Die „Schwarze Hand“

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Autor: Gustav Diercks
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Titel: Die „Schwarze Hand“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 514–516
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Prozess um mehrere Morde in Andalusien, die der anarchistischen Gruppe „Die Schwarze Hand“ (La Mano Negra) zugeschrieben wurden
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[514]

Die „Schwarze Hand“.

Vor wenigen Wochen haben in Jerez de la Frontera in Andalusien sieben Individuen mit ihrem Tode ein Verbrechen gebüßt, das am 4. December 1882 in der nächsten Nähe jenes berühmten Weinortes begangen worden war und das mit der berüchtigten socialistischen Gesellschaft der „Schwarzen Hand“ in Beziehung gebracht wurde. Dieser Zusammenhang ist zwar nicht mit absoluter Sicherheit erwiesen, man hat sich jedoch so daran gewöhnt, jenes furchtbare Verbrechen als eines der „Schwarzen Hand“ zu betrachten, daß desselben gar nicht mehr anders als im Verein mit dem Namen dieser mysteriösen Genossenschaft Erwähnung geschieht. So bin ich denn auch gezwungen, auf den Mord des Blanco de Benaocaz einzugehen, ehe ich über die „Schwarze Hand“, die Ursachen ihrer Existenz und ihre Organisation spreche, so weit sich überhaupt Bestimmtes darüber mittheilen läßt und so weit die Processe gegen die Urheber des bezeichneten Verbrechens Licht darüber verbreitet haben.

Bartolomé Gago Campos, genannt el Blanco de Benaocaz, ein junger Feldarbeiter, Anfang der Zwanziger, der bei den Gebrüdern Corbacho im Dienst stand und an einen derselben eine Forderung von etwa 265 Peseten (Francs) hatte, beabsichtigte, sich den 5. December 1882 aus der Gegend von Jerez fortzubegeben und anderswo Arbeit zu suchen. Seit dem 5. December war er denn auch verschwunden, ohne daß seine Eltern wußten, wohin er sich gewandt hatte. Endlich erhielten sie einen vom 8. Januar aus Barcelona datirten Brief, scheinbar von Blanco geschrieben, worin dieser mittheilte, daß er in seine [515] Heimath zurückkehren werde, sobald er sich ein kleines Vermögen erworben habe. Am 4. Februar 1883 entdeckte nun die Guardia Civil, auf Grund von vertraulichen Mittheilungen und Gerüchten, nach längerem Nachforschen in der Nähe von Jerez an abgelegener Stelle in geringer Tiefe unter dem Erdboden einen Leichnam, der sich dort mindestens 60 Tage befunden haben mußte und der die Spuren der Tödtung durch Flintenkugeln und Messerstiche aufwies. Die sofort angestellten Untersuchungen richteten sich gegen die Brüder Corbacho, und es stellte sich alsbald heraus, daß diese und 14 Genossen in der Nacht des 4. December 1882 den Blanco an der Stelle, wo man seinen Leichnam fand, ermordet, begraben und später auch den obigen Brief geschrieben hatten. Der gegen die Verbrecher angestrengte Proceß und die öffentlichen Gerichtsverhandlungen vom 5. bis 14. Juni 1883 ergaben folgendes Resultat.

Blanco de Benaocaz gehörte, wie die Angeklagten, einer geheimen Arbeitergenossenschaft an – die nun eben mit der früher bereits bekannt gewordenen „Schwarzen Hand“ identificirt wurde – und zwar der Section von Alcornocalejo, an deren Spitze Francisco Corbacho Lago als Präsident, Pedro Corbacho als Vicepräsident, Juan Ruiz y Ruiz als Secretär standen und der auch die andern Angeklagten als Mitglieder angehörten. Sei es, daß der Umstand, daß die Brüder Corbacho Blanco’s Schuldner waren, diesen unbequem war, sei es, daß Blanco durch eine Liebschaft mit einer Verwandten der Corbacho’s die Eifersucht derselben geweckt hatte, sei es, daß er sich gegen die Satzungen besagter geheimer Gesellschaft vergangen hatte, kurz – gegen den 4. December wurde in der Wohnung des Genossen Bartolomé Gago’s de los Santos, der „Decurial“ der Section war und als solcher die Geldbeiträge der ihm unterstellten 10 Mitglieder seiner Abtheilung einzucassiren hatte, eine Versammlung der Angeklagten abgehalten und in derselben von den Corbacho’s das Todesurtheil gegen Blanco beantragt. In Folge von Meinungsverschiedenheiten konnte dasselbe nicht zum Beschluß erhoben werden; am 4. December fand aber eine zweite Vereinigung im Hause von Ruiz y Ruiz statt, und das Ergebniß derselben war, daß die Jüngsten der Vereinigung das von dem Secretär ausgefertigte und vom Präsidenten unterzeichnete Todesurtheil noch an demselben Tage zu vollstrecken hätten. Dieser Urtheilsspruch wurde in der Oelmühle von Parrilla dem „Decurial“ Bartolomé Gago de los Santos übergeben, der für die Ausführung desselben einzustehen hatte.

