Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts/Dr. Salomon Morgenstern

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Autor: Rudolf v. Gottschall
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Titel: Dr. Salomon Morgenstern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 736–738
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Deutsche Biografie: Morgenstern, Salomon Jakob
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Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts.

Dr. Salomon Morgenstern.
Von Rudolf v. Gottschall.

Es gab unter den deutschen Gelehrten in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr sonderbare Käuze, und namentlich die Gewaltherrschaft des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen brachte es zuwege, daß Universitätsprofessoren sich in Hofnarren verwandelten und dabei mit den höchsten Ehren und Titeln ausgezeichnet wurden. Es gab gelehrte „Spottgeburten“, welche dazu besonders veranlagt waren und sich in diesem trüben Fahrwasser mit großem Behagen bewegten, ohne daß man deshalb berechtigt wäre, ihrer Gelehrsamkeit zu nahe zu treten. Zu diesen Zwitternaturen, deren Nachruhm in einem zwiespältigen Lichte schillert, gehört auch Dr. Salomon Morgenstern, der zu zwei preußischen Königen in nahen Beziehungen stand, zu Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., und als ein Erbstück des gestrengen Vaters auf den genialen Sohn überging, welcher sonst von dem Hofinventar des Soldatenkönigs wenig genug herübernahm.

Salomon Morgenstern war am 8. April 1706 zu Pegau im Kursächsischen geboren, besuchte das Gymnasium zu Altenburg und ging in seinem zwanzigsten Jahre auf die Universität Jena, um sich der Gottesgelahrtheit zu widmen. Nach beendigtem Studium wurde er in Leipzig Magister der Theologie und bald darauf Professor in Halle, wo er indeß seine theologischen Studien, wie es scheint, an den Nagel hing und vorzüglich über Geographie und Geschichte las.

Schon in jungen Jahren hatte er Tüchtiges geleistet und sich einen Namen gemacht. Im Jahre 1734 war seine „Staatsgeographie von Rußland“ erschienen, durch welche er der Kaiserin Elisabeth bekannt wurde, die ihn mit einem Gehalt von 1000 Thalern nach Petersburg berief. Das war ein schöner Erfolg für einen Gelehrten von 28 Jahren; man darf daher die wissenschaftlichen Verdienste des kleinen Morgenstern nicht unterschätzen.

Seine Persönlichkeit aber war sehr seltsamer Art, und gerade das Auffallende seiner äußeren Erscheinung, wie es auch auf dem von uns gebrachten alten Porträt hervortritt, sollte für sein Schicksal entscheidend werden. Der kleine possierliche Mann, etwas verwachsen, drollig in Haltung und Bewegungen, erlebte bei seiner Durchreise nach Petersburg in Berlin ein merkwürdiges Abenteuer.

Der wachhabende Offizier am Thore zu Potsdam habe, so wird erzählt, den Gelehrten wegen seiner komischen Persönlichkeit dem König gemeldet, dieser habe das Original zur Audienz befohlen und, da er allen seinen Anforderungen an einen Hofgelehrten entsprach, ihm erklärt, er dürfe nicht weiter reisen. Morgenstern erwähnte seine günstigen Aussichten in Rußland, entschloß sich indessen, zu bleiben, als ihm die Stelle eines Königlichen Hofraths mit 500 Thalern Gehalt und freier Wohnung in Potsdam angeboten wurde. Er trat sogleich ins Tabakskollegium ein; denn darauf kam es dem König in erster Linie an, einen Ersatzmann für den seligen Gundling zu haben, der in diesem Kollegium die Zeitungen vorgelesen und erklärt hatte und nebenbei die Zielscheibe der rohesten Soldatenwitze gewesen war.

