Deutsche Kriegervereine

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Autor: Johann Steinbeck
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Titel: Deutsche Kriegervereine
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 292–294
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche Kriegervereine.

Vereinigungen alter Soldaten, die auch im Rocke des Bürgers Geist und Traditionen ihrer militärischen Dienstzeit gemeinsam zu wahren sich bestrebten, hat es lange vor 1870 in Deutschland gegeben. So haben sich in Preußen namentlich seit den Zeiten des alten Fritz, derartige Kriegerverbindungen gebildet, von denen einige bis auf den heutigen Tag bestehen und blühen. Zum Beispiel feierte der Militärverein „Wangerin“ in Pommern im Jahre 1886 sein hundertjähriges Bestehen, und solches Beispiel steht nicht vereinzelt da. Aber in Menge emporgeblüht und zu Bedeutung gekommen sind diese Vereine erst, seitdem die glorreichen Sieger von Weißenburg und Wörth, von Vionville und Gravelotte, von Sedan und Paris, zu friedlicher Bürgerarbeit zurückgekehrt, in solchen Vereinigungen die alten Erinnerungen und die gemeinsamen Gefühle der kameradschaftlichen Zusammengehörigkeit und der Treue gegen Kaiser und Reich pflegen.

Ueber die nationale Bedeutung und die Organisation der Kriegervereine ist in der „Gartenlaube“ gelegentlich des ersten deutschen Kriegerfestes in Hamburg berichtet worden (vergl. Jahrgang 1883, S. 500); heute möchten wir auf einen andern Zug im Leben derselben, auf ihre humanitären Bestrebungen hinweisen, auf das edle Ziel, in Noth gerathenen Kameraden helfend beizuspringen.

Es giebt wohl kein Feld, auf welchem sich die werkthätige Nächstenliebe günstiger entfalten könnte, als diese Vereinigungen alter Krieger, denn auf dem Boden der „Kameradschaft“ gedeiht die brüderliche Gesinnung, ohne daß Kunst und Sorgfalt des Gärtners die Pflanze ängstlich zu hüten brauchte. „Was? Den Mann, der neben mir im Pulverdampfe, in der Stunde der Gefahr gestanden und mir damals brüderlich geholfen hat, wie ich ihm, den soll ich neben mir hungernd und darbend und verlassen sehen? Nimmermehr! Komm’ her, Kamerad, so viel ich kann, helf’ ich Dir. Wir wollen zusammenstehen!“ So denken, so sprechen, so handeln Tausende, und gerade die unteren Schichten unseres Volkes, die arbeitenden Klassen empfinden dieses Gefühl am lebhaftesten, weil sie die Noth des Lebens am besten kennen. Darum rekrutiren sich unsere Militärvereine zum allergrößten Theile aus Arbeitern, kleinen Handwerkern und Beamten. Das ist gut und schön, das ist die Kraft und die Zukunft unserer Vereine; denn in diesen Kreisen wecken sie Selbstgefühl und das Bewußtsein, nicht allein und als ein „Enterbter“, sondern im Kreise von Gleichstrebenden und Gleichdenkenden als vollberechtigtes Mitglied zu stehen. Damit geben sie dem Einzelnen moralischen Halt, ohne das Gefühl in ihm zu wecken, als gälte es Sonderinteressen zu vertheidigen, und damit die Brandfackel des Hasses in seine Seele zu werfen. Die Militärvereine heben auch äußerlich den Niedrigstehenden auf das gleiche Niveau mit seinen Vereinsgenossen, denn in denselben giebt es nicht oder sollte es doch nicht geben Titulaturen und Rangbezeichnungen, sondern: „Kamerad Schulze“ sitzt und steht neben „Kamerad Müller“, mag der Eine auch Nachtwächter, der Andere Hofrath sein. Das sollten sich die Militärvereine nun und nimmermehr nehmen lassen. In diesem „Kamerad hier – Kamerad dort“ steckt ein Stück wirklich praktischer Socialpolitik, das allein schon im Stande ist, Manches zu einen, „was die Mode streng getheilt“.

So sind denn die humanen Bestrebungen in diesem Kreise von einem ganz besonderen Geiste getragen.

