Deutsche Städtebilder/Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten.
Deutsche Städtebilder.
Es giebt ein altes berühmtes Lied, das von „Bronsewyck, der leiwen Stadt,“ zwei Dinge zu rühmen weiß. die „Mumme“, d. h. ihr Bier, und die Schlackwurst. Für die malerische Pracht und den poetischen Reiz mittelalterlicher Romantik, den die tausendjährigen Baudenkmäler der altehrwürdigen Hanse- und Residenzstadt in überreicher Fülle entfalten, hat der treffliche Sänger kein Wort des Preises. Wie so mancher die Schönheiten seiner Heimat mit einer beinahe an Gleichgültigkeit grenzenden Teilnahmlosigkeit betrachtet, so sind auch manchem weniger ästhetisch angelegten Braunschweiger diese stolzen Zeugen einstiger Bürgermacht und städtischer Selbstherrlichkeit „Wurst“. Und doch giebt es außer Nürnberg, Hildesheim und einigen kleineren Orten im Süden, wie z. B. Rothenburg, kaum eine zweite Stadt, die so reich an architektonischen Schätzen und bedeutsamen Erinnerungen an unsere deutsche Vorzeit ist wie gerade Braunschweig.
Wer Sinn für Romantik hat und sich gerne in längst vergangene Zeiten zurückträumt, der findet in Braunschweig die üppigste Nahrung für seine in die früheren Jahrhunderte zurückschweifende Phantasie; denn wie von einem Zauberbann gefesselt liegt die Stadt da in ihrer ganzen unveränderten Merkwürdigkeit, in der sie uns der Ausgang des Mittelalters hinterließ. Wie ein seltsamer Widerspruch mutet es uns an, wenn wir in den altertümlichen engen Straßen und Gassen modisch gekleidete Menschen mit großstädtischer Hast dahineilen sehen; und es will uns bedünken, als müßten aus den kleinen Häusern mit ihren treppenartig vorspringenden niedrigen Stockwerken und den klugen, hellen Fensteraugen, die ohne Pfeiler dicht aneinander gereiht die ganze Front einnehmen in jedem Augenblick ehrbare Matronen mit ihren sauberen Häublein und hochgepufften faltenreichen Gewändern heraustreten, um gottesfürchtigen Sinnes zur Andacht in eine der nahen Kirchen zu wandeln. Die bescheidene Genügsamkeit und das behaglich behäbige Stillleben bürgerlicher Wohlhabenheit mit ihrem stark ausgebildeten Sinne für Bequemlichkeit und handfeste Gediegenheit in allen Lebenseinrichtungen spricht aus diesen Wohnstätten auf Schritt und Tritt zu dem verständnisinnigen Beschauer, aber auch der Hang zu dem zähen Beharren bei dem Altgewohnten und von den Vätern Ueberkommenen, die Liebe zu der Urväter Hausrat und die Pietät für das durch die Jahrhunderte Geweihte.
Daß Braunschweig von jeher ein Sitz bürgerlichen Wohlstandes gewesen ist, das bezeugen die prächtigen Kirchen, die Rats- und Gemeindebauten, wie auch die für damalige Zeiten reiche Zier, mit der man die Fassaden der Häuser schmückte. Bunt bemalte, figurenreiche und mit Holzschnitzerei prunkvoll ausgestattete Häuserfronten waren überall, selbst in den weniger vornehmen Stadtvierteln, gäng und gäbe. Ja gerade dort, wo der kleine Bürger sich anzusiedeln pflegte, zeigte sich eine ausgesprochene Vorliebe für eine stattliche Außenseite. Auch der weniger begüterte Mann durfte es sich erlauben, hierin einen gewissen Luxus zu entfalten. auf den sein Bürgersinn stolz war, denn sein Heim war die Freude seines Herzens. Werfen wir einen Blick auf unser doppelseitiges Bild S. 128 und 129! Die enge Gasse, in deren Hintergrund wir einen der höchsten Türme Deutschlands, den schlank und kühn sich erhebenden Andreasturm, Braunschweigs Feuerwarte, mit dem davorliegenden Gebäude der Alten Wage erblicken, zeigt uns eine Flucht von Häusern mit staffelartig vorspringenden Stockwerken, die ehedem wie auch heute noch von den Kleinbürgern bewohnt sind. Wie einfach auch ihr Aussehen und wie bescheiden auch ihre Größenverhältnisse erscheinen mögen, in ihrem sauberen und gefälligen Aufputz und in ihrem artigen architektonischen Schmuck verkünden sie doch einen gewissen Grad von Wohlbehäbigkeit. Noch deutlicher erkennt man dies aus einer andern, dicht daneben wiedergegebenen Straßen anficht, der Hagenbrücke. die von der herrlichen Katharinenkirche, mit prächtig geschmücktem gotischen Hauptschiff, abgeschlossen wird. Hier hatten kleinere Handwerksmeister ihre Sitze, und sie strebten danach, auch nach außen zu bekunden, daß das Handwerk noch einen goldenen Boden habe.
