Deutschlands Colonialbestrebungen: Deutsche an der Westküste von Afrika
Deutschlands Colonialbestrebungen.
Die lange Westküste von Afrika, an welcher gewaltige Ströme, aus dem tiefen Innern des Landes kommend, sich in den Atlantischen Ocean ergießen, ist in den letzten Jahrzenten von den civilisirten Völkern zum Ausgangspunkte neuer Colonial-Unternehmungen gewählt worden, deren Tragweite heute kaum zu übersehen ist. Am Senegal, am Niger, am Kamerunflusse, am Ogowe und am Congo, an den natürlichen Handelsstraßen des „dunklen Welttheils“ haben sich Kaufleute aller Nationen niedergelassen, um hier Producte europäischer Industrie gegen Erzeugnisse jener Länder umzutauschen, um für Europa neue Absatzgebiete zu erschließen und für die Cultur neue Länder zu erobern.
In diesem friedlichen Wettstreite der Nationen stand Deutschland keineswegs in allerletzter Linie. Der aufopfernden Thätigkeit einer glänzenden Reihe deutscher Gelehrter verdankt die Welt die wichtigsten Aufschlüsse über die Natur jenes Landes, und die deutschen Kaufleute, in denen der alte hanseatische Unternehmungsgeist niemals erloschen war, erschienen hier an vielen Orten als die ersten und muthigsten Pioniere des Handels. Ruhmreich ist der deutsche Name in die noch spärlichen Blätter eingetragen, welche die junge Geschichte von Westafrika aufweist. In den Schlachten, welche hier im Namen der Civilisation geschlagen wurden, sind überall deutsche Helden vertreten, und Spuren ihrer Arbeit, Werke ihres Fleißes sind dicht über den unermeßlichen Küstenstrich verbreitet. Deutscher Einfluß war bis auf die letzten Tage überall in Westafrika bemerkbar, aber vergebens spähte das Auge nach einem sichtbaren Zeichen der deutschen Macht.
Schauen wir nur auf die Karte dieser Küste (S. 617). Wie drängen sich hier die deutschen Factoreien zusammen! In jedem wichtigeren Hafen, an jeder bedeutenderen Flußmündung weht von Schiffen und Speichern die deutsche Handelsflagge, und unsere rührigen Landsleute, die dort arbeiten, leisten an vielen Plätzen mehr, als die Vertreter aller übrigen Völker. Aber die deutsche Handelsflagge stand vereinsamt, auf sich selbst angewiesen an diesem fernen Strande. Wenn Gefahren drohten, mußte sie unter dem englischen Kriegsbanner, unter der französischen Tricolore oder unter der portugiesischen Fahne den nöthigen Schutz suchen, den ihr das eigene Vaterland nicht bieten konnte.
Das war schädlich für die Entwickelung unseres Handels, das war beschämend für ein großes Volk, dem an der Erschließung Westafrikas ein großer moralischer Antheil gebührt.
Nur von einem kühnen, aber mißlungenen Anlaufe zur Gründung deutscher Colonialmacht konnte die Geschichte erzählen. An dieser Küste, in dem Fort Groß-Friedrichsburg, stand einst die Wiege eines großen Gedankens, der jedoch mit der Zeit verkümmerte und dort, wo er geboren wurde, auch seine vorschnelle Grabstätte fand. Wie ein Traum zog die Colonialgründung des Großen Kurfürsten an den Augen der Völker vorüber. Aber Deutschland feierte inzwischen seine Wiedergeburt, die Träume wurden zur Wirklichkeit. Der alte Barbarossa war auferstanden in dem Heldenkaiser Weißbart, der deutsche Kriegsmann und der deutsche Schulmann festigten das Reich nach innen und außen, und die Zeit kam heran, in welcher der deutsche Kaufmann seine Macht ausbreiten sollte über Länder und Meere.
Mit Recht sagt man, daß die Einigung Deutschlands schon vorbereitet und erzielt war durch die deutsche Bildung, ehe sie äußere Gestalt annahm; man muß auch anerkennen, daß zu der colonialen Ausbreitung Deutschlands der deutsche Handel den Grund gelegt hat, bevor das Reich sie förderte und unser Reichskanzler [610] mit gewohntem Geschick die Lösung der Frage in seine Hand nahm. Wie überraschend klangen für die am heimischen Herde im Schatten der Buchen und Linden weilenden Deutschen jene Nachrichten, die vor Kurzem der elektrische Funke von den Palmenküsten Afrikas über deutsche Gaue verbreitete, die Nachrichten, daß hier Land von Deutschen mit allen Hoheitsrechten erworben und unter den Schutz des Reiches gestellt wurde, daß dort wieder von einem deutschen Gelehrten auf fernen Handelsfactoreien die Reichsflagge aufgehißt und von den Geschützen eines deutschen Kriegsschiffes mit donnernden Salven begrüßt wurde!
Wie konnte das so schnell, fast über Nacht kommen? Ja, schaut nur auf die Karte, zählt die deutschen Factoreien zusammen, sie sind wahrlich nicht heute und gestern entstanden. Jahrzehnte langes Wirken und Ringen hat sie gezeugt, ohne welche die neuesten Erwerbungen des Reiches unmöglich, nutz- und werthlos wären.