Verfasser dieses Artikels ist Mitglied eines großen Berliner Militärvereins, der etwa 1000 Mitglieder zählt. Gut 800 davon [294] sind Arbeiter, Handwerker, Nachtwächter, Budiker und Unterbeamte; die Sorge um die materielle Existenz ist wohl Keinem fremd. Wie wird in diesem Kreise unterstützt; wie hilft man hier einander aus! Wahrlich, herzbewegend ist es, wie ihrer selbst nicht bewußt und naiv die werkthätige brüderliche Gesinnung hier arbeitet. Der Eine weist dem Andern Arbeit nach; der Zweite ergreift das Wort für einen abwesenden, kranken Kameraden und ficht etliche Mark für ihn zusammen; der Dritte verkündet ungenirt von der Tribüne, daß er sich freuen würde, wenn einer der Kameraden ihm eine billige Wohnung nachweisen könnte, da er zum kommenden Ersten obdachlos zu werden fürchte, und der Vierte bittet, wenn Jemand durch die Andreasstraße kommt, doch einmal nach der kranken Wittwe des verstorbenen Kameraden X. zu sehen. Daneben hat der Kassirer vollauf zu thun, Krankengelder und vom Vorstande bewilligte Unterstützungen auszuzahlen, und wenn es ja einmal nöthig wird, in zweifelhaften Fällen die Versammlung zu befragen, ob gezahlt werden soll oder nicht, da fliegen gewiß bei der Abstimmung die braunen, harten Arbeiterhände ausnahmslos zu freudigem Ja! in die Luft. –

Von den zur Zeit bestehenden Kriegerbünden hat sich der „Deutsche Kriegerbund“, der so ziemlich ganz Preußen, die beiden Mecklenburg und die Mehrzahl der thüringischen Staaten umfaßt, mit den Bünden von Braunschweig, Oldenburg, Hamburg und Bremen zum „Deutschen Reichs-Kriegerverband“ zusammengeschlossen. Die genannten Bünde umfassen etwa 300000 Mitglieder. Ihnen gegenüber – durchaus nicht feindlich, aber doch einen gewissen Nachdruck auf ihre Selbständigkeit legend und daher sich nicht dem Reichs-Kriegerverbande anschließend, stehen die Militärbünde von Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen mit fast ebenso viel Mitgliedern, so daß man sagen kann: 600000 alte Soldaten stehen heute zu der Sache der Militärvereine in Deutschland.

Unter diesen Kriegerbünden ragt der „Deutsche Kriegerbund“, welcher die Einigung sämmtlicher Verbände anstrebt, schon durch seinen äußeren Umfang hervor. Ihn können wir als Typus für die ganze Bewegung auffassen und an seiner Konstitution und Wirksamkeit auch die der anderen, durch Landesgrenzen beengten Verbände schildern.

Der Deutsche Kriegerbund ist 1873 in Weißenfels gegründet worden. Seine Zwecke bestimmt der Paragraph 2 seiner Satzungen dahin: „Das Band der Kameradschaft auch im bürgerlichen Leben unter seinen Mitgliedern zu erhalten und zu pflegen; das Nationalbewußtsein zu beleben und zu stärken, die Liebe und Treue für Kaiser und Reich, Landesfürst und Vaterland bei seinen Mitgliedern zu pflegen, zu bethätigen und zu stärken; den Bundesangehörigen in Noth und Alter mit Rath und That hilfreich zur Seite zu stehen, insbesondere durch Gewährung von einmaligen oder fortlaufenden Geldunterstützungen an die Mitglieder sowie die Wittwen und Waisen verstorbener Mitglieder oder deutscher Krieger, im Falle eines Krieges, soweit wie angängig, sich im Sinne der Genfer Konvention etc. dem Staate zur Verfügung zu stellen; den deutschen Kriegervereinen die denselben gebührende Achtung im öffentlichen Leben zu erwirken und zu erhalten. Im Uebrigen ist bei den Verhandlungen des Bundes und seiner Angehörigen jede Erörterung politischer und religiöser Angelegenheiten ausgeschlossen.“ Der Sitz des Bundes ist Berlin, das Organ desselben die Wochenschrift „Parole“. Nach dem vorjährigen Berichte des Bundesvorstandes (14. Juli 1886) umfaßte der Bund 3106 Vereine mit 270983 Mitgliedern. Diese Vereine gliedern sich in cirka 100 über ganz Deutschland vertheilte lokale Gruppen, seien es Bezirke oder Landesverbände, die zum Theil unter dem Protektorate ihrer Landesfürsten stehen. Außerdem zählt zu Ehrenmitgliedern des Bundes wie einzelner Verbände, Bezirke und Vereine eine große Anzahl der angesehensten und hervorragendsten Männer in Deutschland, voran natürlich die militärischen Koryphäen. Das Ehrenpräsidium des Bundes führt der 92jährige, ehrwürdige General Stockmarr in Dessau, einer der wenigen noch lebenden Veteranen und Ritter des Eisernen Kreuzes von 1813, 1814 und 1815, während der Oberst von Elpons in Berlin der geschäftsführende Vorsitzende ist. Die Organisation des Bundes beruht auf vollständiger Selbständigkeit der Vereine, Bezirke und Verbände in allen lokalen und internen Angelegenheiten. Das bindende Element ist ausschließlich die Unterstützungsthätigkeit, die von dem Grundsatze ausgeht, daß bei geringen Beiträgen mit vereinten Kräften Großes zu erreichen ist. Aus dieser gesunden, nicht unnöthig centralisirenden Organisation ist das stetige Wachsen und Emporblühen des Ganzen zu erklären. Auch im letzten Jahre hat sich dieselbe bewährt, so daß fast 300000 alte Krieger im Bunde geeint dastehen, die ein Vermögen von 325000 Mark für ihre humanen Bestrebungen angesammelt und eine Reihe segensreich wirkender Stiftungen ins Leben gerufen haben.