Es gehörte Muth dazu, im Tabakskollegium die Wissenschaft zu vertreten, da die tapferen Haudegen, die dort zechten, dieselbe für eitel Narretei hielten. Die Schicksale Gundlings mußten allen zur Warnung gereichen, welche nach ihm so gefährliche Pfade wandeln wollten. Gundling war Professor an der Ritterakademie und Rath bei dem Oberheroldsamt gewesen. König Friedrich Wilhelm I. hatte diese Aemter bei seinem Regierungsantritt aufgehoben und Gundling dafür zum Hofrath und Zeitungsberichterstatter im Tabakskollegium ernannt. Gundling war von da an der ständige Begleiter des Königs; er wurde Oberceremonienmeister und Nachfolger des großen Leibniz in der Stellung eines Präsidenten der Berliner Akademie. Aber damit war es der vom Könige ironisch gemeinten Ehren noch nicht genug. Der Gelehrte des Tabakskollegiums wurde in den Freiherrnstand erhoben, mit sechzehn Ahnen väterlicher und mütterlicher Seite, und zum Kammerherrn ernannt. Das alles mochte für einen jungen Mann wie Morgenstern etwas Verlockendes haben, und doch konnte er sich wohl nicht darüber täuschen, daß diese Würden keineswegs vor dem Hohne des Königs und seiner Umgebung schützen konnten. Pflegte man doch dem Herrn von Gundling allerlei Figuren von Eseln, Affen und Ochsen an sein Staatskleid zu heften, zwang man ihn doch, aus den Zeitungen über seine eigene Person die boshaftesten Artikel vorzulesen, welche der König selbst an die Redaktionen hatte schicken lassen; man setzte ihm einen Affen zur Seite, der ganz so wie er selbst gekleidet und mit dem Kammerherrnschlüssel geschmückt war. In Wusterhausen, wo stets einige junge Bären im Schloßhof herumliefen, legte man dem armen Gundliug ein paar davon ins Bett, und obschon ihre Vorderfüße verstümmelt waren, so hätten sie ihn doch fast totgedrückt. Ein andermal schrieb Gundlings Nebenbuhler im Tabakskollegium, Faßmann, eine derbe Satyre gegen diesen unter dem Titel „Der gelehrte Narr“ und mußte sie Gundling im Kollegium überreichen. Dieser, hochroth vor Zorn, ergriff eine zum Pfeifenanbrennen mit glühendem Torfe gefüllte kleine Pfanne und warf sie Faßmann ins Gesicht. Sofort bearbeitete der Angegriffene, nach den nöthigen Vorbereitungen, vor den Augen des Königs Gundling derart mit der Pfanne, daß derselbe vier Wochen lang nicht zu sitzen vermochte. Seitbem kam es öfters zum Faustkampf zwischen den gelehrten Herren. Sogar eine Leichenfeier ins Lächerliche zu ziehen, scheute sich der König nicht: er ließ Gundling, als dieser starb, in einem mächtigen Weinfaß begraben, trotz aller Einsprüche der Geistlichkeit! Und jene Züchtigung mit der Rauchpfanne, das Begräbniß im Weinfaß waren „Auszeichnungen“ für den Nachfolger von Leibniz, für den Präsidenten der Berliner Akademie! Die Gelehrten waren dem König nur „Pedanten, Tintenkleckser, Schmierer“, und er behandelte sie demgemäß.

Wenn Morgenstern sich durch das alles nicht irremachen ließ und nach Gundlings Ehren trachtete, so glaubte er vielleicht, das Mißgeschick seines Vorgängers vermeiden zu können. Gundling hatte alle Würde dadurch eingebüßt, daß er ein Säufer geworden war. Auch kam es Morgenstern zu statten, daß er nicht der einzige war, der die Rolle eines Hofprofessors und Hofnarren, welche [737] beide innig verschmolzen waren, zu spielen hatte. Sein Genosse war ein entlaufener Mönch, ein Tiroler Namens Graben zum Stein, im Spott Graf zum Stein genannt und ebenfalls hoher Ehren gewürdigt; denn er wurde Vicepräsident der Akademie und Ceremonienmeister. In dem Diplom, das dem Vicepräsidenten am 19. Januar 1732 ausgestellt wurde, mußte sich nicht nur dieser „Astralicus“, wie sein Spottname lautete, sondern auch die ganze Akademie den bittersten Spott gefallen lassen; sie sollte darüber wachen, daß die Kobolde, Alpen, Irrwische, Wassernixen, verwünschte Leute und Satansgesellen ausgerottet würden; wenn der Graf zum Stein dergleichen Ungethier tot oder lebendig bei dem König einliefern würde, solle er für das Stück sechs Thaler Belohnung erhalten. Die vergrabenen Schätze sollte man mit der Wünschelruthe durch Segenssprüche, Allrunken und auf andere Art heben, wobei der Graf zum Stein den vierten Theil davon erhalten werde. Die Kalender müsse er so einrichten, daß die Prognostica glücklich getroffen, der guten Tage soviel als möglich eingesetzt, die bösen aber vermindert würden. Der Graf habe ferner Anzeige zu machen, wenn der Thierkreis sich am Himmel verrücke, Mars einen freundlichen Blick auf die Sonne werfe oder mit der Venus, dem Saturn und dem Mercurius im Quadrat stehe.

