auf einen jungen Mann, der einigen Gärtnerburschen, welche die Obstcordons überdecken, Anweisungen giebt, es ist der Hofgärtner Kindermann. Derselbe begleitet den Kaiser weiter durch die Obstplantage, zeigt ihm die Ansätze zu den Früchten und die Aussichten für die Ernte, auch einige neue Exemplare, die kürzlich angekommen sind, dann reicht ihm der Kaiser die Hand, sagt ihm „Gute Nacht“ und tritt seinen Rückweg nach dem Schlosse an. Die Nacht ist fast herein gebrochen und die Pfade sind dunkel geworden, nur ab und zu leuchten durch das Laub die Laternen des Schlosses. In diesem angekommen, nimmt der Kaiser in Gesellschaft des Flügel-Adjutanten ein einfaches Abendbrod ein, und zwischen zehn und elf Uhr begiebt er sich zur Ruhe. Aus all den blühenden Jasmin- und Rosenbüschen im Parke aber tönt der Gesang der Nachtigallen und ihre entzückenden Töne schallen unter dem Rauschen der Fontainen in die grüne, sternenbeglänzte Sommernacht hinaus.
„Ach, wäre ich doch Geheimerath geworden!“ pflegte Friedrich der Große zu sagen, wenn in früher Morgenstunde der Kammerdiener ihn weckte und er noch etwa Lust zum Schlafen hatte. So mag auch manchmal der Kaiser denken, nach solch einem wonnigen Juniabend, wenn des anderen Morgens früh der Wagen vor dem Schlosse hält, der ihn nach dem Stationshäuschen von Nowawes zurückbringen soll. Dort steigt der Kaiser in den von Potsdam kommenden Zug ein, der ihn aus dem idyllischen Frieden von Babelsberg nach Berlin in den Drang der Geschäfte zurückbringt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ siehe hierzu Nachträgliches in Heft 37