Da sich Blanco gerade bei dem Decurial, seinem Vetter, befand, so ordnete dieser an, daß sein Bruder Manuel Gago de los Santos sich mit Blanco in ein nahe gelegenes Wirthshaus begeben und dort die Executoren erwarten sollte. Inzwischen berief Bartolomé die Mitglieder seiner Abtheilung, und las ihnen das ihm übersandte Todesurtheil vor, das allgemeine Billigung fand. Daraufhin wurden nun die Jüngsten der Versammlung zur Vollstreckung des Urtheilsspruchs erwählt und einige andere Genossen angewiesen, sich ebenfalls zur Hülfeleistung an dem genau bestimmten Orte der „Hinrichtung“ einzufinden. Alle diese Befehle und Dispositionen wurden auf das Genaueste ausgeführt, und Blanco de Benaocaz wurde denselben gemäß ermordet.

Dies ist in kurzen Zügen der Sachverhalt, wie ihn die Verhöre ergaben, und das daraufhin gefällte Urtheil des Gerichtshofes von Jerez lautete für sieben Angeklagte auf Tod, für die andern neun auf siebenzehn Jahre Kette und Verlust aller Bürgerrechte. Im Frühjahr dieses Jahres kam die Sache noch einmal zur Verhandlung und zwar vor dem Madrider Obertribunal, das bei 15 Individuen auf Tod, bei dem 16. Angeklagten auf schwere Kerkerstrafe erkannte. Hiergegen wurde noch einmal Berufung versucht, diese wurde jedoch abgelehnt, aber der Staatsanwalt that Angesichts dieser großen Zahl von Opfern der Gerechtigkeit sein Möglichstes, um dieselben der Milde des Ministeriums und des Königs anzuempfehlen, und das Endurtheil lautete denn nun auf Tod bei neun, auf schwere Kerkerstrafen bei den sieben andern Angeklagten. Einer der zum Tode Verurtheilten hatte sich jedoch im Kerker schon einige Wochen früher das Leben genommen, ein anderer zeigte Spuren von Geistesstörung, die Vollziehung der Strafe wurde daher bei ihm hinausgeschoben, bis die Gerichtsärzte ihr Urtheil abgeben würden, und die sieben andern wurden am 14. Juli von den drei ersten Scharfrichtern des Königreichs auf öffentlichem Platze und unter Anwesenheit großer Menschenmassen garrottirt. Die Regierung befürchtete, daß die Vollstreckung des Urtheils möglicher Weise Unruhen in der Arbeiterbevölkerung hervorrufen könnte, es waren daher für diesen Fall umfassende Vorkehrungen getroffen worden, die furchtbare Handlung verlief aber ohne größere Störungen.

