Deutsche Weihnachtspiele

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Titel: Deutsche Weihnachtspiele.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 840-843
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Deutsche Weihnachtspiele.

Verklärt vom Glanz der reinen Liebe, ist uns die Weihnacht wohl noch immer das höchste Fest des Jahres. Die Alles verwandelnde Zeit hat zwar die äußeren Formen desselben vielfach geändert, seine innere Bedeutung aber ließ sie unberührt, und nach wie vor feiern wir in den langen Nächten des Mittwinters den symbolischen Sieg des Lichtes über die Finsterniß, den wahren Sieg der Nächstenliebe und Barmherzigkeit über die finsteren Mächte des Hasses und Neides. Wenn wir daher in alte Zeiten zurückschauen und die vielfachen Bräuche, die zahlreichen Spiele und Umzüge uns noch einmal vergegenwärtigen, welche einst diesem Feste besonderen Glanz verliehen, so empfinden wir wohl kaum einen Schmerz darüber, daß heute all dieser äußerliche Prunk fast spurlos verschwunden ist; genügt uns doch der einfache Glanz des strahlenden Christbaumes und das lautere Gefühl, welches die

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Weihnachtbilder aus Deutsch-Ungarn. Nach der Natur für die „Gartenlaube“ gezeichnet.
1. Der ungläubige Hirt Crispus. – 2. Die heiligen drei Könige. – 3. Obsthändlerin. – 4. Der Stern- und Baumträger. – 5. Maria, den Erzengel Gabriel an der Hand führend, Herodes und im Hintergrunde der Lakai. – 6. Kirchgang zur Mette. – 7. Csikos-Weihnachten. – 8. Der Teufel. – 9. Die Pharisäer und die gläubigen Hirten. – 10. Der Wirth. – 11. Der Hauptmann.

[842] Herzen der um ihn Versammelten durchdringt. Und finden wir in irgend einem entlegenen Dorfe noch Ueberreste jener alten Weihnachtspiele, so ist es nur ein äußeres Interesse, welches ihr Anblick in uns erweckt, fern aber bleibt uns dabei das Verlangen, dieselben in unserer Heimath wiederzubeleben.

Sie würden auch in unsere Zeit gar nicht hineinpassen, diese alten Weihnachtspiele, wenngleich sie in Süddeutschland und Deutsch-Ungarn noch dann und wann aufgeführt werden. In dem naiven Glauben des Volkes hatten sie einst ihre beste Heimstätte, da uns aber dieser verloren gegangen, so sind auch sie unrettbar dem Untergange geweiht. Schon heute, da wir uns anschicken einen flüchtigen Blick auf jene alten Weihnachtspiele zu werfen, beschleicht uns das Gefühl, als wäre es nicht leicht, einem Gegenstande Glanz und Farbe zu leihen, der doch längst nicht mehr dem Leben der Gegenwart, sondern nur noch der Geschichte angehört. Aber vielleicht liegt doch gerade darin ein besonderer Reiz; denn:

Es trägt den Heil’genschein das zeit- und räumlich Ferne,
Und wären sie dir nah’, nicht glänzten dir die Sterne.“

Die Benennungen der alten Weihnachtspiele, wie „Christkindspiel“ und „Paradiesspiel“, deuten darauf hin, daß sie im Christenthum fußen und die biblische Legende zu ihrer Grundlage haben. Die geschichtliche Forschung bestätigt auch in vollem Umfange diese Vermuthung; denn bereits im vierten Jahrhundert wurde die Feier der Geburt Christi in der abendländischen Kirche eingeführt und gestaltete sich bald zu einem großartigen Kirchenfeste. Man begnügte sich dabei nicht mit Predigten und Messelesen, sondern führte einzelne Abschnitte der heiligen Schrift dramatisch auf, da solche Darstellungen tiefer als Predigten auf das Gemüth des Volkes einwirken mußten.

So wurde beispielsweise in den Gotteshäusern eine Krippe hinter dem Altare erbaut und darauf das Bild der heiligen Jungfrau gestellt. Vor dem Chor auf einer Erhöhung stand ein Knabe, welcher den Engel darstellte und die Geburt Christi verkündete. Dann aber erschienen die Hirten; sie begrüßten Maria und beteten das Kind an. Ihnen folgten die drei Könige etc.