Es scheint in der That, daß die schlimmste Erbschaft Gundlings auf die Schultern des „Grafen“ abgeladen wurde, während der Knirps Morgenstern trotz seiner ihn zum Hofnarren stempelnden Erscheinung ein gewisses Ansehen zu behaupten wußte. Das hinderte freilich nicht, daß der König unter Beiziehung des Tirolers auch mit ihm einen Hauptspaß veranstaltete, um zu zeigen, wie gründlich er die Gelehrsamkeit verachte. Morgenstern und Astralicus sollten an der Hochschule zu Frankfurt an der Oder ein wissenschaftliches Duell ausfechten über das Thema „Gelehrte sind Salbader und Narren“.

Am 10. November 1737 kam der König in einem Jagdwagen, neben welchem Morgenstern einherritt, nach Frankfurt. Tags darauf fand die Disputation statt. Der König war mit seinen Offizieren frühzeitig erschienen; Morgenstern hatte das Katheder bestiegen und zwar in einer merkwürdigen Kleidung. Er trug ein mit lauter silbernen Hasen gesticktes blausamtenes Kleid mit großen rothen Aufschlägen, eine rothe Weste, eine sehr große über den ganzen Rücken herunterhängende Perücke, statt des Degens einen Fuchsschwanz und auf dem Hute statt der Federn Hasenhaare. Der König hatte den Professoren durch die Pedelle ansagen lassen, sie möchten erscheinen, um Morgenstern zu opponieren; doch fehlten viele Professoren, als der König schon an Ort und Stelle war. Er ließ sie holen und sagte zu den Offizieren: „Morgenstern ist klüger als alle Professoren. Ein Quentchen Mutterwitz ist besser als ein Zentner Universitätsweisheit.“

[Morgenstern in seinem Studierzimmer.]

Man erstaunt, wenn man in diese Komödie berühmte Namen mitverwickelt sieht, welche der Wissenschaft zur Ehre gereichen. Der Rektor der Universität war der Geheime Rath Johann Jakob Moser, ein Württemberger, mit Recht der Vater des deutschen Staatsrechts genannt, zugleich ein Mann von unabhängiger Gesinnung, der später für seinen Mannesmuth im Kampfe für die ständischen Rechte Württembergs gegenüber dem gewaltthätigen Herzog Karl mehrere Jahre lang in der Festung Hohentwiel eingekerkert wurde. Auch in Frankfurt gab er sich nicht dazu her, die Wissenschaft zum Harlekinsspiel zu erniedrigen und weigerte sich entschieden dem Dr. Morgenstern zu opponieren. Dieser Mannesstolz vor Königsthronen schien doch seine Wirkung nicht zu verfehlen; wenigstens hielt es der König für angebracht, etwas zu äußern, was fast wie eine Entschuldigung klang. „Was ist’s denn?“ meinte er. . „Jeder Mensch hat seinen Narren; ich habe den Soldatennarren. Einer (auf Moser deutend) hat den geistlichen Hochmuthsnarren, ein anderer einen anderen; es ist ja nur erlaubter Spaß!“ Nachdem er sich so mit seinem Gewissen abgefunden hatte, rief er den Studenten zu: „Scheut Euch nicht, Jungen, tretet näher und beweist Morgenstern, daß er ein Narr ist.“

Jetzt begann ein unbeschreiblicher Tumult; Morgenstern wußte sich vor dem Andrang der beweiskräftigen Jugend nicht zu helfen, und der Rektor selbst mußte eingreifen, um die Ruhe wieder herzustellen. Es fanden sich mehrere Professoren die den Stolz Mosers nicht theilten und auf den Spaß des Königs eingingen. So entwickelte sich ein scharfes Wortgefecht, bis nach einer Stunde der König innehalten ließ. Er machte Morgenstern ein großes Kompliment, drehte sich um, pfiff und klatschte in die Hände. Alle Anwesenden folgten seinem Beispiel.