Die Behörden hatten schon seit mehreren Jahren Kunde von geheimen socialistischen Arbeitervereinen erhalten, und eine ganze Reihe von Verbrechen mysteriösen Charakters, die Aehnlichkeit hatten mit denen der Fenier, waren dem Volkstribunal der „Schwarzen Hand“ zugeschrieben worden. Die tüchtigsten Beamten wurden angestellt, um diese furchtbare Institution zu studiren; bei den verschiedensten Gelegenheiten waren denn auch gravirende Documente aufgefunden worden, trotzdem blieben alle Versuche, ein vollständiges Bild dieses geheimnißvollen Arbeiterbundes zu gewinnen, vergebens. Dieser Proceß gegen die Mörder des Blanco de Benaocaz hat nun zwar mehr Licht über das „Volkstribunal“ verbreitet, trotzdem ist es nicht gelungen, die ganze Organisation zu durchschauen, und die in den Proceß Verwickelten haben theils standhaft jede Kenntniß der Existenz der „Schwarzen Hand“ geleugnet, theils ganz vage Mittheilungen gemacht und jede weitere Auskunft verweigert. Daher ist es gekommen, daß die Vorstellungen von der in allen Kreisen eine Zeit lang so sehr gefürchteten „Schwarzen Hand“ ganz unbestimmt geblieben sind, daß es heute noch Viele giebt, die an die Existenz dieses agrarischen Vehmgerichts nicht glauben, daß Andre die zahllosen Geheimbünde, die unter den Arbeitern Andalusiens bestehen und etwa 40,000 Individuen umfassen sollen, in ihrer Gesammtheit als die „Schwarze Hand“ bezeichnen, und das scheint uns nach Zusammenstellung alles vorhandenen Materials das Richtige zu sein. Als vor einigen Jahren in einer kleinen Ortschaft Andalusiens das Begräbniß eines Arbeiters stattfand, strömten zu demselben von allen Seiten große Massen von Arbeitern zusammen, und als man sie fragte, was das zu bedeuten habe, erklärten die Gefragten, der Todte sei ein Bruder ihres Bundes gewesen.

Die Existenz derartiger Arbeiterbündnisse läßt sich mindestens bis zum Jahre 1873 zurück nachweisen, und die Organisation derselben ist zum Theil eine so vollendete gewesen, daß man sie nur auf das Einwirken der ausländischen socialistischen und nihilistischen Elemente zurückführen kann.

Die Regierung that natürlich ihr Möglichstes, um mit diesen Geheimbünden aufzuräumen, und sie glaubte schon vor mehreren Jahren, daß ihr das gelungen sei. Da bewies das Verbrechen vom 4. December 1882, wie wenig es ihr geglückt sei, und wenn sie jetzt glaubt, die socialistische Bewegung durch den Monstreproceß völlig erstickt zu haben, so sieht sie seit einigen Tagen, daß auch diese Annahme durchaus falsch und illusorisch ist, denn nicht allein sind im vorigen Jahre und in den letzten Monaten wieder eine Reihe von Verbrechen höchst eigenartigen, geheimnißvollen Charakters vorgekommen, die der „Schwarzen Hand“ zugeschrieben wurden, sondern vor einigen Tagen wurde auch in Alhama bei Granada das aus zwölf Männern bestehende Präsidium eines localen Arbeiterverbandes von Alhama bei einer Sitzung überrascht, und die beschlagnahmten Siegel wiesen die Bezeichnung „Federacion“ auf, während aus einzelnen Documenten ersichtlich wurde, daß der Verband dieses kleinen Oertchens allein über zweihundert Mitglieder umschließe.

Ehe wir nun auf die Ursachen des Entstehens so vieler socialistischer und anarchistischer Vereinigungen in Andalusien eingehen, dürfte es interessant sein, einzelne der bei Gelegenheit des letzten großen Processes aufgefundenen Documente zur Kenntniß zu bringen.

Zunächst fanden sich im Besitz der Angeklagten Exemplare einer beträchtlichen Anzahl verschiedenartiger socialistischer und anarchistischer Zeitschriften und Flugblätter, die „Der Arbeiterfreund“, „Die Sünde Kain’s“ betitelt waren, sowie ein Kalender, welcher die von der französischen Revolution adoptirte Zeitrechnung nach Decaden und ferner alle für die Geschichte des Socialismus und Nihilismus bemerkenswerthen Daten und außerdem Aufsätze enthält, die in dem bekannten Geiste des Anarchismus abgefaßt sind.