Die Verwaltungskosten, mit denen der Bund arbeitet, sind geringfügig, denn alle Aemter fast sind Ehrenämter, die unentgeltlich, oft mit großen geistigen und materiellen Opfern der betreffenden Kameraden verwaltet werden. Wir können hier nicht ins Einzelne gehen, sondern wollen namentlich zwei humane Schöpfungen des Bundes ins Auge fassen. Die eine, wohl allgemeine Sympathie heischende und genießende ist die Gründung des Krieger-Waisenhauses „Glücksburg“ zu Römhild im Meiningischen. Da, wo sich aus der Ebene des Frankenwaldes die beiden Gleichberge erheben, deren herrliche Eichen, Buchen und Nadelwälder zu erquickender Erholung einladen, liegt das freundliche Landstädtchen Römhild mit etwa 1600 Einwohnern. In seiner nächsten Nähe erhebt sich das alte Schloß Glücksburg, inmitten eines schönen Obstgartens gelegen, wie überhaupt das ganze Land einem großen Garten gleicht. Die hochherzige Gesinnung des Herzogs von Meiningen hat das bis dahin unbenutzt gewesene Schloß am 17. August 1884 dem Deutschen Kriegerbund zur Benützung in dem angegebenen Sinne überlassen, und nun tummeln sich in der frischen Bergluft, in den hohen Sälen und Zimmern und den schattigen Gängen des Gartens bereits 25 Knaben und Mädchen, die Waisen verstorbener Kameraden, die hier durch Kameradensinn und kameradschaftliche Liebe sorgsame Pflege des Geistes und Körpers genießen und hoffentlich zu braven Menschen erzogen werden. Die Mittel zur Erhaltung dieses Hauses fließen theils aus den Zinsen der „Kronprinz Silberne Hochzeits-Stiftung“ (Kapital gegen 120000 Mark), theils aus dem Ertrage der Krieger-Fecht-Anstalten, die sich innerhalb der Vereine des Deutschen Kriegerbundes zu diesem Zwecke hauptsächlich gebildet haben und bei Pfennigbeiträgen im verflossenen Jahre etwa 8000 Mark dem Bundesvorstande zur Verfügung stellen konnten.

Das zweite Werk des Bundes, auf das wir besonders hinweisen möchten, ist die in Anlehnung an das Rothe Kreuz überall bewirkte Bildung und Ausbildung von sogenannten Sanitätskolonnen, das heißt von kleinen Vereinigungen innerhalb der Vereine, die unter fachmännischer Leitung sich im Transport von Kranken und Verwundeten, in Anlegung von Verbänden etc. unterrichten und ausbilden lassen, um im Falle eines Krieges sich dem Rothen Kreuz in der Heimath sowie auf dem Schlachtfelde zur Verfügung zu stellen. Man bedenke, daß das keine eleganten, mit der Kreuzbinde kokettirenden Schlachtenbummler, sondern alte, gediente Soldaten sein werden, die den Krieg zum größten Theile aus eigner Erfahrung und Anschauung kennen und von denen nicht wenige als Lazarethgehilfen, Krankenträger etc. früher gedient haben. 5000 solcher wohldisciplinirten, gut ausgebildeten und ausgerüsteten Krankenträger werden in der Stunde des Bedürfnisses für das Rothe Kreuz von unberechenbarer Wichtigkeit sein. Dann werden die Sanitätskolonnen innerhalb der Kriegervereine auch ihrerseits davon Zeugniß ablegen, wie treuer Kameradensinn für die Opfer des Krieges in der Zeit des Friedens vorgesorgt hat, und mancher Brave wird durch sie dem Leben erhalten, manche Beute dem Tode entrissen werden.

Aus den gegebenen Andeutungen wird der Leser ersehen, in welcher Weise der Deutsche Kriegerbund und die anderen deutschen Kriegervereine ihr Werk auffaßten und welche hohen Aufgaben sie sich gestellt haben. Die letzteren wachsen von Jahr zu Jahr mit dem Umfange der Bünde und mit dem Umstande, daß die Sieger von Gravelotte und Sedan älter und gebrechlicher werden, die Folgen der Feldzugsstrapazen bei ihnen auch noch nachträglich sich als vorzeitiges Siechthum melden. Mag der Staat noch so viel für seine Invaliden thun: es bleibt noch genug übrig für die Privatthätigkeit, zumal hier die Betheiligten unter sich Hand anlegen und ihre Unterstützung nicht als Almosen, sondern als kameradschaftliches Eintreten „Aller für Einen und Eines für Alle“ aufgefaßt wissen wollen. J. Steinbeck.