Morgenstern blieb bis zum Tode Friedrich Wilhelms I. dessen Vertrauter, das erfahren wir aus seinen eigenen Aufzeichnungen. Der König schloß sich mehrmals mit ihm ein und ließ sich von ihm ungestört über alle Hof- und Familiengeschichten Auskunft geben. Morgenstern war eben darin aufs beste bewandert, wie er denn überhaupt zum Spionieren ein angeborenes Talent hatte. Doch war er unparteiisch in seinen Berichten und trat niemand zu nahe. Die Königin wußte dies wohl; sie ertheilte ihm eine Belohnung und sagte ihm ihren Schutz zu.

König Friedrich Wilhelm I. dachte schon im Jahre 1738 ernstlich daran, abzudanken – darüber lassen Morgensterns Denkwürdigkeiten keinen Zweifel übrig. Es war dem König vollkommen Ernst damit, und in langen Gesprächen mit seinem Günstling wurde erwogen, was nach der Abdankung geschehen solle. Anfangs wollte sich der König nach Wusterhausen zurückziehen, dann aber in die Niederlande, und es wurde von ihm und Morgenstern ein genauer Plan ausgearbeitet, wie das alles künftig eingerichtet werden, wo der König seinen Wohnsitz aufschlagen, ja sogar, welche Kleider er tragen solle. Es war da von einem ganz braunen Tuchkleid und schwarzseidenen Strümpfen mit Wickeln die Rede. Noch auf seinem Kranken- und Sterbebett kam der König auf diesen Plan zurück und verhandelte darüber aufs neue mit Morgenstern, der auch in der letzten schweren Zeit nicht von seiner Seite wich.

Der kleine Gelehrte war ein findiger Kopf und sehr verwendbar fürs Auskundschaften und Vorbereiten großer Pläne, das erkannte auch Friedrich II., der Morgenstern in seinen Stellungen beließ, nachdem er die Regierung angetreten hatte. Kaum hatte er die Absicht gefaßt, Schlesien zu erobern, als er den Vertrauten seines Vaters, das unscheinbare Männlein, in die schlesische Hauptstadt schickte, um dort die nöthige Stimmung für den beabsichtigten Staatsstreich hervorzurufen, der die gute Stadt Breslau, die sich, so abhängig sie von österreichischen Einflüssen war, doch ihrer Unabhängigkeit rühmte, in eine preußische Stadt verwandeln sollte. Und nun zeigte sich das merkwürdige Schauspiel, daß ein in Hofkreisen heimischer Gelehrter, der sich zu allerlei Narrheiten hatte hergeben müssen und unter dem Stockregiment eines Gewaltherrschers zu stehen gewohnt war, sich auf einmal in einen Volksredner und Volksverführer zu verwandeln wußte und auf die Bürger und Handwerker von Breslau den größten Einfluß gewann. Morgenstern war der beredsame Wühler, welcher dem Vorgehen des Königs Friedrich II. von Preußen in Schlesien die Bahn öffnete.

Friedrich hatte das Schwert gezogen, die Preußen waren in Schlesien eingerückt. Das Oberamt in Breslau und ein Theil des Rathes waren österreichisch gesinnt und unterstützten die Forderung der Oesterreicher, Breslau möge die kaiserlichen Truppen aufnehmen. Dagegen aber wandten sich die Zünfte und die Bürgerschaft, sich auf das alte Recht der Stadt stützend, neutral zu bleiben, eigene Besatzung zu haben und beiden feindlichen Heeren die Pforten zu verschließen. Einer der eifrigsten Vorkämpfer dieses Rechts war der Beischuster Döblin, der sein Handwerk längst beiseite geworfen sich auch nie in der Schusterzunft großen Ansehens erfreut [738] hatte, weil er keine selbständigen Kunstwerke lieferte, sondern Stiefel und Schuhe nur zu flicken und zu besohlen pflegte. Dafür war er ein gewaltiger Redner vor dem Herrn und nach dieser Seite hin zollten ihm alle Zünfte ohne Ausnahme begeisterte Anerkennung.