Und es ist ein gutes Zeichen, daß es so und nicht anders gekommen ist, denn die ersten Schritte unserer Colonialpolitik bewegen sich jetzt auf festem Grund und Boden, den ihr die Thatkraft deutscher Kaufleute geebnet. und wenn aus ihr einst Segen für unser Volk sprießen wird, so haben in erster Linie die Schiffsherren von Hamburg und Bremen sich den Dank des Vaterlandes verdient. –
Von allen den Orten, welche jüngst unter den Schutz des Reiches gestellt wurden, nehmen zwei Gebiete die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch: das um die Bucht von Angra Pequena gelegene Lüderitz-Land und das Gebiet von Kamerun. Als die Kunde von der Erwerbung des ersteren zu uns drang, wußte man bereits in maßgebenden Kreisen, daß sich an diese Erwerbungen weitere friedliche Eroberungen knüpfen würden, und wir zögerten darum mit der Veröffentlichung eines Artikels über Angra Pequena, der für sich allein ein getreues Bild der deutschen Colonial-Unternehmungen an der afrikanischen Westküste nicht bieten konnte. Wenn auch jetzt noch der Telegraph jeden Tag neue überraschende Nachrichten bringen kann, die vielleicht, bevor diese Zeilen gedruckt werden, zur allgemeinen Kenntniß gelangen, so ist es doch möglich, durch eine neben einander gestellte Schilderung von Kamerun und Angra Pequena die verschiedenen Richtungen unserer Colonialpolitik zu beleuchten, irrige Meinungen zu widerlegen und vor überschwenglichen Hoffnungen zu warnen.
„Es ist unbestritten der schönste Punkt an der Westküste von Afrika, eine der großartigsten Landschaften, die ich je gesehen,“ mit diesen Worten begann uns ein Afrikareisender die Einfahrt in die Mündung des Kamerunflusses zu schildern. „Auf der einen Seite ragt der hohe Gipfel von Fernando Po in die Höhe und ihm gegenüber steigt fast unmittelbar aus dem Meere das Gebirge von Kamerun, gekrönt von dem 4200 Meter hohen ‚Götterberge‘ der Eingeborenen, gekleidet in einen grünen Mantel üppigster Waldvegetation. Einst hatten hier vulcanische Mächte wild gehaust, Berge zerklüftet und Länder zerrissen; dann kam die lebenskräftige Flora der Tropen und deckte die Spuren des Kampfes der Elemente mit ihrem ewiggrünen Schleier; so schuf hier die Natur ein Bild reich an Abwechselung, großartig und anmuthig zugleich.“
Am Fuße dieser großartigen Gebirgswelt wälzt nun der Kamerunfluß, dessen nördlichster Arm Bimbia, dessen südlichster Arm Malimba heißt, seine Fluthen dem Atlantischen Ocean zu. Seine gewaltige Mündung, die aus vielen einzelnen Flußarmen besteht, deutet schon an, daß wir hier einem der Hauptflüsse Afrikas begegnen. Allmählich verengt sich sein Bett, aber so weit das Auge schaut, erblickt es nur das matte Grün der Mangrovewälder, welche die sumpfigen Ufer umrahmen und, aus der Ferne betrachtet, an unsere Weiden erinnern. Tiefe Stille herrscht in diesen Gewässern, nur selten kreuzt ein Negercanoe die Wasserbahn, von menschlichen Wohnungen ist keine Spur zu finden. Erst weiter hinauf, etwa vier Stunden von der Mündung des Flusses, tauchen die ersten Ansiedlungen der Menschen aus dem tropischen Grün der Ufer hervor.
In dieses Land, welches von einem urwüchsigen Negerstamme, den Dualla, bewohnt wird, kamen im Jahre 1858 englische Baptisten-Missionäre, welche das in ewigen Fehden lebende Volk zu den milden Sitten des Christenthums bekehren wollten. Das waren die ersten Weißen, die hier festen Fuß gefaßt hatten und noch jetzt segensreich wirken. Englische Kaufleute von Bristol und Liverpool besuchten mit ihren Schiffen schon früher den Fluß. Einige Jahre später erschienen auf ihm deutsche Kaufleute und gründeten die ersten Factoreien.
Im Jahre 1862 beschloß nämlich die Firma C. Woermann in Hamburg, ein Schiff mit Waaren nach Kamerun und dem weiter südlich gelegenen französischen Gabun zu senden, um mit den Eingeborenen Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Anfangs gelang es ihr, nur in Gabun sich festzusetzen, und nach wenigen Jahren auch in Kamerun festen Fuß zu fassen.
Zu diesem Zwecke wurden von dem Hamburger Hause Segelschiffe mit europäischen Waaren beladen, welche dann in die afrikanischen Flußmündungen hineinfuhren und hier ihre Fracht gegen Producte jener Gegenden, gegen Elfenbein, Palmöl, Palmkerne u. s. w., umzutauschen suchten. Sobald das Schiff seine ursprüngliche Ladung veräußert hatte, segelte es mit der eingetauschten Fracht nach der Heimath zurück, um später in derselben Weise eine zweite Geschäftsreise zu unternehmen. Bald jedoch [611] stellte es sich heraus, daß es nicht immer möglich war, in den vorausbestimmten Zeiträumen die mitgenommenen Waaren abzusetzen, und da auch bei dem afrikanischen Geschäftsmann Zeit Geld bedeutet, so suchte man den Handel besser zu organisiren.
Ein großes Segel- oder auch ausrangirtes Kriegsschiff wurde auf dem Flusse fest verankert, gänzlich abgetakelt und in ein Lagerschiff verwandelt. Es verließ nicht mehr den Fluß, sondern seine Waarenvorräthe wurden durch Zufuhren anderer Schiffe ergänzt. Man nannte diese schwimmenden Magazine „Hulks“ (S. 609), und sie bildeten die ersten dauernden Handelsstationen auf den sogenannten „Oelflüssen“ von Westafrika. Auf dem Hinterdeck des Schiffes wurden Wohnungen für die weißen Angestellten, den Agenten und seine Gehülfen, eingerichtet, über das ganze Schiff wurde ein Dach anfangs aus Palmmatten, dann aus feuerfestem Zink gebaut, und ein Theil des Wohnraumes zu einem Laden umgestaltet. Zu diesen Hulks kamen nun die Eingeborenen in ihren Handelscanoes, die sechszig bis siebenzig Personen fassen können, brachten Fässer mit Palmöl und schlossen hier die Geschäfte ab. Mit der zunehmenden Entwickelung des Handels erwiesen sich aber selbst die größten Hulks als ungenügend, ihr Raum war zu eng, um eine zweckmäßige Aufstellung der Waaren zu ermöglichen, und so schritten die Handelsherren zur Errichtung neuer Stationen auf festem Lande.