Den Glanzpunkt und den Stolz des braunschweigischen Gemeinwesens bildete und bildet noch heute noch der malerische Altstadtmarkt (S. 117) mit seinem reich in Maß- und Figurenwerk geschmückten und von schon gewölbten, in reinstem gotischen Stil gehaltenen Arkaden umgebenen Rathause, dessen edle Gliederung
[125]und schlank aufstrebende Giebel mit ihren zierlichen Fensterwölbungen und kunstvoll durchbrochenen Rosetten im Stil so gut mit der gegenüberliegenden ehrwürdigen Martinikirche harmonieren. Wer diesen wundervollen Platz, dessen Mitte ein mittelalterlicher Brunnen schmückt, betritt, ohne von den andachtsvollen Schauern einer schönheitstrunkenen Stimmung überrieselt zu werden, der ist für den göttlichen Funken, welcher in solcher „gefrorenen Musik“ liegt, nicht empfänglich und mag nur spornstreichs in das auf der andern Längsseite belegene uralte Wirtshaus zu den „Sieben Türmen“ gehen. um sich in ein ehrbares Bierbankgespräch zu vertiefen.
Eines der hervorragendsten Gebäude Braunschweigs, dessen Längsseite von den Gebäuden auf der vierten Seite des Altstadtmarkts verdeckt wird, ist das im Jahre 1590 erbaute Gewandhaus, ein sechs Stockwerke hoher Bau mit außerordentlich reich ausgestatteter Renaissance-Vorderseite. In demselben befand sich ehemals das Warenmagazin der Kaufmannsgilde, namentlich der Tuchhändler, die hier ihre Lagerräume hatten, ein beredtes Zeugnis für den Reichtum der Stadt, die es errichten ließ.
Da unsere Altvordern mit großer Lebensklugheit das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden wußten so ließen sie es nicht an Stätten ermangeln, wo man einen guten Tropfen trank. Während in den mächtigen Kellergewölben des Gewandhauses die gewaltigen Stückfässer lagerten, die mit dem edlen Rebenblut von den fernen, im Besitz des Rats befindlichen Weinbergen angefüllt waren, hatte man in einem kleinen Anbau zur Seite des Hauptgebäudes eine Weinstube eingerichtet, in welcher die vom nahen Rathaus kommenden Ratsherren und die Patrizier der Stadt eine preisliche Labung fanden. Die Stube war zwar so klein, daß wohl nur 20 Personen daselbst Platz finden konnten, aber da man damals auf langen Bänken an den Wänden zu sitzen pflegte und der Bürger weniger dem Wein und mehr der trefflichen Mumme und dem nicht minder beliebten Broyhan[1] nachging, so mag sie wohl für ihren Zweck ausgereicht haben. Später soll sie als Wachlokal benutzt worden sein. Heute aber ist sie – „stilvoll“ restauriert – ihrem ursprünglichen Zwecke zurückgegeben und mit der in den Kellerräumen befindlichen Weinhandlung verbunden, in der man nach Hauffschem Vorgange sich in gar liebliche Träume von dem einstigen Glanze und der Tüchtigkeit der „Guten alten Zeit“ versenken kann. Eine fidele Gesellschaft lebenskluger Zecher, die sich mit philosophischer Heiterkeit über des Lebens Unverstand hinwegzutäuschen weiß, ein Gegenstück zu dem bekannten Berliner Verein „Tunnel über der Spree“ und zur „Grünen Insel“ in Wien, hat hier ihren Stammsitz. Sie führt den originellen Namen „Die Kleiderseller“, nach den braunschweigischen Althändlern, und ihr weiser Nestor ist Wilhelm Raabe. –