Mit dem Beischuster schloß nun Morgenstern innige Freundschaft; er gab sich zunächst Mühe, Stimmung zu machen und das Volk einzunehmen für den jungen König von Preußen, dessen Vorzüge er in das hellste Licht zu setzen wußte. Und wenn die beiden im Breslauer Rathskeller ihre feurigen Reden hielten, so vergaßen alle, auf die „Lümmelglocke“ zu hören, welche das Zeichen gab, den Keller zu schließen. Der Hofrath und der Beischuster standen auch an der Spitze der Volksmenge, die, ins Rathhaus eindringend, den hohen Rath nöthigte, den Einmarsch österreichischer Truppen abzulehnen und die Selbständigkeit der gemeinen und freien Stadt Breslau aufrecht zu erhalten. Friedrich unterschrieb den Vertrag der Neutralität, aber mit dem Zusatz „unter den jetzigen Konjunkturen und so lang sie dauern werden“, ein Zusatz, auf den die Weisheit der Breslauer Rathsmänner nicht sonderlich achtete. Dr. Morgenstern hatte inzwischen über die Stimmung der Breslauer dem König genauen Bericht erstattet, und dieser hielt bald darauf als Gast des Rathes seinen Einzug in die Stadt, auf schnaubendem Schimmel, im blausamtenen Kleide mit weißen Achselbändern, mit dem silbernen Sterne geschmückt, über all dem Glanze einen schlichten blauen Mantel. Das war der erste Triumph des kleinen Morgenstern, denn hinter diesem harmlosen Einzug und der Gastfreundschaft der neutralen Stadt lauerten ganz andere Dinge!

Doch es bedurfte zum völligen Triumphe vor allem eines Sieges: das österreichische Heer mußte geschlagen werden, und das geschah in der ruhmreichen Schlacht bei Mollwitz. Nun brauchte der König Geld und schrieb eine Steuer aus für ganz Schlesien — die Beredsamkeit Morgensterns und seines Genossen Döblin brachte es dahin, daß die Breslauer Zünfte sich aus freien Stücken erboten, diese Steuer mit aufzubringen. Darauf konnte sich der kleine Doktor viel zugute thun; denn es gehört zu den seltensten Ereignissen der Geschichte, daß sich eine Bürgerschaft dazu drängt, eine freiwillige Steuer zu zahlen und als dann nach der Schlacht bei Mollwitz die Oesterreicher sich durch Hinterlist der schlesischen Hauptstadt zu bemächtigen suchten, wobei Intriguen der Nonnen und der adeligen Damen, jene bekannte „Verschwörung der Frauen“, mitspielten, da war Morgenstern mit seiner feinen Spürnase wieder auf dem Platze und half nach Kräften diese geheimen Gespinste entwirren und den Einzug der preußischen Truppen, der jetzt eine politische Nothwendigkeit geworden war, vorbereiten. So hatte dieser „Hofnarr als Demagoge“ nicht geringen Antheil daran, daß Breslau eine preußische Stadt wurde.

Morgenstern verscherzte auch später nicht die Gunst des großen Königs, der ihn zum Vicekanzler von Schlesien ernannte. 1756 wurde er von Friedrich nach Potsdam berufen, wo er bis zu seinem Tode am 16. November 1785 blieb. Der kleine Mann hatte ein Alter von fast 80 Jahren erreicht.

Das nachgelassene Werk von Hofrath Morgenstern „Ueber Friedrich Wilhelm I.“ erschien im Jahre 1793. Es ist eine sehr beachtenswerthe Schrift, denn Morgenstern war wie wenige in der Lage, ein Charakterbild dieses eigenartigen Fürsten zu entwerfen, dessen Vertrauen er bis zuletzt genoß; er verschweigt seine Fehler nicht, aber er entschuldigt sie und rechnet am Schlusse den König zu den wahrhaft großen Fürsten, die für das Glück ihrer Völker regiert haben.

Der Verfasser selbst, eine der buntscheckigsten Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts – Gelehrter, Diplomat und Hanswurst, je nachdem die eine oder die andere dieser Schubladenrollen angebracht war oder auf höheren Befehl gespielt werden mußte, gehört weder zu den Zierden der deutschen Wissenschaft, noch zu den Staatsmännern von Ruf und Bedeutung; sein Charakter war nicht makellos; er war geizig, eigensinnig und Anhänger einer cynischen Denkweise; für die Stellung der Gelehrten jener Zeit aber ist dieser närrische Kauz neben Gundling in hohem Maße bezeichnend, er ist überhaupt eines der eigenartigsten und drolligsten Exemplare, welche die deutsche Professorengeschichte aufzuweisen hat.