Es wurden also wirkliche Factoreien gebaut, zuerst in den Nebenplätzen, wie Bimbia, Brisso-Bell-Stadt, seit Kurzem aber auch in den Hauptplätzen des Kamerun-Gebietes, in Bell’s- und Aqua’s-Stadt. Den Mittelpunkt derselben bildete das aus Holz und verzinktem Eisenblech construirte Wohnhaus für die weißen Angestellten, welches zugleich im unteren Stock die Lagerräume für die werthvolleren Waaren enthält. An dieses schlossen sich dann weitere Gebäude, Speicher, Pulverhäuser u. dergl. m., deren Zahl sich mit dem zunehmenden Umfang des Geschäftes stetig vermehrte. Unsere Illustrationen zeigen uns die beiden wichtigsten Factoreien der Firma C. Woermann, die in König-Bell’s-Stadt und die in König-Aqua’s-Stadt am Kamerunflusse.
Bis auf den heutigen Tag hat sich auf dem Kamerun wie auf den übrigen Oelflüssen (Bonny, Benin, Old- und New-Calabar) der Tauschhandel in seiner ursprünglichsten Form erhalten. Hier existirt, wenn man so sagen darf, die reine Palmöl-Valuta, da das Geld noch ganz unbekannt ist. Bis vor wenigen Jahren konnte man dort mit einer Tasche voll Gold oder Silber landen, ohne die geringsten Lebensbedürfnisse erhandeln zu können. Mit einem Stücke Zeug, etwas Tabak oder einer Flasche Rum ist unendlich mehr zu erreichen, als mit baarem Gelde. Im Handel mit den Eingeborenen ist noch immer ein „Kru“ der Einheitswerth. Es bedeutet ein gewisses, an jedem Platze jedoch verschiedenes Quantum Palmöl. In Kamerun z. B. faßt ein Kru etwa 42 Kilogramm. Von einem jeden Handelsartikel, welcher von den Europäern zum Verkauf gebracht wird, wird nun der Werth in Krus festgestellt, so gilt z. B. 1 Kiste Gewehre 10 Krus, 2 Faß Pulver 1 Kru etc.
Bringt nun ein eingeborener Händler einen größeren Posten Producte, z. B. 10 bis 20 Fässer Palmöl oder einige Elfenbeinzähne, so wird zuerst der Werth derselben in Krus festgestellt. Fordert der Verkäufer dafür etwa 200 Krus, so bietet ihm der Europäer nur 150 an, bis eine Einigung erzielt ist. Ist nun die Zahl der Krus festgestellt, so gestaltet sich die Zahlung sehr einfach, indem der Neger sich von dem Lager des Europäers die ihm passend dünkenden Waaren zu den festen vorher vereinbarten Preisen aussucht. Beim Abschlusse eines jeden etwas größeren Geschäftes beansprucht der Neger noch ein „dash“, Geschenk, welches man gewissermaßen ein Draufgeld oder auch einen Rabatt oder Decort nennen kann.[1]
Der Handel im Kamerungebiete wird wesentlich durch den Charakter der eingeborenen Neger unterstützt. Ein freier Dualla-Neger hält es für schimpflich, irgend eine Feldarbeit zu verrichten, er überläßt die Sorge dafür seinen Weibern und Sclaven, die allerdings kaum so viel Yams und Bananen pflanzen, als sie gerade zur Nahrung brauchen. Der freie Neger selbst sucht nur Handel zu treiben. So kommt es auch, daß die mächtigsten Neger, die Häuptlinge oder „Könige“ der einzelnen Dörfer, zugleich die angesehensten Geschäftsleute sind. Mit großer Eifersucht suchen sie den größten Theil des Handels an sich zu reißen und treiben ihn nicht allein an der Küste mit den Weißen, sondern auch mit den tief im Innern des Landes wohnenden Stämmen. Ja, diesen letzteren Zweig desselben betrachten sie als ihr ausschließliches Recht und gestatten den Europäern nicht, mit ihren Waaren stromaufwärts zu segeln.
Um die „Macht“ dieser Könige kennen zu lernen, wollen wir hier mittheilen, daß unter dem Namen Kamerun etwa zwölf an dem linken Ufer des gleichnamigen Flusses liegende Negerdörfer zu verstehen sind, die gegen 10,000 Einwohner zählen. Diese einzelnen [612] Häusergruppen werden „Städte“ genannt und nach ihren Königen bezeichnet, so finden wir hier dicht an einander die König-Bell’s-Stadt, König-Aqua’s-Stadt, König-Brisso-Bell’s-Stadt etc.
Der angesehenste und intelligenteste unter den Königen von Kamerun ist König Bell. Er hat zwar weniger Unterthanen als seine Nachbarn, weiß aber durch Klugheit und Schlauheit sich mehr Einfluß zu verschaffen. Ein herculisch gebauter, schöner Mann, „dessen Benehmen etwas Königliches an sich trägt“ (wie der deutsche Forschungsreisende R. Buchholz einst bemerkte), hat er seine Nationaltracht beibehalten und geht einfach wie andere Neger, nur mit einem Stück Zeug um die Hüften gekleidet. Auf unserem Bilde (S. 611) hat er noch die Zeichen seiner Würde, den langen Stab und den Schlüssel am Arm. In der That macht König Bell einen angenehmen Eindruck, wenn man ihn mit den beiden anderen durch ihre sonderbare Wahl europäischer Kleiderstücke zu Carricaturen herabgesunkenen Königen von Kamerun vergleicht. Sie tragen Cylinderhüte, deren goldenes Schild an die Marken unserer Packträger erinnert, aber sie halten diese „afrikanischen Kronen“ hoch, denn auf diesen Schildern von echtem Golde ist auch der Namenszug der betreffenden schwarzen Majestät eingravirt. Dabei kosten die Hüte gar nichts, sie sind Geschenke der Firma C. Woermann. Auch die langen aus Glas angefertigten Stäbe, die sie stolz als Zeichen ihrer königlichen Gewalt schwingen, sind von demselben Ursprung. Gläserne Scepter – kann man sie nicht als gelungene Symbole des afrikanischen Negerkönigthums auffassen?