Die Braunschweiger waren als Niedersachsen stets ein kräftiger, wehrhafter und auf seine Tüchtigkeit trutzender Volksstamm, [126] der den Herzögen viel zu schaffen machte, indem er ihnen oft die Unterwerfung versagte. Viele heftige Fehden sind darob zwischen den Bürgern und den Fürsten entbrannt und manche Erinnerung an diese Kämpfe hat sich bis heute an den öffentlichen und privaten Bauten der Stadt erhalten. Eine der bemerkenswertesten finden wir an der schmucklosen, aber durch ihr hohes Alter ehrwürdigen Magnikirche, der ältesten Braunschweigs, die durch die Ungleichartigkeit ihrer Türme auffällt. Den einen, der jetzt nur einen kümmerlichen Stumpf darstellt, ließ der Herzog Heinrich Julius im Jahre 1615 beschießen. Es sollen innerhalb acht Tagen nicht weniger als 1014 Schüsse auf diesen Punkt abgegeben worden sein, die aber sehr schlecht gezielt gewesen sein müssen, denn erst in den letzten Tagen gelang es, den Turm so zu beschädigen, daß die Hälfte von ihm in Trümmer fiel. Man hat ihn nicht wieder aufgebaut, sondern jenes merkwürdig ungeschlachte Dach darauf gesetzt, welches einer Tischglocke gleicht und in gar seltsamem Gegensatze zu dem Dachstuhl und Glockenhause des andern Turmes steht. Die Kirche wurde im Jahre 1031 vollendet, stürzte aber 1251 ein und mußte dann (1290) wieder aufgebaut werden. - Nach der bereits genannten herrlichen Katharinenkirche, die im Jahre 1252 begonnen und im Jahre 1379 vollendet wurde, ist der Dom das architektonisch bedeutsamste Gotteshaus Braunschweigs; im Jahre 1194 vollendet, ist er ein „Denkmal dauernder als Erz“, welches sich der Herzog Heinrich der Löwe, der Urheber der nochmaligen Größe Braunschweigs als Hansestadt, selbst gesetzt hat. Hier hat der Herzog auch seine letzte Ruhestätte gefunden und neben ihm sind in einem Gewölbe die Gebeine einer ganzen Anzahl von Fürsten, und Großen dieser Erde gebettet; deren Namen die Geschichte mit vollem Klänge nennt.
In der Mitte des Hauptschiffes befindet sich das Grabmal des Herzogs Ludwig Rudolph und seiner Gemahlin, der Großeltern der, Maria Theresia, ein prunkvoller Marmorsarkophag mit den Bildnissen beider in Zinkguß. In der Krypta im Chor sieht man die Särge von 45 braunschweigischen Fürsten nebst ihren Gemahlinnen und Anverwandten. Das Innere der mächtigen Kirche, die von einem gotischen Kreuzgewölbe überdeckt wird, macht einen mächtigen Eindruck durch die Schönheit der kühn sich erhebenden Bogen wie durch die Fülle des Bilderschmucks, den die neuere Zeit hinzugefügt hat.
Mancherlei Merkwürdigkeiten, die angeblich von Heinrich, dem Löwen aus dem Morgenlande mitgebracht wurden, werden hier aufbewahrt. Von eigentümlicher Massigkeit ist ein siebenarmiger Leuchter, der nach dem Muster des einst im Salomonischen Tempel befindlichen Urbilds hergestellt worden ist. Reiche gotische Ornamentik ziert auch außen das schöne Bauwerk, bei dem nur zu bedauern ist, daß es zwei unvollendete, das Glockenhaus kaum überragende Türme besitzt, die gar übel zu dem übrigen passen.
In dem Glockenhaus sind zwölf Glocken von ausgezeichnetem Klange aufgehängt, darunter eine von gewaltiger Tiefe, deren ernste Harmonie sich an Sonntagen durch die ganze Stadt vernehmbar macht.
Auf der Südseite des Domes erblickt man das traurig stimmende Sinnbild der älteren Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg, die alte Heinrichslinde, der man ein Alter von mehr als 800 Jahren beilegt, ein trübseliger Rest eines mächtigen Baumes, der jetzt im Absterben begriffen ist, einst aber zu den stolzesten seinesgleichen gehörte, denn sein Stamm besitzt einen Umfang von mehr als 5 Metern. Allen Bemühungen zum Trotz schreitet der Verfall so unaufhaltsam fort, daß in diesem Jahre wohl nur noch der blätterlose Stumpf übrig sein wird.
