Deutsche Mai- und Pfingstfeste
Die Sitte, zu Pfingsten die engen Mauern der Stadt zu verlassen und in den maigrünen Wäldern Herz und Seele zu erquicken, läßt sich ohne Zweifel auf uralte Bräuche zurückführen. Freilich sind die prosaischen Eisenbahnfahrten und die allzu oft lästigen Touristenschwärme unserer Tage eine jämmerlich verkrüppelte Form tiefsinniger und echt volksthümlicher Feste.
Kirche und Staat haben, wie gegen viele andere Ueberlieferungen des Heidenthums, so auch gegen diese althergebrachten Mai- und Pfingstfeste seit Jahrhunderten einen barbarischen Kampf geführt. Es ist ihnen auch gelungen, dieselben auf ein enges Gebiet zu beschränken; denn nur hier und dort, in entlegenen Bergwinkeln oder von den Heerstraßen des modernen Handels weit entfernten Dörfern des platten Landes lebt noch der alte Brauch fort, und gar merkwürdig ragen diese Trümmer einer verschollenen, naiven Zeit in unser altkluges Jahrhundert herein. Dem Volke ist inzwischen das Verständniß für ihre Bedeutung abhanden gekommen; es weiß nichts mehr von der tiefen Symbolik, welche diesen Festlichkeiten zu Grunde liegt; es beurtheilt dieselben nur nach dem äußeren Schein und wendet sich in dieser Zeit der wachsenden Prosa von der „nutzlosen Spielerei“ immer entschiedener ab. Um so mehr ist es die Pflicht des gelehrten wie des populären Schriftthums, das Bewußtsein von dem Wesen dieser Feste wachzuhalten und – soweit sie bereits der Vergessenheit anheim gefallen – die Erinnerung an dieselben zu beleben, weshalb wir erst vor Kurzem über die deutschen Volksbräuche zu Ostern und zu Weihnachten berichtet haben (vergl. „Gartenlaube“ 1880, Nr. 13 und 52). Heute möge es uns noch gestattet sein, ein gedrängtes Bild derjenigen vollsthümlichen Feste und Spiele zu entwerfen, welche einst in der Zeit des aufblühenden Frühlings, in den zwischen Ostern und Pfingsten liegenden frohen Wochen abgehalten wurden.
Zunächst wollen wir daran erinnern, daß die um die Osterzeit abgehaltenen öffentlichen Aufzüge eng mit dem heidnischen Ostaracultus zusammenhingen, daß sich dieselben später an die christlichen Feiertage anschlossen und, indem sie nach und nach ihre charakteristischen heidnischen Merkmale verloren, schließlich zu ziemlich geistlosen, mit den kirchlichen und religiösen Anschauungen der Gegenwart nur lose zusammenhängenden Bräuchen wurden. Ihre Urquelle war die altheidnische, bei allen indogermanischen Völkern Jahr aus Jahr ein begangene Frühlingsfeier, die sich in manchen Gegenden dem freudigsten Feste des Christenthums, dem Osterfeste, unterordnete und in demselben aufging. Dieser Quelle entspringen auch die Bräuche, welche zwischen Ostern und Pfingsten beobachtet werden und den Gegenstand unserer heutigen Betrachtung bilden.
Die Witterung der Monate März und April, in welche die beweglichen christlichen Ostern fallen, war in den nordischen Ländern wenig zur Abhaltung eines Frühlingsfestes im Freien geeignet. Der wirkliche Eintritt des Lenzes erfolgt in jenen Gegenden in einer späteren Jahreszeit, und so war es natürlich, daß die mit der alten heidnischen Feier verbundenen Feste erst im Wonnemonat, bald am Walpurgistag, bald zu Pfingsten begangen wurden.
Die älteste Form, in welcher man dieses Frühlingsfest feierte, bestand in der Abholung des Lenzes und der Vertreibung des Winters und wurde gewöhnlich das Maireiten oder der Mairitt genannt. Von allen germanischen Stämmen blieben dieser Sitte die Schweden und Gothen am längsten treu, und aus dem Norden haben wir auch ziemlich ausführliche und wahrheitsgetreue Schilderungen des genannten Festes erhalten.
Am ersten Tage „Maiens“ rüstete in den Städten die Obrigkeit zwei Reitergeschwader von starken jungen Gesellen und Männern aus, „nicht anders, als wollte man zu einer gewaltigen Schlacht ziehen“. An der Spitze des einen Geschwaders ritt ein Hauptmann, mit vielen Pelzen und gefütterten Kleidern angethan und mit einem Winterspieß bewaffnet. Das war der Winter; er warf Schneeballen und Eisschemel vor sich hin, als wollte er seine gestrenge Herrschaft verlängern. Den Rittmeister des zweiten Geschwaders nannte man den Blumengrafen, weil er mit grünem Gezweige, Laub und Blumen bekleidet war; auch trug er leichte Sommerkleider und ritt „fast nicht wehrhaft“ einher.