Besseren Eindruck machen auf uns diese braunen Häuptlinge, wenn sie einmal in voller nationaler Gala in ihren Kriegscanoes auf dem Strome erscheinen. Am Bug des schlanken Bootes sieht man reiche Schnitzereien, auf der einen Seite weht die Flagge des Häuptlings mit seinem Namenszuge, während er selbst stolz unter einem gewaltigen bunten Regenschirm sitzt, von den Treuesten seines Volkes umgeben. Auch die deutsche Fahne fehlt nicht auf unserm Bilde, welches nach einer vor Kurzem aufgenommenen Originalphotographie in Holzschnitt ausgeführt wurde. Die Negerfürsten führten sie schon mit Vorliebe, bevor sie sich unter ihren thatsächlichen Schutz begaben. – Das Volk, über welches sie herrschen, ist, wie unser Bild zeigt, ein groß und kräftig gebauter Menschenschlag. Die Hautfarbe der Dualla-Neger ist meistens dunkelbraun wie gebrannter Kaffee, aber es giebt auch hellere Leute unter ihnen, selbst vollständige Albinos und außerdem eine wunderliche Sorte von Menschen, bei denen der Albinismus nur theilweise zum Durchbruch gekommen ist und welche darum ganz und gar scheckig aussehen.
Die Frauen dieses Stammes sind klein und häßlich, aber sie werden hochgeschätzt, denn sie sind theure Werthobjecte, nach denen der Reichthum des Einzelnen berechnet wird, so daß z. B. Könige 20 bis 30 Frauen besitzen müssen. Vor Jahren wurde ein Sohn König Bell’s in Bristol erzogen, und als er in sein liebes Kamerun heimgekehrt war, beschloß er, nach europäischer Sitte nur eine Frau zu heirathen. Aber er wurde darum von seinen Landsleuten so gering geschätzt und als „armer Mann“ bedauert, daß er sich endlich gezwungen sah, mehrere Frauen zu nehmen, worauf er in der That als „reicher Mann“ im Ansehen bei seinen Brüdern stieg. –
Die Frauen, bei denen auch die Mode in sonderbarer Art Einzug gehalten, denn sie tragen nur Manschetten, während sie das Hemd verschmähen, gelten dem Manne in erster Linie nur als Lastthiere und Werthobjecte. Vor einigen Jahren kam es noch vor, daß Eingeborene den Weißen ihre Frauen als Pfandobjecte für gewährte Vorschüsse hinterließen, eine Sitte, die jetzt nicht mehr geübt wird, denn der Handelsmann zieht diesem lebenden Unterpfande, das er ernähren und bewachen muß, einen [613] schweren Elfenbeinzahn vor, der seinen Werth behält und nicht davon läuft. Außer seinen Frauen hält sich der freie Neger Sclaven und Sclavinnen, die gleichfalls die Feldarbeit verrichten müssen. Er selbst vermiethet sich zu keinem schweren Dienst, und so sahen sich die Weißen von Anfang an genöthigt, sich von auswärts Arbeiter zu beschaffen. An das Heranziehen europäischer Kräfte war nicht zu denken, da das Klima an der Kamerunmündung ungesund, ja für weiße Arbeiter mörderisch zu nennen ist. Die Europäer können hier nur leichtere Arbeiten verrichten, sich als Geschäftsführer, Aufseher u. dergl. aufhalten. Dafür bilden die Kruneger, die in der freien Negerrepublik Liberia und bei Cap Palmas zu Hause sind, das beste Arbeitercontingent an der afrikanischen Westküste. Sie vermiethen sich in ganzen Trupps unter einem selbstgewählten Anführer, erhalten zu ihrer Ernährung ein Quantum Reis und einen Lohn von etwa 30–40 Mark pro Monat, der ihnen nach Ablauf der contractlichen Dienstzeit in Gütern ausgezahlt wird. Haben sie genug Geld verdient, um eine Frau zu kaufen, so kehren sie in ihre Heimath zurück, um sich dort fest niederzulassen.
In diesem Lande und unter diesen Leuten wuchs nun die Hamburger Kamerun-Factorei zu ihrer heutigen Bedeutung empor, die Firma C. Woermann beschäftigt dort allein 12 weiße Angestellte und hat auch eine Zweigniederlassung an dem Bimbiafluß errichtet. In Kamerun selbst hat sich inzwischen auch eine zweite Hamburger Firma, Jantzen und Thormählen, etablirt (Herr Thormählen wirkte anfangs im Auftrage der Firma C. Woermann in Kamerun), und eine regelmäßige deutsche Dampfschifflinie, welche mindestens einmal im Monat Kamerun anläuft, vermittelt den Verkehr mit Hamburg.
Der vermehrte Zuzug der Weißen und die sich rasch verändernden socialen Verhältnisse der Negerbevölkerung brachten indessen Schwierigkeiten mit sich, welche für das gedeihliche Fortbestehen der Niederlassung gefahrdrohend wurden. Die Könige von Kamerun bekriegen unaufhörlich einander und verlieren dabei immer mehr an Ansehen bei ihren Unterthanen. Die Lage der Sclaven wurde unter dem Einfluß der europäischen Cultur mehr derjenigen der Leibeigenen ähnlich, und diese gelangten allmählich zu einem solchen Einfluß, daß sie gegenwärtig mehr ihren Königen befehlen, als diese ihnen gebieten. Es war daher nothwendig, in diesem Wirrwarr geordnete Verhältnisse zu schaffen, was die Factoreibesitzer nur mit Hülfe europäischer Kriegsschiffe und in Aussicht auf dauernden Schutz eines mächtigen europäischen Staates zu wagen vermochten. Es lag nahe, für Kamerun, das von den Deutschen erschlossen und zum größten Theil vom deutschen Handel beherrscht wird, den Schutz des Reiches anzurufen, der auch thatsächlich durch das Erscheinen der „Möve“ und das Aufhissen der deutschen Flagge durch Dr. Nachtigal gewährt wurde.