Anfangs wurden diese Darstellungen nur von Geistlichen aufgeführt, später aber auch Laien zu diesem Zwecke verwendet, bis die Spiele zu argen Ausschreitungen führten und aus den Gotteshäusern verbannt wurden. Da gab es z. B. ein Fest der Unterdiaconen, auch das Fest der Narren und das Eselsfest genannt, bei welchem sich die Schuljugend einen Bischof wählte und die kirchlichen Ceremonien nachahmte. Durch Einmischung älterer Personen artete jedoch dieser Brauch bald in so hohem Grade aus, daß die Baseler Kirchenversammlung ihn untersagte, „weil die Einen, in bischöfliche und priesterliche Gewänder gekleidet, den Segen ertheilten, Andere sich als Könige und Fürsten verkleideten, Andere verlarvt Schauspiele, wieder Andere Tänze und Gelage abhielten, und zwar alles in der Kirche.“

Ungebundener entwickelte sich in den späteren Jahrhunderten das Weihnachtspiel auf dem weltlichen Boden. Privathäuser und Gastwirthschaften bildeten seine Zufluchtsstätte. Weltliche dichteten es in verschiedenen Variationen, und Weltliche führten es auf. Eine Sammlung der noch erhaltenen Texte dieser Dichtungen finden wir in dem K. Weinhold’schen Werke „Weihnacht-Spiele und Lieder“ und ersehen aus derselben, daß solcher Spiele Werth tief unter dem der verwandten Passionsspiele steht.

Das gebräuchlichste unter ihnen war das Christkindspiel, welches die Verkündung des Engels Gabriel, die Geburt Christi, die Hirtenanbetung und die Huldigung der drei Könige, sowie den Bethlehemitischen Kindermord behandelte. Einige Proben aus diesem Spiele werden den Lesern einen Einblick in die Composition des Ganzen gestatten. In einem „geistlichen Gespiel“ aus Obersteiermark singt der Chor im Anfange des Stückes:

„In Galiläa ein Jungfrau wohnt
Von großen Qualitäten,
Zu Nazareth ganz wohl bekannt
Von hohen Dignitäten –
Regalisch war sie anzuseh’n etc.“

In einem anderen Christkindspiel lesen wir bei der Darstellung des Kindermordes:

„Hesel der dritt trabant hat ains am Spieß,
Kumbt getreten und spricht:
Ir lieben gselln, wol her wol her,
Zu würgen steet nur mein beger
Die Kinder, so ich han bekummen.

Ich hab ir viln das Leben gnumen,
Darvon trag ich ains an meim Spieß.
Haut drauf, stecht tot, poz peul, poz drües[1]!
Und laßt bei leib gar kaines leb’n.“

Nicht seltener wurde gegen Weihnachten das „Paradiesspiel“ aufgeführt, welches in einigen Texten gleichfalls bis auf den heutigen Tag erhalten blieb. Das eine führt den Titel: „Comedia vom Fahl Ade und Eve biß auf den verheißenen Sahmen Christum, auß fünff Historien zusammen gezogen und in eine kurtze ordnung gefaßt durch Georgium Roll.“

In diesen Paradiesspielen werden die Erschaffung des ersten Menschenpaares, sein Fall und seine Vertreibung aus dem Paradiese dargestellt. Die Sündigen werden dann von den Teufeln vor Gott gebracht, und es erfolgt ein Proceß, in welchem die Gerechtigkeit gegen und die Barmherzigkeit für die Menschen sprechen etc.

Diese allgemeinen Andeutungen dürften wohl genügen, um unseren Lesern das Verständniß für die Weihnachtspiele der Deutschen in Ungarn zu ermöglichen – die einzigen Weihnachtspiele, welche neben den steirischen sich bis jetzt im Volke erhalten haben.

Oberufer bei Preßburg, Zürndorf, Wiesen und Pötschen bei Oedenburg, hart an der nieder-österreichisch-ungarischen Grenze, zumeist nur von Deutschen bewohnte kleinere Dörfer, feiern alljährlich Weihnachten durch „heilige“ Spiele, durch welche die Geburt Christi verherrlicht wird und an welchen sich Alles, was laufen und stehen kann, betheiligt. Die handelnden Personen sind: die heilige Mutter Maria, der heilige Nährvater und Zimmermeister Joseph von Nazareth, ein Stern- und ein Christbaumträger, der Erzengel Gabriel, der Beelzebub, auch Satanas genannt, die drei gläubigen Hirten, Wittak, Richus und Gallus, dann Crispus, der ungläubige Hirt, die Rechtsgelehrten und Pharisäer, ferner die heiligen drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar, der römische Reichsverweser Herodes, ein Hauptmann nebst Lakai, und der Wirth. Mithin handeln im Ganzen zwanzig Personen, ausnahmslos junge Burschen oder ledige Männer, die in ihrer charakteristischen Vermummung auf unserm umstehenden Bilde dargestellt sind.

