Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“ (Die Gartenlaube 1894/33)
[564] Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“. In aller Stille setzt dieser wahrhaft gemeinnützige Verein, über dessen Wirksamkeit die „Gartenlaube“ schon wiederholt berichtet hat (zuletzt in Nr. 41 des Jahrgangs 1892) seine segensreiche Tätigkeit fort, zum Heil der armen kleinen Wesen, die, mittellos und ihrer Ernährer beraubt, ohne barmherzige Hilfe einem traurigen Lose verfallen müßten, zum Heil aber auch manches still trauernden Ehepaars, dem ein beglückender Ersatz für die schmerzlich vermißten eigenen Kinder geworden ist. 69 Kinder haben die „Waisenfreunde“ bis jetzt untergebracht, und der Geschäftsführer des Vereins, Schuldirektor Karl Otto Mehner in Burgstädt, berichtet mit Freuden, daß er die im vergangenen Jahre besuchten Schützlinge durchweg bei guter Gesundheit und in guter geistiger Entwicklung fand. „Sie bereiteten ihren Eltern Freude und Glück, wie sie selbst glücklich waren“, sagt er, und er bedauert nur, daß so manche Versorgung an unmöglichen Bedingungen, sei es der in Aussicht genommenen Pflegeeltern, sei es der Verwandten des unterzubringenden Kindes, scheiterte. Kam es ja doch z. B. vor, daß Großeltern dem Verein ein Enkelkind nur unter der Voraussetzung übergeben wollten, daß ihnen für die Zeit, da sie selbst das Kind in Pflege gehabt hatten, Kostenersatz geleistet werde!
Nach den Erfahrungen Mehners richtet sich das Begehren der annehmenden Eltern vorzugsweise auf eheliche Vollwaisen, insbesondere Mädchen im Alter von 1 bis 3 Jahren. Es wäre zu wünschen, daß vorurteilslose Eltern sich auch nichtehelich geborner Kinder erbarmten, sie würden eine ebenso große Liebesthat, wenn nicht eine größere, verrichten. Zu bedauern ist ferner, daß für kleine Knaben weniger Nachfrage ist. Und doch könnten Eltern, die in großen Städten mit guten Schulen leben, manchem befähigten Knaben eine schöne Zukunft bereiten, zu ihres eigenen Herzens Freude!
Indem wir der Hoffnung Ausdruck geben, daß es auch unter den Lesern der „Gartenlaube“ dem Vereine nicht an thätiger Unterstützung fehle, wünschen wir seinem Wirken auch fernerhin reichen Erfolg.