Neben diesen mehr öffentlichen Druckschriften wurden eine Anzahl geheime Couponbücher, ferner sehr sauber gehaltene Cassenbücher u. dergl. m. gefunden; am interessantesten ist aber ein in Bleistift entworfenes, vielfach corrigirtes Schriftstück, das wohl zum Drucke bestimmt war und als Statuten-Entwurf betrachtet werden darf. Es heißt darin:

[516] „Nachdem die Internationale von den ‚Bürgern‘ als außerhalb des Gesetzes stehend erklärt worden ist, und die Fortschritte der socialen Revolution zur Züchtigung des Bürgerstandes und seiner Verbrechen unmöglich gemacht sind, in Anbetracht dessen, daß die Verbündeten keine Macht haben, ihre Strafen zu vollstrecken, bildet sich zu diesem Zwecke ein Ausschuß (eigentlich Kern, núcleo), der sich Volkstribunal nennt.

Jeder Ausschuß wird aus 10 Individuen bestehen. – Sein Hauptzweck wird sein, die Verbrechen der ‚Bürger‘ durch Feuer, Eisen, Gift und andere Mittel zu bestrafen. – Die Mitglieder werden am ersten jedes Monats Zusammenkünfte abhalten, und in ihnen werden sie Rechenschaft ablegen über die Mittel, die Repressalien auszuführen. – Sie werden Mittel erkunden, um Schaden zuzufügen, und diese dem Präsidenten vorlegen. Sie werden einen wöchentlichen Beitrag von fünf Centimos (vier Pfennig) zahlen. Alle günstigen Gelegenheiten, um Züchtigungen zu vollziehen, werden benutzt werden, aber man wird sich nicht weigern dürfen, im Nothfall das Leben auf das Spiel zu setzen. – Die Rache wird an den Personen oder am Besitzthum genommen werden. Um einen Verräther zu tödten, darf Niemand Rücksicht darauf nehmen, ob dies sein Vater, Sohn oder Bruder ist. – Der Ausschuß wird nicht eher aufgelöst werden, als bis die sociale Revolution vollzogen ist. – Alle werden bei dem Eintritt (in den Bund) ihre Namen ändern. – Die mit ihnen in Verbindung Stehenden müssen sie den Haß gegen die Reichen lehren.“ –

Ein anderes Document lautet:

„Die schwarze Hand. – Gesellschaft der Armen gegen ihre Tyrannen und Henker. – Europa, erstes Jahrhundert. – Die Reichen haben in ihren Klauen den Besitz der Armen. – Falsch sind die Vorstellungen bezüglich des Eigenthums und der Verzeihung von Beleidigungen. – Es empfiehlt sich der Gebrauch des Giftes, des Feuers und selbst der Verleumdung. – Die Gesellschaft ist eine geheime. – Wer etwas enthüllt, wird eine Strafe von zeitweiliger Ausschließung bis zu der des Todes erleiden. – Man erwirbt das Recht zum Eintritt durch irgend einen geleisteten Dienst. Es müssen die Genossen in Betracht ziehen, daß der Verband eine fürchterliche Kriegsmaschine ist, von der jedes Mitglied ein Stück bildet. – Wer gegen seine Verpflichtungen fehlt, wird vor Gericht gestellt und den Tod erleiden.“ –

Diese Documente beweisen zur Genüge, wie weit die Verrohung und Verirrung der Mitglieder einzelner socialistischer und anarchistischer Vereine andalusischer Arbeiter geht, und wie das Verbrechen in denselben sanctionirt ist; die Praxis bezeugt, daß die andalusischen Socialisten ihre Lehren auch wirklich durch die Thaten bekräftigen.

Woher, müssen wir uns nun fragen, kommt diese Erscheinung, daß der Nihilismus – denn dieser ist es, der den Geist vieler andalusischer Arbeiterbündnisse offenbar beherrscht – so viel Boden im Süden Spaniens gefunden hat? Liegt er der Natur und Anschauungsweise der Andalusier so nahe? Nicht näher als den Arbeitern anderer Districte und Länder, denn wenn auch die andalusische Bevölkerung sehr überwiegend von arabischen und berberischen Elementen durchsetzt ist, so ist doch weder diese Blutsmischung noch etwa der Einfluß der ursprünglichen mohammedanischen communistischen Verfassung für obige Erscheinung verantwortlich zu machen.