Lange Zeit vor Weihnachten, oft schon zu Ende des Monats September werden die hierzu befähigten Personen gewählt, dürfen jedoch nur dann „mitspielen“, wenn sie sich verpflichten, während der Zeit der Vorbereitung bis zum Schlusse der Spiele allerorts ein frommes tadelloses Leben zu führen. An der Einhaltung dieses Versprechens wird derart strenge festgehalten, daß nicht selten Dawiderhandelnde aus der Reihe der Spieler gestoßen werden, auch dann sogar, wenn der Ersatzmann nicht mehr im Stande ist, die ihm übertragene Rolle vollinhaltlich zu lernen. In einem solchen Falle ist die Stellung des Ausgestoßenen unter den Dorfinsassen keine angenehme; denn er bleibt lange Zeit die Zielscheibe für Hohn und Spott der Jugend, und oft, selbst bei Nacht, wenn er müde unter wärmenden Federn die Glieder streckt, dringt es an sein Ohr:

„Sixt’, warst du schön brav g’west,
Häst’ heuer mit g’macht,
So aber ist’s nix g’west,
Und a no ausg’lacht.“

Nach Erforderniß, oder je nachdem es die Arbeit gestattet, versammeln sich die handelnden Personen bei ihrem Instructor, der entweder der Herr Pfarrer oder der Schulmeister ist, um ihre Rollen dort zu lernen, was nach ihrer Meinung bei einem „g’studirten Mann“ leichter geht, und so lange die Bewegungen des Körpers zu üben, bis sie dieselben tadellos inne haben. Ist der Tag des Festes gekommen, so jagt Satanas, die kurzweiligste Figur des Spieles, durch das Dorf und ladet die Insassen zum Besuche des Spieles ein, indem er, auf einem Kuhhorn tutend, einen ohrenzerreißenden Lärm macht, mit schweren eisernen Ketten rasselt, mit Allen scherzt, Viele schreckt und ängstigt. Bald darauf beginnt der Auszug: Voran geht der Sternträger und ihm zur Linken ein kräftiger Mann, welcher einen mächtigen mit bunten Papierstreifen, Rauschgold, vergoldeten Aepfeln und Nüssen reichgeschmückten Tannenbaum trägt. Ihnen folgen in der Reihenfolge der Hauptmann, Maria, den Erzengel an der Hand führend, Joseph, Herodes und der Lakai, dann die heiligen drei Könige, die drei gläubigen Hirten, die Pharisäer und Gelehrten, diesen zunächst der Wirth und schließlich weit hinter dem Zuge, den Blick auf den Boden gerichtet, Crispus. Der Zug bewegt sich lautlos durch die Dorfstraßen nach [843] dem „Gmoandehaus“, in dessen Saale gespielt wird. Vor demselben angelangt, bleiben Alle stehen und singen den sogenannten Sterngesang ab, der folgendermaßen beginnt:

Ihr liab’n, meine Sänger, fangt’s tapf’r an,
Zu gruaßen woll’n wir’s heben an;
Wir gruaß’n alles, was am Himmel ist,
Vor allen andern unsern Herrn Jesu Christ.“

Sie grüßen im Verlaufe des Liedes Gott Vater und den heiligen Geist, die heiligen Engel, die Gestirne und enden:

So gruaß’n wir Dich durch den Fürewagen,
Der durch den Himmel thuat herum foahren.“

Unmittelbar darauf betreten Alle den Saal. Nun beginnt das Spiel, das in seiner Einfachheit drastisch wirkt und vom Passionsspiele in Oberammergau sich nur dadurch unterscheidet, daß die Bühne, ohne jeden Schmuck, nur ein enger, von Bänken abgegrenzter Raum, während dieselbe dort mit hübschen Decorationen ausgestattet ist. In früheren Jahren erschienen die Mitwirkenden der Weihnachtspiele in ihren Alltagskleidern, wogegen sich heute Einzelne charakteristischer Costüme bedienen. Den Prolog und Epilog spricht der Erzengel Gabriel, ein Kind, das beim Declamiren fast immer stecken bleibt. Die handelnden Personen bewegen sich in der Mitte der Bühne, während alle nicht Agirenden abtreten. Tritt ein Scenenwechsel ein, so erscheint das ganze Personal auf der Bühne und singt ein darauf bezughabendes Lied.

Wir haben in dem Vorstehenden das Wichtigste über die Weihnachtspiele der Deutschen in Ungarn kurz mitzutheilen versucht und bemerken nur noch, daß der Geschmack für derartige Aufführungen auch in jenen stillen Dörfern immer mehr schwindet.



  1. Beule und Drüse.