Beide Führer zogen zusammen, von ihren Leuten begleitet, in die Stadt ein, wo das sogenannte Stechen oder das Turnier begann. Der zornige Winter und sein finsteres Gefolge warfen mit Asche und Funken um sich, während das sommerliche Gesinde mit grünen Birkenmaien und ausgeschlagenen Lindenruthen sich wehrte. Nachdem der Kampf eine Zeit lang gedauert, wurde dem Sommer von dem umstehenden Volle der Sieg zugesprochen, und hierauf begann eine allgemeine Volkslustbarkeit mit Tanz und Gelage.
Diese Maispiele wurden mit großer Vorliebe abgehalten, und alle Stände, die Fürsten, der Adel und das Volk nahmen an denselben gleichmäßig theil. Es ist nicht schwer, ihren mythologischen Hintergrund zu errathen. Der Wechsel der Jahreszeiten war ja nach dem Naturglauben unserer Vorfahren die Folge des ewig wiederkehrenden Kampfes der winterlichen und sommerlichen Götter, und in den Maispielen wurde dieser Kampf symbolisch dargestellt, wie auch später die christliche Kirche die Wunderwerke ihrer Heiligen symbolisch in gewissermaßen theatralischen Aufzügen den Gläubigen vorführte. Aber bald sollten die mächtigen Bewohner Walhallas die Erfahrung machen, daß auch sie, die Kinder der menschlichen Phantasie, vergänglich sind, wie alle anderen Werke der Menschenhand und des menschlichen Geistes; ihre Throne wankten; denn ein mächtigerer und reinerer Gott zog in die Herzen und Seelen der Menschen ein. Der schöne Brauch des Mairitts, der uns heute, nach vielen Jahrhunderten, so harmlos erscheint und der uns durch seine poetische Auffassung der waltenden Naturkräfte so sehr anmuthet, er war in den Augen der neubekehrten Heiden ein götzendienerisches Spiel. Die Geistlichkeit verpönte ihn als gottlos mit entschiedenem Nachdruck, und so ließ man ihn allmählich fallen.
Aber wohl nichts läßt sich so schwierig ausrotten, wie die Sitten eines Volkes. Die politischen Gestaltungen der Staaten machen neuen Ordnungen Platz; die Besiegten nehmen die Sprache ihrer Bezwinger an; das Volk selbst zerschmettert seine alten Götter und baut neuen himmlischen Altäre und Tempel – nur Eines überdauert diesen Wechsel der Dinge jahrhundertelang: die Volkssitte. Und so kam es auch, daß die Germanen die Personificirung des Winters und des Sommers dem Christenthum, ihrer neuen Religion, opferten, aber trotzdem in veränderter Gestalt an den Maispielen festhielten. Nur hier und dort erhielt sich der Mairitt fast bis in die neuere Zeit hinein; zu Greifswalde wurde das letzte Maireiten im Jahre 1528 abgehalten, und in Hildesheim beobachtete man diesen Brauch sogar noch im achtzehnten Jahrhundert.
An den meisten Orten dagegen trat an die Stelle des Kampfes das Fest der Maigrafen. In Dänemark wurde es am Walpurgistage gefeiert, indem ein Junggeselle mit zwei Kränzen in das Dorf eingeführt und auf den Hauptplatz des Ortes gebracht wurde. Hier bildeten die Jungfrauen einen Kreis um ihn, und er wählte sich eine „Majinde“; indem er auf dieselbe einen seiner beiden Kränze warf. Tanz und Gelage bildeten auch hier, wie überall, den Beschluß der Feierlichkeit.
In andern Gegenden wiederum, und vor Allem in Mitteldeutschland, wurde der Lenz in abweichender Art „in’s Land geführt“. Junggesellen zogen mit dem Maigrafen, der stets zu Pfingsten erwählt wurde, in den Wald; hier schmückte man einen Wagen, den sogenannten Maiwagen, mit 60 bis 70 Bunden Maien und fuhr in das Dorf zurück, in dem Kirche und Häuser mit den Maien geschmückt wurden, während am Schluß des Festes der Maigraf die Holzerben bewirthete. Auch kam bis in die neueste Zeit hinein der „Mai“ an der Spitze eines Zuges in die Dörfer des Thüringerlandes geritten. Er war mit grünem Gezweig vollständig umbunden, sodaß man sein Gesicht nicht sehen konnte. Vor jedem Bauerhof machte er Halt, und der Wirth mußte rathen, wer wohl der also Vermummte sei. Löste der Bauer das Räthsel nicht, so mußte er Eier und Kuchen hergeben, welche Speisen alsdann am Abend bei einem gemeinschaftlichen Feste verzehrt wurden.
An anderen Orten schließlich brachte man anstatt der Maibunde einen Maibaum in’s Dorf, und diese Sitte war hauptsächlich in England heimisch, wo die Jugend zu Pfingsten den Maibaum holte und den Mailord wählte.