Wenn man ferner die „Schwarze Hand“ und den andalusischen Anarchismus mit dem leider so hoch entwickelten Bandolerismus, dem Banditenwesen, zusammengeworfen und beide identificirt hat, so ist dies grundfalsch. Sie haben nichts weiter mit einander gemein, als daß sie Kinder einer und derselben Mutter sind, nämlich des grenzenlosen Pauperismus, des unsäglichen Elends, in dem die niederen Stände Andalusiens leben – oder vielmehr auf das Kümmerlichste vegetiren. Und da haben wir denn die traurigen Gründe für den Socialismus, Nihilismus, Anarchismus der andalusischen Arbeiter, für jene furchtbaren Verirrungen des menschlichen Geistes, der in seiner Noth so weit geht, das furchtbarste Verbrechen als eine Gutthat zu sanctioniren, die Grundsätze des Humanismus mit Füßen zu treten und den Menschen zur wilden Bestie umzugestalten, die zur Erlangung der nothwendigsten Existenzmittel nichts mehr für unerlaubt hält.

Es würde zu weit führen, die Ursachen des Elends der andalusischen Arbeiter detaillirt mitzutheilen. Ich kann sie nur flüchtig andeuten, und jeder denkende Mensch wird im Stande sein, die Consequenzen aus den wenigen Mittheilungen zu ziehen.

Man muß in die Höhlen und Hütten der armen Andalusier hineingesehen haben – was ja selbstverständlich kein flüchtiger Tourist thut – um sich eine Vorstellung von der Furchtbarkeit des Elends zu machen, das dort besteht. Aber auch diese Arbeiter sind Menschen und zwar heißblütige, geistig und körperlich kräftig entwickelte, rege Menschen, auch sie haben menschliche Empfindungen, wollen leben, wollen sich verheirathen, wollen ihre Kinder erziehen. Dazu gehört für den unglaublich genügsamen Andalusier wenig, sehr wenig, und er ist der beste Mensch von der Welt, der lustigste, witzigste, wenn er dies Wenige hat. Aber er ist leidenschaftlich, sein Blut erhitzt sich leicht, und wenn er für sich und seine Familie nicht einmal das Nöthigste zur Existenz erhält – so erbittert ihn das und – wehe dem, der den Zorn des Andalusiers auf sich lenkt!

Es liegt in der Natur des verwahrlosten Landes, daß der Feldarbeiter – und andere Arbeiter giebt es in Andalusien kaum – nur während eines Drittels des Jahres oder vielleicht während der Hälfte desselben, etwas verdienen kann, die andere Zeit ist er beschäftigungslos. Und was verdient er überhaupt! In einem Monat etwa so viel wie ein deutscher oder englischer Fabrikarbeiter in einer halben Woche, an einem Tage, und von den wenigen Pfennigen soll er mit seiner Familie leben!

Dazu kommt die Erbärmlichkeit des spanischen Schulwesens. Auf dem Papier ist Alles sehr gut geordnet. Wenn aber die armen Dorfschullehrer Jahre lang auf ihre lächerlich kleinen Gehälter warten und ihr Dasein auf das kümmerlichste fristen müssen, da ist es kein Wunder, wenn Niemand Schullehrer sein mag, wenn die ungebildetsten Ignoranten, die selbst nicht lesen und schreiben können, Lehrer werden – durch Protection der Beamten, der Kaziken!

Gesetzt nun aber endlich den Fall, ein andalusischer Feldarbeiter versucht sich selbstständig zu machen, kauft auf Credit ein Stückchen Landes, so hat er an Zehnten, Abgaben, Auflagen und Steuern fast den ganzen Ertrag seiner mühseligen Arbeit zu zahlen.

So wirken alle Umstände zusammen, um den obendrein verdummten und fanatisirten andalusischen Arbeiter zum Banditen oder zum Anarchisten zu machen. Und wie sehr auch die Regierung sich bemüht, glauben zu machen, daß der Socialismus in Andalusien erstickt ist, muß vielmehr constatirt werden, daß er mit jedem Tage mehr um sich greift und zu einer immer drohenderen Gefahr wird. Nicht durch Processe, Verfolgungen und Hinrichtungen wird die Regierung diese Gefahr beschwören, sondern nur durch Verbreitung tüchtiger Bildung, durch Besserung des Looses der Arbeiter.

Madrid, im Juli 1884. Gustav Diercks.