Wir betrachten von nun an Kamerun als deutsches Land, und da wird schon vielfach die Frage aufgeworfen, in welcher Weise es unserem Vaterlande nutzbar gemacht werden kann. Auf Grund zuverlässigster Nachrichten können wir darüber Folgendes mittheilen: An eine Auswanderung deutscher Ansiedler nach Kamerun und den benachbarten Ortschaften der Küste ist gar nicht zu denken. Das Klima an dem unteren Laufe des Flusses verbietet dringend, einen solchen Versuch nur zu wagen. Wohl können an den Abhängen des Kamerungebirges Plantagen angelegt werden, aber Europäer sind für die Arbeiten in denselben völlig untauglich, und auswanderungslustige Deutsche könnten dort nur als Aufseher und Geschäftsführer verwendet werden. Jedenfalls können nur Leute, die das nöthige Capital und die nöthige Erfahrung besitzen, dort den Versuch einer Plantagenanlage wagen. Es ist möglich, daß das Land am oberen Laufe des Flusses günstigere Verhältnisse bietet. Darüber aber kann heute Niemand ein Wort sagen, da das Innere des Kamerunlandes bis jetzt vollständig unbekannt ist. Außerdem aber wird es eine der vornehmsten Aufgaben Deutschlands sein, durch Missionen und Lehrer unter dem noch rohen Volke Christenthum, deutsche Sitte, deutsche Sprache und deutschen Einfluß zu verbreiten und dadurch das Negervolk physisch und moralisch zu heben. Aber selbst unter diesen Umständen können wir froh in die Zukunft blicken, denn das Schicksal jenes Landes ruht in guten Händen. Die erfahrenen Kaufleute, die dort den Grund zu den ersten deutschen Niederlassungen gelegt haben, sind der Aufgahe völlig gewachsen, die Cultivirung Afrikas in deutschem Interesse fortzusetzen. Siegfried.
Angra Pequena, die größte von den soeben erworbenen deutschen Besitzungen, steht zu Kamerun in schneidendem Contraste und zwar nicht nur in der Configuration ihres Bodens und ihrer Leistungsfähigkeit für den europäischen Handel, fügen wir gleich hinzu: für die deutsche Ansiedelung, sondern auch in ihren socialen und wirthschaftlichen Verhältnissen.
In Kamerun breitet sich hinter den mit grotesken Mangroven besäumten Ufern unmittelbar ein von tropischer Fruchtbarkeit strotzendes Land aus, fähig, eine Fülle werthvoller Producte zu erzeugen, solcher, wie sie heute die Pflanzungen Javas und der Antillen dem europäischen Markte zuführen.
Ganz anders im trockenen Süden. Hier rollt mit heftigem Schwalle der Atlantische Ocean ungehemmt über den mit Dünen bedeckten niedrigen Strand, die vereinte Schöpfung der Winde und Wellen, und nackte basaltische Felsen starren aus der sandigen Oede zum ewig wolkenlosen Himmel auf. Denn niemals benetzt wohlthätiger Regen diese ödeste der Küsten. Mögen auch die Segel des in Sicht vorübereilenden Schiffes von jäh herabstürzenden Gewitterschauern triefen, mag auch im Innern der Regen zu Zeiten wolkenbruchartig zur dürstenden Erde niederrauschen, an der ganzen Küste von der Mündung des Oranjeflusses bis nach Mossamedes hinauf regnet es niemals und hat es wohl auch schon seit langen Zeiträumen nicht geregnet. Das darf man aus dem ungestörten Lagern des auf den Küsteninseln aufgehäuften Guanos mit Bestimmtheit folgern. Aber je weiter man sich von der Küste landeinwärts entfernt, je höher man auf dem allmählichen Anstiege zum Hochlande vordringt, desto häufiger wird der Regen, bis man aus Strichen, die über einen ordentlichen Niederschlag für das Jahr nicht hinauskommen, in Gegenden gelangt, wo es fast sechs Monate hindurch alle Tage einmal regnet. Freilich herrscht dafür in der andern Hälfte des Jahres auch wieder ununterbrochene Dürre. So kommt es, daß kein Fluß, kein Bach das Meeresgestade erreicht, doch bezeichnen heute steinige, versandete Canäle den Weg, welchen unter einstmals günstigeren Verhältnissen die Wasser des Innern nach der Küste zu nahmen.
Allerdings haben wir hier keine Berge, die Wasseradern zu nähren. Nirgends erheben sich die auf das breite Tafelland aufgesetzten Kuppen zu bedeutender Höhe. Regellos brechen nackt und kahl öde Sandsteinklippen oder düstere Granitkegel durch das weite Hochland empor, das sich wie nach Westen so auch nach Osten mählich abdacht. Aber es weht eine gesunde Luft hier oben wie drunten am Dünengestade, auch ist es auf den hohen Ebenen oft kalt genug, so kalt, daß, wenn in heller Mondnacht die lange Reisekarawane von Wagen, Menschen, Schlachtvieh, Pferden, Eseln und Hunden sich über die mit blendendweißer, glitzernder Salzkruste bedeckten Flächen langsam hinbewegt, man meinen möchte, der Zug gehe über die schneeige Eisfläche eines unserer nordischen Seen, den dunkle Fichtenwaldungen umrahmen.