Man muß wohl staunen, wenn man in allen vergilbten Archiven kirchliche und weltliche Fürstengebote vorfindet, welche ausschließlich gegen diese äußerst harmlosen Gebräuche gerichtet sind. Wir lesen in einer von dem großen Kurfürsten an die Geistlichen der Grafschaft Mark im Jahre 1669 erlassenen Verordnung:
[380]
[382] „Demnach wir in Erfahrung kommen, daß an etlichen Orten unsrer Grafschaft Mark viele abergläubische und böse Dinge annoch im Schwange gehen, als daß … Osterfeuer angezündet, Johanniskränze oder Kronen angehangen, auf Maitag das Vieh gequickt und Quickruthen an die Thüren und Hecken des Hofes aufgesteckt …, wie auch auf gewissen Tagen das Vogelschießen gehalten und andere dergleichen unterschiedliche so recht heidnische als sonst abergläubische und gottlose Dinge verübt werden, die bereits guten Theils von Uns verboten worden sind, und Wir denn solche und dergleichen abergläubische verbotene Sachen bei Unsern Unterthanen ohne Unterschied der Religion ganz und gar abgestellt, darüber festgehalten und die Verbrecher zur gebührenden Strafe gezogen wissen wollen, als ergeht Unser gnädigster und zugleich ernster Befehl hiermit an euch, hienach zu handeln und zu thun.“
Anfangs untersagte man diese Feste, weil sie doch „teuflischen Ursprungs“ wären; später verbot der Pfalzgraf Philipp Wilhelm nach dem Dreißigjährigen Kriege die Maibäume, weil die herzoglichen Forsten dadurch beraubt würden; Kurfürst Karl Theodor untersagte das nächtliche Maigeläute und die Maifeste bei Prügelstrafe und Gefängniß, ja, in den Jahren 1800, 1807 und 1809 erließ die bergische Regierung Verordnungen, in denen das Maistecken mit Geldbuße und Gefängniß bedroht wurde. Dazu kam noch in späteren Zeiten der vornehme gesellschaftliche Sinn, der bald in den Schnallschuhen und dem wohlgepflegten Zopfe, bald, je nachdem die Mode es vorschrieb, in den Pariser Glanzstiefeln und Frackschößen das allein menschenwürdige Dasein erblickte und, in die dumpfen Säle und engen Gärten gebannt, auf alles Volksthümliche so sehr von oben herabzuschauen beliebte.
Diesen vereinten Angriffen der kirchlichen und weltlichen Potentaten sowie einer auswüchsigen Civilisation unterlagen schließlich die heiteren Volksfeste, und schon gegen das Ende des Mittelalters war an den meisten Orten von ihnen nichts mehr übrig, als das volksthümliche Tanz- und Trinkgelage, wie es aus unserem heutigen wohlgelungenen Bilde des talentvollen J. Adam (vergl. Seite 380 und 381), welches uns in die Zeiten des sechszehnten Jahrhunderts zurückversetzt, dargestellt wird. Es währte aber nicht lange, und auch der städtische Patricier und der Honoratiorenmensch des Dorfes hielten es für unter ihrer Würde, mit dem sogenannten Volk in Berührung zu kommen. Da wären wir schließlich in der Gegenwart angelangt, wo Jeder für sich den Maigrafen abholt, wo Menschenschwärme nach dem Gebirge hin ausströmen, in enge Gesellschaftscirkel eingetheilt und scheu einander aus dem Wege weichend, wo die Sitte, das Haus mit Maien zu schmücken, zu recht profanem Marktgeschäft herabsank.
Nur in einigen Städten, in welchen die Veranstaltung des Festes von Innungen, Schützengilden und anderen Corporationen geleitet wurde, erhielt sich die alte Sitte, wiewohl in äußerst verzerrter Form. Welchen Wandlungen ein solches Fest im Laufe der Zeit unterworfen war, darüber belehrt uns ein nicht umfangreiches, aber für den Culturhistoriker sehr interessantes Werkchen „Das Mai-Abendfest in Bochum“ von Max Seippel. Ist es doch in dieser Stadt schließlich soweit gekommen, daß der Einfachheit und Bequemlichkeit halber nicht der Maibaum, auf welchen den Bochumern ein ausdrückliches Anrecht zugestanden war, aus dem benachbarten Walde abgeholt, sondern der dortigen Schützengilde eine Abfindungssumme von acht Thalern gezahlt wurde.
Die sogenannten besseren Stände ziehen sich heute wieder mehr als jemals von den Volksfesten zurück, indem sie über die zunehmende Rohheit der Massen klagen. Aber sie vergessen dabei leider nur allzu oft, daß sie daran zum großen Thema selbst schuld sind; denn wenn die besseren Elemente von den öffentlichen Festen fernbleiben, so gewinnt bei diesen natürlich der Pöbel die Oberhand, und man darf sich unter solchen Umständen nicht wundern, daß die Kluft des Standesunterschiedes sich immer mehr erweitert und die Rohheit in den sich selbst überlassenen unteren Schichten der Gesellschaft zunimmt.
Gegen gewisse Uebel unseres socialen Lebens bilden die öffentlichen Feste, an denen sich Jedermann betheiligen darf, ein gutes Heilmittel, und da unsere Zeit an echtem volksthümlichem Sinne so arm ist, sollten wir dahin streben, die alten Volksbräuche nach Kräften zu erhalten.