Auf der andern Seite des Domes steht auf hohem, ungeschlacht massigem Steinsockel das Wahr- und Merkzeichen der Stadt Braunschweig, der bronzene Löwe, den Heinrich der Löwe als Zeichen seiner Herrschaft errichtete, ein höchst seltsames Gebild der Metallgießerkunst, von so primitiver Form, daß man es zoologisch nur sehr schwer würde bestimmen können. Der Unterbau ist übrigens jüngeren Ursprungs; er wurde im Jahre 1721 hergestellt und 1858 erneuert. Eigentümlich berührt es, daß der Löwe der Stadt den Rücken wendet und mit dem Gesichte nach der Stätte gekehrt ist, wo einst die alte Burg Heinrichs des Löwen, das Schloß Dankwarderode sich erhob. Auch jetzt noch hat er die Burg vor sich, aber es ist ein Bauwerk, welches erst in den letzten Jahren entstanden ist. Prinz Albrecht, der Regent von Braunschweig, hat es dort errichten lassen, wo bisher nur eine alte verfallene Reitbahn stand, ein abscheuliches kaserneartiges Bauwerk aus dem 17. Jahrhundert, das abgebrochen werden mußte. Einige Reste der alten Burg, die mit diesem Bau verschmolzen sich beim Abbruch vorfanden, und alte Pläne und Beschreibungen dienten dem Architekten als Wegweiser für die Wiederherstellung der Heinrichsburg und setzten ihn in stand, ein Bauwerk zu errichten, das wenigstens im Stil und in der Anlage der alten Burg des Löwenherzogs ähnlich sein dürfte. Dasselbe schließt sich rechtwinkelig an den Dom an, mit dem es durch einen Galeriegang verbunden ist, und soll als Ballei für die Johanniterritter dienen, deren Ordensmeister der Prinz Albrecht ist. Kenner des frühgotischen Stils rühmen von dieser neuen Herzogspfalz die Treue in der Nachahmung und die Strenge, mit der sie im Geiste der alten Zeit gehalten ist. Jedenfalls bildet sie eine architektonische Sehenswürdigkeit Braunschweigs, die ihrem geistigen Urheber, dem Stadtbaurat Winter, zur Ehre und den Braunschweigern zum Stolze gereicht.
Der Burg gegenüber liegt ein mächtiges Gebäude, das einem Herrensitze aus dem Anfang dieses Jahrhunderts ähnlich sieht, ein architektonisch unansehnliches, mit einem mächtigen, von Säulen getragenen Balkon versehenes, altersgraues und mürrisch dreinschauendes Haus, das allenfalls ein Regierungsgebäude vorstellen könnte. Es ist das Stammhaus des bekannten Verlegers Friedr. Vieweg, der, ein Schwiegersohn des nicht minder bekannten Pädagogen und Schriftstellers Joach. Heinr. Campe, hier eine Schulbuchhandlung errichtete und damit den Grundstock zu seinem späteren Reichtum legte. Das dicht daneben belegene Haus mit der mittelalterlichen Fassade und dem behaglichen Risalit, ein malerisches Stückchen Romantik, welches seltsam von dem nüchternen Nachbar absticht, gehört der Familie von Veltheim, und zwar der gräflichen Linie. Es zählt zu den Bauten der Stadt, vor denen der poetisch gestimmte Beschauer in der Regel mit dem stillen Seufzer verweilt: „Ach, wenn du wärst mein eigen!“ so heimisch, so lauschig mutet es an und so freundlich ladet es zum Eintritt ein.