Und sicherlich waren die großen Ebenen, auf welchen jetzt parkartig verstreute Baumgruppen mit ungeselligen Grasbüscheln wechseln, einstmals große wasserreiche Landseen. Jetzt ist Alles in trauriges Braun gefärbte Oede, die nur in der Regenzeit sich mit einem farbigen Teppich der mannigfaltigsten Kräuter bekleidet.
Wo aber aus dem steilen Absturze des Plateaus zahlreiche Quellen hervorbrechen und zusammenfließend ihre Wasser über die tiefergelegenen Flächen verbreiten, entfaltet die Natur eine besondere Lieblichkeit. An den mächtigen, phantastisch geformten dunkelrothen Felsenmauern bilden sich im Schatten hoher Giraffenakazien tiefe Becken krystallhellen Wassers, umrankt von Farrnkräutern und anderen schönen Pflanzen. „So lustig hüpften die Bächlein über die Felsblöcke in’s Thal hinab,“ ruft der Reisende Hugo Hahn einmal aus, „und so heimisch, so deutsch rauschten sie uns an, daß man meinte, an einem lauschigen Plätzchen des Harzes oder des Schwarzwaldes zu sein!“ Schade nur, daß solche erquickende Oasen so gar selten sind.
Denn oasenartig ist der Charakter des ganzen wirklich fruchtbaren Landes. Darum ist auch Viehzucht die Hauptbeschäftigung der Bewohner dieser Gegend. Früher, als es hier noch von Wild aller Art wimmelte, war auch die Jagd recht lohnend. Große Heerden von Antilopen, Zebras, Giraffen, Rhinocerossen, Elephanten und Straußen waren überall anzutreffen, die letzten sogar im dem dürren Küstenstrich, da sie des Wassers anscheinend nahezu völlig entbehren können. Aber seitdem das Feuergewehr den Bogen ersetzt hat, sind die jagdbaren Thiere fast gänzlich ausgerottet. Freilich wurden mit ihnen auch die Feinde der Heerden vertrieben, nur der Schakal macht den Viehbesitzern immer noch zu schaffen. Die Tsetsefliege aber, die in anderen Theilen Afrikas die Aufzucht von Hausthieren zur Unmöglichkeit macht, ist hier gar nicht anzutreffen. Der Steppencharakter des Groß-Namaqua- wie des Damara-Landes aber sagt dem Rind nicht weniger zu als dem [615] Schaf mit dem Fettschwanz, sodaß sich die Heerden in wahrhaft erstaunlicher Weise vermehren.
Freilich geschieht auch wenig, ihre Zahl zu mindern. Weder die schwarzbraunen Herero, noch die südlicher wohnenden gelben Namaqua-Hottentotten sind Fleischesser. Sie denken nicht daran, eines ihrer geliebten Thiere für den eigenen Bedarf zu schlachten, denn sie leben nur von deren Milch, aber sie haben nichts dagegen, ein oder das andere Stück an die europäischen Händler zu verkaufen, welche das Land mit ihren jetzt schon unentbehrlich gewordenen Waaren durchziehen.
Ursprünglich kannten die nomadisirenden Völker dieser Striche keine andere bewegende Kraft als die ihrer eigenen Füße, wenn sie die abgeweideten Triften mit neuen Weidegründen vertauschten. Die kärgliche Habe lud man auf die Schultern der Weiber, auch auf den Rücken zahmer Thiere, und marschirte so geduldig hinter der davonziehenden Heerde. Bald aber fand man, daß das gutgeartete Rind sich sehr wohl zum Träger des Menschen eignet, und wie man nach Buchner nördlich vom Cunene jeden einigermaßen wohlhabenden Mann europäischer, schwarzer oder gemischter Rasse im Besitz eines Boi cavallo, eines Pferde-Ochsen, das heißt Reitochsen antrifft, so ist auch bei den Namaqua und Damara der Ochs das beliebte Reitthier geworden, wenn freilich auch nicht in so ausschließlicher Weise wie im Norden. Denn hier gedeiht das Pferd vortrefflich bei dem nahrhaften Toagras der Steppen; wurde doch Hermann Vogelsang, der Bevollmächtigte von Lüderitz, bei seinem ersten Besuch der Missionsstation Bethanien durch den Anblick einer 200 Stück zählenden Roßheerde überrascht.
Bald aber lernte man den Rinderreichthum auch in anderer Weise verwerthen. Die Kunst des Wagenlenkers war den Namaqua sowohl als den Damara ursprünglich völlig unbekannt, für ihre eigenen äußerst mäßigen Bedürfnisse genügten die oben beschriebenen Transportmittel. Eine für die wirthschaftliche Entwickelung des Landes hochwichtige Entdeckung brachte neue Bedürfnisse im Gefolge.
Auf die reichen Metalllager ihrer Berge hatten die Eingebornen nie geachtet. Eisenerze finden sich in großer Menge, selbst aus den Felsen der Küste lassen sich Stückchen von fast völliger Reinheit herausschälen. Doch bezog man das Metall von Norden her, von den als Schmieden geschickten Ovambo, denn eiserne Spangen an Armen und Beinen, sowie kartoffelgroße Eisenperlen waren gesuchter Schmuck der reichen Hererodamen, welche unter der Last von mehr als 30 Pfund schweren Zierrathen zu dem langsamen Gange gezwungen werden, der in Damaraland als Kennzeichen vornehmer Geburt gilt. Doch den Europäer konnten Eisenerze wenig reizen. Als aber umherziehende Händler zuerst in den nördlichsten Bergen des Damaralandes, dann auch weiter südlich ungeheure, fast offen zu Tage tretende Adern des reichsten Kupfererzes auffanden, fing man an, in der Capstadt aufmerksam zu werden.
In jungen Colonien kommt das Wagen immer zuerst, das Wägen folgt bald früher, bald später hinterdrein, – kein Wunder, wenn da manches eiligst begonnene Unternehmen zu leicht befunden wird. Hier ging anfangs alles recht glatt von statten, obschon man ohne weitere Prüfung der Mächtigkeit der Lager, der Wege, welche vom Meere zu ihnen führen könnten, der verfügbaren Transportmittel oder des erforderlichen Arbeitermaterials, kurz alles dessen, was sonst zum Gelingen eines solchen Unternehmens für nöthig erachtet wird, sofort mitten in die Action trat. War auch eine Reise mit den schwerfälligen Wagen aus dem Inneren über die wasserlose Steppe nach der Walfischbai wenigstens für die 16 bis 18 Zugochsen eine Fahrt auf Leben und Tod, bezeichneten auch bald Hunderte von bleichenden Gerippen den Weg, gemacht wurde die Reise doch, denn die Erze waren überreich und die Beschaffung von Ochsen billig. Wenigstens für einige Zeit, bis die von Transvaal durch Händler eingeschleppte Lungenseuche dem Zugmaterial und damit dem Bergbaubetrieb ein jähes Ende bereitete.
Nach solcher Schilderung jenes südafrikanischen Gebietes erscheint sein Besitz kein übermäßig begehrenswerther. Allein wenn wir uns daran erinnern, daß gerade in den rauhesten Gegenden die Natur ihre werthvollsten Schätze birgt – wer denkt da nicht an das Goldland Colorado, an das salpeterreiche Atacama? – wenn wir ferner erwägen, wie durch künstliche Bewässerung in alter und neuer Zeit die dürren Steppen Asiens, Afrikas und Amerikas in fruchtbare Gefilde umgewandelt wurden, so werden wir zögern, vorschnell ein abschließendes Urtheil zu fällen. Brunnen mögen erbohrt, Fangdämme könne über tiefe Flußengen gezogen werden, so mag man das in die Tiefe gesunkene Wasser zur Oberfläche befördern, das sonst nutzlos im Sande verrinnende in seinem Laufe aufhalten und zu Bildungen von Teichen, vielleicht gar von kleinen Seen zwingen, um es dann durch wohlangelegtes Canalsystem auf die umliegenden Flächen zu leiten. Was schon jetzt durch Bewässerung erreicht werden kann, das hat man den Eingebornen auf der Missionsstation Bethanien gezeigt, wo die ein sanft aufsteigendes Ufergelände bedeckenden Gärten in geregelter Reihenfolge ihre Wasserbefruchtung empfangen und so recht gute Gemüse erzeugen. Aber auch sonst zeigt der nach genügenden Regengüssen überall lustig emporwuchernde Pflanzenwuchs, daß der Boden reichlich und willig erzeugt, sofern ihm nur die befruchtende Feuchtigkeit zugeführt wird.
Freilich wird es noch viel Zeit und Geduld erfordern, ehe man die Eingebornen zu solcher bisher ungewohnter Thätigkeit heranziehen kann, aber schon in nächster Zeit soll dieser Versuch gemacht werden, seitdem ein unternehmender deutscher Mann hier frei von aller fremden Oberherrlichkeit 900 Quadratmeilen Landes erwarb, über dem heute die schwarz-weiß-rothe Flagge weht.
Das Bremer Handelshaus F. A. E. Lüderitz ist schon seit längerer Zeit im afrikanischen Handel thätig, seine Handelsniederlassung in Lagos ist nicht neueren Datums, auch war ihm das südafrikanische Gebiet sehr wohl bekannt, ehe sein Chef beschloß, hier an Culturversuche heranzutreten, welche von weittragender Bedeutung sein können. Die verfehlten Unternehmungen britischer Ansiedler, die zusammengebrochenen Operationen der Rheinischen Missionsgesellschaft schreckten ihn keineswegs ab, denn er wußte, daß nur Mißwirthschaft, wenn nicht Schlimmeres, das Gelingen vereitelt hatte. Er kannte auch die Wüstennatur des Landes sehr wohl und er lernte sie durch einen längeren Besuch noch besser kennen, und dennoch erwarb er den dürren, fast wasserlosen Küstenstrich, welchen die See im Westen, der Rand des Hochlandes im Osten begrenzt. Was war es nun, das den deutschen Kaufmann zu solchem Unternehmen bestimmte?
Wer sich den Handel mit dem Innern sichern will, der muß Herr der Küste sein. Der werthvollste Hafen an dieser Küste, soweit wir sie kennen, ist neben der leider britisch gewordenen nördlicheren Walfischbai ohne Zweifel die Angra Pequena, die kleine Bai. Und sie ist nach den Vermessungen des deutschen Kanonenbootes „Nautilus“ sogar weit besser als jene. Während die nach Süden sich verlängernde Bai durch eine breite Landzunge geschützt wird, brechen weiter nördlich drei vorgelagerte Felsinseln den hier mächtigen Schwall des Atlantischen Oceans und sichern den geräumigen Ankergrund. Wie die Inseln, so ist auch die Küste von vulcanischem Gestein durchbrochen, hier, wo die trockene Atmosphäre kaum eine Wirkung ausübt, rauh und kahl, kaum daß in tiefen geschützten Spalten spärliche Büsche sich bergen. Auf dem höchsten derselben, der Nautilusspitze erhebt sich ein von Lüderitz errichtetes hohes Holzkreuz, ein Wegweiser für den zum Lande steuernden Schiffer. Am Fuß des zu 150 Meter emporsteigenden Hügels und umrahmt von anderen, gleich unwirthlichen Höhen ist die Bremer Factorei errichtet worden, zwei hölzerne, mit Wellblech bedeckte Häuser, ein Vorraths- und Lagerhaus und ein bescheidenes Wohnhaus von drei Zimmern. Ueber beiden weht an hohem Mast die schwarz-weiß-rothe Flagge. Ein großes eisernes Wohnhaus soll in nächster Zeit errichtet werden. Nicht weit davon haben Hottentotten ihre Kraale aufgeschlagen, sie machen sich als Arbeiter nützlich, namentlich sammeln sie das hier reichlich von der See angeschwemmte Treibholz, eine willkommene Gabe in dieser vegetationslosen Gegend, die auch völlig unbewohnbar wäre, brächte man nicht per Schiff von der Capstadt das unentbehrliche Trinkwasser in Tonnen herbei. Das ist der anspruchslose Keim dieser ersten deutschen Niederlassung unter Reichsschutz.