Obschon Braunschweig der bedeutenden Männer eine ganze Zahl hervorgebracht hat, ist es doch merkwürdig arm an monumentalen Bildwerken. Erst in neuerer Zeit hat es mehrere solcher Zierden erhalten, unter denen das Lessingdenkmal von Rietschel eine Schöpfung ersten Ranges ist. Dasselbe verdankt seine Entstehung der Anregung des verdienstvollen Stadtarchivars Dr. Carl Schiller und ist aus freiwilligen Beiträgen entstanden. Lessings scharfer kritischer Geist, seine hohe Denkernatur wie sein Dichtergenius sind in dieser kraftvollen Gestalt, auf deren Stirn der Adel einer freien Gesinnung thront, in gleicher Vollendung zum Ausdruck gelangt. Unweit davon, am Egidienmarkt, liegt ein wohlerhaltenes Haus aus der Zopfzeit. in dem sich jetzt die braunschweigisch-hannoversche Hypothekenbank befindet. Hier hauchte Lessing in einem Zimmer des oberen Stockes seinen Geist aus. Ein anderer Denker, der die Gesetze des Weltalls ergründen half und neue Bahnen in der Welt der Zahlen fand, der große Mathematiker und Astronom Gauß, hat am entgegengesetzten Ende der Stadt ein Erzbild erhalten. An einem der schönsten Punkte der sich um den inneren Kern der Stadt herumziehenden mit Gärten und Villen geschmückten Promenade, vor dem sogenannten „Anatomieberge“, hat das Denkmal, das im Jahre 1880 nach einem Modell von Schaper durch den Erzgießer Howaldt ausgeführt wurde, einen idyllischen Platz gefunden. Auch dieses Standbild ist zur Hälfte aus freiwilligen Beiträgen bestritten worden; die noch fehlende Summe zahlte die Staatskasse. Zwei mächtige Reiterstatuen, die Kolossalbilder der Heldenherzoge Carl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm, die ihr Leben auf dem Felde der Ehre opferten, zieren seit 1874 den großen Schloßhof vor dem mächtigen Monumentalbau des im Jahre 1868 nach einem Brande teilweise wieder neu aufgeführten Residenzschlosses. Sie sind nach Modellen von Hähnel und v. Pönninger von Howaldt, Vater und Sohn, in Kupfer getrieben und gehören zu den vollendetsten Schöpfungen der neueren bildenden Kunst. Das in reinem griechischen Stil gehaltene Residenzschloß ist ein moderner Prachtbau vornehmster Gattung, dessen schöne Verhältnisse und großartige architektonische Gliederung die ungeteilte Bewunderung aller Sachkundigen finden., Eine von der „Brunonia“ geführte Quadriga, ähnlich der auf dem Brandenburger Thor in Berlin, krönt den [127] prächtigen Palast. Sie ist von Rietschel modelliert und von Howaldt in Kupfer getrieben. Die früher vorhandene ging bei dem Schloßbrande im Jahre 1865 zu Grunde.
So schlecht die Wasserverhältnisse Braunschweigs sind – es wird darüber mit Recht bitterste Klage geführt – so schön sind die Brunnen, deren sehenswertester der freilich erst aus neuester Zeit stammende Heinrichsbrunnen (mit dem Standbilde Heinrichs des Löwen) vor der Katharinenkirche ist, ein Werk der bildenden Kunst, das mit den besten seiner Art sich messen kann. Der Springbrunnen auf dem Kohlmarkt ist eine aus dem Mittelalter stammende „Wasserkunst“, die aber in neuerer Zeit zum größeren Teile umgestaltet worden ist und das Ueberladene der Spätrenaissance zeigt. Ein schönes Denkmal gotischer Kunst ist dagegen der im Anfang des 15. Jahrhunderts errichtete Brunnen auf dem Altstadtmarkte, der in trefflicher Stilharmonie zu dem Altstadtrathause und der Martinikirche steht.
Es ließe sich noch viel von interessanten alten Häusern mit merkwürdigen Bildwerken (auch der cynisch derbe Humor des Mittelalters ist dabei zur Geltung gekommen) erzählen, von der entzückenden Pracht, welche die Mondscheinbeleuchtung in unseren altertümlichen Gassen und Straßen dem empfänglichen Wanderer darbietet. Auch ein Blick in die Umgebung, auf die nur ein halbes Stündchen entfernte alte Cisterzienserabtei Riddagshausen mit ihrer schönen Kirche würde sich lohnen. Allein, was nützen Beschreibungen bei solchen Dingen, die man selbst anschauen und genießen muß, um sie richtig zu würdigen! Man reist jetzt viel, und jedermann glaubt es seiner Bildung schuldig zu sein, auch einmal in Nürnberg gewesen zu sein, um darüber mitreden zu können. Nun wohl, wer dieses Mekka der Romantiker sehen will, der möge auch Medina nicht unbesucht lassen! Auch in Braunschweig giebt es noch Genüsse, die über Honigkuchen, Schlackwurst und Spargel erheblich hinausgehen!
[128–129]
- ↑ Eine Art Süßbier.