Angra Pequena ist das Thor, welches auf reichlich mit Quellen besetzten Straßen zum Inneren führt. Schon weiden auf den Gründen des Bremer Kaufmanns schnell anwachsende Herden und an mehr als einer Stelle hat eine vorerst nur oberflächliche Untersuchung das Vorkommen von Kupfer, Eisen, Gold und Silber nachgewiesen. So erscheinen also Viehzucht und Bergbau als aussichtsvolle Unternehmungen, sobald die Frage der Verfrachtung gelöst ist, was nach allen Berichten nicht schwer fallen dürfte.
Angra Pequena wäre auch sicherlich kein übler Platz für eine Fischereistation. An dieser Küste wimmelt das Meer von Fischen [616] aller Art. Darum ziehen auch beständig ungezählte Vögelschaaren ihre Schatten über die Meeresfläche, wenn sie, nach Beute spähend, über den Wellen schweben, oder bedecken die kahlen Felsen des Strandes mit regimenterweise dasitzenden Trupps, wenn sie von ihrer Arbeit ausruhen. Daher auch der massenhaft auf den vorliegenden Strandinseln aufgehäufte Guano, den hier keine Regengüsse seiner werthvollen Eigenschaften zu berauben vermochten. Schon längst werden diese Lager von Kaufleuten in der Capstadt ausgebeutet, die jetzt wohl ungern ihre Operationen einstellen mögen, suchte doch selbst die britische Regierung das Besitzrecht der elf der Küste vorgelagerten Inseln zu retten. Doch erwiesen sich die vom Gouverneur hierfür erbrachten Gründe ebenso fadenscheinig wie die Behauptung eines schlau sein wollenden Capstädters, welcher die ganze Küste von Angras Juntas bis Angra Pequena als sein Eigenthum reclamirte. Allein die vorgebrachten Documente wurden schnell als völlig werthlos erkannt, schon darum, weil sie in englischer Sprache abgefaßt waren, die der Hottentotte, welcher neben seiner eigenen nur holländisch, jetzt auch etwas deutsch spricht, zu verstehen gar nicht im Stande ist. Es ist daher dem liebenswürdigen Anerbieten des Engländers, seine Ansprüche gegen eine runde Summe abzutreten, keine Beachtung geschenkt worden. Auch durch eine Erklärung des Colonialsecretärs, wonach England, die Rechte der „wilden“ Bewohner nicht anerkennend, die Angra Pequena-Bai schon vor Jahren annectirt habe, ließ sich Herr Lüderitz nicht irre machen. Denn wilde Bewohner fand er nirgends, wohl aber solche, die schon seit etwa vierzig Jahren durch die Rheinische Mission wenigstens in die Anfangsstadien der Cultur eingeführt waren und ein sehr klares Verständniß für die Wichtigkeit einer Landabtretung zeigten. Aus dem Archiv von Bethanien ging deutlich genug hervor, was jene Abmachungen der capischen Firma besagen wollten und daß dieselben durch den nun zwischen Lüderitz einerseits und dem Häuptling Joseph Fredericks und seinem Rath andererseits eingegangenen Vertrag null und nichtig wurden. Freilich der von England reclamirte Theil erscheint gar nicht so werthlos, hat doch schon vor längerer Zeit die Firma de Paß, Spence u. Comp. unweit Angra Pequena ein Silberbergwerk bearbeiten lassen.
Man war in Berlin auf’s Gewissenhafteste bemüht, den wahren Besitzstand festzustellen, auch zielten die ersten Anfragen in London zunächst nur darauf hin, sich zu versichern, ob britische, uns unbekannte Rechte auf Angra Pequena beständen. Mit auffälliger Vernachlässigung blieben diese Anfragen acht Monate lang unbeantwortet. Da aber wies der Reichskanzler den deutschen Consul in der Capstadt telegraphisch an, der dortigen Regierung zu erklären, daß die Ansiedelung der Firma Lüderitz unter dem Schutze des deutschen Reiches stehe. Am 7. August hat diese Erklärung ihre feierliche Bestätigung gefunden, indem die Corvette „Leipzig“ an der Bucht von Angra Pequena die deutsche Reichsflagge aufhißte. Damit ist die Besitzergreifung unsererseits zum vollen Abschlusse gekommen.
Ueber den wirthschaftlichen Werth der Lüderitz’schen Besitzung heut ein Urtheil zu fällen, wäre verfrüht. Das hieße sich eine Kenntniß anmaßen, welche zu erwerben der Unternehmer selbst erst jetzt Vorbereitungen trifft. Eine sorgfältig ausgerüstete Expedition wird zuerst die ganze Küste vom Oranjefluß bis zur Nordgrenze der Besitzung untersuchen. Dann wird man sich mit der Mineralogie des Landes beschäftigen und diese Untersuchungen auch auf das Hinterland ausdehnen, das den Namaqua bleibt, die, verarmt und träge, gern jede Unternehmung fördern werden, welche ihnen den Absatz ihrer Heerden und somit mühelosen Verdienst bringt. Solche Voruntersuchungen aber erfordern Zeit, sie erst können lehren, welchen Gewinn Deutschland von seiner ersten Colonie erhoffen darf. Mögen die Resultate allen Erwartungen ihres thatkräftigen Unternehmers entsprechen und, indem sie den wackeren Pionier deutscher Colonisation recht reichlich lohnen, ihren Theil auch zur Lösung der Frage beitragen, welche heut als eine der ersten unser Volk bewegt! Dr. E. Jung.
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- ↑ Vergl. A. Woermann. „Ueber Tauschhandel in Afrika“. Vortrag, gehalten in der Geographischen Gesellschaft in Hamburg.